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Nedo Bartels, Matthias Koch & Anna Schmitt 10. August 2021

Digitale Ökosysteme im ländlichen Raum

Herausforderungen bei der Gestaltung eines Digitalen Ökosystems und zugehöriger Geschäftsmodelle

Die Gestaltung Digitaler Ökosysteme ist nicht einfach, da es sich um komplexe Systeme handelt, die eine Vielzahl heterogener Akteure miteinander vernetzen. Die Gestaltung eines Digitalen Ökosystems für die öffentliche Hand bringt zusätzliche Herausforderungen mit sich. Wir zeigen nach einer Charakterisierung Digitaler Ökosysteme im Allgemeinen die Besonderheiten eines Digitalen Ökosystems der öffentlichen Hand auf und schildern anhand eines konkreten Beispiels unsere Erfahrungen bei dessen Gestaltung. Insbesondere gehen wir auf die Thematik der Entwicklung eines Geschäftsmodells für ein Digitales Ökosystem ein und legen dar, warum für diese besondere Art von Systemen eigene Methoden notwendig sind. Anhand unserer Erfahrungen stellen wir eine Kombination aus Methoden vor, die für die Gestaltung eines Geschäftsmodells für ein Digitales Ökosystem zielführend sind.

Digitale Ökosysteme im Überblick

Das Entstehen neuer Digitaler Ökosysteme sorgt seit Jahren für enorme Veränderungen in zahlreichen Branchen. Die durch Technologie ermöglichten digitalen Geschäftsmodelle konkurrieren mit etablierten Geschäftsmodellen oder ersetzen diese sogar gänzlich. Hierbei ist kaum ein Industriezweig und kaum ein dienstleistungsorientiertes Gewerbe davor geschützt, durch die digitale Transformation umgewälzt zu werden. Die Musikbranche lebte über Jahrzehnte davon, analoge Schallplatten oder digitale CDs physisch in entsprechenden Läden an Musikbegeisterte zu verkaufen. Zunächst erfolgte ein Wandel hin zum Kauf von MP3s über das Internet, ehe Unternehmen wie Spotify oder Deezer dafür sorgten, dass Musikhörer heute gar keine einzelnen Stücke oder Alben mehr kaufen, sondern im Abo-Modell ihre Musik quasi unbegrenzt streamen.

Die Filmbranche durchlebt den Wandel auf ganz ähnliche Weise. Der Mobilitätssektor erfährt Veränderungen durch die digitale Transformation auf vielfältige Art: Der Besitz eines Fahrzeugs spielt gerade in Städten eine immer geringere Rolle, wohingegen das Modell des Car-Sharing stetig wächst. Im Sinne es Digitalen Ökosystems ist jedoch eine Marke wie Flixbus interessant, dessen Betreiberorganisation, die Flixmobility GmbH, selbst keinen einzigen Bus besitzt, sondern stattdessen mit ihrem Fernbusangebot die Anbieter von Busfahrten mit Reisenden vernetzt. Durch dieses Beispiel werden Kerneigenschaften eines Digitalen Ökosystems deutlich: Es handelt sich um ein sozio-technisches System, das neben digitalen, technischen Systemen explizit Organisationen und Menschen sowie deren Beziehungen untereinander in die Betrachtungen mit einbezieht. In einem Digitalen Ökosystem wird ein Ökosystem-Service erbracht, der die Grundlage dafür bildet, Mehrwerte für die eigentlich im Markt eigenständig agierenden Teilnehmer zu generieren. So können sich die Busunternehmen im Beispiel von Flixbus auch dazu entscheiden, unter eigener Flagge Fahrten anzubieten und Passagiere haben die Wahl aus verschiedensten Mobilitätsangeboten. Als Teilnehmer im Ökosystem-Service eines Digitalen Ökosystems bedeutet es jedoch, dass eine Partei als Anbieter eines sogenannten Assets, zum Beispiel einer Busfahrt, auftritt und die andere Partei als Nachfrager desselben Assets. Diese Vernetzung stellt ein Vermittler an zentraler Stelle mit Hilfe einer Digitalen Plattform her.

