Ein Gespenst namens Scheinselbständigkeit
Ein Gespenst geht um in Deutschland. Ein Gespenst namens Scheinselbständigkeit. Und dieses Gespenst wird von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRB) – immer häufiger unter Mithilfe des Zolls – mit allen erdenklichen Mitteln gejagt, um es zu erlegen. Zur Jagd freigegeben sind damit sowohl Selbständige als auch deren Auftraggeber. Dabei ist es das offensichtliche Ziel der DRB aus (fast) jeder selbständigen Tätigkeit ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu machen und die Auftraggeber zur Kasse zu bitten. Gelingt dies nicht, versucht die DRB die Selbständigen rentenversicherungspflichtig zu machen, um (wenigstens) von ihnen Rentenversicherungsbeiträge verlangen zu können. Wie macht das die DRB?
Eine neue vierte Gewalt!
Bislang kannte man drei Gewalten, auf denen staatliches Handeln beruht: Legislative, Judikative und Exekutive, also den Gesetzgeber, die Gerichte und die ausführende Verwaltung. Nunmehr scheint eine vierte Gewalt hinzugekommen zu sein, die ich in diesem Zusammenhang als „Multilative“ bezeichnen möchte: Denn die DRB definiert selbst die Grundlagen ihres eigenen Handelns, setzt diese entsprechend um und führt das Verfahren bis hin zu Vollstreckungsmaßnahmen anschließend auch noch selbst durch. Und dies alles offensichtlich vollkommen losgelöst von jeglichen rechtsstaatlichen Grundprinzipien, zu denen eben auch und gerade die oben genannten ersten drei Gewalten gehören. Darf das die DRB?
Rechtliche Grundlagen selbst gemacht!
Ein typisches Beispiel für selbst definierte Grundlagen ihres Handelns bietet die Regelung des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI zur Rentenversicherungspflicht Selbständiger. Hier heißt es:
„Versicherungspflichtig sind selbständig tätige Personen, die
- im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 450,00 EUR im Monat übersteigt, (alternativ zwei oder mehr nicht versicherungspflichtige Arbeitnehmer, die zusammen über 450,00 EUR im Monat erhalten) und
- auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft.
Die DRB legt dabei den Begriff „auf Dauer“ und „im Wesentlichen“ wie folgt aus:
- „auf Dauer“ = über ein Jahr nur ein Auftraggeber bzw. ein Hauptauftraggeber
- „im Wesentlichen“ = mehr als 5/6 der Einnahmen von einem Auftraggeber pro Jahr
Diese Interpretation bzw. Festlegung ist aber vollkommen willkürlich. Der Maßstab „5/6“ ist letztlich aus der Luft gegriffen und entbehrt jeglicher rechtlicher geschweige denn gesetzlicher Grundlage. Und auch die Festlegung auf ein Jahr ist ohne jegliche rechtliche Basis.
Beispiel selbständige Pflegekräfte!
Ein weiteres sehr bezeichnendes Beispiel für die scheinbare „Autonomie“ der DRB vom Rechtsstaat betrifft den Bereich selbständiger Pflegekräfte: Hier hat die DRB zusammen mit anderen so genannten Spitzenverbänden der Krankenkassen „beschlossen“, dass selbständige Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen immer sozialversicherungspflichtig sind. Und dementsprechend werden folgerichtig sämtliche Kranken- und Altenpfleger unisono als sozialversicherungspflichtige Beschäftige eingestuft, ohne auch nur ansatzweise den jeweiligen Einzelfall zu berücksichtigen. So findet weder eine Differenzierung zwischen beispielsweise Pflegekräften und OP-Fachkräften oder zwischen Kranken- und Altenpflegern statt.
Mit ihrer Stigmatisierung selbständiger Kranken- und Altenpfleger als scheinselbständig bzw. sozialversicherungspflichtig setzt sich die DRB eindeutig über den Gesetzgeber hinweg. Denn dieser geht in § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB bezüglich der Rentenversicherungspflicht davon aus, dass es sehr wohl selbständige Pflegekräfte gibt, denn es heißt dort: „Versicherungspflichtig sind selbständig tätige Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen.“ Die DRB – der bessere Gesetzgeber?
Das Grundgesetz – für die DRB nur eine unverbindliche Empfehlung!
