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Jessica Matz 05. September 2023

Wie sich UX entwickelt hat...

...und was das für klassische Industrien wie die Abfallwirtschaft bedeutet

Benutzeroberflächen sind aus Komplexität heraus entstanden. Erinnern wir uns an die Anfänge von Buttons, Toggle-Schaltern und Formularfeldern. Es handelte sich um physische Elemente, die zur Nutzung und Steuerung komplexer Technologie benötigt wurden. Typische Beispiele sind Cockpits oder Kraftwerke. Die Konstrukteur:innen und Ingenieur:innen mussten jeden Zentimeter ausnutzen, um alle benötigten Steuerelemente unterzubringen. Die Oberflächen enthielten Hunderte und Aberhunderte von identischen Tasten, Schaltern, Knöpfen und Hebeln, die nur durch winzige Beschriftungen zu unterscheiden waren. Ein gewöhnlicher Laie konnte mit einem solchen Schaltpult nichts anfangen, aber das war in Ordnung. Die Benutzenden erhielten eine spezielle Ausbildung und vielleicht sogar einen eigenen Abschluss, um das bedienen zu dürfen, was wir heute als einen Alptraum der Benutzerfreundlichkeit betrachten.

Als die ersten grafischen Schnittstellen auf den Markt kamen, griffen ihre Designer:innen auf Konzepte aus der realen Welt zurück. Wir haben Begriffe verwendet, die die Menschen kennen, um diese neuen digitalen Umgebungen leichter verständlich zu machen – Fenster, Schreibtisch, Maus, Mülleimer, Ordner. Oder noch wörtlicher als Begriffe haben wir die reale Welt kopiert. In Flugzeugen und Operationssälen wurden die gleichen Knöpfe, Hebel und Armaturenbretter auf einem Bildschirm statt an der realen Wand angebracht. Deshalb haben wir auch heute noch Knöpfe und Schalter in digitalen Oberflächen, genau wie eine Bildschirmtastatur.

Das war hilfreich für die Menschen, als diese Technologien noch neu waren. Einige dieser Konzepte funktionieren für uns auch immer noch gut. Aber wenn man ernsthaft darüber nachdenkt, wie sich die Welt, die Technologie und das Design aktuell entwickeln, kann man einige Probleme feststellen.

Das Symbol für das Telefonieren auf unseren Smartphones ist ein Telefonhörer im Stil der 1980er Jahre, und Disketten werden manchmal noch als Speichersymbol verwendet. Wir haben veraltete Technologien als Symbole verwendet, die für neue Generationen von Nutzer:innen immer weniger Sinn ergeben werden. Selbst der "Personal Computer Style" der UX ist keineswegs neu.

In der Zwischenzeit haben wir Smartphones und ihre hyperkuratierte "One-Tiny-Screen-at-a-time"-Experience entwickelt. Die Ausgangslage hat sich geändert: Für B2C-Websites und -Apps ist "mobile first" der Stand der Technik. Die Nutzer:innen haben sich an Apps gewöhnt, die sie ohne Handbuch bedienen können, an Oberflächen, die selbsterklärend sind. Aber bei komplexen B2B-Anwendungen sind wir davon noch weit entfernt. Es gibt viele Anwendungen, bei denen man ein intensives Training braucht, nur um die Grundfunktionen zu bedienen! Sie sind das digitale Pendant zur Kraftwerkssteuerung: Zu viele Optionen, und dank des Hover-Tooltips haben einige der Symbole nicht einmal mehr Beschriftungen. Selbst sehr verbreitete Anwendungen können Opfer dieses UX-Stils der alten Schule werden. Vergleichen Sie z. B. die überwältigende Anzahl von Optionen im Menüband von MS Office 2021 mit anderen, moderneren Schreibanwendungen.

Dies ist ein Beweis dafür, dass sich UX weiterentwickelt hat. Anstatt die Benutzer:innen mit allen Optionen zu überhäufen, berücksichtigen wir Aufgaben und Arbeitsabläufe, um eine sehr fokussierte UX zu liefern. Braucht es eine Option Fett oder Link, wenn man noch keinen Text ausgewählt hat? Müssen wir den Nutzer:innen erst alle Optionen zeigen, trotz der Gefahr, dass sie sich verirren? Oder können wir ihnen intelligente Hinweise geben, damit sie auf die Funktionen zugreifen können, die sie brauchen, in dem Moment, wenn sie sie brauchen? Je weniger wir auf einmal zeigen, desto weniger Bildschirmfläche benötigen wir. Dies ermöglicht mehr Weißraum und macht den kuratierten Ansatz auch mobilfreundlicher.