Ein Ökosystem-Service wird – ermöglicht durch die Digitale Plattform – in einem Digitalen Ökosystem vollständig digital erbracht, wodurch sich Digitale Ökosysteme von traditionell wirtschaftlichen Ökosystemen unterscheiden, beispielsweise dem physischen Einzel- oder Großhandel. Der Ökosystem-Service von Flixbus besteht in der Vermittlung von Fahrten, die von Busunternehmen angeboten werden, für Passagiere. So wird die Vermittlung von Fahrten zwischen Busunternehmen und Reisenden rein digital geleistet. Ebenso die Empfehlung von Musikstücken auf Basis von Hörgewohnheiten der Spotify-Kunden. Durch die Beispiele wird verdeutlicht, dass, anders als der Begriff Ökosystem im ersten Moment vermuten lässt, ein Digitales Ökosystem bewusst und zielgerichtet durch einen Ökosystem-Initiator initiiert wird. Dieser erkennt einen möglichen Bedarf und konzipiert einen Ökosystem-Service, den er den Teilnehmern zu deren Zusammenarbeit anbietet.

Eine ausführlichere Erklärung Digitaler Ökosysteme finden Sie in unserem Artikel Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie: Was ist das und was sind die Chancen?

Beispiele für Digitale Ökosysteme gibt es zuhauf. Sowohl im Business-to-Consumer-Bereich wie Flixbus, Spotify, Amazon Marketplace, Airbnb, Facebook oder Lieferando, die in ihren jeweiligen Branchen durch geschickte Vermittlungsaktivitäten zwischen Anbieter und Nachfragen Mehrwerte für alle Beteiligten schaffen, als auch im Business-to-Business-Umfeld. Caruso vermittelt Fahrzeugdaten zwischen OEMs und Akteuren des automobilen Zubehörmarkts, Kawaloo vermittelt Lagerräume und Aviatar unterstützt die Wartung von Flugzeugflotten, um auch hier nur einige Beispiele zu nennen.

Die Gestaltung von Digitalen Ökosystemen

Die Entstehung neuer Digitaler Ökosysteme erfolgt auf Basis eines identifizierten Bedarfs oder einer erkannten Chance, neue Werte zu generieren. Von dieser Initiierung bis hin zum Start eines neuen Digitalen Ökosystems ist es jedoch ein weiter Weg, auf dem eine Vielzahl von Aspekten zu beachten sind. Um den zu beachtenden Themen eine Struktur zu geben, stellt Abb. 1 einen Überblick dar.

Im Kern, dem roten Bereich links im Bild, geht es bei Digitalen Ökosystem um drei zentrale Themen: Geschäftliches, d. h. die Frage, wie ein Geschäftsmodell aussehen kann, Technologisches, d. h. die technische Umsetzung der digitalen Vermittlung als elementarem Bestandteil eines Ökosystem-Services, und Rechtliches, d. h. die Regelung vertraglicher Beziehungen zwischen allen beteiligten Akteuren. Ein häufiger Fehler ist es, vor allem die technologischen Konzepte in den Vordergrund zu stellen und dabei insbesondere Überlegungen zum Geschäftlichen hinten an zu stellen. Vielmehr ist jedoch gerade das Geschäftliche von hoher Bedeutung, um den langfristigen Erfolg des Digitalen Ökosystems sicherzustellen.

