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Roman Pichler 05. September 2014

Agiles Produktmanagement mit SCRUM

Vor etlichen Jahren war ich an der Entwicklung eines ambitionierten medizintechnischen Produkts beteiligt. Dieses sollte nicht nur die Vorgängerversion ersetzen, sondern zugleich neue Funktionalität anbieten und die Konkurrenz überflügeln. Nach mehr als zwei Jahren Entwicklungszeit wurde das neue Produkt mit hohen Erwartungen in den Markt eingeführt – und floppte. Ein wichtiger Grund für den Fehlschlag waren die vielen Übergaben und komplizierten Entscheidungsprozesse: Das Produktmarketing hatte die Marktforschungsaktivitäten ausgeführt, das Produktkonzept erstellt und es an das Produktmanagement weitergeleitet. Dieses verfasste die Anforderungsspezifikation und übergab diese an den zuständigen Projektmanager. Und der reichte die Dokumente an die Entwicklungsteams weiter. Einen Mitarbeiter, der eine Vision des neuen Produkts kreierte und deren Umsetzung in ein auslieferbares Produkt betreute, gab es nicht.

Die Product-Owner-Rolle

In Scrum ist eine Person für die Entstehung des Produkts und seinen Erfolg verantwortlich – der Product Owner. Übergaben, Missverständnisse und unklare Verantwortlichkeiten werden so vermieden. Dieser Artikel beschreibt die Product-Owner-Rolle im Detail. Er erklärt die Rechte und Pflichten der Rolle zusammen mit ihrer Anwendung.

Die Aufgaben des Product Owner

Der Product Owner ist für den Erfolg des Produkts verantwortlich oder, anders gesagt, dafür, dass das Team möglichst viel Wert schafft [1]. Dies kann bedeuten, ein Renditeziel zu erreichen, einen bestimmten Marktanteil zu erobern, den Markennamen weiterzuentwickeln oder Kosteneinsparungen zu erzielen. Um diese Verantwortung wahrnehmen zu können, muss der Product Owner nach meiner Erfahrung meist folgende Aufgaben übernehmen: die Produktvision erstellen und die Produkt-Roadmap managen; das Product Backlog anlegen und pflegen; das Projekt steuern und das Budget managen; Kunden, Anwender und andere Interessenvertreter einbinden und mit dem Team vertrauensvoll zusammenarbeiten; die Markteinführung bzw. Inbetriebnahme des Produkts vorbereiten. Abbildung 1 stellt die Rolle mit ihren wichtigsten Aufgaben, Artefakten und Einschränkungen kurz und knapp dar.

Der Product Owner ist nicht nur für die Entstehung eines neuen Produkts verantwortlich, sondern betreut auch seine Weiterentwicklung und managt so den Produktlebenszyklus. Dies schafft Kontinuität und unterstützt eine langfristige Erfolgsorientierung. Eine Mitarbeiterbefragung der SAP AG förderte weitere Vorteile zutage: Als Product Owner fühlten sich die Mitarbeiter souveräner, konnten mehr Einfluss geltend machen, hatten mehr Sichtbarkeit, konnten ihre Arbeit besser organisieren und waren motivierter [2]. Auch wenn der Product Owner an herkömmliche Rollen wie Produktmanager oder Projektleiter erinnern mag, ist sie doch neu und eigenständig. Denn die Rolle vereint wesentliche Rechte und Pflichten, die sich traditionell auf verschiedene Schultern verteilen, wie Abbildung 2 zeigt. Durch das Zusammenziehen der Verantwortung werden Übergaben und Informationsverluste, unklare Zuständigkeiten, lange Entscheidungswege und schlechte Kompromisse vermieden.

Trotz seiner herausgehobenen Stellung ist der Product Owner kein Einzelkämpfer, sondern Mitglied des Scrum-Teams. ScrumMaster und Team unterstützen den Product Owner bei der Bewältigung seiner Aufgaben, beispielsweise beim Identifizieren und Beschreiben von Anforderungen oder bei dem Verfeinern von User Stories.

