Digitale Transformation im Mittelstand:
Die Herausforderungen liegen nicht (nur) in der IT
Die Digitalisierung ist kein neues Phänomen für den Mittelstand, wird diesen jedoch in naher Zukunft ganz grundsätzlich verändern: Galt der Digitalisierungsfokus der Unternehmen bislang dem Aufbau abgestimmter bzw. einheitlicher IT- und Kommunikationssysteme zur Unterstützung der zunehmend internationalen Geschäftstätigkeit mit weltweiten Produktions- und Vertriebsstandorten, konzentriert sich die Digitale Transformation nun sehr viel mehr auf die Gestaltung zukunftsfähiger Prozesse, die Entwicklung intelligenter Produkte und Dienstleistungen sowie den Aufbau neuer Geschäftsmodelle. Diese in Deutschland gerne mit dem Begriff "Industrie 4.0" bezeichnete Entwicklungsstufe der Digitalisierung (international wird eher von IoT oder IoE (Internet of Everything) gesprochen) zielt auf die konsequente Nutzung aller Möglichkeiten ab, die eine digital vernetzte Welt (von Menschen, Prozessen, Daten und Dingen) den Unternehmen prinzipiell bietet.
Unter Einbeziehung der wettbewerblichen Rahmenbedingungen für die mittelständischen Unternehmen entwickelt sich die Digitale Transformation somit immer mehr zur ökonomischen Gretchenfrage: Der deutsche Mittelstand muss die Herausforderungen der Digitalen Transformation annehmen und die aktuellen Entwicklungen nutzen, um sich im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu positionieren. Ansonsten wird vor allem die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle dazu führen, dass mittelständische Unternehmen zur "verlängerten Werkbank" degradiert und somit wesentliche Wertschöpfungsanteile verlieren werden. Im schlechtesten Fall werden die Leistungen des eigenen Unternehmens nicht länger relevant sein.
Um einer solchen Entwicklung für das eigene Unternehmen bewusst entgegensteuern zu können, muss der Mittelstand Antworten auf die folgenden Fragen finden: Was genau verändert IoE in den Arbeitsweisen der Mitarbeiter und den Geschäftsprozessen der Unternehmen? Worin können die Produktivitätssprünge der Digitalisierung bestehen? Wie könnten diese gehoben werden? In einer dreiteiligen Artikelserie zeigen die Autoren Wege auf, wie die Digitale Transformation im Mittelstand trotz der zahlreichen Herausforderungen erfolgreich gelingen kann und welche Aspekte das Management mittelständischer Unternehmen in seinen Entscheidungen berücksichtigen sollte.
Aktuelle IT-Situation im Mittelstand
Betrachtet man ein "typisches", deutsches produzierendes Unternehmen, so wird deutlich, dass der Grad der bisherigen digitalen Transformation zwischen den einzelnen Abteilungen sehr unterschiedlich ist: Die Produktion befindet sich durch zahlreiche Automatisierungs- und Prozessoptimierungsrunden in der Regel IT-technisch auf einem hohen Stand, wohingegen es in den betriebswirtschaftlichen Funktionsbereichen meist deutlich "analoger" zugeht. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass in der Produktion schon immer versucht wurde, den gesamten Prozess zu optimieren, während in den einzelnen betriebswirtschaftlichen Abteilungen (u. a. Personal, Marketing, Vertrieb, Beschaffung etc.) historisch gesehen Insellösungen gesucht und implementiert wurden. Dies führt heute dazu, dass zwar in den einzelnen Bereichen recht gute Prozesseffizienzwerte erzielt werden, die aber nicht auf abteilungsübergreifende Aktivitäten übertragen werden können.
