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Natalia Olhovik 07. November 2023

Gender Diversity: Die geheime Zutat für Unternehmenserfolg

Der Frauenanteil in technischen Berufen beträgt weniger als 17 Prozent. Nur zwölf Prozent der Vorstandsposten in DAX-Unternehmen sind mit Frauen besetzt. Die Zahlen sprechen für sich und es liegt nahe, dass unter "Gender Diversity" primär Chancengerechtigkeit und Gleichstellung verstanden wird.

In diesem Artikel geht es um den Aspekt Wirtschaftlichkeit. Ich zeige zum einen die wirtschaftlichen Vorteile von Gender Diversity auf und zum anderen Wege für eine erfolgreiche und zukunftsweisende Unternehmensführung. 

Kampf der Geschlechter

Die alten weißen Männer sind schuld. Frauen müssen um Gleichberechtigung kämpfen. Aber übersehen wir nicht etwas?

Wir als menschliche Gemeinschaft werden durch Trennung und Kampf geschwächt. ''Divide et impera'' – ''teile und herrsche'' bedeutet, eine Gruppe, die besiegt oder beherrscht werden soll, in Untergruppen mit gegensätzlichen Interessen aufzuteilen. Dadurch soll erreicht werden, dass sich die Untergruppen gegeneinander wenden, anstatt sich als Gruppe zu vereinen [1]. Genau das geschieht in Bezug auf Geschlechter. Aber wann hat das begonnen?

Forschungen besagen, das Patriarchat sei bereits vor tausenden von Jahren entstanden. Und heute spielen bereits die Vorschulkinder "Jungs gegen Mädchen und Mädchen gegen Jungs". Es wäre naiv zu glauben, das System würde sich von heute auf morgen verändern.

Der erste Schritt: Erkennen, dass der Kampf der Geschlechter ein künstliches Konstrukt ist, welches nicht unserer Natur entspricht. Seit Anbeginn der Menschheit profitieren wir von der Gemeinschaft und gemeinsam erreichen wir immer mehr.

Studien zum positiven Einfluss von Gender Diversity

In Technologieunternehmen sind Frauen in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Dabei zeigen immer mehr Studien, dass weibliche Führungskräfte ein entscheidender Erfolgsfaktor sind.

Studie 1: Is Gender Diversity Profitable? Evidence from a Global Survey

Im Jahr 2016 untersuchte das Peterson Institute for International Economics 21.980 Unternehmen in 91 Ländern. Dabei handelte es sich um Unternehmen verschiedener Größen und unterschiedlicher Profitabilität. Bei den profitablen Unternehmen mit einem Frauenanteil von 30 Prozent unter den Führungskräften ist im Vergleich zu Unternehmen ohne weibliche Führungskräfte eine um 15 Prozent höhere Rentabilität und ein um 6 Prozent höherer Nettogewinn möglich [2].

Studie 2: Diversity wins: How inclusion matters

Die Unternehmensberatung McKinsey beschäftigt sich seit Jahren mit Diversity. Mehr als 1.000 Großunternehmen in 15 Ländern wurden in der jüngsten McKinsey-Studie 2020 untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Unternehmen, die sowohl Männer als auch Frauen in Führungspositionen beschäftigen, haben eine um 48 Prozent größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen als Unternehmen, in denen nur Männer oder nur Frauen in Führungspositionen vertreten sind [3].

Die Untersuchung bestätigt auch, dass Unternehmen ein signifikant besseres finanzielles Ergebnis erzielen, wenn 30 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt sind. Dies gilt als "magische" Diversitätsgrenze.

Studie 3 der Avanza Bank aus Schweden, 2016

Im Jahr 2016 verglich die schwedische Avanza Bank die Kursentwicklung von 32 börsennotierten Unternehmen in Schweden, die einen Frauenanteil von 40 Prozent im Vorstand aufwiesen, mit dem Durchschnitt der 282 an der Stockholmer Börse notierten Unternehmen. Das Ergebnis ist eindeutig: Mit einer Kurssteigerung von 64,7 Prozent über drei Jahre im Vergleich zu 31,6 Prozent im Börsendurchschnitt wiesen Unternehmen mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis im Vorstand eine mehr als doppelt so hohe Performance auf. In Bezug auf kürzere Zeiträume sogar noch höher [4].