Den Erfolg langfristig zu sichern bedeutet auch, die Organisation, die das Digitale Ökosystem maßgeblich aufbaut und betreut, danach auszurichten (dunkelblauer Bereich). So müssen die Vision und Strategie der Organisation angepasst werden, um langfristig mit einer Vielzahl anderer Akteure im Digitalen Ökosystem zusammen zu arbeiten. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die eigene Arbeit in der Organisation, von der Entwicklung neuer Lösungen über deren Anwendung bis hin zur Governance der Lösungen, wenn sie Teil des Digitalen Ökosystems werden. Während dieser Bereich den Blick nach innen richtet, konzentriert sich die anschließende Schale im hellblauen Bereich nach außen hin: Digitale Ökosysteme zeichnen sich nämlich durch die Einbindung von Partnern jenseits der eigenen Organisation aus. Diese Partner müssen zunächst gefunden, ausgewählt und schließlich ins Digitale Ökosystem eingebunden werden. Dies geschieht sowohl auf technischer als auch auf organisatorischer Ebene der Zusammenarbeit. Der in diesem Bereich ebenfalls genannte Aspekt der Evaluation deutet an, dass sich die Partnerschaften im ständigen Wandel befinden können, was bedeutet, dass die Themen der Identifizierung neuer Partner bis hin zu deren Einbindung keine einmalige Betrachtung zu lassen, sondern permanent relevant bleiben.

Die im Digitalen Ökosystem beteiligten Partner sind typischerweise bereits auf dem Markt aktiv und somit Teil einer sogenannten Community (hellgrüner Bereich). Die Reisenden im Falle von Flixbus können frei entscheiden, Passagiere anderer Mobilitätsangebote zu werden; ebenso können die Busunternehmen entscheiden, Fahrten unter eigenem Namen anzubieten. Die Community über die Grenzen des eigenen Digitalen Ökosystems hinaus im Auge zu behalten ist wichtig, um auf Entwicklungen zu reagieren, die die Partner im eigenen Digitalen Ökosystem betreffen, beispielsweise indem Hürden zur Teilnahme am Digitalen Ökosystem gehoben oder gesenkt oder Mehrwerte bei Beteiligung am Digitalen Ökosystem angepasst werden.

Wettbewerber (dunkelgrüner Bereich) bestehen typischerweise nicht nur im Umfeld Digitaler Ökosysteme. Dennoch spielen sie gerade auch bei der Etablierung neuer Geschäftsmodelle durch Digitale Ökosysteme eine Rolle. Sie müssen beobachtet werden, um bei Bedarf auf Aktivitäten der Wettbewerber zu reagieren. Schließlich sind am äußeren Rand des Referenzmodells sogenannte weitere bekannte Akteure genannt, typischerweise die Internetgiganten wie Amazon, Google oder Microsoft. Aber auch andere Firmen, die in einer bestimmten Domäne (noch) nicht aktiv sind, haben gerade aus technologischer Sicht einen enormen Wissensvorsprung und zugleich die finanziellen Mittel, sich Domänenwissen anzueignen. Damit können sie leicht zur Konkurrenz für das Geschäftsmodell eines Digitalen Ökosystems werden.

Das Referenzmodell zeigt Dimensionen auf, die für die Gestaltung und den langfristigen Erhalt eines Digitalen Ökosystem von großer Wichtigkeit sind. Gleichzeitig sind diese Dimensionen nicht trivial zu handhaben und erfordern in jeder einzelnen viel Geschick, mit den sich darin verbergenden Herausforderungen umzugehen. Die Themenfelder im Referenzmodell sind allgemein formuliert und haben Gültigkeit sowohl im Umgang mit Digitalen Ökosystemen im B2B- als auch B2C-Bereich. Im Folgenden wollen wir darauf eingehen, wie sich der Aufbau eines Digitalen Ökosystems im öffentlichen Raum von dem Aufbau eines Digitalen Ökosystems in der Industrie unterscheidet und welche Herausforderungen bestehen.