Wir haben es – wie bereits gezeigt – bei der DRB mit einer Organisation zu tun, die ganz offenbar losgelöst von jeglichen rechtsstaatlichen Verpflichtungen agiert und sich ihre eigenen Regeln gibt. Gesetze werden willkürlich ausgelegt und exekutiert. Die erforderliche einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung wird zwar von der DRB behauptet, findet aber nur auf dem Papier statt. Es scheint bei der DRB nur zwei Schubladen mit der Aufschrift „sozialversicherungspflichtig“ und „rentenversicherungspflichtig“ zu geben, in die alle Selbständigen – von der Reinigungskraft über den Kurierfahrer bis zum IT- und Unternehmensberater – einsortiert werden müssen.
Die DRB handelt verfassungswidrig!
Die Vorgehensweise der DRB stellt sich aber auch in vielen anderen Bereichen für viele Selbständige beispielsweise in der IT- und Unternehmensberatung als rechtswidrig dar. Dabei ist die DRB als Körperschaft des öffentlichen Rechts in besonderem Maße den verfassungsrechtlichen Grundsätzen verpflichtet. Sie hat ihr Handeln danach auszurichten und dieses auch unter den sich daraus ergebenden Konsequenzen zu bewerten. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die DRB verfassungswidrig handelt. Die DRB greift ohne entsprechende Befugnis in die in den Art. 12 und 14 GG (Grundgesetz) verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter der Berufsfreiheit und der Freiheit unternehmerischer Entscheidungen der betroffenen Selbständigen und deren Auftraggeber ein. Das Handeln der DRB ist mit dem Grundsatz Gesetzesvorbehalt gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. § 31 SGB I unvereinbar.
Die DRB greift tief und – insbesondere bezogen auf die konkreten Auswirkungen auf die betroffenen Selbständigen nachhaltig – in die Schutzbereiche der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und der Selbstbestimmung (Art. 2 GG) ein, wobei gerade die Berufsfreiheit und deren Einschränkung dem Gesetzesvorbehalt gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG unterliegt.
Hinzu kommt, dass das Vorgehen der Beklagten auch in Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. § 31 SGB I verfassungswidrig ist, da die DRB in ihrer Verwaltungspraxis regelmäßig über die durch ihr eigenes Formular (V027) abgefragten Kriterien hinaus weitere mehr oder minder willkürliche Fragen an die Betroffenen stellt, aus deren Beantwortung sie (fast) immer einseitig zum Ergebnis gelangt, dass ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt.
Diese Einstufung stellt für viele Selbständige ein faktisches Berufsverbot dar, da sich die Alternative einer angestellten Tätigkeit in der Regel nicht stellt, nicht erzwungen werden kann und die meisten Selbständigen dies auch überhaupt nicht wollen! Die Vorgehensweise der DRB führt – hony soi qui mal´y pense(!) – bei potentiellen Auftraggebern zu einer starken Verunsicherung bezüglich der Zusammenarbeit mit Selbstständigen, was in vielen Fällen bedeutet, dass der Selbständige keinen Auftrag mehr erhält. Im Ergebnis erzielt der Selbständige dann keine Einnahmen mehr, so dass auch keine Zahlungen an die Sozialkassen mehr fließen und auch keine Steuern mehr gezahlt werden. So betrachtet schädigt die DRB durch ihr Verhalten auch den Staat bzw. die Allgemeinheit und damit letztlich jeden einzelnen Bürger.
Konzertierte Aktion pro Selbständigkeit!
Das Gespenst Scheinselbständigkeit mag für viele (noch) virtuell sein – es ist eine permanente konkrete Bedrohung für alle Selbständigen und deren Auftraggeber. Daher sollten sich sowohl Selbständige als Auftragnehmer als auch Auftraggeber mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen jeden Versuch wehren, sie in eine „Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Position“ zu definieren bzw. zu zwingen.
Hier könnte beispielsweise eine konzertierte Aktion „pro Selbständigkeit“ oder einem „pro Autonomie“ helfen, die auch deutlich macht, dass es sich hier nicht um eine kleine unbedeutende Splittergruppe handelt, sondern um eine rasant wachsende Gruppe Selbständiger, die an entscheidenden Hebeln der Wirtschaft und Verwaltung tätig sind und ohne deren Wirken bestimmte Aufgaben überhaupt nicht mehr zu bewerkstelligen wären. Selbständige, die sich freiwillig und bewusst für ihre Selbständigkeit entschieden haben, die keinen aufgezwungenen Sozial- oder Rentenversicherungsschutz benötigen und die sich eigentlich nur gerechte, nachvollziehbare und verlässliche Rahmenbedingungen für die Ausübung ihrer selbständigen Tätigkeit wünschen.
So – und ich befürchte, nur so – lässt sich die Abschaffung der Selbständigkeit letztlich verhindern!