Schweden als Vorreiter

Schweden ist ein Vorreiterland, wenn es um Gleichstellung geht. Doch das war nicht immer so. Auch in Schweden gab es eine Phase der Stagnation. Erst seit 2012 ist der Anteil von Frauen in Vorständen deutlich gestiegen: Von damals 14 Prozent auf aktuell gut 20 Prozent. Folgende drei Faktoren haben die Wende herbeigeführt:

  1. Chancengleichheit ist keine Frauenfrage – Als Männer und Frauen begannen, Gleichstellung als gesamtgesellschaftliches und als Organisationsproblem zu begreifen, kam wirklich Bewegung in die Entwicklung.
  2. Nicht die Frauen müssen sich ändern, sondern die Strukturen in den Unternehmen – Lange Zeit drehte sich die Debatte darum, wie Frauen sich verändern und anpassen müssen, um in den Wirtschaftsstrukturen aufzusteigen.
    Wichtige Meilensteine waren: Die männliche Norm von Führungskompetenz in Frage zu stellen, den Fokus der Debatte auf die Veränderung der Unternehmenskultur zu verlegen und Wege zu finden, diese inklusiver zu gestalten.
  3. Die Medien gaben den Ton an – Auch die Medien spielten eine wichtige Rolle, indem sie dem Thema eine hohe Priorität und eine klare Richtung gaben. In Schweden kann sich ein Vorstandsvorsitzender oder Aufsichtsrat heute nicht mehr leisten, ein Führungsteam zusammenzustellen, das ausschließlich aus älteren weißen Herren besteht. Die Öffentlichkeit wird durch Medien, Think Tanks und Organisationen auf Unternehmen aufmerksam gemacht, die als rückständig und unvorbereitet gelten [4].

Die Studien und Erfahrungen aus Schweden bestätigen, dass männliche Führung ein gesellschaftliches Konstrukt ist, das Frauen nicht nur von der Teilhabe an Entscheidungsrollen abhält, sondern vor allem die Innovationskraft des Unternehmens schwächt.

Die Lage in Deutschland

2016 gab es in Deutschland nur ein einziges börsennotiertes Unternehmen mit einem ausgewogenen Verhältnis von Frauen und Männern im Vorstand. Heute sind 12 Prozent der Vorstandsposten in DAX-Unternehmen mit Frauen besetzt. Ein aussagekräftiger Ländervergleich ist jedoch noch nicht möglich.

Führen Frauen wirklich anders?

Die geborene Führungspersönlichkeit

Gibt es so etwas wie eine Führungspersönlichkeit? Die Vorstellung, dass Führungsqualitäten ausschließlich auf den stabilen Eigenschaften einer Person beruhen, ist eine weit verbreitete Theorie. Die Wissenschaft bestätigt diese Theorie nicht. Es gibt keine geborenen Führungspersönlichkeiten. Die Behauptung, Persönlichkeitsmerkmale wie "leistungsstark" oder "gewissenhaft" seien Merkmale einer erfolgreichen Führungspersönlichkeit, ist falsch und basiert auf Stereotypen. Persönlichkeitsmerkmale haben sowohl bei Frauen als auch bei Männern nur einen minimalen Einfluss auf den Führungserfolg [5].

Testosteron

Eine weit verbreitete Meinung ist, dass Menschen mit einem höheren Testosteronspiegel als natürliche Führungspersönlichkeiten angesehen werden. Aus diesem Grund werden Männer oft als passender für Führungspositionen betrachtet. Was sagt die Wissenschaft dazu? In der Soziologie wurden Experimente durchgeführt, um die Wirkung von Bewerbungsfotos zu vergleichen. Man hat dieselben Personen unterschiedlich inszeniert – manchmal mehr maskulin, manchmal mehr feminin. Das Ergebnis: Gesichter mit maskulinem Aussehen wurden als kompetenter eingeschätzt als solche mit femininem Aussehen – unabhängig vom Geschlecht. Die Vorstellung, dass ein auffälliges Gesicht, welches auf einen hohen Testosteronspiegel hinweist, den Erfolg als Führungsperson begünstigt, ist inkorrekt und zeigt eine geschlechtsspezifische Verzerrung bei der Wahrnehmung von Führungsfähigkeiten auf [6].

