Chancen durch VR – abseits der Gamingbranche
"Let's play!" – Eine der häufigsten Assoziationen mit dem Thema "Virtuelle Realität" ist die Welt der Spiele. Und das nicht ohne Grund: Der Geschäftszweig hat sich sowohl mit integrierten als auch online zugänglichen Anwendungen bereits bestens aufgestellt. Doch was sind die versteckten Möglichkeiten dieser Technologie über die naheliegendsten Anwendungszwecke vom reinen Vergnügen bis hin zur Sales-Unterstützung hinaus? Wie gelingt es, mit dem Einsatz der Technologie einen echten Wert für Forschung, Bildung sowie den Alltag zu schaffen?
Ein kurzer Flug in den Weltraum, eine Reise durch den menschlichen Körper oder eine Stadtbesichtigung in Paris zu Zeiten der Belle Époque: Virtuelle Realität (VR) erlaubt uns an Orte zu gehen, die für uns schwer oder sogar überhaupt nicht erreichbar sind. Wie ist das möglich und wie real fühlt es sich an? In der Regel funktioniert unsere Orientierung und das Aufnehmen von Informationen über den Sehsinn. Im Gegensatz zu anderen elektronischen Geräten wie Computern, Telefonen oder 2D-Spielkonsolen ist es bei der Nutzung von VR nicht möglich, links oder rechts "wegzuschauen". Somit ist es nicht möglich, den Blick in die echte Realität zu behalten, da die Brille komplett mit dem Gesicht abschließt. Bei Kopfdrehungen reagiert die virtuelle Umwelt und simuliert den Blick nach oben, unten oder zur Seite im besten Fall in Echtzeit. Hierfür wird über zwei getrennte Screens – einer pro Auge – unsere Wahrnehmung, wie wir sie in der real existierenden Welt erfahren, nachgeahmt. Darüber hinaus unterstützen auditive Feinheiten wie zum Beispiel die unterschiedliche Lautstärke von Windgeräuschen – abhängig von der Position des Betrachters diese Illusionen zusätzlich. Allein das ist schon ausreichend, um das Gehirn zu täuschen und führt dazu, dass das Gehirn die gesehenen Inhalte für echt hält – selbst bei einer sehr unrealistischen Grafik. Diese Illusion bezieht Wahrnehmungen am ganzen Körper mit ein. Beim Betrachten einer Schneelandschaft etwa berichten Nutzer, dass ihnen trotz gleichbleibender Raumtemperatur kalt wurde. Bisher gab es keinen Bedarf für den Menschen, zwischen echter und virtueller Realität zu unterscheiden. Folglich verwundert es nicht, dass sich das Gehirn so bereitwillig in die Irre führen lässt. Die immersive Erfahrung lässt sich sogar noch weiter treiben, indem beispielsweise die Synchronisierung verfeinert und zudem an der Haptik gefeilt wird: Mittels integrierter Sensoren in Handschuhen kann die Bewegung jedes einzelnen Fingers simultan mit denen im Bildschirm verlaufen. Eingebaute Vibratoren, die beim Berühren eines virtuellen Gegenstandes oder beim Annähern an ein virtuelles Lagerfeuer je nach Objekt und Nähe zu diesem mit einer bestimmten Intensität pulsieren, vermitteln zusätzlich ein realistisches Gefühl von der Echtheit der jeweiligen Szenerie. Die physische Erfahrung ist also überzeugend. Doch was können wir nun konkret mit diesen neuen Möglichkeiten anfangen?