Hochspezialisierte Programme, ohne Blick auf andere Aufgabenstellungen und nur für die eigenen fachspezifischen Anforderungen entwickelt, sind daher eher Standard als Ausnahme. Auch wenn diese begrenzte Prozessunterstützung bislang als ausreichend angesehen wurde, so gilt es im Zuge der Digitalen Transformation, diese Daten miteinander zu vernetzen, um abteilungsübergreifend automatisierte Analysen und Prozessabläufe überhaupt zu ermöglichen. Dem Aufbau dieser integrierten Datenstrukturen und Datenbanken, die zukünftig das Herzstück bzw. das Rückgrat des digitalisierten Unternehmens darstellen werden, stehen aktuell noch fehlende Standardschnittstellen im Wege. Allein die Integration der kundenbezogenen Daten wird so zum zeit- und kostenintensiven Großprojekt. So erweist sich bei vielen Unternehmen bereits die Bestimmung des Kundenwertes oder die Identifizierung einzelner Kundensegmente als aufwändiges Unterfangen. Die Kundendaten befinden sich oft in unterschiedlichen Datenbanken (Schlagwort: Excelsheets), die autonom nebeneinander aufgebaut wurden, weil die Kosten einer systemischen Lösung schon immer hoch waren. Der Nachteil gegenüber einem Unternehmen, das von Anfang an und konsequent eine einheitliche Datenhaltung etabliert und gegebenenfalls auf APIs bei der Auswahl seiner Softwarelösungen geachtet hat, liegt auf der Hand. Amazon, Zalando, Uber etc. wussten bereits bei ihrer Unternehmensgründung, dass die Qualität ihrer eigenen Datenbank(en) später den Wert ihres Unternehmens ausmachen wird – und haben immer entsprechend gehandelt. Auch neue Unternehmen und insbesondere Start-ups haben einen anderen Fokus auf ihr Datenmanagement als Unternehmen, die vor mehr als 30 Jahren ihre ersten PCs und Großrechner beschafft haben.
Neben diesen eher IT-technischen Herausforderungen gibt es noch zahlreiche weitere Aspekte zu beachten, die eine Digitale Transformation mittelständischer Unternehmen unbedingt notwendig machen.
Disruptive Veränderungen durch die Digitale Transformation
Ohne das Wort "disruptiv" inflationär verwenden zu wollen, so erscheint dieses doch am passendsten, um die drei grundsätzlichen Veränderungen adäquat zu charakterisieren, mit denen sich Unternehmen heutzutage konfrontiert sehen. Schließlich geht es nicht um kleine Veränderungen, sondern um Veränderungen ganz grundsätzlicher Natur, die unser heutiges System und Denken z. T. vollkommen auf den Kopf stellen. Diese disruptiven Veränderungen spielen sich vor allem in den folgenden drei Bereichen ab:
- Kundenbedürfnisse
- Wettbewerber
- Mitarbeiter
Wenn wir über kundenseitige, disruptive Veränderungen sprechen, sind damit weniger spezielle Wünsche an die Produkte gemeint (u. a. die Änderung der Farbe oder Form), sondern es steht die Frage im Vordergrund, ob der bisherige Kunde dieses Produkt zukünftig überhaupt noch kaufen wird oder nicht. Zwei Entwicklungen unterstreichen diesen Trend: Zum einen betreiben viele Unternehmen ein immer aktiveres Outsourcing und versuchen sich – zur Reduzierung ihrer Kapitalkosten bzw. des gebundenen Kapitals – verstärkt auf ihre Kernkompetenzen zu fokussieren. Bei diesen Überlegungen wird immer stärker deutlich, dass viele Unternehmen die Produktion nicht mehr zu ihren Kernkompetenzen zählen. Betrachtet man den weltweiten Aufstieg von Produktionsdienstleistern wie Foxconn, Flextronics, Jabil, Celestica & Co., können grundlegende Veränderungen in den Wertschöpfungsstrukturen erkannt werden. Dies führte in den vergangenen Jahren u. a. im Maschinen- und Anlagenbau zu einer Verschiebung in den Kundensegmenten, d. h. statt des deutschen Kunden muss sich der mittelständische Maschinenbauer mit Global Playern auseinandersetzen. Ähnliches passiert gerade auf den Konsumgütermärkten, wo einige Kunden verstärkt Sharing-Alternativen für sich entdecken. Auch wenn es aus heutiger Sicht noch übertrieben scheint, bereits von einer Sharing Economy zu sprechen, so spüren zahlreiche Unternehmen schon heute eine deutliche Veränderung der Kundenbedürfnisse, die an den Grundfesten der etablierten Geschäftsmodelle rütteln.
