Auf dem Weg zu einem digitalen Ökosystem für ein smartes Stadtquartier
So unterstützen wir die Klimaneutralität
Spätestens seit der UN-Klimakonferenz von Paris hat das Thema Klimaschutz enorm an Bedeutung gewonnen und ist omnipräsent. Die deutsche Bundesregierung hat daraus ihrerseits klimapolitische Ziele abgeleitet und im Klimaschutzplan 2050 festgelegt, die globale Erwärmung zu reduzieren. Diese Ziele haben Auswirkungen auf eine Vielzahl von Bereichen wie die Energiewirtschaft, die Mobilität oder auch die Bauwirtschaft. Letztlich betrifft das Thema aber jeden Einzelnen – die Frage, wie wir schonender mit Ressourcen umgehen können und was wir für den Klimaschutz tun können, geht uns alle etwas an, spüren auch wir persönlich oftmals die Auswirkungen des Klimawandels.
Die Digitalisierung bzw. die digitale Transformation ist darüber hinaus ein aktueller Megatrend, welcher ebenfalls allgegenwärtig zu beobachten und für jeden zu spüren ist. Da ist es naheliegend, digitale Möglichkeiten zu suchen und zu nutzen, um dem Klimawandel zu begegnen. Das kann zum Beispiel heißen, Bürger mittels digitaler Lösungen zu unterstützen, klimafreundlicher zu agieren. Beispiele für digitale Dienste sind u. a. multimodale Mobilitätsapps wie Reach now und VRN e-tarif oder auch DEF, um Energie zu sparen [1]. Durch digitale Dienste sollen einzelne Bürger persönliche Unterstützung erhalten, genauso wie Unternehmen oder die öffentliche Hand. Vermehrt entstehen auch digitale Ökosysteme, in denen solche Dienste angeboten werden.
Als Fraunhofer IESE, dem Fraunhofer-Institut für Innovation, Software und Systems Engineering in Kaiserslautern, ist es unsere Vision, ein besseres Leben und Nachhaltigkeit durch verlässliche digitale Ökosysteme zu unterstützen. In unserem ersten Beitrag [2] haben wir bereits aufgezeigt, was digitale Ökosysteme sind und welche Chancen wir darin sehen. In diesem Beitrag stellen wir ein konkretes digitales Ökosystem vor und erläutern unser Vorgehen, wie wir dieses entwickeln.
In den beiden genannten Themenfeldern, dem Klimaschutz und dem digitalen Wandel, arbeiten wir gemeinsam mit sieben weiteren Partnern im Forschungsprojekt EnStadt:Pfaff [3] zusammen. In diesem vom BMBF und BMWi geförderten Leuchtturmprojekt untersuchen wir auf dem Gelände des ehemaligen Nähmaschinenherstellers Pfaff in Kaiserslautern, wie ein klimaneutrales Stadtquartier entworfen und umgesetzt werden kann. Dabei stehen u. a. die Themen Energie, Mobilität oder auch Wohnen im Zentrum der angewandten Forschung. Wir als Fraunhofer IESE möchten dabei digitale Technologien einsetzen und Lösungen entwickeln, um Bürger und weitere Nutzergruppen auf dem Gelände bei der Umsetzung von Maßnahmen, die die Klimaneutralität fördern, zu unterstützen. Dabei ist uns von Anfang an wichtig, dass die Nutzergruppen eng eingebunden sind, um so den bestmöglichen Mehrwert zu schaffen.
In diesem Beitrag wollen wir einen Überblick über die Thematik geben und aufzeigen, welche wesentlichen Schritte aus unserer Sicht notwendig sind, um die Digitalisierung in einem smarten Stadtquartier voranzutreiben. Das beleuchten wir insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das Stadtquartier aktuell erst in der Entwicklung befindet. Das bringt u. a. die folgenden Herausforderungen mit sich: Es gibt noch keine bzw. nur sehr wenige "echte Nutzer" vor Ort, die Gestaltung des Quartiers ändert sich häufiger, und Baufortschritte gehen teils nur langsam voran. Das hat unmittelbar Auswirkungen darauf, wie man überhaupt so frühzeitig zu Lösungen kommen kann, und wie diese zu erproben sind.
