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Dr. Stefan Barth 21. Mai 2019

Wann muss das Management in agile Teams eingreifen?

Als ich die Titelfrage in einem Team agiler Manager stellte, wurde mir ein überzeugtes "Niemals!" entgegengeschmettert. Nun hatten wir im selben Kollegenkreis jüngst erfahren, wie sich das Scheitern von Teams anfühlt und welche bitteren Konsequenzen es nach sich ziehen kann – so schien mir die Antwort im Zuge der gemeinsamen Reflektion möglicher Ursachen und verpasster Chancen zu pauschal und zu einfach. Denn wer soll noch reagieren, wenn das Gesamtgefüge "Scrum Master/Product Owner/Team" so destabilisiert ist, dass keine Selbstheilungskräfte mehr wirken?

Jede Teambildung ist ein soziales Experiment

Zurück zum Anfang der Geschichte: Wir sind ein Softwareentwicklungsunternehmen, das individuelle Software für große Kunden herstellt. Das Unternehmen wird agil geführt und wir favorisieren in unseren Kundenprojekten den Einsatz agiler Methoden. Da Projekte kommen und gehen, arbeiten wir in der Regel nur zeitlich begrenzt in stabilen Teams. Wenn ein Projekt endet, endet häufig auch die Lebenszeit eines Teams. Wenn ein Projekt startet, werden neue gegründet. Unsere Teambildung folgt hierbei weniger sozialen Rollenmodellen, sondern Kriterien, die uns der Alltag vorschreibt: welche Mitarbeiter stehen überhaupt zur Verfügung und sind nicht an anderer Stelle gebunden? Welche technischen und fachlichen Fähigkeiten werden benötigt? Wo ist der Leistungsort? Welche Wünsche haben die Mitarbeiter? Am Ende sind schließlich auch bekannte Stärken und Schwächen der Mitarbeiter relevant und das historische Wissen darum, wer mit wem bereits erfolgreich zusammengearbeitet hat. Ob das soziale Gefüge eines auf diese Weise entstehenden Teams robust ist, hat ein bisschen mit Glück, aber auch viel mit intensiver, teambegleitender Arbeit zu tun – insbesondere durch die Rolle des Scrum Masters.

Ineffizienz folgt der Zerrüttung des sozialen Teamgefüges

Wir hatten nun in drei sehr unterschiedlichen Fällen erlebt, wie agile Teams in Krisensituationen gerieten. In allen Konstellationen entstand – mehr oder weniger direkt messbar – wirtschaftlicher Schaden. Wenn auch die Krisenursachen auf Detailebene sehr heterogen waren, ließ sich ein gemeinsamer Nenner nahezu trivial ableiten: das soziale Gefüge der Teams war zerrüttet. In der Folge pendelten sich die Teams auf einem so niedrigen Leistungsniveau ein, dass die Kundenanforderungen nicht mehr hinreichend erfüllt wurden.

Die sozialen Spannungen werden früh sichtbar

Die Dysfunktionalität der Teams gewann auf unterschiedliche Art und Weise Aufmerksamkeit. So kam es vor, dass der Scrum Master sich hilfesuchend in den Gremien äußerte, die den Austausch unter fachlich identisch ausgerichteten Kollegen fördern soll. Parallel suchte er Rat beim Management. In anderen Fällen – häufig auch nahezu zeitgleich – wandten sich einzelne Teammitglieder an ihre Personalverantwortlichen und beschwerten
sich über die schlechte Arbeitsatmosphäre in ihrem Team. Da die Teamzusammensetzung bei uns nicht der disziplinarischen Organisation folgt, wurden hier auch schnell mehrere Personalverantwortliche (als Vertreter unterschiedlicher Teammitglieder) involviert. So mangelte es bereits sehr früh nicht an Ratschlägen, welche Ansätze man zur Lösung der Teamprobleme verfolgen könnte. Den Vorwurf, sich nicht früh genug gemeldet zu haben, konnte man in allen drei Fällen weder dem Team noch dem Scrum Master machen.

