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Andreas Slogar 14. Dezember 2021

Agile Denkfehler Nr. 3: Quick Wins

Change-Management-Experten empfehlen die Fokussierung auf Quick Wins, um den Erfolg von Veränderungsprozessen sicherzustellen. Doch gehen diese Schnellschüsse meist auf Kosten realen Wandels. Sie führen zu potemkinschen Dörfern.

Ergebnissucht

Schneller, weiter, höher, billiger! Auch wenn sich allmählich ein Umdenken im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs beobachten lässt: Der betriebliche Alltag ist überwiegend davon geprägt, gesetzte Ziele zu erreichen. Produktivitätsvorgaben sollen erfüllt werden, um Ergebnisse und Gewinne zu erzielen. 

Innovations- und Veränderungsfähigkeit kommen als Faktoren der digitalen Zeit allerdings erschwerend hinzu. Das führt dazu, dass in immer kürzeren Zyklen immer wieder neue Produkte und Dienstleitungen auf den Markt gebracht werden müssen.
Einige Firmen versuchen, dies mit der Optimierung bestehender Vorgehensweisen zu erreichen. Eine wachsende Anzahl anderer Unternehmen versucht, ein völlig neuartiges Modell der Kooperation und Kommunikation in selbstorganisierten Teams zu etablieren. Diese sollen ihrer Arbeit befreit von hierarchischer Steuerung nachgehen.

Ein derartiger Wechsel der Vorgehensweise bringt es natürlich mit sich, dass die Mitarbeiter:innen neue Praktiken, Methoden, Heuristiken und Kenntnisse erlernen und einüben müssen. Das geht vorübergehend auf Kosten von Produktivität und Effizienz. Außerdem trägt der Versuch das Risiko in sich, dass die Veränderung womöglich nicht die erhofften positiven Effekte liefert: wenn Mitarbeiter:innen sich verunsichert fühlen oder nicht ausreichend intensiv dabei unterstützt werden, neue Praktiken zu etablieren; wenn die Führungsmannschaft sich durch den Wechsel in ihrem Status und Einfluss bedroht sieht. Solche Faktoren schlagen sich negativ auf das operative Geschehen des Unternehmens nieder.

Man liest ja immer wieder von gescheiterten strategischen Projekten oder davon, dass die Erfolgsquote von Change-Management-Vorhaben laut Forbes bei nur ca. 30 Prozent liegt. Da erscheint der Wunsch nach schnellen Erfolgen – nach sogenannten Quick Wins – verständlich. Will man doch als Vorstand oder Unternehmenslenker:in einen Beleg oder zumindest erste Hinweise darauf haben, dass sich etwas ändert. Dass Fortschritt zu verzeichnen ist. Dass der Wandel vonstatten geht. Dass die Mitarbeiter:innen mitmachen. Aber sind Forderung, Suche und Hoffnung auf Quick Wins als Indikatoren dafür denn auch geeignet?

Win-Formen

Sehen wir uns hierfür zunächst an, welche Arten von Wins wir beschreiben können, um Fortschritts- oder Veränderungsbelege zu erkennen!

Der überwiegende Teil der Ergebnisse, die in Unternehmen produziert und erreicht werden, verursacht in der Wahrnehmung von Manager:innen und Mitarbeiter:innen einen hohen Aufwand bei geringer Wirkung. Diese Gruppe stellt die operative Realität der meisten Unternehmen dar und nährt den grundlegenden Wunsch nach einer agileren, effizienteren, kreativeren, [...] (bitte setzten Sie in dieser Klammer das jeweils passende Adjektiv ein) Organisation.

Im Quadranten der irrelevanten Ergebnisse tummeln sich all jene, die wir auch Zeitfresser nennen können. Sie lenken uns vom eigentlichen Fokus ab und versetzen uns in Stress, da sie wenig Wirkung zeigen. Dennoch müssen sie eben gemacht werden: ein auszufüllendes Formular, die Reiskostenabrechnungs-Fehlerkorrekturerklärung, die Zeiterfassung etc.  

Unsere Hoffnung liegt allgemein darin, dass unsere Investitionen – seien es Arbeitszeit oder Geld – bei hohem Aufwand auch eine angemessen hohe Wirkung zeigen. Dieser Aufwand soll sich für das Unternehmen bezahlt machen, die Wettbewerbsfähigkeit steigern und Arbeitsplätze sichern.

Mitarbeiter:innen sind schlauer als Manager:innen gerne glauben möchten.

Die Sehnsucht in allen Firmen richtet sich aber auf den Bereich, in dem die "low hanging fruits" wachsen. Dort, wo ein hoher Wirkungsgrad mit geringem Aufwand belohnt wird. Dabei handelt es sich um eben jene Quick Wins, die sich aus der Erwartungshaltung nähren, dass eine neuartige Form der Zusammenarbeit sie mehrt.

