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Katja Roth & Ingo von Komorowski 02. Oktober 2018

Erfolgreiche Veränderung beginnt im Management

Wie funktioniert Veränderung in einem ganz typischen deutschen mittelständischen Unternehmen? Dies ist eine Geschichte, die von wahren Ereignissen inspiriert ist. Sie berichtet davon, was Führungskräfte ganz konkret tun können, um Unternehmen zu verändern und welche Art von Führung benötigt wird, um die Fähigkeiten der Organisation zu innovativen Kundenlösungen zu entfalten. 

Ein stabiles Unternehmen

Wir berichten in unserer Geschichte von einem mittelständischen Industrieunternehmen mit 300 Mitarbeitern, das seit vielen Jahren mit einem unveränderten Geschäftsmodell international erfolgreich ist. Die Produkte unseres Unternehmens, das es genauso gegeben haben könnte, sind sehr teure und spezialisierte Maschinen. Entsprechend lang sind die Entwicklungszyklen. Die Strukturen dieses Unternehmens sind seit langem etabliert, die Fluktuation ist gering. Das Management organisiert, plant und kontrolliert, wie es in einem nach dem Grundprinzip einer klassischen Hierarchie organisierten Unternehmens üblich ist.

Eine gute Führungskraft 

In unserem Unternehmen arbeitet eine gute Führungskraft, nennen wir sie Stefan. Stefan hat vier Teamleiter unter sich, die wiederum Teams mit ca. 5-10 Mitarbeitern führen. Stefan ist nicht nur Manager. Er ist auch ein echter Macher. Wenn etwas in seinem Bereich nicht funktioniert, erledigt er die Arbeit selbst.

Wolken am Horizont

Dennoch läuft es nicht mehr so richtig rund. Die operative Hektik ist enorm. Alle sind überlastet. Nichts wird schnell genug fertig. Und obendrein wurde in Stefans Bereich schon lange nichts Neues mehr auf den Markt gebracht. Ganz anders der Wettbewerb, der gefühlt den Markt mit neuen Produkten überrollt.

Stefan besucht jedes Jahr die Hannover Messe. Seit einigen Jahren verlässt er sie mit einem zunehmend unangenehmen Bauchgefühl und vielen unbeantworteten Fragen:

  • Wie lange werden wir mit unseren Produkten noch erfolgreich sein?
  • Wie geht eigentlich Innovation?
  • Betrifft uns die Digitalisierung auch?
  • Wie können wir uns die Digitalisierung zunutze machen?
  • Wann haben wir das letzte Mal etwas Neues auf den Markt gebracht?
  • Werden unsere Produkte künftig überhaupt noch gebraucht?
  • Wie können wir neue Produkte entwickeln und sie erfolgreich auf den Markt bringen?
  • Wie können wir in Zukunft erfolgreich sein?

Auch wenn die Verkaufszahlen recht gut sind: Je mehr Stefan über die Fragen nachdenkt, desto größer wird seine Sorge über die Zukunft. Er ahnt, dass seine Mitarbeiter die anstehende Arbeit ohne große Leidenschaft machen. Obendrein ist es unheimlich kompliziert, voranzukommen. Früher konnte man direkt zum Kollegen aus einem anderen Bereich gehen, wenn man etwas brauchte. Heute gibt es Prozesse, die alles regeln und gleichzeitig sehr bremsen. 

Lediglich mit dem Hey-Joe-Prinzip, dem gezielten Umgehen der vorgesehenen Prozesse, lassen sich Aufgaben schnell und erfolgreich bewältigen. Die Mitarbeiter haben kaum Kontakt zu Stefan und beklagen sich, nicht zu erfahren, was im Unternehmen passiert. Hinzu kommen sinnentleerte Routinen, wie die jährlichen Mitarbeitergespräche. Alle wissen, dass sich nichts ändert, dennoch muss jeder da durch. All das hat Stefans Mitarbeiter abstumpfen lassen. 

Veränderung 1.0

Stefan und seine Führungskräfte-Kollegen haben schon vor längerer Zeit verstanden, dass es eine Veränderung braucht, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen. 