VR in der Forschung und Didaktik
Dr. Jacob D. Durrant, assistierender Professor an der University of Pittsburgh, hat sich die Technologie der Virtuellen Realität zu Nutze gemacht, um in seinem Fachgebiet der Biologie sowohl die Forschung als auch die akademische Lehre zu verbessern. Er entwickelte mit Protein VR eine Applikation, die es erlaubt, digitales Material von Proteinen hochzuladen, um diese dann in verschiedenen Ansichten zu betrachten und zu drehen. So können Anwender beispielsweise zunächst nur die Oberfläche des Proteins ansehen und dann in die Ansicht des Grundgerüsts wechseln. Es ist außerdem möglich, spezifische Regionen des Proteins, die etwa in Interaktion mit einer bestimmten Krankheit stehen, fokussiert zu inspizieren. Laut Dr. Durrant war es zuvor eine Herausforderung, mittels einer zweidimensionalen Darstellung mit dreidimensionalen Objekten zu arbeiten und das selbst dann, wenn diese dreidimensional auf dem Bildschirm präsentiert wurden. Die Darstellung der Proteine in der virtuellen Realität liefere viel mehr Informationen und mache es leichter, diese auch zu vermitteln. So setzte er Protein VR bereits in drei seiner Lehrveranstaltungen ein – neben dem didaktischen Vorteil durch die intuitivere, visuelle Darstellung hat dies in der Zeit des coronabedingten Remote-Unterrichts zudem bei der qualitativen Weiterführung des Lehrbetriebs sehr geholfen. Die Applikation wurde mit BabylonJS entwickelt und ist einfach über einen Link zugänglich. Entsprechende Sessions sind mit anderen teilbar, können also simultan genutzt werden. Es bedarf dafür nur einer einfachen VR-Brille, die im Einzelhandel bereits für kleines Geld zu haben ist, und eines mobilen Endgeräts sowie eines stabilen Internetzugangs.
Medical VR und Klinische Psychologie
Den Vorteil von virtueller Realität in der Lehre haben auch andere Universitäten erkannt. Der Fachbereich Medizin beispielsweise ermöglicht seinen Studierenden das Erleben der Anatomie des gesunden und kranken Körpers mittels VR. Arbeiten am Seziertisch können sogar zum Teil schon über VR an einem virtuellen anstatt an einem echten toten Körper durchgeführt werden. Die Möglichkeiten der sogenannten Medical VR gehen jedoch weit darüber hinaus. Auch medizinisches Fachpersonal kann über Virtuelle Realität bestimmte Behandlungen üben: Selbst Operationen lassen sich auf diese Weise virtuell trainieren. Dadurch erlangen Ärzte ein besseres Verständnis und mehr Sicherheit während einer echten Operation. Und auch Patienten kann anhand von VR eine bestehende Krankheit besser erklärt werden. Überhaupt gibt es für Patienten eine Vielzahl an Anwendungen, die nach ersten Ergebnissen vielversprechend erscheinen. Diese können einige medizinische Herausforderungen nicht nur erklären, sondern ihnen sogar die Stirn bieten. Etwa in der Physiotherapie konnte eine größere Beweglichkeit der betroffenen Körperpartien festgestellt werden, nachdem den Untersuchten die Bewegung dieser zunächst über ein VR-Headset präsentiert wurde. Hierzu wird beispielsweise ein nach einem Unfall nur bedingt bewegungsfähiges Bein virtuell nachgebaut. Die betroffene Person sieht dieses über das VR-Gerät, während sie ihr reales Bein hebt. Sie sieht allerdings virtuell einen größeren Winkel der Bewegung als sie tatsächlich ausführen kann. Danach konnte diese gesteigerte Leistung in der realen Welt entsprechend wiederholt werden.