Wir konzentrieren uns hier zunächst auf ausgewählten Nutzergruppen und wie wir diese mittels sogenannter Personas abbilden. Damit wollen wir deren Anforderungen bei der Entwicklung von Lösungen im Blick behalten. Unsere technische Lösung kann dann als digitales Quartiersökosystem verstanden werden, welches im Kern aus einer Quartiersplattform mit darauf laufenden Diensten besteht. Um hier aber bereits frühzeitig Ideen von Diensten zu erproben, haben wir auf dem Weg einen sogenannten Plattform-Mock erstellt. Dabei müssen wir nicht auf Anforderungen wie Datenschutz oder Performance Rücksicht nehmen, die in einem späteren Betrieb notwendig sind. Zuletzt stellen wir beispielhaft einige konkrete Dienste vor, um zu zeigen, wie die Plattform eingesetzt werden soll und wie Bürger auf dem Weg zur Klimaneutralität digital unterstützt werden können.
Wer sind unsere Nutzer?
Die Dienste auf der Plattform sollen zu mehr Klimafreundlichkeit beitragen, indem sie klimafreundliches Verhalten unterstützen. Dabei können sie an unterschiedlichen Stellen ansetzen. Eine Möglichkeit ist, dass digitale Dienste über Klimawandel und die Notwendigkeit von Verhaltensänderungen aufklären. Oder sie können Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und zu klimafreundlichem Verhalten animieren. Ein Ansatzpunkt für klimafreundlicheres Verhalten ist das Mobilitätsverhalten. Um Lösungen dafür zu entwickeln, müssen nicht nur aktuelle Bedürfnisse erhoben, sondern auch zukünftige antizipiert werden. Mobilitätsbedürfnisse sind von den Gegebenheiten des Wohnorts abhängig, zum Beispiel von der Topografie und der Entfernung zu Nahversorgungseinrichtungen. Solange ein Quartier bebaut und noch nicht bewohnt wird, kann niemand vor Ort zu den Mobilitätsbedürfnissen befragt werden.
Dennoch muss man für die Entwicklung der Dienste und der Plattform die Bedürfnisse der zukünftigen Nutzer im Blick behalten. Da wir diese noch nicht vollumfänglich kennen, haben wir sogenannte Protopersonas eingesetzt, die helfen, die erhobenen und antizipierten Bedürfnisse festzuhalten. Dies sind Personas, die vollständig oder teilweise auf fiktiven Daten basieren. Eine Persona steht repräsentativ für eine Nutzergruppe mit bestimmten Anforderungen und bildet neben Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und persönlichen Einstellungen auch demografische Werte ab. Bei der Entwicklung von Diensten kann man diese immer wieder aus Sicht der Personas prüfen und dadurch abschätzen, ob die Dienste für die Zielgruppe angemessen sind.
Auf unserem Weg haben wir zuerst das Template für die Personas erstellt. Dazu haben wir Faktoren gesammelt, die das Mobilitätsverhalten beeinflussen. Diese entstammten teils aus der Literatur und basierten teils auf Erfahrungen aus anderen Projekten. Danach haben wir die Templates mit Inhalt gefüllt. Dabei wurde darauf geachtet, dass verschiedene Ausprägungen der Faktoren (z. B. extrovertiert als auch introvertiert) vertreten sind und dass eine Persona in sich realistisch ist. Ines und Leon sind zwei Beispiele solcher Personas (s. Abb. 1 & 2).
Die Abbildungen zeigen, dass Ines und Leon sich stark hinsichtlich ihrer Persönlichkeit unterscheiden. Ines, die sehr offen und hilfsbereit ist, freut sich eher über ein nettes Gespräch mit Mitreisenden als der introvertierte Leon. Ines ist Nachhaltigkeit sehr wichtig. Sie bevorzugt daher umweltfreundliche Fortbewegungsarten. Fahrräder und zu Fuß gehen sind für sie Optionen, da sie gerne aktiv ist. Leon ist grundsätzlich weniger spontan, sondern plant Sachen gerne im Vorfeld. Daher freut er sich über Apps, die ihm genaue Daten und eine gute Übersicht über Optionen anbieten. Ines muss als Mutter nicht nur Ziele ansteuern, die für sie relevant sind, sondern auch Ziele, die relevant für ihre Kinder sind, zum Beispiel die Kita und Parks zum Spielen. Die Kinder müssen natürlich auch bei der Planung des Verkehrsmittels berücksichtigt werden.