Bei der Neuausrichtung der Unternehmen darf der Wettbewerb natürlich nicht außer Acht gelassen werden, wobei die größten Bedrohungen heutzutage von den neuen "digitalen" Unternehmen ausgehen. Diese sind zwar meist branchenfremd, verfügen aber über Kompetenzen, die in der Digitalen Transformation unabdingbar sind und von den etablierten mittelständischen Unternehmen erst noch mühsam aufgebaut bzw. teuer dazu gekauft werden müssen. Der Mittelstand muss u. a. aufgrund seiner begrenzten finanziellen Ressourcen aufpassen, dass er zukünftig nicht zu einem austauschbaren Produktionsbetrieb verkommt. Schließlich versuchen die IT-/Tech-Unternehmen sich mittels ihrer Plattformstrategien zwischen die mittelständischen Unternehmen und deren Kunden zu drängen (s. Amazon und Alibaba). Dadurch verlieren die etablierten mittelständischen Unternehmen den direkten Zugang zu ihren Kunden und damit zu den wichtigen Informationen über deren Bedürfnisse.
Zukünftig wird jeder Mitarbeiter permanent an der Digitalen Transformation seines Unternehmens mitwirken müssen.
Die dritte Herausforderung, vor der mittelständische Unternehmen stehen, sind die eigenen Mitarbeiter. Aus heutiger Sicht muss konstatiert werden, dass die Mitarbeiter in vielen Unternehmen nur in sehr eingeschränktem Maße auf die Digitale Transformation vorbereitet sind. Ihnen fehlt meist das Know-how, um die neuen digitalen Möglichkeiten zur Optimierung der Geschäftsprozesse intelligent in das Unternehmen einzubinden und damit die Digitale Transformation voranzutreiben. Die IT-Abteilungen selbst, die über das notwendige Know-how verfügen würden, sind meistens schon durch die laufenden Arbeiten (u. a. neue Gesetze, neue Kundenanforderungen, Einbindung mobiler Endgeräte in die IT-Infrastruktur etc.) dermaßen ausgelastet, dass neue Großprojekte kaum personell darstellbar sind. Die Alternative, nämlich das massenhafte Anwerben neuer, "digitaler" Mitarbeiter, gestaltet sich gerade für den Mittelstand als zu teuer und langwierig. Stattdessen müssen die Unternehmen verstehen, dass im Gegensatz zu traditionellen IT-Projekten, die einen Anfang und ein Ende haben, die Digitale Transformation zukünftig als ein permanenter Änderungsprozess verstanden werden muss. Entsprechend macht es wenig Sinn, die Arbeit in kleinere Arbeits- oder Spezialistengruppen auszugliedern, um die übrigen Mitarbeiter in ihrem Tagesgeschäft ungestört zu lassen. Vielmehr wird zukünftig jeder Mitarbeiter permanent an der Digitalen Transformation seines Unternehmens mitwirken müssen. Dies wird insbesondere in mittelständischen Unternehmen, die meist von klaren Strukturen und starken Führungspersönlichkeiten aus der Eigentümerfamilie geprägt sind, einen grundsätzlichen Wertewandel erfordern.
Somit betrifft die Digitale Transformation nicht nur den IT-Bereich, sondern grundsätzlich alle Abteilungen und Mitarbeiter im Unternehmen. Letztlich sind es die Mitarbeiter mit ihren unterschiedlichsten Qualifikationen, die die Digitale Transformation umsetzen müssen. Dazu gehören nicht nur die IT-Spezialisten, sondern auch diejenigen, die sich tief in die Unternehmens- und Marktprozesse hineindenken, neue Ideen entwickeln und diese dann auch realisieren können.
Inwiefern vor allem deutsche Mittelständler bereit sind, die Digitale Transformation anzunehmen und aktiv anzugehen, wurde deshalb im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie untersucht.
Studie zum Status-Quo der Digitalen Transformation im Vertrieb
Angesichts der enormen Herausforderungen für den Mittelstand wurde 2017/18 eine wissenschaftliche Studie durchgeführt, die den Status quo der Digitalisierung im Vertrieb in mittelständischen Unternehmen analysierte. Der Vertrieb wurde ausgewählt, da dort die Veränderungen mit am größten sein werden und der klassische Außendienst durch die zahlreichen Plattformen, Marktplätze und Online-Shops zum Teil seine bisherige Daseinsberechtigung verlieren wird.