Quick Win auf Kosten von Real Win

Renommierte Change-Management-Experten definieren Quick Wins als Notwendigkeit. Allein sie würden den Mitarbeiter:innen und Manager:innen die Zuversicht in den laufenden Veränderungsprozess vermitteln oder erhalten. Ich persönlich kann diesen Gedanken durchaus nachvollziehen. Allerdings habe ich das Phänomen in 30 Jahren meiner eigenen Berufstätigkeit leider nie beobachten können. Und zwar obwohl ich ca. 20 Reorganisationsvorhaben und Change-Management-Experimente beobachten, erleben oder selbst verantworten durfte. Auch wenn meine individuellen Erfahrungen sicherlich keine empirische, sondern höchstens anekdotische Evidenz darstellen, so habe ich eins regelmäßig festgestellt: Quick Wins gehen auf Kosten von Real Wins.
Erkennen konnte ich das an folgenden Phänomenen:

  • Marketing-Bluff: Ergebnisse, die bereits vorlagen, wurden als Quick Wins verkauft.
  • Sterben auf Raten: Um dem Erwartungsdruck des Managements zu entsprechen, wurden Ergebnisse zu Quick Wins konstruiert.
  • Potemkinsche Dörfer: Quick Wins wurden – wie Fassaden – in der Hoffnung aufgebaut, dass sich kurzfristig reale Resultate einstellen würden.

Die fatale Wirkung dieser "Zwischenlösungen" und "Notlügen" ist offensichtlich. Es gibt keine Mitarbeiter:innen, die derartige Chimären nicht früher oder später erkennen würden. Trotz der weitverbreiteten Zweifel am durchschnittlichen Intellekt von Mitarbeiter:innen: Sie sind alle schlauer als Manager:innen gerne glauben möchten. Sie erkennen einen Bluff – egal wie schön die Folien sind, die ihn schmücken.

Damit ergibt sich aus der zersetzenden Wirkung derartiger "Quick Wins" eine hochriskante Hypothek für das Veränderungsvorhaben insgesamt. Denn später eintretende Real Wins müssen überzeugen: Sind sie auch wirklich real? Geben auch sie vielleicht etwas vor, das nicht existiert?

Sein statt Schein

Wie Johann Wolfgang von Goethe schon schrieb: "Jeder will etwas sein, niemand will etwas werden." Der Ruf nach Schnellschüssen, wie wir Quick Wins ins Deutsche übersetzen würden, lässt darauf schließen, dass das schnelle Glück Einzelner wichtiger ist, als der nachhaltige Erfolg des Unternehmens. Und darin liegt allzu oft der wahre Grund, warum es zu "Quick Wins" oder "Fake Wins" kommt.

Überwiegend werden Mitarbeiter:innen aus der mittleren Führungsebene dazu aufgefordert, Quick Wins zu liefern. Oder sie fühlen sich dazu verpflichtet, Schnellschüsse sicherzustellen. So wollen sie ihre individuelle Wirksamkeit und Leistungsfähigkeit als Manager:in unter Beweis stellen. Die Ursachen für diese Verhaltensmuster sind vor allem auf das Klima im jeweiligen Unternehmen zurückzuführen. Der Grad an psychologsicher Sicherheit ist gerade in Unternehmen, die einen hohen Erwartungsdruck an Quick Wins erzeugen, sehr gering.

Einen kontinuierlichen Strom an Wins schaffen – das Quwintinuum

Veränderungsprozesse in Unternehmen sind komplexe Unterfangen. Ihr Verlauf ist nicht vorhersehbar. Sie sind Überraschungen – also dynamischen Einflüssen – unterworfen, die sich erst im eigentlichen Geschehen ergeben. Veränderungen unterliegen einer Eigenzeitlichkeit, die nicht vorausberechnet werden kann. Daher ist es auch unmöglich, den Termin festzulegen, an dem ein Change-Projekt abgeschlossen ist. Es ist eben kein Projekt, sondern ein Prozess. Und dieser sollte im besten aller Fälle nie abgeschlossen sein. Die Fähigkeit der Veränderung ist eine, die sich im Laufe der Zeit selbst immer wieder neuen Einflüssen und Faktoren ausgesetzt sieht. Der Denkfehler liegt darin, Veränderungsfähigkeit als einen finalen Zustand zu verstehen, der in einem Zielfoto festgehalten werden kann.

Er ist vielmehr ein Zustand, in dem ein Unternehmen aus der Fokussierung auf die Produktion vordefinierter Ergebnisse, oder das krampfhafte Starren auf Quick Wins, in die Sicherstellung der Rahmenbedingungen wechselt, die notwendig sind, um ein Kontinuum inkrementeller Ergebnisse herzustellen, die iterativ erreicht werden.

Dann erst kann aus Aufwand und Mühe ein selbstverständliches Quwintinuum entstehen.

Autor

Andreas Slogar

Andreas Slogar war in 24 Ländern, den USA, Europa, dem Mittleren Osten und Afrika tätig und hat u. a. als CIO umfassende Erfahrung in strategischer und operativer Managementarbeit aufgebaut.
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