Die Personas haben wir in Workshops verwendet, um Lücken in heutigen und zukünftig geplanten Mobilitätsangeboten zu identifizieren und Ideen für weitere Angebote zu entwickelt. In den Workshops helfen die Personas, eine gemeinsame Sprache zu finden und ein gemeinsames Verständnis von den Bedarfen zu entwickeln. Häufig fallen dabei Sätze wie "Das würde Ines sicherlich gefallen" oder "Leon würde das nicht helfen, um sein Ziel zu erreichen", da es leichter fällt über konkrete Personen zu sprechen als abstrakte Faktoren wie Extrovertiertheit.
Und nicht nur in Workshops waren die Personas hilfreich. Sie sind schließlich auch in abgewandelter Form in das Spiel "Mein MiniLautern", welches wir später noch erläutern, eingeflossen, um dort die Bedürfnisse der Bürger anschaulich darzustellen.
Unsere digitale Quartiersplattform
Die Bedürfnisse der Nutzer und die Klimaschutzziele münden schließlich in konkreten nutzerzentrierten Diensten. Diese bieten verschiedenste Funktionen, welche auf unterschiedliche Art und Weise klimafreundliches Verhalten unaufdringlich unterstützen, incentivieren oder vereinfachen. Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger besteht das digitale Quartiersökosystem aus diesen Diensten. Im Hintergrund aber interagieren diese mit dem zentralen Baustein des Ökosystems: der digitalen Quartiersplattform. Wie sollte diese aufgebaut sein?
Grobaufbau der digitalen Quartiersplattform
Die Dienste selbst zerfallen in einen Frontend- und Backend-Teil. Dabei ist die Aufgabe des Frontends, die direkte Interaktion mit einem einzelnen Nutzer zu ermöglichen. Diese Frontends sind dabei häufig Apps, die auf einem Gerät installiert sind, oder Webanwendungen, die dann im Browser ausgeführt werden. Die Backend-Teile der Anwendungen verantworten die spezifischen Features der Dienste, insbesondere die nutzerübergreifenden Interaktionen, sowie die Kommunikation mit der Quartiersplattform. So sorgen sie für einen Austausch zwischen Diensten und nutzen von der Plattform angebotene Basisdienste.
Diese Basisdienste unterstützen die Entwicklung von Anwendungen, indem sie wichtige Kernfunktionen im digitalen Ökosystem zur Verfügung stellen, beispielsweise:
- Eine einheitliche Nutzerverwaltung (Plattform-Account),
- ein Push-Nachrichten-Dienst,
- eine einheitliche Stammdaten-Verwaltung,
- ein Bilderdienst für stabilen Upload und Distribution von Bildern,
- das Blockieren und Melden von Beiträgen,
- die Verwaltung nutzerrelevanter juristischer Texte,
- wichtige DSGVO-Dienste (z. B. Datenauskunft),
- ein plattformweiter Chat-Dienst, der in verschiedene Anwendungen integriert werden kann sowie
- Motivations- und Gamification-Dienste.
Die Basisdienste bieten also wichtige Funktionen an, welche bei der Anwendungsentwicklung generell und im digitalen Quartier im speziellen häufig gebraucht werden. So können sich Entwicklerinnen und Entwickler von Diensten für Endnutzende besser auf deren Mehrwerte konzentrieren und verlieren weniger Zeit mit Hintergrundaufgaben.
