Digitale Champions: Ein neuer Führungsstil für eine moderne Arbeitswelt
Ein langer Atem, Umgang mit Rückschlägen und Weitblick – diese Fähigkeiten beschreiben einen echten Champion. Das ist im wahren Leben nicht anders als im Sport. Besonders in Zeiten der Digitalisierung sind digitale Champions in Unternehmen gefragt, die mit Vision vorangehen, Mitarbeiter motivieren, mitzumachen und sich von möglichen Fehlversuchen und Neustarts nicht abschrecken lassen.
Die Wirtschaft verändert sich kontinuierlich und oft grundlegend. Veränderungsprozesse aber sind kompliziert und wer Unternehmen erfolgreich verändern will, der braucht nicht nur einen langen Atem, sondern sollte sich bewusst sein: In Veränderungen geht es ums Kapieren und nicht ums Kopieren. Nur so sind erfolgreiche Change-Prozesse möglich. Die schwindelerregende Geschwindigkeit der digitalen Entwicklung ist nicht nur positiv und so sehen sich Führungskräfte mit einer VUKA-Welt konfrontiert. Das steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität und beschreibt die oft schwierigen Rahmenbedingungen der Unternehmensführung [1]. Es bedarf daher einer Leadership-Persönlichkeit, die nicht einfach nur einem bestimmten Schema folgt, sondern diesen Wandel lebt und versteht. Es ist also kein Wunder, dass viele Unternehmen an der Digitalisierung scheitern, weil sie versuchen, Schablone A oder Schablone B anzuwenden, ohne die individuellen Facetten des eigenen Unternehmens überhaupt in Betracht zu ziehen.
Digitalisierung: Wie man es (nicht) machen sollte
Inzwischen haben fast alle Unternehmen begriffen, dass die digitale Arbeitswelt längst kein Zukunftsmodell mehr ist, sondern im Hier und Jetzt angekommen ist. Spätestens mit der Corona-Pandemie ist der digitale Arbeitsplatz zuhause Normalität geworden und zahlreiche Business-Meetings laufen nur noch online. Doch das allein macht noch keine erfolgreiche Digitalisierung aus. Einer der größten Fehler, den Unternehmen machen, ist tatsächlich, dass sie nur an die Technik, nicht aber an den Menschen denken. Manchmal neigen Unternehmen dazu, eine toll klingende neue Technik einzuführen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welchen Mehrwert sie ihnen überhaupt bringt. Eine neue Kundendatenbank ist nur dann sinnvoll, wenn sie entweder neue Daten bereitstellt, die dabei helfen Kundenbedürfnisse besser zu befriedigen, oder in der Anwendung sehr viel nutzerfreundlicher ist. Und es bringt nichts, eine neue Kommunikationssoftware einzuführen, wenn es bereits Kommunikationskanäle gibt, mit denen die Mitarbeiter sehr zufrieden sind. Im Zweifelsfall lehnen sie die neue Software ab und das Unternehmen hat völlig umsonst darin investiert.
Blinder Aktionismus oder Digitalisierung nur um der Digitalisierung willen sind also fehl am Platz. Manchmal ist dieser blinde Aktionismus allerdings nichts weiter als ein Angstreflex – ein "irgendwas müssen wir jetzt auch machen". Dieser Angstreflex kann sich auf der anderen Seite auch in einer kompletten Verweigerungshaltung ausdrücken. "So haben wir das aber immer gemacht" oder "so haben wir das aber noch nie gemacht" sind da typische Beispiele einer derartigen Verweigerungsreaktion. Doch nur weil man die Digitalisierung nicht mitmachen will, verschwindet sie nicht. Vielmehr gilt es hier, etablierte und überholte Denkmuster zu durchbrechen. Solche Denkmuster machen sich nicht nur in reiner Verweigerung deutlich, sondern auch in dem (unbewussten) Versuch, einfache analoge Prozesse eins zu eins in eine digitale Welt zu übertragen, ohne grundlegend die Strukturen zu überdenken. Ein Beispiel: Statt per Papier werden Unterlagen jetzt als PDF versendet und abgespeichert. Doch so lassen sich die Potentiale der Digitalisierung nicht ausschöpfen.
Einige Unternehmen neigen reflexartig dazu, die Digitalisierung in die IT-Abteilung oder ins Marketing auszulagern.