Virtuelle Realität kann zudem ermöglichen, schmerzhafte Behandlungen erträglicher zu machen, indem die Aufmerksamkeit weg vom Schmerz in eine andere "Welt" gelenkt wird. Mithilfe der Applikation SnowWorld beispielsweise ließen sich unter starken Brandverletzungen leidende Patienten während ihrer Behandlung in eine kalte Winterlandschaft versetzen, in der sie Pinguine mit Schneebällen abwerfen sollten. Patienten, die mit einer mittleren oder hohen Schmerzintensität zu kämpfen hatten, berichteten, zu 35-50 Prozent weniger Schmerz empfunden zu haben. Manche gaben an, sogar eine größere Linderung des Schmerzes durch das Spiel als durch Schmerzmittel erfahren zu haben. Bei der Untersuchung mit MRT konnten diese Wahrnehmungen auch biologisch bestätigt werden: Die Regionen des Gehirns, die für das Erleben von Schmerz verantwortlich sind, wurden beim Einsatz des Spiels weniger stark aktiviert. Ausgehend von diesem Effekt ergäbe sich der Vorteil, bei der Behandlung von Schmerzpatienten entweder in Kombination mit Medikamenten ihren Schmerz noch weiter zu minimieren oder irgendwann auf Schmerzmittel und den mit diesen verbundenen Nebenwirkungen verzichten zu können. Außerdem ließe sich mit dem Einsatz dieser Applikation nicht nur das eigentliche Auftreten von Schmerz lindern, sondern auch die mit den Verbrennungen zusammenhängenden belastenden Assoziationen. So müssen traumatische Erlebnisse, bei denen die Verletzungen entstanden sind, nicht bei jeder Behandlung erneut mental durchlebt werden.
Auch im Bereich der Psychologie öffnen sich Türen: Eine übliche Behandlung von Angststörungen erfolgt über Konfrontation, welche in der realen Welt für viele Patienten eine zu große Hürde darstellt. Mit VR ist es möglich, diese Konfrontation zu schaffen, ohne sich der tatsächlich angstauslösenden Situation auszusetzen. Das hilft nicht nur die Bereitschaft des Patienten zur Therapie zu steigern, sondern zum Teil auch diese im größeren Rahmen überhaupt zu ermöglichen: Bei Flugangst zum Beispiel müsste ein Therapeut mit seinem Patienten theoretisch in ein echtes Flugzeug steigen und losfliegen, was in der Praxis nur in einem begrenzten Umfang umsetzbar ist. Darüber hinaus ist es aufgrund der langen Wartelisten oft schwierig für Betroffene, zeitnah einen Therapieplatz zu bekommen. Hier kann Virtuelle Realität ebenfalls unterstützen. Die Digitalisierung in diesem Bereich hat begonnen: Alle gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland bezahlen bereits die Behandlung von sozialer Phobie, Platzangst sowie Panikstörung mit Hilfe der App Invirto, die Patienten eine virtuelle Exposition bietet sowie mit Videos und Videokonferenzen begleitet.
VR im Sport und in spezifischen Berufsfeldern
Weitere Anwendungsbereiche für VR finden sich im Sport. Ein Beispiel ist ein Programm, das Laufbegeisterten – auf einem Laufband mit Sicherung – erlaubt, ihre Joggingrunde in einer variablen virtuellen Umgebung zu absolvieren. Darüber hinaus lassen sich auch Bewegungsabläufe über Instruktionen in der virtuellen Realität erlernen. Auch ein Trip mit dem Ruderboot ist mit dem entsprechenden Zubehör von Zuhause aus möglich. Ein Vorteil: Derartige Optionen können den Anreiz und die Motivation zur Bewegung steigern. Auch Abenteurer kommen auf ihre Kosten: Wer Nervenkitzel mag, kann zum Beispiel – in eine spezielle Vorrichtung eingespannt – den virtuellen Bungeesprung in die Tiefe antreten. Über künstlich generierte Stresssituationen können zudem wichtige Kompetenzen für den Beruf erworben werden. Beispielsweise können sich Polizisten mithilfe von VR auf schwierige Einsätze vorbereiten und trainieren, in brenzligen Situationen geeignete Entscheidungen zu treffen.
So werden böse Überraschungen vermieden.