Die alten Prozesse funktionierten offensichtlich nicht, daher wurden neue eingeführt. Durch die Fusion zweier zuvor getrennt operierender Teams sollten Synergien erreicht und Doppelarbeit einspart werden. Mit der Einführung von Zielvereinbarungen sollte eine Steigerung der Arbeitsleistung bewirkt werden. Und zur Verbesserung des Betriebsklimas und der Kommunikation wurde der Pausenraum modernisiert und ein Kicker aufgestellt. 

Im Ergebnis: Die Team-Fusion erzeugte Widerstand. Still und heimlich kehrten die Mitarbeiter nach einer Weile zur alten Arbeitsweise zurück. Die Zielvereinbarungen stellten sich als unrealistisch heraus und brachten statt des ersehnten Motivationsschubs Demotivation. Ständig wurden die Mitarbeiter mit Aufgaben betraut, die ihrer Zielvereinbarung nicht zuträglich waren. Der Kicker wurde kaum benutzt. 

Kulturarbeit statt pauschaler Lösungen

Zwei Jahre sind seit der Umsetzung der Maßnahmen vergangen – mit dem Effekt, dass Stefan nur noch besorgter ist. Wenn all diese Maßnahmen nichts bringen, was kann dann noch getan werden, um Innovationsfähigkeit und Mitarbeitermotivation zu heben?

Auf diese Frage gibt es aus unserer Sicht – und wie Stefans Erfahrungen zeigen – keine pauschalen Antworten und ebensowenig pauschale Lösungen.

Wie sich zeigte, garantieren gute Lösungen allein noch keine Veränderung in die gewünschte Richtung. Das liegt daran, dass die Kultur eines Unternehmens sich nur langsam ändert. Menschen streifen alte Gewohnheiten nur langsam ab und Neues ist immer auch ein bisschen beängstigend. Die Geschichte, dass was wir das schon immer so gemacht haben, ist also wie ein konservativer Magnet, der uns zurückhält. Um Neues zu erreichen, braucht es daher Mut, Vertrauen, Ausdauer und Übung.

Was ist Unternehmenskultur?

Unternehmenskultur bezeichnet die von Mitarbeitern und Führungskräften des Unternehmens gemeinsam geteilten Grundannahmen, Wertvorstellungen, Verhaltensnormen und Denkhaltungen, die das betriebliche Miteinander prägen. Sie entwickelt sich unbewusst und teilweise auch unbeabsichtigt. Aber das eingeübte bzw. erlernte Verhalten bleibt nicht immer zweckmäßig, wie etwa das Hey-Joe-Prinzip. Konnten zur Zeit der Unternehmensgründung Aufgaben auf Zuruf erledigt werden, hebelt es heute die Prioritäten aus. Was ehemals sinnvoll war, kann in geänderten Strukturen und Arbeitsabläufen aber dysfunktional wirken. 

Will man diese dysfunktionalen Verhaltensweisen, die auf der Organisationskultur gründen, ändern, bedarf es einer Änderung der Unternehmenskultur. Leitbild- und Kultur-Workshops allein helfen hier nicht. Denn für Mitarbeiter wie Führungskräfte gilt: es genügt nicht, das Neue gesagt zu bekommen, um richtig zu handeln. Und ist das Neue überhaupt das Richtige?

Wenn sich die Führungskraft nicht bewegt, werden sich auch die Mitarbeiter nicht bewegen. 

Unternehmenskultur kann nur durch individuelle Verhaltensveränderungen und damit einhergehende Übung und Lernprozesse beeinflusst werden. Mitarbeiter haben ein seismographisches Gespür dafür, was von Ihnen erwartet wird und sie werden sich stets danach verhalten.

Stefan und seine Kollegen haben neue Prozesse eingeführt, aber ihr Verhalten gegenüber den Mitarbeitern nicht verändert. Wenn ein Problem auftritt, löst Stefan es als Macher selbst. Und zwar unabhängig von den unternehmensstrategischen Prioritäten. Seine Mitarbeiter wissen genau, dass er von ihnen dasselbe erwartet. 

Das jedoch läuft den neuen Prozessen zuwider. Ein Mitarbeiter, der für ein Projekt eingeplant ist, soll sich nicht auch noch um das Tagesgeschäft kümmern. Es hätte den Effekt, dass die Projekte nicht fertig werden, weil immer irgendwelche Probleme auftreten. Die Mitarbeiter halten sich nicht an die vereinbarten Prioritäten, sondern springen weiterhin mit viel Engagement in die Lösung jedes Problems, das ihnen begegnet, ganz wie Stefan es ihnen vorlebt. Dass es mit den Innovationsprojekten nicht vorangeht, muss wohl nicht erwähnt werden.

