Das Blue-Zone-Unternehmen
Entwicklung und Management nachhaltiger und langlebiger Organisationen

Die Blaupause für erfolgreiche, nachhaltige und auch langlebige Unternehmen kann unerwartet in sogenannten Blue Zones gefunden werden. Die Blue Zones sind geographisch definierte Gebiete, in denen Menschen signifikant länger und sowohl physisch als auch psychisch gesünder leben als im globalen Durchschnitt [1]. Dies sind Orte wie Okinawa in Japan oder Sardinien in Italien, an denen Aspekte der Gemeinschaft, des lebenslangen Lernens, gesunder Lebensgewohnheiten und eines ausgeprägten Gefühls der Sinnhaftigkeit von besonderer Bedeutung sind [2]. Unternehmensentscheider und Führungskräfte können aus den Forschungsergebnissen unter anderem die folgenden drei Lektionen für die Entwicklung und Steuerung ihrer Organisation ableiten:
Erstens betonen die Blue Zones, dass soziale Bindungen und eine starke Gemeinschaft das Wohlbefinden fördern können. In ähnlicher Weise profitieren Unternehmen, wenn sie eine starke Unternehmenskultur aufbauen, die Zusammenarbeit und Teamarbeit fördert. Dadurch entsteht ein Gefühl des Zusammenhalts, das die Mitarbeiterbindung fördert und gleichzeitig die Produktivität sichert [3].
Um dieser Lektion näher zu kommen, sollte der Grad der psychologischen Sicherheit im Unternehmen nach dem Konzept von Amy Edmondson analysiert werden [4]. Daraus ergeben sich konkrete Handlungsfelder, die es zu gestalten gilt, um ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich Mitarbeitende gerne und eigeninitiativ engagieren, ihre Talente einbringen und vertrauensvolle soziale Bindungen zu den Kollegen entwickeln.
Sich mit dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden auseinanderzusetzen, sollte als kritischer ökonomischer Erfolgsfaktor ernst genommen werden.
Laut dem "GALLUP State of the Global Workplace"-Bericht von 2023 sind weltweit nur 23 Prozent aller Arbeitnehmer in ihrem Job "aktiv engagiert" [5]. In Europa sind es sogar nur mickrige 13 Prozent. Gallup schätzt die jährlichen Kosten für die Weltwirtschaft durch mangelndes Engagement auf 8,8 Billionen US-Dollar, was etwa 9 Prozent des globalen BIPs entspricht. Sich als Unternehmen ernsthaft mit dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden auseinanderzusetzen, sollte nicht nur als Trend des Zeitgeistes missverstanden, sondern als kritischer ökonomischer Erfolgsfaktor ernst genommen werden.
Laut der GALLUP-Studie geben außerdem 36 Prozent der Mitarbeitenden an, ihre Anstellung wegen inkompetenter Führungskräfte zu kündigen. Ein weiterer Aspekt, der schon seit vielen Jahren diskutiert wird. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse zur Relevanz sozialer Bindungen in den Blue Zones erhält das (Fehl-)Verhalten von Führungskräften eine weitere Perspektive.
Zweitens legen die Blue Zones nahe, dass lebenslanges Lernen zu einem längeren und erfüllteren Leben beiträgt. In Japan ist dieses Prinzip als Shuhari bekannt und tief im kulturellen Selbstverständnis verankert [6]. In der Unternehmenswelt bedeutet dies die Förderung kontinuierlicher Weiterbildung und Entwicklung der Mitarbeitenden. Relevant ist dies nicht nur, um beispielsweise die fachlichen und technologischen Kenntnisse der Belegschaft auf dem neuesten Stand zu halten und damit die Wettbewerbsfähigkeit und Überlebensfähigkeit des eigenen Unternehmens zu sichern. Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten anzubieten, fördert zusätzlich die Arbeitnehmerzufriedenheit und -treue [7]. Dieser Aspekt ist nicht nur im Rahmen des viel diskutierten Fachkräftemangels von Bedeutung.
Die dritte Lektion betrifft gesunde Lebensgewohnheiten. In den Blue Zones wird großer Wert auf gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung gelegt. Unternehmen können diesen Grundsatz anwenden, indem sie gesunde Arbeitsumgebungen schaffen. Dies kann durch gesundheitsbewusste Initiativen, flexible Arbeitszeiten oder die Förderung von Bewegung am Arbeitsplatz erreicht werden [8]. Work-Life-Balance und ein achtsamer Umgang der Mitarbeitenden und Führungskräfte sind schon seit längerer Zeit Themen, deren Relevanz einer weltweit wachsenden Anzahl von Unternehmen bewusst wird. Positive Lebensgewohnheiten am Arbeitsplatz zu fördern, wird jedoch nicht allein durch Obstkörbe, Yoga-Kurse oder Meditations-Apps erreicht.
Schließlich zeigen die Blue Zones, dass ein Sinn im Leben zu höherer Lebenszufriedenheit und Langlebigkeit führt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit für Unternehmen, ihre Mitarbeiter in ihre Vision und Strategien einzubeziehen. Mitarbeiter, die den Sinn ihrer Arbeit verstehen und sich mit ihren Talenten und Kenntnissen darin einbringen können, sind motivierter und produktiver [9]. Dabei ist es relevant zu betonen, welchen Beitrag jeder einzelne Mitarbeitende zur Entwicklung und zum Erhalt des Unternehmens individuell leisten kann. Um erneut den japanischen Kulturkreis als Inspirationsquelle zu zitieren, ist das Denkmodell des Ikigai hier besonders hilfreich [10]. Der individuelle Lebenssinn wird im Ikigai im Zusammenhang mit dem Sinn und der Intention der Gemeinschaft und der Umwelt beschrieben und verstanden.
