Das Internet der nicht übertragbaren Dinge
Smarte Produkte eröffnen uns neue Möglichkeiten im Alltag. Sie verändern allerdings auch die Art, wie wir Dinge besitzen und die Freiheit, diese Produkte zu nutzen. Spätesten beim Erwerb gebrauchter smarter Produkte, beispielsweise eines gebrauchten Autos oder der erworbenen smarten Immobilie kann dies zu einem bösen Erwachen beim neuen Besitzer führen.
Smarte Produkte entstehen durch das Zusammenspiel von zwei Welten: der materielle Hardware, die virtuelle Software und die digitalen Services. Dies führt zu einem komplexen Gebilde, bei dem der Besitz eines Produktes mit einem Recht zur Nutzung einer Software kombiniert ist. Genau an diesem Schnittpunkt zwischen Besitz und Nutzungsrecht können beim Erwerb eines smarten Produktes Reibungspunkte entstehen.
Plakativ wird dieser Konflikt beim Fall eines smarten Gebrauchtwagens in den USA. Hier hatte ein Käufer einen Tesla von einem Gebrauchtwagenhändler erworben. Im Kauf enthalten war das Fahrzeug mit Autopilot-Funktion. Der Händler selbst hatte das Fahrzeug direkt von Tesla über ein Rückkaufprogramm inklusive Autopilotpaket im Wert von ca. USD 8.000 erworben. Allerdings hatte der neue Gebrauchtwagenbesitzer nur kurzweiligen Spaß an seinem gebrauchten Tesla. Nach dem Kauf entfernte Tesla das Autopilot-Paket per Over-The-Air-Update. Der verdutzte Käufer erhielt die Nachricht, dass er dieses Paket nachträglich für USD 8.000 wieder erwerben könnte.
Vom smarten Produkt zum teuren Backstein
In den USA hat sich für dysfunktionale Smart Homes der Begriff "Bricked Houses" etabliert. Damit wird der Zustand beschrieben, bei dem sich teure smarte Endgeräte in dumme nutzlose Gegenstände – aka Bricks (Backsteine) – verwandeln, sobald Hersteller die Unterstützung der smarten Funktionen einstellen. Erschwerend für Smart-Home-Besitzer kommt hinzu, dass es sich bei Smart Homes meist um heterogene IT-Landschaften mit Systemen vieler verschiedener Hersteller handelt: beispielsweise smarte Heizungssteuerung, Schließanlage, Türklingel, Klimaanlage, Licht, Küchengeräte, Bewässerungsanlage und Kameraüberwachung. Beim Erwerb einer solchen smarten Immobilie muss für jeden Hersteller die Übertragung der Zugriffsrechte, Accounts, Daten und Vertragsverhältnisse geregelt werden. Wer hier blauäugig oder nachlässig agiert handelt sich gleich zwei ernsthafte Probleme ein:
- mangelhafte Cybersicherheit seines Smart Homes, wenn Passwörter und Konfigurationen vom Vorbesitzer unverändert übernommen werden und
- Vertragskonflikte mit den Nutzungsbedingungen vom Hersteller, die unter Umständen zur Einstellung von Serviceleistungen führen können.
Das smarte Home wird im schlechtesten Fall zum unsicheren oder dummen Backstein.
Smart ist ein Paradigmenwechsel
Smarte Produkte ändern nachhaltig die Beziehung zwischen Hersteller und Konsument. In einer nicht digitalen Welt endete die Beziehung zwischen beiden am Ende der gesetzlichen Gewährleistungspflicht. Zudem konnten Besitzverhältnisse frei durch Konsumenten bestimmt werden, beispielsweise beim Verkauf eines Gegenstandes, ohne dass der Hersteller von seiner Pflicht zur Gewährleistung entbunden wurde. Konsumenten hatten hier einen sehr hohen Freiheitsgrad und die Industrie eine befristete Bürde. Der Konsument verfügte über Freiheit und Macht, während Hersteller auf ihrer Seite einen einmaligen Erlös und Verpflichtungen verzeichneten.
Smarte Produkte ändern diese Beziehung von Freiheit und Macht zwischen Industrie und Konsument nachhaltig zu Gunsten der Industrie. Hersteller binden Konsumenten dauerhaft durch die Nutzung von Software und digitalen Services. Dabei verschieben sich die Machtverhältnisse: der Hersteller bestimmt den Nutzungsgrad und die Nutzungsdauer von Software und digitalen Services über allgemeine Geschäftsbedingungen. Er kann entscheiden, wie und wer das Produkt über die gesamte Lebensdauer nutzt. Zudem räumen sich viele Hersteller eine exklusive und dauerhafte Nutzung der Daten ein, die über einen smarten Gegenstand verarbeitet werden.
... das smarte Produkt endet als dysfunktionaler teurer Backstein.
Im Falle eines vernetzen Fahrzeuges sind dies beispielsweise telemetrische Daten zum Fahrverhalten, Medienkonsum und Profile der Fahrzeughalter und Fahrer. Geradezu allmächtig wird die Position von Herstellern, wenn die Software den eigentlichen Mehrwert eines Produktes bestimmt. In diesem Fall ist der Erwerb des Gegenstandes mit dem Erwerb einer Subscription von digitalen Services gekoppelt. Für Konsumenten erfolgt das böse Erwachen, wenn diese feststellen, dass zwar der Gegenstand erworben wurde, dass damit verbundene Nutzungskonto der Subcription aber nicht übertragen werden kann. Im besten Fall müssen dann vom neuen Besitzer die bereits vom Vorbesitzer bezahlten Apps und Services neu erworben werden. Im schlechtesten Fall ist dies nicht möglich und das smarte Produkt endet als dysfunktionaler teurer Backstein.
Fazit
Smarte Produkte ändern nicht nur die Art, wie wir Dinge nutzen. Sie ändern auch die Besitzverhältnisse und Beziehung zwischen Industrie und Konsument. Dabei geben Konsumenten einen Teil Ihrer Freiheiten ab und büßen Souveränität ein. Im Gegenzug gelingt es Herstellern, ein neues dauerhaftes Erlösmodell über digitale Services einzuführen und Kontrolle über den Einsatz erworbener Produkte auszuführen. Besitzer von smarten Produkten werden damit ein Stück weit entmündigt.
Das aktuell geltenden gesetzliche EU-Rahmenwerk zum Verbraucherschutz, die europäische Produkthaftungsrichtlinie 85/374 EG stammt aus dem Jahr 1985 [1]. Dieses bildet die Anforderung an smarten Produkten nicht ab. In Folge wird der Schutz des Verbrauchers geschwächt. Die Europäische Kommission hat diesen Umstand erkannt und die EU-Kommissarin für Wettbewerb und Digitales, Margarethe Vestager, strebt eine Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie an, die die Aspekte digitaler Produkte berücksichtigt und die Stellung von Verbrauchern in der digitalen Welt stärken soll. Dazu hat die EU-Kommission einen Fahrplan veröffentlicht, der den Fortschritt und die nächsten Schritte zur Novelle der Richtlinie anzeigt [2].