Architekturparadigma für unsere digitale Quartiersplattform
Um den Anforderungen an Flexibilität gerecht zu werden folgt die Plattform einem ereignisorientierten Datenverarbeitungsparadigma. Dies bedeutet, dass Änderungen an Daten immer als ein Ereignis mit einer bestimmten Semantik gesehen werden. Beispielsweise wäre im Falle einer Mitmach-Logistik- Anwendung die Änderung nicht "Setze Status der Lieferung auf Empfangen", sondern "Empfänger hat Paket erhalten". Dieser Unterschied trägt entscheidend zu einer besseren Verständlichkeit von Anwendungscode bei und ermöglicht ebenfalls eine bedeutend bessere Erweiterbarkeit. Die bessere Verständlichkeit rührt daher, dass die für das Verstehen notwendige Übersetzung des Codes in die Fachlichkeit viel schneller erfolgen kann, wenn diese bereits direkt im Code sichtbar ist, da die Ereignisse immer durch ein fachliches Konzept getrieben sind. Eine Verbesserung der Erweiterbarkeit ergibt sich dadurch, dass neue Anwendungen auf der Plattform einfach auf das Auftreten bestimmter Ereignisse reagieren können, ohne das bestehende Anwendungen angepasst werden müssen. Im Beispiel könnte das ein Verschicken einer Benachrichtigung per Email, SMS oder Chat sein, die den Versender über die erfolgreiche Ablieferung der Lieferung informiert. Diese zusätzliche Behandlung des Ereignisses kann dabei komplett ohne Veränderung der ursprünglichen Logistik-Anwendung erfolgen, da nur eine Registrierung am Event-Bus für ein spezielles Event erfolgt. Gerade im Kontext der Digitalisierung des Quartiers, bei dem auch immer wieder neue Konzepte evaluiert und verworfen werden, ist es ein entscheidender Vorteil, dass Erweiterungen so einfach integriert und auch wieder entfernt werden können.
Die Plattform wird zum Betrieb stark auf Cloud-Diensten aufbauen. Die Motivation dazu ist zum einen die Reduktion des Aufwands für den Betrieb, da vorrangig Managed Services eingesetzt werden. Zum anderen können die Entwicklungskosten damit ebenfalls reduziert werden, da bereits auf höherwertige, fertig benutzbare Bestandteile zugegriffen werden kann. Ein weiterer Aspekt ist die Unsicherheit bezüglich der Nutzerzahlen, die in Erprobungsphasen sehr schnell steigen und auch wieder fallen können. Solch eine Skalierbarkeit ist mit automatischen skalierenden Pay-Per-Use Managed Services einfacher und günstiger erreichbar als mit einem lokalen Betrieb. Um ein Vendor-Lock-In zu vermeiden werden die Cloud-Dienste in der Plattform so austauschbar wie möglich angebunden, das heißt wenn möglich über standardisierte APIs anstatt über proprietäre. Lassen sich diese nicht vermeiden, so werden zumindest die internen Strukturen dieser APIs nicht als Strukturen in der Plattform verwendet.
Die offene, digitale Quartiersplattform
Ein wichtiges Ziel der Plattform ist es, die Entwicklung von Diensten auf der Plattform effizient zu gestalten, so dass eine Fokussierung auf die eigentliche Logik der Anwendung erfolgen kann. Dazu bringt die Plattform die oben beschriebenen Basisdienste mit, die von den jeweiligen Anwendungen eingesetzt werden können. Damit ist auch die Vernetzung der Anwendungen untereinander leichter möglich, da die Nutzer eine einheitliche Identität über alle Anwendungen auf der Plattform erhalten. In Zukunft wird die Plattform ein Konzept umsetzen, bei dem die Anwendungen frei von der Plattform entwickelt und veröffentlicht werden können. Dazu werden die bisher internen Schnittstellen der Plattform als REST-API, also eine öffentlich aufrufbare Schnittstelle, zur Verfügung gestellt. Damit kann der Backend-Teil der Anwendung flexibler realisiert werden, auch ohne die Technologie auf das von der Quartiersplattform verwendete Java einzuschränken. Der Betrieb dieser Anwendung kann damit auch unabhängig von der Plattform erfolgen, beispielsweise auf einem eigenen Server des Anwendungs-Entwicklers.
Die Rolle der Plattform im Ökosystem setzt voraus, dass auch die Vermittlung von Anwendungen Dritter auf der Plattform an Nutzende unterstützt wird. Die Anwendungen werden in dem Falle häufig durch öffentliche Organisationen, die für ein Quartier, Stadtteil oder mehrere Gemeinden eine Anwendung für einen bestimmten Zeitraum benötigen, gekauft. Bei der Bestellung einer solchen Anwendung werden neben der Definition des Gebiets, in dem die Anwendung verfügbar sein soll, üblicherweise auch Anpassungen an dieser vorgenommen, beispielsweise an Logos, Farben und der Verfügbarkeit von Features der Anwendungen. Die Plattform konsolidiert dabei diese Informationen und stellt sie den Anwendungen einheitlich zur Verfügung. Dadurch können Dritte, die Anwendungsentwickler:innen, effizient eine größere Anzahl an Organisationen bedienen, da das aufwändige Verwalten von Buchungen und dazugehörigen Konfigurationen von der Plattform übernommen wird.