Die spezifische Ausprägung der Product-Owner-Rolle hängt unter anderem von der Art des Produkts, der Produktlebenszyklusphase und der Projektgröße ab. Die Arbeit eines Product Owner für ein neues Produkt aus Software, Hardware und Mechanik unterscheidet sich beispielsweise von der Weiterentwicklung einer iPhone-Applikation. Für kommerzielle Produkte wird die Product-Owner-Rolle typischerweise durch einen Kundenvertreter wie einen Produktmarketingmanager oder Produktmanager besetzt. Der Product Owner agiert demnach als Kundenproxy, wie Abbildung 3 darstellt. Das bedeutet übrigens nicht, dass Teammitglieder nicht direkt mit Kunden und Anwendern kommunizieren. Im Gegenteil: Team und Stakeholder interagieren beispielsweise im Sprint-Review-Meeting (kurz: Sprint-Review).

Kunden, Anwender und andere Interessenvertreter wie das Marketing und der Vertrieb sind zwar wichtige Quellen für Anforderungen und Ideen, in letzter Konsequenz entscheidet aber der Product Owner darüber, wann welche Funktionalität realisiert wird. Dazu gehört es auch, Anforderungen zurückzuweisen, wenn diese nicht hilfreich für das Erreichen des Projektziels sind. Endkunden übernehmen meist dann die Product-Owner-Rolle, wenn es sich um eine Auftragsentwicklung handelt, beispielsweise wenn ein Kunde eine maßgeschneiderte Data-Warehouse-Lösung benötigt oder die Marketingabteilung die Erweiterung einer Webapplikation, wie Abbildung 4 zeigt.

Ich habe Kunden, Anwender, Führungskräfte, Produktmanager, Projektleiter, Business Analysts und Architekten als Product Owner erlebt, die unter den gegebenen Umständen die Rolle gut ausgefüllt haben. Sogar Firmenchefs können als Product Owner agieren, wie im Fall von Ript, einem visuellen Planungstool, das Benutzern erlaubt, den Inhalt von beliebigen Webseiten zusammenzufügen. Die Software war die Idee von Gerry Laybourne, CEO von Oxygen Media, und folglich übte die Firmenchefin die Product-Owner-Rolle für die erste Produktversion aus [3].

Produkt, Projekt und Release

Scrum stellt das Produkt in den Mittelpunkt und spricht von Product Owner, Produktvision und Product Backlog. Der Projektbegriff spielt eine untergeordnete Rolle. Und das hat einen guten Grund: Scrum unterstützt langfristiges und nachhaltiges Wirtschaften. Schließlich ist ein Projekt nur Mittel zum Zweck – es dient der Entwicklung der nächsten Produktversion. Dies veranschaulicht Abbildung 5.

Ein Produkt besitzt eine Version, die ausgewählte Kunden- und Anwenderbedürfnisse adressiert. Diese wird durch ein Projekt entwickelt, das Software ein- oder mehrmals freigibt.

Überlegungen zur Besetzung der Product-Owner-Rolle lösen bei meinen Kunden immer wieder eine Diskussion über den Produktbegriff aus. Denn um die Rolle richtig zu besetzen, müssen wir uns zunächst im Klaren sein, welche Produkte die Organisation bereitstellt und wie diese für ihre Entwicklung geschnitten werden. Ich bevorzuge es dabei, mit schlanken fokussierten Produkten zu arbeiten, die jeweils von einem oder wenigen Teams entwickelt werden können – anstatt ein großes, komplexes Produkt mit einem großen Projekt zu erstellen.

Hilfreiche Eigenschaften des Product Owner

Die richtige Besetzung der Product Owner ist ein Erfolgsfaktor für jedes Produkt, das mit Scrum entwickelt wird. Die nachfolgend aufgeführten Eigenschaften beschreiben nützliche Qualifikationen und hilfreiches Verhalten. Da die Arbeit als Product Owner oft eine neue Erfahrung darstellt, benötigen die Mitarbeiter meist Zeit und Unterstützung, um in die Rolle hineinzuwachsen.

Quellen:

[1] vgl. Schwaber, K., 2011: »Scrum Guide«, SCRUM.

[2] Schmidkonz, C., 2008: »Product Owner at SAP – A New Job Title
Developed.« Presentation at ObjektForum, Stuttgart, September.

[3] Judy, K. H., 2007: »CEO and Team: Collective Product Ownership at Oxygen
Media.« Vortrag beim Scrum Gathering, London, November.

Autor

Roman Pichler

Roman Pichler ist international renommierter Experte für Scrum und agiles Produktmanagement. Er arbeitet als Berater und Trainer und ist Autor mehrerer Bücher.
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