Insgesamt zeigt die Erforschung der Blue Zones als Referenzpunkt, dass der Weg zum nachhaltigen und beständigen Erfolg in der Unternehmenswelt weit mehr ist als die reine Fixierung auf Gewinnmaximierung und Wachstum. Auf der Grundlage der Post-Wachstums-Ökonomie ist dies ein sehr aktueller Punkt.
Über die Berücksichtigung der beschriebenen Prinzipien und die Art und Weise ihrer konkreten Anwendung können Unternehmen eine wirksame Geschäftspraxis etablieren, die auf ihre Überlebensfähigkeit ausgerichtet ist.
Einige Unternehmen haben bereits verschiedene Prinzipien aus der Blue-Zones-Forschung, wissentlich oder intuitiv, in ihrer Organisationsentwicklung angewendet, um eine gesündere und nachhaltigere Unternehmenskultur zu fördern.
Hier sind einige Beispiele:
- Google: Der Technologiekonzern Google hat verschiedene Initiativen zur Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens seiner Mitarbeiter eingeführt. Dazu gehören gesunde Ernährungsoptionen in den Kantinen, Fitnessangebote und die Schaffung einer offenen und psychologisch sicheren Arbeitsumgebung. Google hat diesen Aspekt in einer weltweiten, internen Studie unter dem Namen "Projekt Aristoteles" analysiert und die Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt.
- Wegmans Food Markets: Dieses Einzelhandelsunternehmen mit 50.000 Mitarbeitenden in den USA legt großen Wert auf die Förderung einer gesunden Lebensweise und Gemeinschaft. Es bietet den Mitarbeitern Wellness-Programme und unterstützt gemeinnützige Aktivitäten in den Gemeinschaften, in denen es tätig ist. Wegmans wurde 2022 vom Fortune Magazin auf Platz #3 der 100 besten Arbeitgeber gewählt.
- Zappos: Das Online-Schuh- und Bekleidungsunternehmen Zappos ist bekannt für seine einzigartige Unternehmenskultur. Das Unternehmen hat Praktiken aus den Blue Zones übernommen, indem es beispielsweise Mitarbeiter dazu ermutigt, sich aktiv an der Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung zu beteiligen und Wert auf Teamarbeit und Gemeinschaft legt.
- Johnson & Johnson: Das Gesundheitsunternehmen Johnson & Johnson hat Programme zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz implementiert. Diese umfassen Gesundheits- und Wellnessangebote sowie die Unterstützung von Mitarbeitern bei der Erreichung einer ausgewogenen Work-Life-Balance.
- IBM: Hier wurden Maßnahmen zur Nachhaltigkeit und zum Umweltschutz in die eigene Unternehmensstrategie integriert. Das Unternehmen hat das Ziel, den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren und nachhaltige Geschäftspraktiken zu fördern.
Fazit
Bei den beschriebenen Lektionen und den aufgeführten Beispielunternehmen ist zu beachten, dass die Anwendung der Prinzipien aus den Blue Zones je nach Branche und Unternehmenskultur unterschiedlich sein kann. Die Zusammenfassungen, Empfehlungen und Beispiele zeigen jedoch, dass Unternehmen aus verschiedenen Kontexten die Ansätze zur Förderung von Gesundheit, Wohlbefinden, Gemeinschaft und Nachhaltigkeit am Arbeitsplatz implementieren können. Dies wirkt sich nicht nur positiv auf die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit aus, sondern auch auf den langfristigen Unternehmenserfolg.
Und selbstverständlich sind die Forschungsergebnisse zu den Blue Zones auch für jeden Menschen eine individuelle Orientierungshilfe, um die eigene Lebensweise zu überdenken und gegebenenfalls Prioritäten oder Gewohnheiten anzupassen.
Als Autor kann ich Sie bei Ihren Überlegungen zur Entwicklung Ihres Unternehmens hin zu einer Blue Zone mit weiteren Anregungen, Konzepten und Heuristiken unterstützen. Und ich bin gespannt auf Ihre Erfahrungen bei der Umsetzung der hier beschriebenen Ideen und Konzepte.
- Buettner, D. (2005). The Secrets of Long Life. National Geographic
- Buettner, D., & Skemp, S. (2016). Blue Zones: Lessons From the World’s Longest Lived. American Journal of Lifestyle Medicine
- Edmans, A. (2012). The Link Between Job Satisfaction and Firm Value, With Implications for Corporate Social Responsibility. Academy of Management Perspectives
- Amy C. Edmondson (2018). The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. Wiley
- "GALLUP State of the Global Workplace"-Bericht von 2023
- Wikipedia: Shuhari
- Noe, R. A., Clarke, A. D., & Klein, H. J. (2006). Learning in the Twenty-First-Century Workplace. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior
- McGonagle, A. K., Beatty, J. E., & Joffe, R. (2015). Coaching for Workers with Chronic Illness: Evaluating an intervention. Journal of Occupational Health Psychology
- Grant, A.M. (2012). Leading with Meaning: Beneficiary Contact, Prosocial Impact, and the Performance Effects of Transformational Leadership. Academy of Management Journal
- Wikipedia: Ikigai