Unser Plattform-Mock als Vehikel für schnelle Erprobungen von Diensten
Die digitale Quartiersplattform bildet den Kern des digitalen Ökosystems für Anwendungen, die klimafreundliches Verhalten fördern und unterstützen sollen. Zusammenfassend ist ihre Aufgabe, die Entwicklung von solchen Anwendungen zu vereinfachen, indem sie wesentliche Basisdienste und eine Vernetzung von Anwendungen untereinander ermöglicht, insbesondere aber den stabilen und sicheren Produktivbetrieb sichert. Diese Vorteile wirken sich in einem Fall jedoch nachteilig aus: Beim schnellen Prototyping von neuen Anwendungsideen (z. B. DSGVO-Anforderungen). Deshalb haben wir neben der Plattform, die einmal für den Produktivbetrieb eingesetzt werden soll, eine zweite Plattform entwickelt – den Plattform-Mock. Diese ebenfalls einer ereignisgetriebenen Architektur folgende Plattform verzichtet vollständig auf jeglichen Datenschutz oder ähnliche einschränkende Aspekte. Stattdessen teilen Basisdienste und Anwendungen Aktionen und Daten der Nutzerinnen und Nutzer über einen zentralen Event-Bus. Dieser stellt klar definierte und frei nutzbare Themenbereiche zur Verfügung (z. B. für Smart-Home-Daten, Wetterdaten oder Chatnachrichten). Ein Themenbereich bündelt gleichartige Informationen wie z. B. aus der "Smart-Home-Domäne": Dort werden nur Daten geteilt, welche durch Smart-Home-Sensoren und -Aktoren erfasst werden (z. B. Wandthermostat: Ist-Temperatur 21°C, Luftfeuchtigkeit 51,5%). Damit garantiert ist, dass ein Empfänger (z. B. ein Dienst) diese Informationen unabhängig vom Sender immer verarbeiten kann, ist genau deklariert, wie und in welchem Format diese Daten übermittelt werden müssen. Diese Vorgabe ermöglicht darüber hinaus das Hinzufügen von weiteren Sendern, ohne dass dies eine Anpassung seitens der Empfänger erforderlich macht, da sich das Datenformat nicht ändert.
Die zentrale Kommunikation übernimmt ein MQTT Broker. Dieser folgt dem Publish-/Subscribe-Pattern. So werden Nachrichten in einem Themenbereich von einem sendenden Dienst automatisch an alle abonnierenden Diensten weitergeleitet. So ist es für Empfänger sehr einfach, möglich eine Vorselektion von Nachrichten zu treffen, noch bevor die Nachricht überhaupt an diesen übermittelt wird. Verschiedene vordefinierte Topics – das sind eindeutig benannte Endpunkte – ermöglichen es den Anwendungen und Basisdiensten, strukturiert Daten auszutauschen. Manche Basisdienste treten nur als Datenquellen auf (z. B. Wetterdaten, Smart-Home-Sensoren, ÖPNV-Fahrpläne) und kommunizieren Datenänderungen über ihre jeweiligen Topics. Andere Basisdienste wie der Chat-Service oder ein prototypischer Service für die Buchung von Mobilitätsangeboten verteilen Änderungen an ihren Daten bzw. Zuständen über den MQTT Broker und reagieren ebenso auf bestimmte Topics und Events, welche von anderen Diensten veröffentlicht werden. Außerdem sind prototypisch umgesetzte nutzergerichtete Dienste angebunden, welche sowohl als Datenquellen als auch Datensenken auftreten.