Wenn sich Erwartungen und Verhalten der Führungskräfte nicht ändern, ändert sich das Verhalten der Mitarbeiter auch nicht, da sie sich an den Erwartungen und am Verhalten der Führung orientieren. Mit anderen Worten: wenn sich Stefan nicht bewegt, werden sich auch seine Mitarbeiter nicht bewegen. Und bis bisher hat Stefan nur versucht, die anderen zu verändern...

Veränderung 2.0

Das, worauf die Führungskräfte spürbar Wert legen, worauf sie also ihren Fokus richten, worauf sie positiv, negativ oder gar nicht reagieren, beeinflusst das Verhalten ihrer Mitarbeiter. Wenn Stefan sein Verhalten konsequent beharrlich verändert, löst das eine Kettenreaktion aus. Seine Teamleiter müssen dann ihr Verhalten ebenfalls anpassen, wodurch sich schlussendlich die Rahmenbedingungen für das Handeln ihrer Teams verändern. Demnach müssten Stefan und seine Kollegen "einfach" nur ihr Führungsverhalten ändern.

Reflexion ist ein guter Startpunkt

Das gelingt am besten, indem sich die Führungskraft zunächst einmal selbst begreift. Erst wenn sie sich ihrer selbst bewusst ist, kann sie durch Veränderung des eigenen Verhaltens erfolgreich auf ihre Mitarbeiter als Vorbild wirken. Wie fängt man an, "sich selbst bewusst zu werden"? Am einfachsten durch gezieltes Nachdenken darüber, was man in einer Situation hätten besser oder anders machen können, um künftig bessere Ergebnisse zu erzielen. Reflexion hilft Widersprüche zu erkennen und die eigenen Grundannahmen zu verändern.

Wie viele Führungskräfte hat sich Stefan bislang kaum Zeit für Reflexion genommen. Von seinen Mitarbeitern erwartet er dagegen, dass sie vom Konzept kontinuierlicher Verbesserungen und vom ständigen Lernen begeistert sind. Im Wissen, dass sich etwas ändern muss, recherchiert er über das Thema Reflexion und stößt auf erfolgreiche Führungskräfte, die das Thema Selbst-Reflexion in ihren Baukasten für erfolgreiche Führung aufgenommen haben.

Ein Beispiel für erfolgreiche Selbst-Reflexion

Harry Kraemer, ehemals CEO von Baxter International Inc. mit über 50.000 Mitarbeitern, heute Professor an einer renommierten Business School, führt einen guten Teil seines Erfolgs auf seine allabendliche Reflexion zurück [1]. Seine Erkenntnisse hält er schriftlich fest.

Fragen, die er sich stellt:

  • Was lief heute gut und was war nicht zufriedenstellend?
  • Habe ich heute selbstreflektiert gehandelt oder habe ich mich von Dringlichkeiten des Tages und Emotionen beherrschen lassen?
  • Habe ich meinen Worten entsprechend gehandelt, oder bin ich hinter meinen eigenen Erwartungen zurückgeblieben?
  • Wie habe ich meine Mitarbeiter geführt? Kann ich stolz darauf sein?
  • Was würde ich anders machen, wenn derselbe Tag jetzt noch einmal beginnen würde?

Wie viel Zeit Harry Kraemer für die Selbst-Reflexion investiert, wissen wir nicht. Allerdings berichtete Kai Lüssem, Ex-Investmentbanker, Restaurantketten-Gründer, aber auch früherer Aufmerksamkeitsdefiziteur und Handy-Junkie, dass er inzwischen morgens etwa 30 Minuten einen Termin mit sich selbst hat. In der Zeit meditiert er, macht Atemübungen und schenkt nur sich selbst Aufmerksamkeit. Danach teilt er sich seinen Tag in feste Zeitscheiben ein. "Das ist sehr ritualisiert und so versuche ich auch Rituale in meinen Tag einzubauen. Ich arbeite ausschließlich in Blöcken" berichtete Kai Lüssem auf der New Work Future-Konferenz in Hamburg. Um dahin zu kommen brauchte er viel Übung und Anleitung und Anfangs eine starke Inspiration [2]