Im Rahmen der Studie wurden 30 deutsche mittelständische Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von über € 270 Mio. und ca. 1.400 Mitarbeiter aus diversen Branchen mit einer Wertschöpfungstiefe um die 60 Prozent befragt. In persönlichen Einzelgesprächen wurden insgesamt 90 Personen bzw. 3 Personen in jedem Unternehmen interviewt. Darunter war jeweils ein Mitglied der Geschäftsführung, ein Vertriebsleiter sowie ein Vertriebsaußendienstmitarbeiter. Die Gespräche dauerten zwischen 60 und 180 Minuten.
Die drei zentralen Forschungsfragen lauteten:
- Wie wird die Digitale Transformation von unterschiedlichen Hierarchiestufen wahrgenommen? Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus den unterschiedlichen Perspektiven?
- Wie stark beeinflusst der Geschäftstyp die Struktur des Vertriebsprozesses und damit die auszuwählenden Tools zur weiteren Digitalen Transformation?
- Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich auf der operativen Ebene in den verschiedenen Vertriebsphasen, die die weitere Digitale Transformation behindern?
Während die letzten beiden Fragestellungen im zweiten Artikel beantwortet werden, soll zuerst einmal auf die Wahrnehmungsunterschiede der drei Hierarchiestufen eingegangenen werden. Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Mitarbeiter im Digitalen Transformationsprozess ergeben sich aus der Untersuchung zahlreiche interessante Implikationen.
Zentrale Ergebnisse der Studie
Nachfolgend werden die zentralen Ergebnisse der Studie zur Wahrnehmung des Digitalisierungsprozesses aus unterschiedlichen Hierarchiestufen dargestellt. Dabei wurde auf die folgenden Fragestellungen eingegangen:
- Treiber & Barrieren der Digitalen Transformation im Vertrieb
- Digitalisierungs-Know-how & Verantwortung
- Verfügbarkeit von Digitalisierungsfachkräften
Gefragt nach den Treibern der Digitalisierung im Vertrieb waren sich alle Befragten und Hierarchieebenen vollkommen einig: Die Digitalisierung ist in erster Linie ein Geschäftsführungsthema und wird in allen Unternehmen von dieser vorangetrieben. Bei der Beurteilung der weiteren Top-Treiber gab es schon sehr viel mehr Uneinigkeit, da die Geschäftsführung die IT-Abteilung und das Marketing, die Vertriebsleitung die Kunden und die IT-Abteilung und der Außendienst den Wettbewerb und das Marketing nannten. Während die genannten Treiber nicht weiter überraschten und durchaus nachvollziehbar waren, so ist das Interessanteste an dieser Nennung vor allem der Treiber, der nicht genannt wurde: Obwohl es explizit um die Treiber der Digitalen Transformation im Vertrieb ging, hat keiner der Beteiligten, noch nicht einmal die Vertriebsleitung selbst, den Vertrieb als einen Top-Treiber erkannt. Dies ist ein klares Indiz dafür, dass im Vertrieb die Thematik der Digitalen Transformation zwar angekommen ist, deren Dringlichkeit für den eigenen Bereich aber nach wie vor nicht gesehen wird.
Die Befragung nach den Barrieren der Digitalisierung im Vertrieb ergab das einheitliche Bild, dass alle Gruppen die zeitlichen Engpässe als größte Barriere angaben. Es fehlt allen Hierarchiestufen an der notwendigen Zeit, die angedachten Digitalisierungsprojekte in Ruhe zu strukturieren und zu realisieren. Einig waren sich zudem die Führungskräfte, dass dem Unternehmen das notwendige Digitalisierungs-Know-how fehlt, um die Projekte wie gewünscht angehen und umsetzen zu können. Interessanterweise scheinen auch die Kunden einer weiteren Digitalisierung im Vertrieb entgegenzustehen, zumindest aus Sicht der Geschäftsführung und des Außendienstes. Hingegen sieht insbesondere die Vertriebsleitung einen großen Bedarf an der systematischen Definition der eigenen Prozesse, bevor weiter digitalisiert werden kann.
Die Nennung der Kunden als Barriere ist sicher mehr als ein Alibi dafür, dass man selbst nicht digitalisieren möchte, sondern weist darauf hin, dass es deutlich mehr digitale Lösungen gibt, als der Kunde haben möchte. Nur eine genau auf die Kundenwünsche abgestimmte Digitalisierungsstrategie und Digitalisierungsumsetzung wird die erhofften Effizienzgewinne auch Realität werden lassen.