Durch den offenen und ungefilterten Austausch von Ereignissen und Daten in speziell definierten Datenstrukturen innerhalb verschiedener Topics können die Basisdienste und nutzergerichteten Dienste dynamisch auf Ereignisse in anderen Anwendungen reagieren. Darüber hinaus können Dienste auch eigene Topics erzeugen und dort ihre Daten teilen. So können Entwickler:innen schnell neue Anwendungsideen testen, welche auf die Vernetzung verschiedener Dienste aufbauen. Dazu stehen ihnen Boilerplate-Projekte und Libraries für die Kommunikation mit dem MQTT Broker oder auch für das Parsen der Ereignisse zur Verfügung.
Offensichtlich ist, dass dieser Plattform-Mock keinesfalls für einen tatsächlichen produktiven Betrieb geeignet ist. Er wird beispielsweise im Rahmen von Hackathons oder Bürgerveranstaltungen verwendet. Neben uns selbst können auch Entwickler:innen mit minimalem Aufwand Ideen für neue Anwendungen testen und insbesondere Potenziale für die Verknüpfung mit anderen Anwendungen ausloten.
Stellt sich heraus, dass eine Verknüpfung interessant ist, kann diese auf der eigentlichen Quartiersplattform datenschutzkonform realisiert werden. Ideen für solche Verknüpfungen finden sich beispielsweise in der angedachten Anwendung "Fish n‘ Tipps" (s. a. nachfolgender Abschnitt Dienste).
Dienste auf unserer digitalen Quartiersplattform
Wir haben gezeigt, dass die digitale Quartiersplattform die Rahmenbedingungen für nutzergerichtete Dienste im klimaneutralen Stadtquartier schafft. Der Plattform-Mock unterstützt die Entwicklung und Erprobung neuer Dienste. Ohne die Nutzerinnen und Nutzer, welche mit den Anwendungen interagieren, kann die Quartiersplattform jedoch keinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Nur wenn die Dienste zu den Lebensumständen der Endanwender passen und sich unaufdringlich in das tägliche Leben integrieren, kann die Plattform zu einer lebenswerteren Zukunft beitragen. Die oben dargestellten technischen Überlegungen müssen für zukünftige Nutzerinnen und Nutzer in Form von konkreten Diensten manifestiert werden. Die Ideen für konkrete Dienste und Lösungen müssen die Bedürfnisse der heute noch nicht vollständig bekannten Nutzer- und Nutzerinnengruppen antizipieren. Wir haben bereits Personas für das Quartier vorgestellt. Sie basieren auf Erwartungen und Annahmen an die Zukunft und erlauben uns, spätere Nutzungsszenarien vorherzusehen. So können wir Ideen für digitale Dienste erarbeiten, die helfen, das Klima zu schützen und gleichzeitig das tägliche Leben zu erleichtern. Diese Ideen finden wir beispielsweise in Kreativitätsworkshops mit Forschungspartnern aber auch mit Bürgerinnen und Bürgern.
Nur wenn die Dienste sich unaufdringlich in das tägliche Leben integrieren, kann die Plattform zu einer lebenswerteren Zukunft beitragen.
Auch wenn sie (noch) keine Bewohner:innen des PFAFF-Quartiers sind, können ihre Bedürfnisse, Wünsche und Hürden auf zukünftige Nutzerinnen und Nutzer übertragen werden. In der Zusammenarbeit mit den Bürger:innen sind insbesondere Veranstaltungen, in denen Lösungen gemeinsam erarbeitet werden, interessant. In mehreren Hackathons mit über 70 Teilnehmer:innen haben junge Interessierte eigene Ideen für Lösungen erarbeitet. So können potenzielle zukünftige Nutzerinnen und Nutzer selbst bei der Gestaltung ihrer Zukunft aktiv werden. Verschiedene Dienste und Dienstideen sind so entstanden. Wir wollen einige dieser Dienste beispielhaft vorstellen und erläutern, welchen erwarteten Mehrwert sie bieten.