Zurück zu unserem Protagonisten Stefan. Inspiriert von solchen Beispielen beginnt er, sich fortan täglich diese Fragen zu stellen:

  • Was habe ich heute beobachtet? Was war gut? Was war nicht zufriedenstellend? 
  • Woran könnte das liegen, was nicht zufriedenstellend war? Was hat mein Verhalten dazu beigetragen? Was hätte ich besser machen können?
  • Wie habe ich meine Mitarbeiter geführt? Kann ich stolz darauf sein?
  • Was würde ich anders machen, wenn derselbe Tag jetzt noch einmal beginnen würde?

Dafür genügen ihm 30 Minuten und er kann seiner operativen Arbeit dann besser als zuvor nachgehen.

Reflexion über sein Verhalten gegenüber den Mitarbeitern

Stefan reflektiert aber nicht nur sich selbst, sondern geht auch seine Teamleiter systematisch der Reihe nach durch und macht sich zu jedem Notizen. Dabei stellt er sich folgende Fragen:

  • Wie habe ich die einzelnen Mitarbeiter in letzter Zeit wahrgenommen?
  • Wirken die Mitarbeiter zufrieden und haben sie Spaß an der Arbeit oder nehme ich einzelne von ihnen anders wahr?
  • Wenn Letzteres der Fall ist: Woran könnte das liegen? Was hat mein Verhalten dazu beigetragen? Was hätte ich besser machen können?
  • Wann habe ich das letzte Mal ein positives Feedback gegeben? 

Zutaten für eine erfolgreiche Reflexion

Die regelmäßige Selbst-Reflexion ist der Startpunkt, die Beobachtung der Teamleiter der erste Schritt. Um weitere Schlüsse für sich und das Unternehmen zu ziehen, braucht Stefan mehr Informationen. Bislang hat er nur wenig Zeit zum "Beobachten" und "Wahrnehmen" aufgewendet. Zwar weiß er, was in den Besprechungen passiert, an denen er teilnimmt und welche Auswirkungen sein direktes Tun hat. Er weiß aber nicht, was seine Mitarbeiter wirklich bewegt. 

(Management by) Walking around – Wissen was los ist

Nötig ist der direkte persönliche Kontakt zu den Mitarbeitern. Um diesen herzustellen, beschließt Stefan, zweimal pro Woche 30 Minuten lang durch seinen Bereich zu gehen und seine Mitarbeiter an ihren Arbeitsplätzen aufzusuchen. Management by Walking around (MBWA) nennt man dies. Direkt am Arbeitsplatz angetroffen, ist die Bereitschaft zum offenen Gespräch größer als in offiziellen Besprechungen. Und die Führungskraft kann sich obendrein ein eigenes Bild davon machen, wie das Unternehmen auf operativer Ebene funktioniert. 

Mittels MBWA kann sich das Management den Problemen der Mitarbeiter nähern und einen für beide Seiten fruchtbaren Gedankenaustausch initiieren. Gleichzeitig sinkt die Barriere, Stefan anzusprechen. Er ist ja eh gerade vor Ort und hat offenbar Zeit für ein kurzes Gespräch.

Doppelschleifen-Lernen – den Dingen auf den Grund gehen

Die Gespräche und Beobachtungen vor Ort führen Stefan schnell zu neuen Erkenntnissen. Er erkennt, welche Dinge Leidenschaft und Innovationsbereitschaft der Mitarbeiter extrem behindern.

Da sind beispielsweise die Mitarbeiter, die aufgrund des komplizierten Einkaufsprozesses lange auf dringend notwendige Fertigungsmittel warten müssen. Oder die Qualitätssicherung (QS), die nur alle zwei Wochen Zugriff auf die Testsysteme hat, was die Entwicklung neuer Produkte immer weiter verzögert. Zwei von sehr vielen Beispielen.