Smarte.Land.Regionen – ein Digitales Ökosystem für den ländlichen Raum

Die Digitalisierung der großen Städte ist bereits seit Jahren unter dem Schlagwort Smart City in vollem Gange. Allerdings ist gerade Deutschland in großen Teilen ländlich geprägt. Das Fraunhofer IESE beschäftigt sich seit 2014 mit der Digitalisierung ländlicher Räume und hat hierzu diverse Forschungsprojekte wie Digitale Dörfer ins Leben gerufen. Diese beschäftigen sich mit der Fragestellung, wie durch digitale Lösungen die Daseinsvorsorge in dünn besiedelten Regionen verbessert und damit insgesamt das Leben auf dem Land attraktiv gestaltet werden kann. Während diese Forschungsprojekte einzelne Themenfelder wie die Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, die Kommunikation der Menschen untereinander und mit örtlichen Verwaltungen oder die Mobilität betrachten, hat das Forschungsprojekt Smarte.Land.Regionen den Aufbau eines Digitalen Ökosystems für den ländlichen Raum zum Ziel. In diesem sollen digitale Lösungen von Lösungsanbietern über einen Marktplatz an ländliche Regionen, insbesondere ländlich geprägte Landkreise, vermittelt werden.

Die primäre Zielgruppe dieses Digitalen Ökosystems sind folglich Landkreise, die über den zugehörigen Marktplatz Lösungen buchen können, die von entsprechenden Anbietern, der zweiten Zielgruppe im Digitalen Ökosystem, angeboten werden. Die Lösungen selbst können im Anschluss von jeglicher Nutzergruppe verwendet werden, je nach Lösung von Bürgern über Gewerbetreibende bis hin zur Verwaltung eines Landkreises selbst. Die starke Betonung der Landkreise als zentrale Akteure im Digitalen Ökosystem soll bereits verdeutlichen, dass dieses Digitale Ökosystem, anders als die einleitend genannten Beispiele, nicht im freien Markt aktiv und nicht rein privatwirtschaftlich motiviert ist, sondern als Digitales Ökosystem der öffentlichen Hand besonderen Regularien und Herausforderungen unterliegt, die nachfolgend beleuchtet werden.

Herausforderungen beim Aufbau eines Digitalen Ökosystems der öffentlichen Hand

Im Kern eines jeden Digitalen Ökosystems steht die Digitale-Ökosystem-Plattform als technisches Grundgerüst, um die Vernetzung der Akteure, den Austausch von Assets und gegenseitige Mehrwerte erzielen zu können. Die Notwendigkeit einer solchen Digitalen-Ökosystem-Plattform gilt für alle Arten Digitaler Ökosysteme gleichermaßen. Somit gelten die typischen Herausforderungen bei der Konzeption und dem Aufbau einer Software-Lösung als Unterbau des Digitalen Ökosystems insbesondere auch für eines der öffentlichen Hand. Gerade jedoch bei einem Digitalen Ökosystem für den ländlich geprägten Raum ist aus technologischer Sicht der Umgang mit der zum Teil immer noch lückenhaften Versorgung mit schnellem Internet eine Herausforderung. Ein Digitales Ökosystem, das Akteure in diesem Raum anspricht, muss technologische Maßnahmen ergreifen, um den Nutzern trotz temporärer Nichtverfügbarkeit einer (schnellen) Internetverbindung ein positives Nutzererlebnis zu vermitteln.

Geschäftliche Aspekte in einem Digitalen Ökosystem der öffentlichen Hand unterscheiden sich im Gegensatz zu technologischen Aspekten deutlich. Während Digitale Ökosysteme in der Privatwirtschaft im Rahmen gesetzlicher Vorgaben weitgehend frei darüber entscheiden können, welche Preise für welche Leistungen aufgerufen werden, sind den Aktivitäten der öffentlichen Hand beziehungsweise öffentlicher Unternehmen rechtlich strengere Grenzen gesetzt. So muss einerseits ein Bezug der Leistungen zu öffentlichen Aufgaben bestehen, was beispielsweise Zwecken der Daseinsvorsorge entspricht. Andererseits dürfen nicht vorrangig Gewinne erzielt werden. Diese Einschränkungen haben maßgeblichen Einfluss darauf, wie ein Geschäftsmodell eines Digitalen Ökosystems ausgestaltet werden kann. Weiterhin gelten rechtliche Rahmenbedingungen wie die Notwendigkeit der Ausschreibung von Leistungen. Dies kann sowohl die öffentliche Hand als Betreiber eines Digitalen Ökosystems oder die öffentliche Hand als Teilnehmer in einem digitalen Ökosystem betreffen. In jedem Fall hat dies signifikante Auswirkungen auf die Ausgestaltung von Verträgen zwischen den Beteiligten, die nicht für beliebig lange Zeit geschlossen werden dürfen. Es besteht die Möglichkeit auf Rahmenverträge zurückzugreifen, um einer Ausschreibung für jede Dienstleistung zu umgehen. Doch auch Rahmenverträge unterliegen einer bestimmten zeitlichen Befristung.