PFAFF-Funk
Soziale Bindungen mit Nachbarn und anderen Mitgliedern einer Gemeinschaft einzugehen fällt vielen Menschen zunehmend schwer. Unser Leben findet vermehrt räumlich weit verteilt statt, z. B. arbeitet man in der einen, wohnt aber in einer anderen Stadt. Am Wochenende besucht man dann seine Freunde an einem dritten Ort. Lokale Kontakte werden nicht mehr von allein geknüpft und gepflegt. Um eine lokale Gemeinschaft zu schaffen, muss eine Identifikation und Verbundenheit mit dem Quartier bestehen. Die Verbundenheit entsteht unter anderem durch soziale Kontakte und aktuelle Informationen über das Quartier. Sie wird verstärkt durch individuelle Beiträge zum Gemeinwohl. Die PFAFF-Funk-App ist eine Art digitaler Quartierstreffpunkt, der all diese Aspekte der Verbundenheit ermöglicht. Im PFAFF-Funk können sich die Bewohner über unterschiedliche Themen und Neuigkeiten austauschen. Sie können einander über Aktivitäten und Veranstaltungen im Quartier informieren und somit neue Bewohner mit dem Quartier vertraut machen. Die Nutzer:innen können auf die Postings anderer reagieren, zum Beispiel durch das Vergeben von Herzchen oder einer textuellen Antwort. Die Herzchen stellen eine sehr niederschwellige Art der sozialen Interaktion dar und sollen auch eher zurückhaltende Leute motivieren, im PFAFF-Funk aktiv zu werden. Die Chatfunktion ist eine weitere Möglichkeit zur Kommunikation. Sie ist für bilaterale Gespräche gedacht. Für das Verleihen und weitere Gesuche gibt es eine eigene Funktion im PFAFF-Funk. Jeder kann also einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten. Die Nutzer sind mit Klarnamen und optional mit Foto angemeldet, sodass man sie auch offline wiedererkennen kann. Der besondere Unterschied zu vergleichbaren Angeboten anderer Dienstleister liegt im Fokus auf eine spezifische, lokal begrenzte Gemeinschaft. Die Kommunikation begrenzt sich auf Inhalte, die für die Belange der Gemeinschaft relevant sind; so konkurriert der PFAFF-Funk im Alltag nicht mit anderen Messenger-Diensten oder sozialen Netzwerken. Er integriert sich unaufdringlich in das tägliche Leben.
Fish n‘ Tipps
Fish n' Tipps bietet persönliche, auf das eigene Leben und die individuelle Erfahrung zugeschnittene Hinweise und Tipps, um das eigene Handeln umwelt- und klimafreundlicher auszurichten. Dieser Dienst betrifft alle unsere Schwerpunkte (Community, Energie und Mobilität). Jeder Nutzerin und jedem Nutzer wird ein persönliches Haustier in Form eines digitalen Fisches zur Seite gestellt. Dieser Fisch repräsentiert das gute Gewissen, die positive Handlung, das klimafreundliche Selbst. Fish n' Tipps ist mit anderen Plattform-Apps verbunden und analysiert die Aktionen, die darin vorgenommen werden, auf ihre Bedeutung für das Klima bzw. die Umwelt (z. B. wenn ein Carsharing-Auto gemietet wird oder der Energieverbrauch des eigenen Haushalts über die Smart-Home-App abgefragt wird). Passend zu diesen Handlungen gibt der eigene Fisch dann individuelle Tipps aus, die der Nutzerin oder dem Nutzer helfen, noch umweltfreundlicher zu handeln oder solches positiv zu unterstützen. Die Tipps wiederum kommen von allen Nutzenden, die ihre eigenen Erfahrungen, Ideen, Alternativen und Tipps mit anderen teilen können. Besonders engagierte oder erfahrenere Nutzer:innen können so wertvolle Ideen und Tipps mit der gesamten PFAFF-Gemeinschaft teilen, die allen zugutekommen. Für diese Tipps können die Nutzer:innen über den Gamification-Basisdienst der Plattform Belohnungen sammeln und z. B. in virtuelle Klamotten für den Fisch oder Deko für das Fischglas umtauschen.