Führungsverhalten

Unterschiede im Führungsverhalten zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften: Führen Frauen eher mitarbeiterorientiert und Männer eher aufgabenorientiert? Man würde vermuten, dass ein Unterschied zwischen Frauen und Männern darin besteht, dass sich Frauen eher auf transformationale Führung konzentrieren, bei der die Einstellungen und Werte der Mitarbeiter durch emotionales Engagement verändert werden. Männer hingegen bevorzugen transaktionale Führung und greifen nur bei Risiken oder Unsicherheiten ein. Ist das aber wirklich so?

Wissenschaftler sind sich einig: Die Eigenschaften und Qualitäten von Topmanagern beider Geschlechter sind sehr ähnlich. Das deutet darauf hin, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Führung weniger wichtig sind als bisher angenommen. Es gibt keine signifikanten Unterschiede in den grundlegenden Führungsfähigkeiten zwischen den beiden Geschlechtern [7].

Wenn es also nicht an der natürlichen Führungskompetenz, dem Testosteronspiegel oder dem Führungsstil liegt, was macht Unternehmen mit einer geschlechterdiversen Führung dann so erfolgreich?

Der geheime Erfolgsfaktor

Wie bereits festgestellt, sind Experten übereinstimmend der Ansicht, dass Erfolg in Führungspositionen nicht vom Geschlecht abhängt, sondern von der Fähigkeit, die Situation angemessen zu handhaben und die eigenen Stärken erfolgreich einzusetzen. Die Frage bleibt – Warum beeinflusst die Mischung der Geschlechter den Erfolg von Führungskräften und Unternehmen?

Jeder Mensch (wirklich jeder) hat sowohl weibliche als auch männliche Eigenschaften. Das bedeutet: Frauen haben Fähigkeiten, die in der Gesellschaft als typisch männlich angesehen werden, wie zum Beispiel Logik und Struktur. Männer wiederum haben typisch weibliche Eigenschaften, wie soziale Kompetenz und Kreativität. Mehr Beispiele dazu gebe ich in meinem Video [8].

Frauen besitzen in der Regel mehr weibliche Qualitäten und Männer mehr männliche. Bei jeder Person ist allerdings die Mischung individuell unterschiedlich. Daher sind wir alle in unseren Stärken einzigartig. Was ist nun Realität in der IT-Branche und in den meisten Führungsetagen?

Da Männer in der Mehrheit sind, werden typisch männliche Qualitäten wahrgenommen, geschätzt und oft auch als die einzig richtigen Stärken angesehen. Für Frauen, die in der absoluten Minderheit sind, ist es sehr schwierig, ihre Stärken zur Geltung zu bringen.
 
Ich möchte aus eigener Erfahrung berichten: Ich war 20 Jahre lang in der Software-Entwicklung tätig und galt oft als "Quotenfrau", weshalb ich versuchte, mich an die Mehrheit anzupassen. Ich dachte wie meine männlichen Kollegen, verfolgte ähnliche Ideen und konzentrierte mich auf männliche Stärken. Das war nicht immer einfach, denn ich versuchte, etwas zu sein, was ich definitiv nicht sein konnte – ein Mann.

Bis zum entscheidenden Wendepunkt: Während einer beruflichen Pause war ich Mitgründerin eines rein weiblichen Start-ups. Ich begann, mich intensiv mit Persönlichkeitsentwicklung zu beschäftigen. Ich erkannte, dass ich unglaublich produktiv bin, wenn ich weibliche und männliche Aspekte gleichermaßen nutze. Das hat mir die Augen geöffnet.

