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Kerstin Tammling 19. Mai 2015

Initiative gegen den Missbrauch von Werksverträgen, Verhinderung von Scheinselbständigkeit und die Folgen

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, in der gegenwärtigen 18. Legislaturperiode, den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu verhindern. Unter anderem ist zu lesen: "Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden werden die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt." [1] Das soll heißen: ein neuer/überarbeiteter Kriterienkatalog ist geplant.

Gleichzeitig hat die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRB) ihre Bemühungen sog. Scheinselbständigkeit aufzudecken in den letzten Monaten verstärkt. Insbesondere IT-Selbständige sind dabei in den Fokus der DRB gerückt. Die Kombination dieser Vorhaben lässt die Befürchtung aufkommen, dass es bei der Initiative der Bundesregierung nicht bei den Werksverträgen bleiben wird, sondern auch Dienstleistungsverträge in die Betrachtung einbezogen werden. IT-Selbständige wären damit in jeder Hinsicht betroffen.

Zweifelsfrei sind das Vorhaben der Bundesregierung und die Initiative der DRB grundsätzlich sinnvoll – allerdings nur in Bezug auf die Fürsorge von Schutzbedürftigen, wirtschaftlich Schwachen. Personen also, die mehr oder weniger unfreiwillig in eine sog. Selbständigkeit gedrängt werden, weil der Schein-Auftraggeber die Lohnnebenkosten und/oder den Mindestlohn umgehen möchte. Ebenso gibt es Selbständige, die bereits die Gründungsphase ihres Unternehmens hinter sich haben, deren geringes Umsatzvolumen aber zwangsläufig keinen dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg und damit auch keine angemessene soziale Vorsorge zur Folge haben wird bzw. hat.

Existenzbedrohung für Selbständige

Es ist jedoch zu befürchten, dass durch die geplanten Maßnahmen auch nicht schutzbedürftige Selbständige in den Strudel der Ereignisse hineingezogen werden. Auswirkungen für IT-Selbständige sind bereits jetzt deutlich spürbar. Endkunden und Vermittler sind verunsichert und bieten Projektvakanzen in zunehmenden Maße in Arbeitnehmerüberlassung (AÜ) an. Eine Variante, die für die meisten IT-Selbständigen – einmal abgesehen von ihrem Selbstverständnis als Selbständige – mit hohen finanziellen Einbußen verbunden wäre. Sollten sie ein solches Arbeitsverhältnis eingehen, müssten sie Ihre Selbständigkeit mit allen Konsequenzen aufgeben. Nicht zuletzt würde auch das von ihnen bereits gewählte Modell der Altersversorgung finanziell nicht mehr tragbar und müsste – i.d.R. zu ungünstigen Konditionen und mit Verlust – aufgelöst werden. Zudem stellt sich die Frage nach der langfristigen beruflichen Perspektive nach Beendigung des Projektes, denn auch die AÜ stellt letztendlich nichts anderes als eine temporäre Beschäftigung, also Zeitarbeit, dar.

Es ist bereits heute gängige Praxis, dass Angestellte im AÜ-Verhältnis eine Kündigung von Ihrem „Arbeitgeber“ erhalten, sobald eine Folgebeauftragung des Endkunden aussteht oder sich verzögert. Um Kündigungsfristen zu wahren, erhält der Arbeitnehmer zunächst eine formelle Kündigung. Kommt es anschließend dennoch zu einer Folgebeauftragung, wird die Kündigung zurückgenommen. Dass AÜ-Kräfte regelmäßig alle 3 Monate eine Kündigung erhalten, die dann i.d.R. revidiert wird, ist keine Seltenheit.

Vorausgesetzt, dass das Ziel der Initiative des Bundestages und der DRB tatsächlich eine ausreichende Altersversorgung von Selbständigen ist, würde also ein Effekt eintreten, der genau das Gegenteil bewirkt. Neben einer andauernden wirtschaftlichen Unsicherheit des ehemals Selbständigen käme am Ende, je nachdem wie lange die Selbständigkeit vor den AÜ-Tätigkeiten bestand, ein nur geringer Anspruch an Altersrente aus der DRB heraus. Die Grundsicherung könnte in vielen Fällen nur per Aufstockung – zu Lasten der Gemeinschaft versteht sich – erreicht werden.