Wer allerdings die Digitalisierung annimmt, steht vor einem weiteren Problem, das schnell abschreckt: Nicht immer funktioniert eine neue Software am Anfang so, wie man sich das vorgestellt hat. Man muss sich also als Unternehmen bewusst sein, dass es vielleicht eine längere Testphase gibt, nach der man die entsprechende Software noch einmal anpassen muss. Wer also nach dem ersten Test direkt aufgibt, dem wird es nicht gelingen, Digitalisierung erfolgreich umzusetzen. Das gleiche gilt für Unternehmen, die direkt alles wollen. Bedenkt man den angesprochenen Testaspekt, dann kann sehr teuer werden, wenn man sämtliche Soft- und Hardware direkt auf neue Systeme umstellt, nur um dann festzustellen, dass alles nicht so funktioniert, wie man sich das vorgestellt hat. Natürlich ist es empfehlenswert, einen langfristigen Projektplan zu entwickeln, aber man sollte diesen dann in entsprechend kleine und realistische Schritte aufteilen.
Grundsätzlich sollte man sich immer bewusst sein: Digitalisierung betrifft alle Unternehmensbereiche. Dennoch neigen einige Unternehmen reflexartig dazu, das Thema in die IT-Abteilung oder ins Marketing auszulagern, schließlich kennen die sich damit aus. Dabei ist genau hier Leadership gefragt. Es geht darum, eine Vision für die Unternehmenszukunft zu entwickeln und die Mitarbeiter auf diesem nicht immer leichten Veränderungsprozess mitzunehmen. Es bedarf digitaler Champions auf der Führungsebene und nicht eines Managers, der Digitalisierung als unbequemes Thema irgendwohin abschiebt. Immerhin kann die Digitalisierung alle Unternehmensbereiche verändern – von der internen Kommunikation über die Buchführung bis hin zum Umgang mit den Kunden. Dies sollte man bei der Digitalisierung immer mit im Blick haben. Erfolgreiche digitale Modelle haben eines gemeinsam: Sie bieten Kunden einen Mehrwert und sind einfach zu bedienen. Man denke hier an Unternehmen wie Paypal oder Uber. Wer eine neue Lösung entwickelt, sollte sie also nicht nur in der eigenen IT-Abteilung testen, sondern auch die Anwender-Zielgruppe miteinbeziehen, seien es die Mitarbeiter für interne digitale Lösungen oder die Kunden, denen man ein neues Portal oder eine neue App zur Verfügung stellen möchte.
Der Mensch und nicht allein das methodische Know-how sollte in der Digitalisierung im Fokus stehen. Die Lösung kann nicht in neuen Techniken, Strukturen oder Prozessen liegen. Die Lösung liegt in den Menschen und einem neuen Bewusstsein. Man muss sich entsprechend intensiv damit auseinandersetzen, welchen Einfluss diese Entwicklungen zum Beispiel auf die Art der Unternehmensführung haben und was Leadership in einer digitalisierten Arbeitswelt eigentlich bedeutet.
Digitale Champions: Neue Rollen für Führungskräfte
"Führungskräfte müssen navigieren, moderieren und kommunizieren", sagt zum Beispiel Sebastian Dettmar, Geschäftsführer bei Stepstone. Die Online-Jobplattform hat gemeinsam mit Kienbaum in einer Studie einen Blick auf Führungskräfte geworfen und dabei festgestellt: "Sechs von zehn Fachkräften glauben, dass das Führungsverhalten ihres Chefs derzeit nicht geeignet ist, um flexibel auf sich permanent wandelnde Märkte zu reagieren." [2] Was also tun?
Eines der neuen Modewörter in Unternehmen ist Selbstorganisation und damit sind nicht Führungskräfte, sondern Mitarbeiter gemeint. Doch übernehmen Mitarbeiter mehr Verantwortung und Selbstorganisation, dann hat das Einfluss auf die Rolle und Aufgaben von Führungskräften im digitalen Zeitalter. Führungskräfte sollten sich bewusst sein, dass Menschen und Organisationen sich kontinuierlich verändern. Das betrifft neben den Kunden eben auch die Mitarbeiter. Eine große Veränderung haben wir jüngst in der Corona-Pandemie erlebt: Das Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und das digitale Arbeiten von so gut wie jedem Ort der Welt wurden in der Geschäftswelt gefühlt bereits seit Ewigkeiten diskutiert. Aber erst unter dem Druck der Pandemie setzten das dann selbst diejenigen Unternehmen in die Tat um, die solchen Arbeitsmodellen bislang skeptisch gegenüberstanden, weil zum Beispiel der Chef Angst hatte, Kontrolle über die Mitarbeiter zu verlieren. Inzwischen läuft die Debatte erneut, denn viele Mitarbeiter wollen gar nicht mehr voll in den Büroalltag zurückkehren und erwarten, dass Unternehmen ihnen zumindest ein 3-zu-2-Modell anbieten. Drei Tage zuhause, zwei Tage im Büro. Oder umgekehrt. Führungskräfte in der modernen Arbeitswelt werden sich zukünftig noch stärker auf derartige Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter einlassen müssen. 2025 werden bereits etwa 70 Prozent der Mitarbeiter Millennials oder jünger sein und die haben andere Ansprüche als vorangegangene Generationen: Sie wollen mehr mitentscheiden und nicht erst auf den nächsten Karriereschritt warten, der ihnen das vertraglich ermöglicht. Nur noch wenige haben heute die Absicht, in einer hierarchisch geprägten Organisation möglichst schnell die Karriereleiter zu erklimmen [2].