Was sich bereits in der Frage nach den wesentlichen Barrieren der Digitalen Transformation im Vertrieb angedeutet hat, wird bei der Nachfrage nach dem vorhandenen Digitalisierungs-Know-how im Unternehmen bestätigt: Während die Führungskräfte einen eindeutigen Mangel an Digitalisierungs-Know-how erkennen, sind die Außendienstmitarbeiter – und damit sicherlich auch viele andere Mitarbeiter – der Meinung, dass ausreichend Know-how im Unternehmen und insbesondere in den Führungsetagen vorhanden ist. Dieses Urvertrauen der Mitarbeiter in die Unternehmensleitung ist einerseits gut, sollte andererseits aber allen Führungskräften auch zu denken geben: Wie kann man den Mitarbeitern deutlich machen, dass in diesem Bereich erheblicher Nachholbedarf besteht und umfassendes Wissen bzgl. der Digitalisierung bei allen Mitarbeitern zukünftig noch aufgebaut werden muss, ohne die Verunsicherung weiter zu erhöhen?
Interessanterweise stützen sich die Führungskräfte beim Aufbau von Digitalisierungs-Know-how im eigenen Unternehmen fast ausschließlich auf externe Quellen: Berater, Hochschulen und neue Mitarbeiter. Wenn man allerdings bedenkt, dass das Digitalisierungs-Know-how zukünftig als Kernkompetenz im Unternehmen angesehen werden muss, kann dies eigentlich nur eine kurzfristige Strategie sein oder die feste Überzeugung, dass aus unterschiedlichen Gründen ein Know-how-Aufbau mit den aktuellen Mitarbeitern nicht möglich ist. Ein Grund hierfür könnten die genannten Zeitengpässe sein.
Zu erwähnen ist auch die hohe Bedeutung der Kooperationen mit Hochschulen. Hier zeigt die Praxis, dass damit einerseits über Praktika und Projekt- bzw. Abschlussarbeiten neues Personal gewonnen werden kann, andererseits durch Forschungsaufträge auch größere Projekte zielgerichtet gemeinsam durchgeführt werden können. Dabei ist insbesondere der permanente Wissenszufluss aus den Hochschulen von großem Interesse für die Unternehmen.
Bei der Betrachtung der Verantwortung für das Projekt "Digitalisierung im Vertrieb" kommen die Befragten der drei Hierarchiestufen zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen. Aus Sicht der Geschäftsführung liegt die strategische Verantwortung für dieses Projekt eindeutig bei der Geschäftsführung, während die operative Umsetzung einem abteilungsübergreifenden Team obliegen soll. Prinzipiell stimmen die Vertriebsleiter diesem Ansatz zu, wobei die Geschäftsführung schon nicht mehr so eindeutig genannt wird, sondern auch dem Vertrieb sehr viel mehr Verantwortung übertragen wird. Die Bedeutung abteilungsübergreifender Teams ist zwar nach wie vor hoch, aber nicht mehr ganz so hoch wie aus Sicht der Geschäftsführung.
Tabelle 1: Verantwortung für das Projekt "Digitalisierung im Vertrieb"
Geschäftsführung | Vertriebsleitung | Außendienst | |
---|---|---|---|
Geschäftsführung | 72% | 52% | 64% |
IT-Abteilung | 0% | 11% | 6% |
Vertrieb | 6% | 21% | 11% |
Abteilungsübergreifende Teams | 64% | 52% | 33% |
Auch der Außendienst sieht die strategische Verantwortung in erster Linie bei der Geschäftsführung; interessanterweise ist die Einschätzung des Außendienstes gegenüber den abteilungsübergreifenden Teams deutlich geringer ausgeprägt.
Insgesamt wird die IT eher unterstützend und in der Umsetzung gesehen und weniger in der Rolle als Projektverantwortliche. Beachtenswert ist aber auch, dass sich selbst die Vertriebsleitung nur in 20 Prozent der Fälle selbst in der Projektverantwortung sieht. Diese Aussage korrespondiert somit deutlich mit den Ergebnissen bzgl. der Treiber der digitalen Transformation (vgl. Abb. 1). Die geringen Nennungen bzgl. abteilungsübergreifender Teams seitens der Außendienstmitarbeiter lassen vermuten, dass gerade im operativen Bereich noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss.