Lina
Ein weiterer Dienst ist "Lina – die intelligente Mobilitätsassistentin". Nutzerinnen und Nutzer geben dabei ihren gewünschten Zielort, die geplante Ankunftszeit und etwaige Einschränkungen an (z. B. viel Gepäck, keine Toleranz gegenüber Wetter und körperlicher Aktivität, ...). Lina sucht nach passenden Mobilitätsketten und macht Vorschläge, wie man schnellsten und am umweltfreundlichsten zum Ziel gelangen kann. Sie beachtet dabei aber nicht nur die individuelle Anfrage einer Person, sondern auch die Anfragen anderer Nutzerinnen und Nutzer (ähnlicher Zielort, ähnliche Ankunftszeit). Fallen die Mobilitätsbedarfe zweier Nutzer zusammen, benachrichtigt Lina beide und organisiert die gemeinsame Fahrt, plant Abfahrtsort und -zeit sowie die benötigten Fahrzeuge. In jedem Fall werden benötigte Tickets gebucht und ggf. Sharing-Angebote reserviert. Die Bezahlung erfolgt über den Account der Nutzerinnen und Nutzer, wobei die Kosten für gemeinsam genutzte Verkehrsmittel automatisch unter den Mitfahrenden aufgeteilt werden. Die Integration in die digitale Quartiersplattform ermöglicht es Lina, soziale Beziehungen der Nutzenden untereinander zu erkennen (z. B. aus dem PFAFF Funk) um passende Vorschläge für gemeinsame Reisen zu erstellen.
Mein MiniLautern
"Mein MiniLautern" ist ein weiterer Prototyp. Dabei handelt es sich um ein Spiel, das aufzeigen soll, dass die Mobilität im Quartier die Lebensqualität, die Umwelt und die Zufriedenheit einzelner Bewohner beeinflusst. Zudem stellt es die Mobilitätsmaßnahmen im Quartier vor, zu denen auch weitere digitale Dienste zählen können. Zur Vorstellung der Mobilitätsmaßnahmen gehören unter anderem die Vorteile aber auch die Nachteile. Somit bewirbt das Spiel verschiedene Mobilitätskonzepte und motiviert zu deren Nutzung, wobei die befürchteten Nachteile ernstgenommen werden. Das Spielziel ist, die Umwelt-, Lebensqualitäts- und Glückswerte im Quartier zu steigern. Dazu informiert sich ein Spieler bei einem fiktiven Bürgergremium (vgl. Personas) über deren Bedürfnisse und wählt danach Mobilitätsmaßnahmen aus. Anschließend erhält der Spieler Feedback zu dem Erfolg der Maßnahmen, das er in der nächsten Spielrunde aufgreifen kann. Eine Highscore zeigt am Ende alle diejenigen auf, welche das Spiel gespielt haben inkl. der erreichten Punkte. Zuletzt kann sich ein Spieler weiter informieren und wird auf entsprechende Informationsseiten verwiesen.
Fazit und Ausblick
Die Digitalisierung kann einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz liefern. Wir haben anhand eines Quartiersökosystems beispielhaft aufgezeigt, wie unsere digitale Quartiersplattform mit verschiedenen Diensten konkret Nutzer unterstützen kann. Dabei konzentrieren wir uns auf Themen wie Energie, Mobilität und das Miteinander. Herausforderungen, wie wenige bis keine vorhandenen Nutzer, fangen wir in der Entwicklung der Plattform und der Dienste u. a. mit Personas oder unserem Plattform-Mock ab. Unsere Plattform nutzt aktuelle Technologien und ist so entworfen, dass neben uns auch andere Entwickler Dienste dafür entwickeln können, so dass langfristig das Ökosystem wachsen kann.
Natürlich befinden sich viele Dinge noch in der Entwicklung. Darüber hinaus möchten wir die Dienste konkret mit Nutzern testen, idealerweise dann auf dem Pfaff-Gelände selber, um aussagekräftige Rückmeldungen zu erhalten, die wiederum in die Weiterentwicklung fließen. Somit möchten wir einerseits unseren Beitrag für Klimaschutz leisten und dabei auf digitale Technologien und Lösungen setzen. Andererseits ist es aber auch unser Ziel, andere zu motivieren und zu inspirieren, daran teilzuhaben und eigene Lösungen zu entwickeln, angefangen von der Nutzung über die Entwicklung eigener Dienste bis hin zur Konzeption und Etablierung eigener Ökosysteme in anderen Quartieren.
- Reach now, VRN e-tarif
- Informatik Aktuell: Dr. M. Trapp, Dr. M. Naab, Dr. D. Rost, C. Nass, M. Koch & B. Rauch: Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie: Was ist das und was sind die Chancen?
- EnStadt:Pfaff