Ich bin vor kurzem in die Abfallwirtschaft gewechselt – eine ziemlich physische und altmodische B2B-Branche. Viele Menschen in dieser Branche sind nicht gerade Technikprofis. Oft ist die Abfallentsorgung ein ungeliebter, aber notwendiger Nebeneffekt der eigentlichen Aufgaben, die sie zu erledigen haben. Nichtsdestotrotz ist die allgemeine Design-Ästhetik der von ihnen verwendeten B2B-Tools der Stil eines komplexen Cockpits. "Nun, das ist die Zielgruppe gewohnt. Wir müssen so viele Daten anzeigen, wir brauchen all die Tabellen, Formularfelder, Schaltflächen und Icons.", könnte man sagen. Aber auch moderne Cockpits entwickeln sich weiter! Wie wäre es, wenn Sie die Bedienelemente entlang der User Journey aufteilen könnten? Anstelle von ALLEN Hebeln und Bedienelementen könnten Sie zunächst alles zeigen, was Sie zum Starten benötigen. Sobald das erledigt ist, könnte man zu einem anderen Arbeitsbereich wechseln, der sich ausschließlich darauf konzentriert, das Flugzeug auf Kurs zu halten? Natürlich bin ich mir nicht sicher, ob Sie das tatsächlich getan haben, aber ich möchte trotzdem den SpaceX Dragon als Beispiel anführen.

Touchscreen-Steuerungen sind ein Zeichen dafür, dass UX-Designer:innen bei der Gestaltung dieser Erfahrung eine wichtige Rolle spielen. Wir haben die Möglichkeit, die komplexe Benutzeroberfläche auf benutzerfreundliche Weise zu gestalten. Ja, die SpaceX-Konsole verwendet Standard-Flugzeug-UI-Muster wie Dashboards und Schalter. Ja, das ist buchstäblich "rocket science". Aber wenn man die schiere Anzahl der Bedienelemente in diesem Cockpit mit den eher altmodischen Versionen vergleicht, halte ich das für einen großen UX-Gewinn. Wenn SpaceX eine Touchscreen-Version seiner komplexen B2B-Benutzeroberfläche haben kann, warum nicht auch Sie?

Ein Tool sollte Ihnen Zeit sparen und nicht noch mehr Zeit kosten.

Vielleicht stecken wir ein wenig in unseren gewohnten Denkmodellen fest, wie wir Dinge gestalten. Machen wir uns zu viele Gedanken über die bestehenden Zielgruppen, die etwas Neues lernen müssen, wenn wir etwas ändern? Können wir signifikante UX-Verbesserungen und Freude erzeugen, wenn wir die Dinge weiterhin so machen wie in den letzten 40+ Jahren? Schränken wir uns als Gestaltende in unserer Kreativität ein, entfremden neue Nutzer:innen und vergeuden das Potenzial der digitalen Welt? Selbst die bestehenden Nutzer:innen sind vielleicht nicht gerade begeistert von dem, was wir ihnen bieten. Zumindest in der Abfallwirtschaft deuten meine ersten Untersuchungen stark in diese Richtung. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn die Usability-Studien für unser B2B-Produkt zeigen, dass neue User nicht einmal versuchen wollen, dieses Produkt kennenzulernen. Was erwarten wir denn? Viele Angestellte sind gezwungen, für jede neue Unternehmenssoftware, die sie ausprobieren, Handbuch um Handbuch zu lesen. Und nicht jedes Handbuch ist gut geschrieben oder einfach anzuwenden. Wer würde da nicht frustriert werden? Ein Tool sollte Ihnen Zeit sparen und nicht noch mehr Zeit kosten.

Es mag gute Gründe dafür geben, dass wir diese Ansätze nur langsam oder gar nicht auf B2B-UX-Design anwenden. Aber könnten wir uns mehr anstrengen, um dorthin zu gelangen? Wahrscheinlich schon. Denken Sie an die Ingenieur:innen, die Mitte des 20. Jahrhunderts Schalter an der Wand anbrachten. Sie konnten sich wahrscheinlich nicht einmal im Traum die Gestaltungsmöglichkeiten vorstellen, die wir heute haben. Wir sollten sie uns zunutze machen.

Autorin

Jessica Matz

Jessica Matz ist Senior UX Designerin und baut in Startups UX als Funktion auf. Schon vor der Corona-Pandemie arbeitete Jessica komplett von zu Hause und ist bis heute remote bei Software-Startups im multikulturellen Umfeld tätig.
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