Außerdem kann das Sprechen vor Publikum im virtuellen Umfeld geübt werden. Entsprechende Simulationen leisten einen Beitrag für mehr Gelassenheit in echten Meetings oder bei Präsentationen. Nicht nur nervenaufreibende Situationen lassen sich virtuell proben: Im Produktdesign können Entwürfe zunächst virtuell gebaut und getestet werden, ohne die tatsächliche Herstellung abwarten zu müssen. Dadurch lassen sich Farben und Materialien, etwa bei der Inneneinrichtung eines Autos, in kürzester Zeit ausprobieren und justieren. So werden böse Überraschungen vermieden. Das spart Zeit und Geld.
VR in der Kunst
Last but not least eröffnen sich neue Möglichkeiten für Kunst und Film. Mit dem Projekt "En tête-à-tête avec La Joconde (Mona Lisa: Beyond the glass)" bietet der Louvre seinen Besuchern erstmals auch eine Erfahrung in der virtuellen Realität. Diese ermöglicht es, an den Menschenmassen und dem reflektierenden Glas vorbei, in das Gemälde abzutauchen und dabei mehr Details zu erfassen. Die besondere Pinseltechnik Leonardo Da Vincis wird plötzlich besser begreifbar. Aber auch die Umgebung der Mona Lisa, ihre Identität sowie die Intention des Künstlers werden sichtbarer – gestützt auf aktuelle Forschungsergebnisse anstatt auf Spekulationen und Mythen. Neben der Digitalisierung bestehender Exponate oder sogar ganzer Museen und Ausstellungen, entstehen jedoch auch neue Werke: Künstler haben nie dagewesene Möglichkeiten, sich auszudrücken. Julius Horsthuis beispielsweise eröffnet mit seinen Fraktalen den Zutritt in virtuelle Landschaften. Auch Filmemacher können VR nutzen, um mit dem Rundumblick den Eindruck der Zuschauer zu verstärken, an der Handlung teilzuhaben. Damit könnte die Produktion von Filmen neu gedacht werden.
Der aktuelle Stand – Programmierschnittstellen für VR und AR
Die sich eröffnenden Möglichkeiten sind nahezu endlos. Warum also ist diese Technologie nicht bereits etablierter? Zum einen gilt es sicherlich, Unsicherheiten und Berührungsängste auf Seiten der Nutzer sowie Investoren zu überwinden. Zum anderen müsste aber auch der Zugriff für eine breite Masse erleichtert werden. Das ist insbesondere bei Applikationen, die nur über einen Download aus einem Store und zum Teil dann auch nur auf einem bestimmten VR-Device nutzbar sind, nicht gegeben. Also warum dann nicht VR-Anwendungen direkt über den Besuch einer Webseite zugänglich machen? Eine entsprechende Schnittstelle – Web XR API – existiert dafür bereits, um zwischen der Applikation innerhalb des Browsers und des VR-Devices zu vermitteln – also das verwendete Gerät sowie deren Leistungsspektrum zu erkennen, die visuellen Inhalte zu präsentieren, Interaktionen zu kommunizieren sowie den Zutritt und das Verlassen von Sessions zu moderieren, um nur einige wenige Features zu nennen. Doch es gibt hierbei einen Haken: Die Unterstützung der Browser für Web XR ist noch sehr überschaubar.
Einer der großen Player, die eine Bewegung in Richtung VR triggern könnte, ist sicherlich Apple. Immerhin warten beinahe alle Technikfans auf die Veröffentlichung von Apple Glasses, über welche es schon einige Gerüchte hinsichtlich Herbst 2022 gibt. Allerdings gehört es bekanntermaßen zur Praxis von Apple, alles im eigenen App-Store kontrollieren zu wollen. Demnach ist es wenig überraschend, dass Safari bei der Unterstützung von Web XR hinten ansteht. Mozilla hingegen hatte in der Vergangenheit die Entwicklung von VR stark angetrieben, vor einem Jahr allerdings die zuständige Abteilung bestehend aus 250 Personen aufgelöst. Google, deren größte Kraft im Browser selbst liegt, hat bereits mehrere Versionen von Chrome veröffentlicht, die die API unterstützen. Aber auch die Schnittstelle selbst befindet sich an einigen Stellen nach wie vor in einem experimentellen Stadium.