Die Notwendigkeit, die eigene Organisation auf das Handeln im Digitalen Ökosystem auszurichten, gilt für alle Arten Digitaler Ökosysteme gleichermaßen. Die Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand und deren Verwaltungen zeigen jedoch, dass in diesem Umfeld Prozesse der Veränderung lange Zeit in Anspruch nehmen und, aufgrund der Maßgaben, die an Einrichtungen der öffentlichen Hand gestellt werden, Risiken gescheut werden. Darüber hinaus ist die "Organisation" in Form einer Gemeinde, eines Landkreises, eines Bundeslands oder einer anderen Einrichtung originär nicht mit dem Aufbau eines spezifischen Digitalen Ökosystems oder mit der Partizipation in einem spezifischen Digitalen Ökosystem betraut. Stattdessen liegt der Zweck der jeweiligen Einrichtungen in der Erfüllung vielfältiger Aufgaben. Anders als ein Unternehmen wie Airbnb, das nur zur Vermittlung von privaten Übernachtungsmöglichkeiten gegründet wurde, muss die öffentliche Hand die Mitwirkung in einem Digitalen Ökosystem neben andere Tätigkeiten stellen beziehungsweise darin integrieren. Diese Einschränkungen der Gestaltungsfreiheiten sind auszeichnend für die Digitale Ökosysteme der öffentlichen Hand und folglich akribisch zu berücksichtigen.
Gleichzeitig bringen die Eigenschaften der öffentlichen Hand auch Vorteile mit sich. So bieten Ausschreibungen durch deren vorgegebene Abläufe Verlässlichkeit und Transparenz in Auswahlentscheidungen, die für potenzielle Partner dadurch attraktiver werden. Weiterhin bietet die öffentliche Hand im Rahmen der geschlossenen Verträge ein hohes Maß an Sicherheit, Leistungen vergütet zu bekommen. Anders als in der Privatwirtschaft wird die öffentliche Hand nicht in Insolvenz geraten. Insgesamt kann die öffentliche Hand und das in sie gesetzte Vertrauen eine Erleichterung bilden, gute Partner für ein Digitales Ökosystem zu gewinnen.

Unternehmungen der öffentlichen Hand dienen dem öffentlichen Zweck, womit in der Regel einhergeht, eine breite Zielgruppe anzusprechen – wünschenswerterweise die gesamte Bevölkerung. Diese Zielgruppe ist hochgradig divers und in der Praxis sind selten alle Bürgerinnen und Bürger die tatsächliche Zielgruppe. Dennoch stellt die Anforderung an die öffentliche Hand, potenziell die gesamte Bevölkerung anzusprechen, eine Herausforderung für den Aufbau einer Community in einem Digitalen Ökosystem dar. Bestimmte Bevölkerungsgruppen zu erreichen und zu befähigen, direkt oder indirekt an einem Digitalen Ökosystem teilzunehmen, erfordert den intensiven Umgang mit diesen Gruppen. Gleichzeitig zeichnet sich ein Digitales Ökosystem der öffentlichen Hand dadurch aus, dass die potenzielle Zielgruppe, also die Bevölkerung, einer Fluktuation ausgesetzt ist, in dem Menschen aus einer Region wegziehen oder hinzuziehen. Folglich verändert sich nicht nur die tatsächliche Nutzergruppe durch die Entscheidung des Einzelnen für oder gegen eine Teilnahme, sondern in einer weiteren Dimension, nämlich der des Wohnorts, sind stete Veränderungen in der Community zu bedenken.