Die Führungskraft als Navigator und Kommunikator
Diese Entwicklung erfordert Führungskräfte, die jungen Mitarbeitern neue Freiräume einräumen und sie auf allen Ebenen unterstützen. Gespielte Allwissenheit und Durchsetzungsvermögen sind nicht mehr gefragt, stattdessen müssen moderne Führungskräfte die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter erkennen und gekonnt miteinander verknüpfen. Flexible firmeninterne Netzwerke und Teams haben gegenüber klaren Machtstrukturen an Bedeutung gewonnen. Junge Mitarbeiter wollen zudem nicht einfach einen Job, sondern einen sinnvollen Job. Ist das nicht der Fall, dann wechselt rund die Hälfte statistisch gesehen innerhalb von zwei Jahren in ein anderes Unternehmen oder gar in einen anderen Beruf. Und das bringt einen direkt zu einem anderen wichtigen Trend, den digitale Champions im Blick haben sollten: Flexibilität.
Gespielte Allwissenheit und Durchsetzungsvermögen sind nicht mehr gefragt.
Die Welt um uns herum verändert sich sehr viel schneller, als das noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Das bedeutet, dass sich die Innovationszyklen verkürzen, bei zeitgleich exponentiellen Wachstumschancen digitaler Produkte. Darüber hinaus hat die Digitalisierung es möglich gemacht, Produkte und Dienstleistungen international miteinander zu vergleichen, zu kaufen und zu verkaufen. Das hat selbstverständlich auch die Ansprüche und Erwartungen von Kunden verändert. Vorbei ist die Zeit, in der man das Unternehmen im Nachbarort anheuerte, nur weil es das einzig bequem erreichbare war. Heute bedarf es nur weniger Mausklicke, um Angebote, Preise und Bewertungen miteinander zu vergleichen. Im Zweifelsfall heuert man dann zum Beispiel für einen Webauftritt einen Softwareentwickler in den USA an, lässt Fotos von einem Fotografen in Brasilien anfertigen und die Texte in Österreich schreiben. Gerade digitale Produkte sind nicht länger ortsgebunden. Das bedeutet einen sehr viel stärkeren Innovationsdruck. Wer da als Unternehmen nicht mithalten kann, der verschwindet schnell von der Bildfläche. Das wiederum ist eine neue Herausforderung für Führungskräfte, denn es reicht nicht mehr, allein das Kerngeschäft zu optimieren. Vielmehr müssen Führungskräfte kontinuierlich einen Blick auf Innovationen haben und parallel neue Geschäftsfelder mitentwickeln. Experten sprechen hier von einer beidhändigen Führung oder Ambidextrie [3].
Moderne Führungskräfte haben neue Rollen, zum Beispiel als Navigator, der gute Teams zusammenstellt und die notwendigen Organisationsstrukturen schafft. Ansonsten aber sind die Hierarchien eher flach, Shared Leadership ist hier ein Kernbegriff und bedeutet, dass Teammitglieder einzelne Führungskompetenzen übernehmen, die ihrem Wissen und ihren Kenntnissen entsprechen. Ein guter Dialog ist dabei Kernvoraussetzung, denn gerade angesichts der beschriebenen schnellen Veränderungen ist es wichtig, dass Führungskräfte immer bestens informiert sind und im Zweifelsfall schnell reagieren können. Nur wer mit seinen Mitarbeitern kommuniziert, kann sich den ständig verändernden Rahmenbedingungen anpassen. Bedenkt man dann noch die Entwicklungen hin zu Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten, so wird der Kommunikationsaspekt doppelt wichtig. Es fehlt der Kaffeeklatsch im Flur und so bedarf es neuer Kommunikationswege, um nicht nur über Entwicklungen im Bilde zu sein, sondern auch die Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen zu stärken – trotz räumlicher Distanz. Und das erfordert eine eher klassische Führungsfähigkeit, an der Chefs häufig genug scheitern: Empathie.
- Wikipedia: VUKA
- Stepstone: Führung und Arbeit in der Digitalen Revolution
- A. Amerland: Beidhändige Führung ist ein ideales Denk- und Handlungsmodell
Dr. Julia Duwe, 2020: Beidhändige Führung