Gibt es noch weitere Schnittstellen um VR-Anwendungen über den Browser zugänglich zu machen? Was ist zum Beispiel mit der Web VR API? Web VR ist der Vorgänger von Web XR, auf Basis der darüber erkannten Schwachstellen dann Web XR verfasst wurde. "X" steht hierbei für jede Form von Realität im Spektrum zwischen echter und virtueller Realität. Web XR unterstützt neben VR also auch die erweiterte Realität (AR). Hierbei sehen User weiterhin die echte Realität durch die AR-Brille oder über das Smartphone, diese wird jedoch zusätzlich mit virtuellen Elementen angereichert. So ist es beispielsweise möglich, in der eigenen realen Wohnung virtuelle Möbel zu platzieren, um bereits vor dem Kauf einen Eindruck von der Neuanschaffung zu bekommen. Eine weitere Schnittstelle ist die Gamepad API. Hier ist wie bei den wenigen anderen Alternativen nur eine Verknüpfung von Webanwendungen mit Controllern möglich, nicht aber die Darstellung der visuellen Inhalte auf dem VR-Device. WebSockets als geläufiges Tool, um Kommunikation im Browser zu gewährleisten, ist zu langsam, um für VR verwendet zu werden. Gerade bei großen Datenmengen, die visualisiert werden sollen, ist die Darstellung sowie die Interaktion im Browser mit einer geringen Latenzzeit eine Herausforderung und gleichzeitig aber auch die Bedingung für eine immersive Erfahrung. Davon abgesehen können große Wartezeiten zwischen der Bewegung der User und der entsprechenden Reaktion im Browser zu unschönen Nebenwirkungen, wie etwa Übelkeit, führen. Eine gute Performance ist daher unerlässlich. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Schnittstellen sowie die Browser weiterentwickeln.
Risiken von VR
Bei all den Chancen, die VR mit sich bringt, sollte man den Blick auch auf die Risiken richten. Abgesehen von der naheliegenden Gefahr von Verletzungen, wenn das Gerät alleine in einem kleinen Raum benutzt wird, gibt es zu den meisten Vorteilen nämlich auch eine Kehrseite.
Die überzeugende Illusion von Realität kann dabei helfen, dem Alltag zu entfliehen und damit schwierige Situationen besser zu meistern. Auf diese Weise können Depressionen vorgebeugt oder gelindert werden. So konnte man beispielsweise während der Zeit des Lockdowns über VR in einen sonnendurchfluteten Garten flüchten und sich so eine Pause von den eigenen vier Wänden gönnen. Das Abtauchen birgt aber auch die Gefahr, dass dafür sensitive Menschen beginnen, die wahre Realität als weniger attraktiv wahrzunehmen: Es droht eine Entfremdung vom eigenen realen Leben. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Eskapismus oder Realitätsflucht. Das kann die Umwelt aber auch das eigene Ich betreffen. Durch die Identifikation mit einem Avatar, einem Repräsentanten in der virtuellen Welt, der sich synchron zu uns bewegt, könnte etwa eine Depersonalisation ausgelöst werden: Der eigene reale Körper wird als fremd wahrgenommen und isoliert betrachtet.
Diese noch nicht einzuschätzenden Gefahren mahnen vor allem hinsichtlich der Arbeit mit Kindern zur Vorsicht. Aber auch bei Erwachsenen gehören sie auf die Agenda. Der Einfluss von VR auf die psychische Gesundheit sollte unbedingt näher erforscht werden. Fest steht bereits: Es ist ratsam, mit Kindern die gesehenen Inhalte und die damit verbundenen Erlebnisse zu besprechen, um negativen Folgen vorzubeugen. Für eine Entfremdung empfängliche Personen müssen erkannt und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden.