Die zentralen Herausforderungen, die sich von jenen in rein privatwirtschaftlichen Digitalen Ökosystemen unterscheiden, liegen in der Gestaltung des Geschäftsmodells und damit verbunden im Aufbau der Partnerschaften und der Community im Digitalen Ökosystem. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die Geschäftsmodellgestaltung, welche Themen der Partnerschaften und Community mit berücksichtigt.

Geschäftsmodell-Theorie

Um langfristig auf einem Markt erfolgreich vertreten zu sein, ist es für jede Art angebotener Dienstleistung wichtig, ein Geschäftsmodell auszuarbeiten. Es hilft dem gemeinsamen Verständnis darüber, wer die Zielgruppe ist, was angeboten werden soll und wie Wert erzielt wird. Im Falle Digitaler Ökosysteme charakterisiert sich zwar die Dienstleistung im Kern durch die Vermittlung von Assets zwischen Anbieter und Nachfragern über eine Digitale Plattform, doch diese kurze Zusammenfassung lässt viel Spielraum für die Ausgestaltung des tatsächlichen Geschäftsmodells. Zunächst beantwortet dieses Kapitel die Frage, was genau ein Geschäftsmodell ist.

Klassisches Geschäftsmodell

Eine Antwort hierzu findet sich in den zahlreichen Definitionen des Begriffs "Geschäftsmodell", die einen Einblick geben, was es heißt, ein Geschäftsmodell zu haben (bspw. [1;2;3;4;5;6]). Werden die unterschiedlichen Definitionen miteinander verglichen, dann haben sie im Kern eine gemeinsame Aussage: Alle Definitionen geben an, dass mit Hilfe des Geschäftsmodells Werte generiert werden sollen, sei es für die Kunden im Sinne der "Lebenserleichterung" oder für die Unternehmen im Sinne der Generierung von Einnahmen. Ein Geschäftsmodell bildet demnach die zugrundeliegende Logik einer Unternehmung ab, wie Wert erzeugt, angeboten und erfasst werden kann (engl. Value Creation, Value Delivery und Value Capture) [7;8]. Unabhängig von den marktspezifischen Herausforderungen muss ein Geschäftsmodell im Stande sein, diese Dimensionen zu adressieren. Da der Trend der Unternehmenswelt jedoch mehr und mehr in Richtung Digitalisierung und insbesondere in Richtung Digitaler Ökosysteme geht, müssen auch die Geschäftsmodelle mit ihren Wertversprechen bzw. Value Propositions angepasst werden. Dies liegt daran, dass nun nicht mehr nur eine einfache Produkt-Wertschöpfungskette mit einer 1:N-Beziehung vorliegt, sondern die Akteure, die an einem Digitalen Ökosystem teilnehmen, nicht nur eine, sondern mehrere Rollen einnehmen können und mit unterschiedlich vielen Rollen in Kontakt stehen – eine N:M-Beziehung also. Das bedeutet mehrere Produzenten und mehrere Kunden, statt ein Produzent und mehrere Kunden. Es müssen daher digitale Geschäftsmodelle entwickelt werden.