Bequem, aber ungeeignet: Statusfeststellung anhand eines Kriterienkatalogs

Eine Statusfeststellung mittels Kriterienkatalog je Auftrag kann nicht das probate Mittel sein. Die Umsetzung wird sich zudem als recht komplex erweisen. Wie soll beispielsweise verfahren werden, wenn ein Auftragsverhältnis der Scheinselbständigkeit, also der Rentenversicherungspflicht unterliegend, eingestuft wird, ein weiterer Auftrag hingegen nicht? Ausgehend von den bisher gängigen Zuordnungskriterien der DRB, als da u.a. sind
  • vorwiegende Erfüllung des Auftrages im Hause des Kunden,
  • Nutzung von Betriebsmitteln (PCs, Laptops etc.) des Kunden,
  • Dauer des Auftrags von mehr als 12 Monaten,
  • ausschließliche Tätigkeit für einen Kunden für die Dauer des Auftrages bzw. mehr als 5/6 des Umsatzes werden über einen Auftraggeber generiert,
würden wahrscheinlich viele IT-Selbständige die Kriterien der Scheinselbständigkeit erfüllen.
Nur sieht die Realität anders aus. In IT-Projekten arbeiten in der Regel viele Personen aus den unterschiedlichsten Schwerpunktbereichen zusammen. Dabei handelt es sich sowohl um interne Spezialisten aus den Unternehmen der Kunden als auch um externe Spezialisten, deren Expertise ausschließlich für bestimmte Aufgaben im jeweiligen Projekt benötigt wird. Für das Gelingen des Projektes ist es jedoch unerlässlich, dass die Beteiligten Hand in Hand arbeiten und sich austauschen. Viele Projekte haben eine Laufzeit, die ein Jahr überschreitet und lasten die IT-Selbständigen voll aus. Wenn dann auch noch die Sicherheitsvorschriften des Kunden keine Verwendung von Fremdhardware im Netzwerk zulässt – wäre dann der Umstand der Scheinselbständigkeit vollends erfüllt? Mit Sicherheit nicht. Eine Bewertung anhand einzelner, ggf. kombinierter Merkmale von Umständen ist vollkommen realitätsfern. Vielmehr wäre die Tätigkeit, also das Projekt oder die Aufgabe, zu betrachten, was jedoch auch nur wieder zu einem komplizierten, beliebig interpretierbaren Verfahren führen würde und die Kompetenzen der Prüfer weit übersteigen dürfte.

Kleinstunternehmen der IT sind auch Arbeitgeber

Neben der bleibenden Verunsicherung von Auftraggebern und Projektvermittlern hätte eine starre Bewertung von Einzelaufträgen mittels Kriterienkatalog eine sehr oft falsche Interpretation des Selbständigen-Status durch die DRB zur Folge. Diese Praxis hätte dann nicht nur signifikante Auswirkungen für die IT-Selbständigen. Auch die Wirtschaft und der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland wären betroffen.

Laut dem Bundesamt für Statistik gab es im Jahr 2012 allein in der Gruppe der Kleinstunternehmen (1–9 Beschäftigte) im Sektor der freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen rund 345.000 Unternehmen mit insgesamt ca. 773.000 Beschäftigten. Zu den Beschäftigten werden der Unternehmer selbst, unbezahlt mithelfende Familienangehörige und abhängig Beschäftigte gezählt [2]. Im Durchschnitt handelt es sich also um Betriebsgrößen von ca. 2,25 tätigen Personen. Den größten Anteil an abhängig Beschäftigten stellen übrigens die Kleinstunternehmen.