Wie kann die Führungskraft nun zur nachhaltigen Lösung der Probleme beitragen? Anhand des einfachen Beispiels der Systemverfügbarkeit für die Qualitätssicherung aus unserem Beispielunternehmen wollen wir das Prinzip des Doppelschleifen-Lernens vorstellen. Aus den Gesprächen mit den Mitarbeitern erfuhr Stefan, dass das Problem dadurch entsteht, dass die Anlagen ständig von den Key Usern für Präsentationszwecke genutzt werden. Im ersten Schritt löst Stefan das Problem klassisch per Anordnung und sorgt kurzfristig dafür, dass die QS testen kann. Ergebnis: "QS kann diesen Sprint testen". Eine kurzfristige, wenig aufwändige Lösung, der QS ein System zur Verfügung zu stellen. Allerdings tritt kurze Zeit später das Problem erneut auf. Stefan greift wieder ein und sorgt erneut per Ansage dafür, dass die QS testen kann. Das nennt man Einschleifen-Lernen oder einfaches Verbesserungslernen. Diese Form des Verbesserungslernens greift auf der Ebene der Handlungsstrategien, hier: dafür zu sorgen, dass QS testen kann. Es klammert dabei die Leitwerte aus, die zum ursprünglichen Problem geführt haben, hier: "Kundenkontakt ist wichtiger als die Produktentwicklung" (zugleich im Widerspruch zu: "Wir brauchen mehr Neuerungen").

Diese Lösung ist offensichtlich nicht nachhaltig. Das Ziel "QS kann diesen Sprint testen" ändert sich in "QS kann jeden Sprint am System testen". Dieses Ziel kann Stefan jedoch mit der bisherigen Handlungsstrategie und ohne das Leitbild zu ändern, nicht erreichen. Ursachenforschung ist nötig. Das nennt man Lernen mit einer Doppelschleife.

Als Nächstes folgt wieder eine einzelne Schleife, nämlich die in der Stefan z. B. lernt, dass der von ihm und seinen Kollegen im Führungsteam geprägte Grundsatz "Kundenkontakt ist wichtiger als die Produktentwicklung" aufgegeben werden muss, sofern er Innovation möchte. Stattdessen gibt er das Prinzip "Kundenkontakt und Produktentwicklung sind gleich wichtig" aus. Das löst den Konflikt nicht unmittelbar, schafft aber die Grundlage für eine langfristige Lösung, die Stefan gemeinsam mit QS und Key Usern erarbeiten kann. Die langfristige Lösung sah dann so aus: Da die Anschaffung einer eigenen Testmaschine für die QA irrsinnig teuer gewesen wäre, einigten sich alle Beteiligten auf folgende Lösung: Anstatt alle drei vorhandenen Systeme bevorzugt dem Vertrieb für Kundenzwecke zur Verfügung zu stellen, wurde entschieden, dass eines der Systeme fortan ausschließlich für die Entwicklung reserviert wurde. Außerdem wurde entschieden, Entwicklungskapazität für die Implementierung eines Simulators zu spendieren. Das half fortan Entwicklern und Key Usern, die nun nicht mehr alles auf einer teuren Testmaschine testen mussten.

Das Konzept des Doppelschleifen-Lernens geht auf Chris Argyris und Philosoph Donald Schön zurück [3]. Es ermuntert dazu, das eigene Handeln zu reflektieren, aber vor allem auch die persönlichen Normen, Werte, Taktiken und Ziele infrage zu stellen und zu ändern. Das Doppelschleifen-Lernen ermöglicht eine Verhaltensänderung, die über situatives Ändern hinausgeht. Die Frage "Woran könnte das liegen, was nicht zufriedenstellend war?" kann damit nachhaltig bearbeitet werden.

Perspektivwechsel: Ich sehe was, was Du nicht siehst

"Ich sehe was, was du nicht siehst!" Dieses Spiel spielen wir als Erwachsene unbewusst weiter. Jeder sieht die Welt so einzigartig, wie er ist.
In der Erklärung, Beurteilung und Bewertung von Phänomenen gibt es keine Wahrheit, sondern – systemtheoretisch ausgedrückt – konstruierte Wirklichkeiten, die auf sehr unterschiedlichen Kontexten und (subjektiven) Erfahrungen beruhen. Daraus folgend gibt es nicht immer eindeutige Antworten auf die Frage der Zusammenhänge und Entstehungsmuster. Dies zu beachten ist wichtig, um neue Lösungen zu finden und unumgänglich in einer komplexen Umwelt. Perspektivwechsel einnehmen zu können impliziert in unserem Fall die Ausweitung der systematischen Reflexion auf weitere Personen und Ebenen. Eine gute Methode hierfür sind Weekly Insights und Reflection Boards.