Digitales Geschäftsmodell

Digitale oder auch Plattform-Geschäftsmodelle sind eine Sonderform von Geschäftsmodellen. Sie versuchen, aus verschiedenen Parteien ein Netzwerk zu formen. Sie nutzen "Technologie, um Menschen, Organisationen und Ressourcen in einem interaktiven Ökosystem zu vernetzen und den Austausch von Daten und Gütern zu ermöglichen" [9]. Als Beispiel, passend zur aktuellen Situation: jemand, der Atemschutzmasken näht und sie online verkauft, macht zwar digitales Business, hat jedoch kein digitales Geschäftsmodell umgesetzt. Es fehlt die bereits erwähnte N:M-Beziehung, die charakteristisch für ein digitales Geschäftsmodell ist. Auch für die digitalen Geschäftsmodelle gibt es zahlreiche Definitionen (vgl. [10;11;12]), die jedoch ebenfalls keine allgemeingültige Definition enthalten. Werden die Definitionen wiederum miteinander verglichen, fällt auf, dass sie alle die folgenden drei Merkmale gemein haben:

  1. Unternehmenswertschöpfung und
  2. Wertgenerierung für Kunden durch
  3. digitale Technologien.

Ein Unternehmen braucht für ein erfolgreiches digitales Geschäftsmodell folglich drei grundlegende Elemente: einen guten Service, Kundenerlebnisse/ Kundenerfahrung und eine digitale Plattform oder zumindest eine Kombination von mindestens zwei der drei Elementen [13].

Unterschied zwischen digitalen und klassischen Geschäftsmodellen

Die Definitionen eines digitalen Geschäftsmodells sind den Definitionen des klassischen Geschäftsmodells sehr ähnlich, da sie die gleichen Ziele verfolgen. Zum einen die Generierung von Wertschöpfung für Unternehmen, worunter auch Einnahmen und Wettbewerbsvorteile zu verstehen sind. Zum anderen die Wertgenerierung für Kunden. Der entscheidende Unterschied zwischen den Definitionen ist jedoch, dass die digitalen Geschäftsmodelle diese Ziele unter Zuhilfenahme der Digitalisierung und digitaler Technologien bzw. Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) zu erreichen versuchen. Ein digitales Geschäftsmodell verzeichnet sechs Kernelemente: eine Transaktion, ein anbietendes digitales System, ein nachfragendes digitales System, eine (digitale) Leistung, eine passende Gegenleistung (monetär, non-monetär), Wiederholbarkeit der Transaktion. Die kursiv dargestellten Kernelemente sind jene, die ein digitales Geschäftsmodell von einem klassischen Geschäftsmodell unterscheiden [11;14]. Ein weiterer Unterschied ist, dass ein klassisches Geschäftsmodell auf Orten (Banken, Büchergeschäfte, …) basiert. Hier ist die Welt greifbar, produktbasiert und auf Kundentransaktionen ausgerichtet. Durch die zunehmende Digitalisierung hat sich dieser Umstand jedoch geändert. Der "Ort" befindet sich in einer digitalen Welt, welche service-basiert und nicht greifbar ist und welche sich an Kundenerfahrungen orientiert. Digitale Geschäftsmodelle involvieren somit Produkte und Services, welche digital erlebt werden und Transaktionen, welche digital durchgeführt werden. Weitere Unterschiede liegen darin, dass digitale Geschäftsmodelle zwar transparent sind, aber auch schneller scheitern können. Das liegt daran, dass die "Switching Costs" (Wechselkosten), also die Kosten, die für Kunden bei einem Wechsel des Anbieters / Unternehmens anfallen, geringer sind als die Wechselkosten in der physischen Welt. Des Weiteren liegt ein Unterschied digitaler Modelle gegenüber klassischen Modellen in ihrer Einfachheit, Angebote zu beschreiben oder zu vermarkten. Dazu können Bilder, Objektbeschreibungen (z. B. Metriken wie Leistung des Backofens) und Bewertungen durch Dritte verwendet werden [13]. Hinzu kommt die bereits erwähnte N:M-Beziehung innerhalb des digitalen Geschäftsmodells. Akteure, die an einem digitalen Geschäftsmodell partizipieren, können mehrere Rollen zur gleichen Zeit annehmen. Beispielsweise können Teilnehmer der Plattform "YouTube" gleichzeitig Produzenten von Inhalten und Konsumenten von Inhalten sein. Im Gegensatz zum klassischen Geschäftsmodell, in dem es in der Regel einen Produzenten und mehrere Kunden gibt, gibt es beim digitalen Geschäftsmodell folglich mehrere Produzenten und mehrere Kunden [9]. Dieser Aspekt spiegelt sich in folgender Definition wider, dass ein Geschäftsmodell der digitalen Wirtschaft sich insbesondere durch die "digitale Integration aller Teilnehmer am Prozess der Wertschöpfung und des Konsums" auszeichnet [15].