Kleinstunternehmen der IT zahlen 40-mal so viel Steuern, wie sie Subventionen erhalten

Die Kleinstunternehmen der freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen erwirtschafteten im Jahre 2012 einen Umsatz von ca. 52,5 Milliarden Euro, pro Kopf also 67.826 Euro. Das Steuervolumen belief sich auf rund 966 Millionen Euro, die Aufwendungen für die Subventionierung dieser Unternehmen lediglich auf 24 Millionen Euro. Zum Vergleich: Das Steuervolumen von Betrieben im gleichen Sektor mit mehr als 500 Beschäftigten belief sich im selben Jahr auf ca. 410 Millionen Euro und die erhaltenen Subventionen auf 1,8 Milliarden Euro – diese Betriebe erhielten demnach einen mehr als 4-fachen Betrag an Subventionen als das von Ihnen erbrachte Steuervolumen [3]. Die o.g. Zahlen lassen nicht wirklich auf eine potenzielle Schutzbedürftigkeit der IT-Selbständigen schließen. Vielmehr drängt sich die Vermutung auf, dass die DRB hier eine zahlungskräftige Quelle identifiziert hat, die es zur Kompensation von Liquiditätsdefiziten in der Rentenkasse anzuzapfen gilt.

Konjunktur im Sektor Dienstleistungen der Informationstechnologie steigt stetig

Laut Konjunkturstatistik ist die Entwicklung von Dienstleistungen der Informationstechnologie stetig anwachsend [4]. Insbesondere die Bundesregierung sollte sich überlegen, ob der Wirtschaftsstandort Deutschland auf die Leistungen der IT-Selbständigen verzichten kann und will, denn IT-Selbständige

  • tragen zum Steueraufkommen überproportional bei,
  • tragen zu den Transferleistungen an die DRB aus dem von Ihnen geleisteten Steueraufkommen bei,
  • sind ihrerseits ebenfalls Arbeitgeber und Auftraggeber,
  • tragen durch Investitionen zum Wirtschaftswachstum bei und
  • wirken durch ihre fachliche Expertise bei der Entwicklung von Innovationen mit.

Schadensbegrenzung durch unverzügliche Lösungen

Um die derzeitige Entwicklung auf dem IT-Projektmarkt zu stoppen, muss unverzüglich eine Regelung etabliert werden, die keinerlei Interpretationsspielraum hinsichtlich des Status des Selbständigen zulässt. Eine eindeutige rechtliche Grundlage muss geschaffen werden, damit die Auslegung des Sozialversicherungsstatus nicht länger der DRB obliegt und am Ende den  Weg über die Sozialgerichte geht. Die gegenwärtige Praxis kostet alle Beteiligten Zeit, Geld und Nerven.

Viele Möglichkeiten gibt es dabei nicht, wenn eine realistische, rasche und pragmatische Umsetzung gewollt ist. Die Aufgabe der Selbständigkeit zugunsten einer Tätigkeit in Arbeitnehmerüberlassung bzw. Zeitarbeit kann, wie oben ausgeführt, für Selbständige keine Option sein. Die Einführung einer Bürgerversicherung, in der alle, also wirklich und ausnahmslos alle Arbeitsleistenden in der Bundesrepublik Deutschland, ihren Beitrag leisten dürfte mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Einer raschen Umsetzung stehen zu viele Interessengruppen, die es einzubeziehen gilt, entgegen.

Die gegenwärtige Praxis kostet alle Beteiligten Zeit, Geld und Nerven.

Eine Einzahlungspflicht nur für IT- und andere Solo-Selbständige in die DRB dürfte schwierig werden, weil sich der Gesetzgeber dann die Frage gefallen lassen muss, warum diese Selbständigen ausgerechnet bei der Rentenversicherung in die Pflicht genommen werden sollen, sonst aber alle Pflichten und Risiken der Selbständigkeit tragen müssen. Zudem würde diese Verpflichtung zu bereits bestehenden Vorsorgemaßnahmen hinzukommen und u. U. zu einer, wenn nicht unzumutbaren, dann doch unnötigen finanzielle Belastung führen.