Weekly Insights und Reflections Board

Stefan erzielt erste Erfolge, z. B. das reibungslose Testen. Er berichtet nach einigen Monaten auf Führungskräftetreffen darüber. Er zeigt seine Beobachtungen, die Hypothesen, die er über vermutete Ursachen aufgestellt hat und wie er jeweils sein Verhalten verändert hat.

Und er schlägt ein weiteres Experiment vor: Das Führungsteam trifft sich künftig einmal pro Woche für 60 Minuten, moderiert von einem Mitarbeiter, der nicht Teil des Führungsteams ist. Ziel: Reflexion der wichtigsten Beobachtungen im Unternehmen während der letzten Woche. Nach 4 Terminen soll eine erste Einschätzung des Erfolgs des Meetings stattfinden. Das Meeting verläuft in drei Phasen – in Anlehnung an Stefans Selbstreflexion. Zunächst gibt es eine Beobachtungsphase mit den Fragen:

  • Was habe ich in der letzten Woche beobachtet?
  • Was war gut? Was war nicht zufriedenstellend?

Anschließend findet eine Hypothesenbildung statt:

  • Wie erklären wir uns Zusammenhänge und Entstehungsmuster?
  • Wie kommt es dazu?
  • Welche Regeln werden sichtbar?
  • Welchen Sinn hat das, was wir beobachten?

Zuletzt werden Interventionen erarbeitet:

  • Wie können wir als Führungskräfte unser Verhalten verändern, damit das Gewünschte eintritt?

Ablauf

Jede Führungskraft nennt eine Beobachtung. Anschließend findet für jede Beobachtung eine Hypothesenbildung statt. Hier kann man sich aus dem Methodenkoffer der Liberating Structures bedienen [4] und zwar insbesondere die Methode 1-2-4-All: Jeder stellt zunächst für sich selbst Hypothesen auf. Diese Hypothesen werden dann zu zweit weiterentwickelt, um schließlich in Vierergruppen noch weiter verfeinert zu werden. Ziel ist es Gemeinsamkeiten zusammenzuführen und Unterschiede herauszustellen. Abschließend stellt jede Gruppe die Hypothese, die die Gruppe besonders bemerkenswert fand, vor. Dieser Schritt kann bei Bedarf wiederholt werden.

Für jede Beobachtung werden nun Interventionen gesucht. Auch hier eignen sich die Liberating Structures gut: z. B. mit 15% Solutions [4]. Dabei erarbeitet jeder Teilnehmer für sich eine Liste mit den Verhaltensänderungen, die er selbst ohne weiteren Aufwand umsetzen kann. Nun finden sich kleine Gruppen von 2-4 Teilnehmern zusammen und jeder stellt seine Ideen vor. Die Gruppe berät den jeweils Vorstellenden durch Nachfragen und Vorschläge (8-10 Minuten reihum).

Zur schnellen Identifikation und Beseitigung bestehender Hindernisse eignet sich alternativ die Liberating Structure TRIZ besonders gut, die nach dem Motto verfährt: "Finde Dinge, die die Situation garantiert verschlimmern würden und höre auf, diese Dinge zu tun" [4]. Durch das Stoppen solcher kontraproduktiven Aktivitäten kann schnell Platz für Neues geschaffen werden. Und so geht es: Die Teilnehmer erstellen eine Liste all der Dinge, die sie tun können, um garantiert das schlechteste Ergebnis in Bezug auf die Hypothese zu erreichen. Diese Liste wird Punkt für Punkt besprochen und die Frage gestellt: "Gibt es etwas, was wir aktuell tun, das diesem Punkt in irgendeiner Art entspricht?" Daraus entsteht eine Liste kontraproduktiver Aktivitäten, woraus die Gruppe eine Reihe von sinnvollen Verhaltensänderungen ableitet.

Beide Methoden sind gut mit der 1-2-4-All-Methode kombinierbar [4]. Aus der Liste der so gewonnenen Interventionen wird per Dot Voting diejenige mit den größten Erfolgsaussichten gewählt. Als sehr hilfreich hat sich erwiesen, für jede Intervention einen Paten zu bestimmen und die Ergebnisse am gemeinsamen Board festzuhalten.