Quellen
  1. Bieger, T., Reinhold, S. (2011). Das wertbasierte Geschäftsmodell – Ein aktualisierter Strukturierungsansatz, in T. Bieger, D. zu Knyphausen-Aufseß, C. Krys (Hrsg.): Innovative Geschäftsmodelle, Berlin: Springer Berlin, S. 13-70.
  2. Doleski, O. D. (2014). Integriertes Geschäftsmodell: Anwendung des St. Galler Management-Konzepts im Geschäftsmodellkontext, Wiesbaden: Springer Gabler.
  3. Fielt, E. (2013). Conceptualising Business Models: Definitions, Frameworks and Classifications, Journal of Business Models (1:1)
  4. Stähler, P. (2014). Geschäftsmodellinnovationen oder sein Geschäft radikal neudenken, in D. R.A. Schallmo (Hrsg.): Kompendium Geschäftsmodell-Innovation, Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 109-136.
  5. Teece, D. J. (2018). Business Models and Dynamic Capabilities, in Long Range Planning (51:1), S. 40-49.
  6. Schallmo, D. R. A. (2014). Theoretische Grundlagen der Geschäftsmodell-Innovation – Definitionen, Ansätze, Beschreibungsraster und Leitfragen, in D. R. A. Schallmo (Hrsg.): Kompendium Geschäftsmodell-Innovation, Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 1-30.
  7. Jensen, A. (2015), Do we need one business model definition?, Journal of Business Models, Vol. 1, No. 1, pp. 61-84
  8. Amit, R. & Zott, C. (2021), Business Model Innovation Strategy: Transformational Concepts and Tools for Entrepreneurial, John Wiley & Sons, Hoboken.
  9. Walter, M. (2017). Märkte neu definieren, mit dem Platform Innovation Kit, Kanal Egal - Die digitale Revolution
  10. Gassmann, O., Frankenberger, K., Csik, M. (2014). The Business Model Navigator: 55 Models that will Revolutionise your Business, Harlow: Financial Times
  11. Hoffmeister, C. (2017). Digital Business Modelling: Digitale Geschäftsmodelle entwickeln und strategisch verankern, München: HANSER
  12. Mihova, T., Chukalov, M. (2019). Digital Business Models in Industrial Enterprises, IOP Conference Series Materials Science and Engineering, October 2019
  13. Weill, P., Woerner, S. L. (2013). Optimizing Your Digital Business Model
  14. Hoffmeister, C. (2015). Was ein digitales Geschäftsmodell ausmacht
  15. Galimova, M., Gileva, T., Mukhanova, N., Krasnuk, L. (2019). Selecting the Path of the Digital Transformation of Business-Models for Industrial Enterprises, IOP Conference Series Materials Science and Engineering, Vol. 497

Autor:innen

Nedo Bartels

Nedo Bartels arbeitet er als "Digital Innovation Designer" am Fraunhofer IESE und beschäftigt sich mit der Entwicklung von Geschäftsmodellen für digitale Ökosysteme.
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Matthias Koch

Matthias Koch ist als Ingenieur am Fraunhofer IESE angestellt und beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Themenfeld Requirements Engineering, insbesondere für digitale Ökosysteme.
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Anna Schmitt

Anna Schmitt ist studierte Wirtschaftsingenieurin in der Studienrichtung Informatik und Senior "Digital Innovation Designer" am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE.
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