Handlungsempfehlungen
Aufbauend auf der Studie zum Status quo der Digitalisierung im Vertrieb in mittelständischen Unternehmen lassen sich die folgenden drei Handlungsempfehlungen ableiten:
1. Die Digitale Transformation muss proaktiv von den mittelständischen Unternehmen angegangen werden
Die Unternehmer müssen erkennen, dass in Zukunft einige Dinge evtl. nicht mehr so funktionieren werden, wie sie lange Zeit erfolgreich funktioniert haben – und umgekehrt. Dies erfordert eine hohe Änderungsbereitschaft, wobei eine ganzheitliche Analyse der Unternehmenssituation meist sehr schnell erste erfolgversprechende Ansatzpunkte für die Digitale Transformation ergibt. Ausschlaggebend für einen langfristigen Erfolg ist aber ein abgestimmtes Vorgehen in allen Unternehmensbereichen. Nicht der Erfolg in einer Abteilung ist entscheidend, sondern die Beherrschung der wesentlichen Schnittstellen zwischen den Datenbanken und Softwarelösungen.
Sollte der Geschäftsführung daran gelegen sein, die Prozesse erfolgreich umzugestalten, so muss sie persönlich permanent am Thema dranbleiben.
Die Vergangenheit zeigt aber auch, dass die Änderungen nicht von heute auf morgen passieren, sondern sich als ein evolutionärer Prozess darstellen werden. Schließlich will nicht nur der eigene Mitarbeiter, sondern auch der Kunde emotional und organisatorisch auf diesem Weg mitgenommen werden. Auch wenn uns der evolutionäre Charakter des Veränderungsprozesses mehr Zeit einräumt, so müssen die Unternehmen schon heute mit Hochdruck daran arbeiten, die Welt von morgen zu entwerfen. Denn auch die Neugestaltung der internen Prozesse bedarf sehr viel Zeit und erheblicher finanzieller Ressourcen.
2. Die Digitale Transformation ist in erster Linie eine Geschäftsführungs-Thematik – und muss von dieser ganz persönlich vorangetrieben werden
Wie die Studie eindeutig gezeigt hat, ist in allen befragten Unternehmen die Digitale Transformation eine Geschäftsführungs-Thematik. Die Geschäftsführung ist somit der Haupttreiber der Digitalen Transformation und wird die Verantwortung für diesen Veränderungsprozess nicht delegieren können. Im Gegenteil: Sollte der Geschäftsführung daran gelegen sein, die Prozesse erfolgreich umzugestalten, so muss sie persönlich permanent am Thema dranbleiben, damit die Mitarbeiter auch erkennen, dass die Geschäftsführung es wirklich ernst mit dem digitalen Veränderungsprozess meint.
Interessanterweise erwarten die Mitarbeiter – entgegen der ansonsten relativ hohen Eigenständigkeit bei der Aufgabenbewältigung – im Falle der Digitalen Transformation eine sehr viel deutlichere Führung: Aufgrund der Grundsätzlichkeit und Tiefe der zu erwartenden Veränderungen sowie deren Neuartigkeit fehlt es (auch) den (erfahrenen) Mitarbeitern an Orientierung, die sie sich von der Geschäftsführung bzw. den Eigentümern erhoffen. Ein "Masterplan der Digitalen Transformation" würde sicherlich helfen, den Mitarbeitern diese Orientierung zu geben und ihnen die gefühlte Verunsicherung zu nehmen (bevor diese in z. T. berechtigte Existenzängste umschlägt). Bislang scheinen sich jedoch viele Manager ihrer besonderen Verantwortung nicht bewusst zu sein.
3. Die Digitale Transformation muss von innen heraus erfolgen
Die digitale Transformation ist viel mehr als eine neue Software, so dass die Unternehmen versuchen müssen, so viel Know-how wie möglich im eigenen Unternehmen aufzubauen und anschließend zu halten. Neben der Generierung einer verknüpfbaren Datenbasis müssen in der Regel zunächst auch die Prozesse in den Unternehmen erfasst, analysiert und dann in Bezug auf die ganzheitliche Digitale Transformation geändert bzw. ganz neu definiert werden. Hierzu sind in erster Linie umfangreiche unternehmensinterne Kenntnisse gefragt, wobei aufgrund der Vielzahl der potenziellen Alternativen der letztlich festgelegte Transformationsprozess nach Möglichkeit durch eine externe (wissenschaftliche) Begleitung abgesichert werden sollte.