Mit virtueller Realität können Menschen andere Personen bewusst in unangenehme Situationen versetzen. Dies kann einen guten therapeutischen bzw. Trainingseffekt haben. Zum Beispiel könnten Straftäter, die gewalttätige Handlungen vollzogen haben, in die Rolle ihrer Opfer schlüpfen und auf diese Weise einen einprägsamen Perspektivenwechsel erleben. Sie haben so die Chance, eine größere Empathie zu entwickeln. Was jedoch, wenn Menschen gegen ihren Willen traumatisierenden Erlebnissen ausgesetzt werden? In den falschen Händen kann VR als Waffe eingesetzt werden. So ist nicht auszuschließen, dass VR beispielsweise als Foltermittel Verwendung finden könnte, um Personen in eine verstörende Welt zu versetzen und bestimmte Information zu erpressen.
Es gibt große Hoffnungen, dass sich posttraumatische Belastungsstörungen mit virtueller Realität erfolgreich behandeln lassen. Jedoch könnten diese aber auch genau dadurch verschlimmert oder ausgelöst werden. Denn die Inhalte der virtuellen Realität werden als real erlebt; dies bildet die Basis für die Entstehung eines Traumas. Von daher könnten auch virtuelle Erfahrungen ähnliche Konsequenzen haben.
Brauchen wir auch in dieser künstlichen Realität eine Ethik und gewisse Regeln?
Virtuelle Realität kann dabei helfen, Isolation und Einsamkeit zu verringern, in dem es zum Beispiel älteren Personen Möglichkeiten zur Interaktion gibt. Wenn sich eine Person allerdings in der virtuellen Welt verliert, kann dies auch in eine Sucht und damit zur Abschottung von der Außenwelt führen. Ein ähnlicher Effekt lässt sich bereits bei 2D-Anwendungen beobachten. Daher liegt die Vermutung nahe, dass die Konsequenzen beim Konsum von VR noch tiefgreifender ausfallen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob in der virtuellen Welt wirklich alles passieren darf. Es ist möglich, innerhalb von VR-Anwendungen menschenverachtende und brutale Handlungen auszuführen und das mit einem sehr realistischen Erleben. Brauchen wir auch in dieser künstlicher Realität eine Ethik und gewisse Regeln? Die Desensibilisierung, die beim Konfrontieren mit der Angst bei den oben genannten Therapieanwendungen stattfindet, scheint diese zu reduzieren. Was passiert jedoch beim Konsum von Gewalt oder beim Ausführen von Gewalt in der virtuellen Realität? Besteht die Möglichkeit, auch Brutalität gegenüber weniger sensibel zu werden oder sogar zu verrohen? Bisher gibt es noch keine fundierten wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, wie sich Gewalt oder Pornographie in der virtuellen Realität auf das reale Leben auswirken.
Fazit
Virtuelle Realität eröffnet mit ihrem beispiellosen Potential in den unterschiedlichsten Gebieten ungeahnte Möglichkeiten. Für den Einsatz im großen Rahmen ist es allerdings erforderlich, noch einige technische Hürden zu nehmen. Außerdem gibt es nach wie vor viele offene Fragen zu den Auswirkungen von VR, die genauer erforscht werden müssen. Schließlich gilt es zu klären, in welcher Form virtuelle Realität Teil unseres Alltags sein soll. Neben den oben genannten Risiken sind auch Privatsphäre und Datenschutz wichtige Aspekte, die hinsichtlich VR berücksichtigt werden sollten. Sicher ist, dass eine spezielle Art von Kompetenz im Umgang mit Virtueller Realität entwickelt und weitergegeben werden muss. Nur dann können die Chancen, die sich durch diese hochinteressante Technologie ergeben, gewinnbringend und verantwortungsvoll genutzt werden.