Ein machbarer Lösungsansatz ist es hingegen, den Blick von den Gegebenheiten der einzelnen Aufträge und den Arbeitsumständen des Selbständigen zu lösen und stattdessen wieder den ursprünglichen Gedanken des Schutzes wirtschaftlich Schwacher zu verfolgen. Der Deutsche Bundesverband Informationstechnologie für Selbständig e.V., DBITS [5], hat dazu ein Positionspapier entworfen, das die Interessen der IT-Selbständigen in diesem Zusammenhang darlegt. Der DBITS fokussiert dabei die Schutzbedürftigkeit wirtschaftlich Schwacher und empfiehlt, diese anhand eines mindestens zu erzielenden Stundenhonorars in Kombination mit dem Nachweis einer adäquaten Altersversorgung abzugrenzen. Anfänger in der Selbständigkeit werden ebenfalls mit einer Art „Schonfrist“ berücksichtigt. Eine einfache, keine Interpretationsspielraum zulassende Vorgehensweise, die auch ohne weiteres auf Solo-Selbständige anderer Branchen anwendbar ist.

Solo-Selbständige sollten sich dringend mit dem Vorhaben von Bundesregierung und DRB auseinandersetzen.

Da im Koalitionsvertrag zum Themenkreis „Wachstum, Innovation und Wohlstand“ ferner zu lesen ist "Selbstständige und Freiberufler stehen als wesentlicher Teil des Mittelstands im Fokus unserer Wirtschaftspolitik. Wir werden uns für den Erhalt der Selbstverwaltung von Kammern und Verbänden in den Freien Berufen auf europäischer Ebene einsetzen"[6], bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber diese Aussage beherzigt und dabei nicht ausschließlich große Unternehmen im Blick hat.

Auf jeden Fall sollten sich Solo-Selbständige, ob nun in der IT oder einer anderen Branche tätig, dringend mit dem Vorhaben der Bundesregierung und den Aktivitäten der DRB auseinandersetzen. Ein Schulterschluss verschiedener Interessenverbände, deren Mitglieder sich in einer vergleichbaren Situation befinden und ähnliche Ziele verfolgen, wäre dabei ein denkbarer Ansatz.

Auch Individualisten können sich organisieren

IT-Selbständige sind in der Regel Individualisten. Das ist ihre Stärke. Sie bewahren sich ihre Flexibilität und Unabhängigkeit. Sie entscheiden selbst und zwar ständig. Gleichzeitig ist aber auch genau dieser Individualismus ihr schwacher Punkt. Sie sind nur selten organisiert, haben keine wirkliche Interessenvertretung, die genau ihre Belange vertritt. Somit sind sie angreifbar. Es gibt zwar Interessenverbände, die Selbständige vertreten. Aber sind die IT-Selbständigen und Kleinstunternehmen in der IT wirklich die Zielgruppe? Sind die Sorgen und Nöte großer Unternehmen mit mehreren 100 Mitarbeitern oder selbständiger Paketzusteller, Binnenschiffer und nebenberuflicher Selbständiger diverser Branchen dieselben wie die der IT-Selbständigen? Wohl kaum! In Anbetracht dessen, was derzeit auf die IT-Selbständigen zukommt, ist es an der Zeit, sich punktgenau zu organisieren. DBITS ist derzeit die einzige Vertretung für IT-Selbständige. Um das Vorhaben des DBITS zu unterstützen und weil sich gemeinsam einfach mehr erreichen lässt, sollte jeder IT-Selbständige überlegen, ob es vielleicht sinnvoller ist, seine Interessen gemeinsam mit anderen zu vertreten. Ein Zusammenschluss mit Gleichgesinnten wird dem Individualismus mit Sicherheit keinen Abbruch tun.

Quellen

[1] "Deutschlands Zukunft gestalten", Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, S. 49
[2] Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015: Tätige Personen in Unternehmen: Deutschland, Stichtag, Stellung im Beruf, Wirtschaftsabschnitte, Größenklassen (Umsatz / tätige Personen) WZ08-M
[3] Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015: Steuern, Subventionen von Unternehmen Wirtschaftsabschnitte, Größenklassen (Umsatz / tätige Personen), WZ08-M
[4] Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015: Konjunkturstatistik im Dienstleistungsbereich, WZ08-62
[5] DBITS
[6] "Deutschlands Zukunft gestalten", Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, S. 17

Autorin

Kerstin Tammling

Kerstin Tammling ist Leiterin des Arbeitskreises Scheinselbständigkeit des DBITS (Deutscher Bundesverband Informationstechnologie für Selbständig e.V.).
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