Der Aufbau des internen Know-hows kann einerseits durch die gezielte Weiterqualifikation der Mitarbeiter sowie durch die Einstellung neuer Mitarbeiter erfolgen. Da es sich hierbei um einen längerfristigen Prozess handeln wird, macht es Sinn, gerade in der Anfangsphase Unterstützung von außen hinzuzuziehen, um sich gezielt auf den Aufbau der relevanten Kompetenzen zu konzentrieren.
Vor dem Hintergrund dieser Empfehlungen stellt sich nun die Frage, welche Rolle die IT-Abteilung in diesem Digitalen Transformationsprozess zukünftig einnehmen sollte. Wie die Untersuchung deutlich gezeigt hat, muss sie weder der Haupttreiber des Transformationsprozesses sein, noch soll sie den gesamten Transformationsprozess allein stemmen. Diese Erkenntnis hat sich in den mittelständischen Unternehmen mittlerweile klar festgesetzt. Vielmehr macht es aus Sicht der IT-Abteilung – und vor allem der anderen Abteilungen – Sinn, sich als Dienstleister und Facilitator im eigenen Unternehmen zu etablieren. Dazu gehört neben der Einnahme einer moderierenden Rolle des Transformationsprozesses vor allem die Unterstützung bei der Projektplanung und Projektsteuerung. Hierbei kann die IT-Abteilung als Know-how-Träger sicherlich dazu beitragen, hilfreiche Erkenntnisse aus vorherigen Projekten weiterzugeben und teure Fehler zu vermeiden. Aus der originären IT-technischen Sicht werden jedoch zwei andere Themenbereiche im Vordergrund stehen:
- Vereinheitlichung von Datenformaten & Datenintegration
- IT-Infrastruktur
An der zunehmenden Bedeutung von Daten gibt es in den meisten Unternehmen mittlerweile keinen Zweifel mehr: Nur wenn ein Unternehmen über eine gute und verlässliche Datenbasis verfügt, weiß es mehr über seine Kunden, seine Produktion, seine Lieferanten etc. – und kann sich auf diese Weise einen Wettbewerbsvorsprung erarbeiten. Während vor der Digitalisierung entsprechende Auswertungen meist manuell erfolgten, sollten die Ergebnisse zukünftig sehr viel schneller, am besten in Echtzeit vorliegen. Dazu ist es nötig, abteilungsübergreifend und zukünftig evtl. sogar unternehmensübergreifend Datenformate festzulegen und die Voraussetzungen für eine Datenintegration zu schaffen. Je eher diese beiden wesentlichen Voraussetzungen für eine automatisierte Datenanalyse geschaffen werden, desto besser wird das Unternehmen für die digitale Zukunft gerüstet und in der Lage sein, sich im Wettbewerb erfolgreich zu positionieren. Im Detail wird die Thematik der Market Intelligence in Artikel 3 weiter vertieft werden.
Die Ansprüche an eine zukunftsfähige IT-Infrastruktur haben sich durchaus gewandelt. Während zu Beginn der Digitalisierung eher die interne Prozessunterstützung im Vordergrund stand, haben im Rahmen der Digitalen Transformation zunehmend die Vernetzung mit Lieferanten und Kunden sowie die IT-technische Flexibilität zur Einbindung spezialisierter Apps in die IT-Infrastruktur eine zunehmende Bedeutung. Weiterhin werden mobile Endgeräte gerade im Vertrieb immer wichtiger und es überrascht, wie viele Vertriebsmitarbeiter immer noch keine dienstlichen mobilen Endgeräte haben. Ein viel diskutierter Punkt ist auch die Frage, welche Daten und Programme als Cloudlösung bereitgestellt werden sollen.
Wie das Zusammenspiel von IT-Infrastruktur und Prozesshoheit zukünftig sinnvoll geregelt sein sollte, wird im zweiten Teil der Artikelserie näher beleuchtet, wenn die Autoren konkret auf Ansätze zum erfolgreichen Einstieg in die Digitale Transformation eingehen werden.