Die Arbeit im weiblichen Team hat mich gelehrt, typisch weibliche Stärken wertzuschätzen, ohne die männliche Logik und Struktur zu vernachlässigen. Wenn ich meine weiblichen zusammen mit den männlichen Aspekten nutze, wirkt sich das wie ein Booster auf meine Effektivität und Produktivität aus. Logisch, weil zwei Gehirnhälften besser sind als nur eine. Als ich nach der Zeit im Start-up wieder in einem überwiegend von Männern geführten Projekt arbeitete, war plötzlich alles anders. Ich erbrachte Höchstleistungen, fühlte mich wertgeschätzt und leicht. Was hat mir erlaubt, die eigenen Fähigkeiten so effektiv einzusetzen?

  1. Bewusstsein: Am Anfang war mir nicht bewusst, dass ich meine eigenen weiblichen Qualitäten habe. Erst als mir das klar wurde, konnte ich sie bewusst einsetzen.
  2. Psychologische Sicherheit: Zuerst habe ich mein Selbstvertrauen in einem rein weiblichen Umfeld gestärkt und dann diese positive Erfahrung auf ein überwiegend männliches Umfeld übertragen.

Meine Erkenntnis war: "Als Frau bin ich anders und das ist gut so." Und im Unternehmenskontext? Wie viel Investition und welche Maßnahmen sind erforderlich, um mehr Weiblichkeit ins IT-Umfeld und in die Führungsebene zu bringen?

Implementierung

Wege, um in Technologieunternehmen den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen:

  • Hat ein Unternehmen bereits technische Expertinnen eingestellt, sollte es alles dafür tun, dass diese langfristig im Unternehmen bleiben und dabei nicht untergehen. Denn es ist unbequem und macht einsam, in der Minderheit zu sein. 
  • Unternehmen und ihre Mitarbeitenden sind unterschiedlich, daher variiert auch die Strategie zur Förderung von Frauen. Es beginnt jedoch immer mit einer klaren Entscheidung auf höchster Ebene, dass eine paritätische Führung Teil der Innovationsstrategie ist. Erst dann ergeben sich alle dazugehörenden Maßnahmen.
  • Eine Möglichkeit ist, Unterstützungsprogramme (Mentoring, Coaching) ins Leben zu rufen. Diese helfen Frauen, sich in einer Minderheitssituation zu behaupten und gleichzeitig ihre Karriereziele zu erreichen. Gezielte Fördermaßnahmen für eine offene Unternehmenskultur tragen dazu bei, den Weg für Frauen in Führungspositionen zu ebnen.

Muss ein Unternehmen immer wieder in Gender Diversity investieren, um langfristig positive Effekte zu erzielen? Wie lange sind Maßnahmen zur Frauenförderung notwendig?

Die magischen 30 Prozent

Ab einem Anteil von 30 Prozent verliert eine Personengruppe ihren Minderheitenstatus. Zahlreiche Studien, einschließlich der bereits genannten, sowie Erfahrungswerte aus Unternehmen bestätigen dies [9]. Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Wenn ich mit Mitarbeitenden eines Unternehmens spreche, in dem Diversity gelebt wird, erfahre ich eine unglaubliche Offenheit und Motivation. Davon wünsche ich mir mehr in der Technologiebranche.

Zusammenfassung

Es ist Zeit, das Potenzial von Frauen in Technologieunternehmen voll auszuschöpfen. Unternehmen sollten erkennen, dass die Präsenz von Frauen in Führungspositionen ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. Frauen bringen neue Perspektiven und Ideen in die Führungsebene ein. Sie haben eine andere Herangehensweise an Probleme und können alternative Lösungen bieten. Dieser frische Blickwinkel kann zu innovativen Produkten und Dienstleistungen führen, welche ein positives Arbeitsumfeld schaffen und als Vorbild für die künftige Generation dienen können. Wichtig ist, Frauen die gleichen Chancen einzuräumen wie ihren männlichen Kollegen. Denn nur so können Unternehmen erfolgreich in die Zukunft gehen und ihr volles Potenzial ausschöpfen.

Autorin

Natalia Olhovik

CTO, Karriere-Mentorin und Gründerin von Female* Lead Accelerator, studierte Informatik an der Universität Bremen.
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