Veränderung messen

Nach vier Terminen gibt es eine Retrospektive mit den Führungskräften. Die Paten berichten über die Interventionen, die sie betreuen. Gemeinsam wird entschieden, welche Maßnahmen (Interventionen) weiterhin verfolgt werden sollen. Das Board wird gelöscht, um mit neuen Beobachtungen weiter zu arbeiten. Die Maßnahmen binden in Summe relativ wenig Zeit des Managements. Sie führen jedoch im Ergebnis zu einer deutlichen Verbesserung im Unternehmen und erzeugen vor allem eine gelebte Kultur konstanter Offenheit für lösungsorientierte Veränderungen.

Fazit: Erfolgreiche Veränderung in relativ kurzer Zeit

Seit Einführung des Weekly Insights und Reflection Boards hat sich einiges getan. Die Führungskräfte haben begonnen, sich regelmäßig mit den Projektleitern zu treffen, um Probleme kurzfristig und unbürokratisch zu lösen. Dabei ist auch die Erkenntnis gereift, dass die Menge der Innovationsprojekte begrenzt werden muss und dass ein Experte nur in einem Projekt zur Zeit tätig sein kann. Einige Führungskräfte haben regelmäßige One-on-Ones mit ihren Mitarbeitern eingeführt, um besser fördern zu können, aber auch um Überlastung, Probleme und Konflikte frühzeitig zu erkennen. Und das Tagesgeschäft wird nun in eigens dafür bestimmten Teams erledigt.

In den letzten 6 Monaten hat sich beginnend mit der Reflexion des eigenen Handelns einer einzelnen Führungsperson im Unternehmen eine lernende Organisation entwickelt. Wenn wir uns das Ausgangsproblem von Stefan anschauen – die Wahrnehmung einer mangelnden Innovationsfähigkeit des Unternehmens – so können wir feststellen, dass der wichtigste Schritt zur Überwindung in der vergleichsweise kurzen Zeit von einem halben Jahr gemeistert wurde. Es wurde ein Kulturwandel 2. Grades vollzogen [5]: die Fähigkeit, sich ständig neu anzupassen. Dies ist die Bedingung der Möglichkeit, nachhaltig auf sich ändernde Marktbedingungen reagieren zu können. Was wir noch sehen: Veränderungen können, an der richtigen Stelle und in der richtigen Form initiiert, schnell und verhältnismäßig einfach durchgeführt werden.

Veränderung im Unternehmen durch Veränderung des Verhaltens der Führungskräfte ist auf der einen Seite eine einfache und effektive Möglichkeit, Innovationsfähigkeit in Unternehmen herzustellen. Diese Form der Kulturarbeit, ausgehend von selbstreflektiertem Management, erscheint uns als die wesentlich effektivere Form von Veränderung als der klassische Weg über Bottom-up-Kulturentwicklung oder an die Wand genagelte Leitbilder. Dennoch sollte nicht unterschätzt werden, dass diese neue Haltung Bewusstsein, Mut und sozialer Kompetenzen bedarf.

So ist zum Beispiel die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, eine erlernbare Kunst. Professionelle Unterstützung durch Coaches oder Berater beschleunigt die Prozesse deutlich. Der Vorteil: dadurch, dass sie nicht Teil des Organisationssystems sind, haben sie im Zweifel einen deutlich klareren Blick auf die Phänomene.

Stefan wird weitermachen.

(Wie eingangs erwähnt ist die Geschichte inspiriert von wahren Begebenheiten, alle Methoden sind in der Praxis erprobt, Stefans Unternehmen ist jedoch Fiktion.)

Quellen
  1. H. M. J. Kraemer; 2015: Becoming the Best. Build a World-Class Organization Through Values-Based Leadership
  2. K. Lüssem (New Work Future-Konferenz): On the Way to New Work
  3. C. Argyris, D. Schön; 2002: Die lernende Organisation
  4. Keith McCandless: Liberating Structures
    15% Solutions, TRIZ, 1-2-4-All-Methode
  5. E. Zelesniack, F. Grolman: Unternehmenskultur: Die wichtigsten Modelle zur Analyse und Veränderung der Unternehmenskultur im Überblick

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