Viele Maßnahmen, kein Ergebnis

Es mangelte auch nicht an Maßnahmen, die durch das Team und den Scrum Master eingesetzt und umgesetzt wurden:

  • Wir führten Retrospektiven durch (auch extern moderiert).
  • Es fanden Einzelgespräche und Mediationsgespräche zwischen Teammitgliedern statt.
  • Der Scrum Master wurde intensiv beraten und begleitet.

All diese Aktivitäten wurden durch das Management begleitet und gefördert. Insofern fand ohnehin bereits sehr früh eine "Einmischung" des Managements statt – wenn auch nur auf einer beratenden Ebene. In den drei kritischen Fällen löste jedoch keine der getroffenen Maßnahmen die Probleme im Kern auf. Vielmehr wurde der Schaden für die Organisation mit jedem Sprint, der verstrich, größer. Irgendwann kam der Punkt, an dem der Kunde die Initiative ergriff und wir vollends in eine Rolle gedrängt wurden, in der wir nicht mehr gestalten konnten.

Hilfloses Management

Das agil denkende und handelnde Management stieß in unseren Fällen mit seinen defensiven Methoden an Grenzen. Die Beratung des Teams, die Stärkung der Selbstheilungskräfte, die Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Selbstorganisation, die Förderung von Verantwortungsübernahme: all das führte hier zu keinem positiven Ergebnis. Nicht, weil die eingesetzten Mittel falsch waren, sondern weil es an der notwendigen Zeit mangelte. Maßnahmen, die auf Persönlichkeitsveränderungen einzelner oder auf die Veränderung sozialer Gefüge abzielen, führen nie zu schnellen Ergebnissen – aber die werden grundsätzlich vom Kunden gefordert.

Wie vorgehen? Es braucht einen Krisenmanager

Eine Teamkrise in einem Kundenprojekt muss wie eine Krise behandelt werden. Wenn das Team sich selbst nicht mehr zu helfen weiß, dann steht eine externe Instanz beratend zur Seite. Dies muss nicht das Management sein. Wichtig ist, dass die Koordination dieser externen Einflussnahme durch einen Krisenmanager erfolgt, der den Scrum Master unterstützt. Der Krisenmanager tritt als Gleicher unter Gleichen auf und sollte das Vertrauen aller genießen. Er koordiniert, moderiert, vermittelt und nimmt hilfreiche Anregungen von weiteren Parteien auf. Damit wird ausgeschlossen, dass äußere Impulse unkoordiniert und ungefiltert aus unterschiedlichen Richtungen auf das Team einprasseln.

Es ist vergleichbar mit der Entscheidung, zum Arzt zu gehen...

Dem Konflikt das angemessene Gewicht geben

Nach der Einführung eines Krisenmanagers ist das Team häufig erst einmal erleichtert und nimmt seine Situation bereits als verbessert wahr. Es ist vergleichbar mit der Entscheidung, zum Arzt zu gehen, wenn man schon länger gesundheitliche Beschwerden hat: sobald der Arzttermin steht, gibt es oft keine Beschwerden mehr. Es ist ein großer Fehler, sich hiervon blenden zu lassen! Wenn die externe Begleitung längerfristig bestehen bleibt, tritt häufig ein ähnlicher Effekt ein: irgendwann ist das Team der externen Aufmerksamkeit überdrüssig und beginnt, noch bestehende Probleme zu kaschieren oder zu marginalisieren. Um hier die richtige Einschätzung treffen zu können, muss der Krisenmanager dem Team so nahe stehen, dass er sich nicht blenden lässt. Gleichzeitig muss er möglichst genau so viel Distanz wahren, dass das Team ihm dauerhaft ausreichend viel Aufmerksamkeit und Respekt entgegenbringt.

Zeit für Wirksamkeit

Jede Maßnahme, die der Krisenmanager mit dem Team erarbeitet, muss befristet und zyklisch auf seine Wirksamkeit hin überprüft werden – also ein klassisches Inspect-&-Adapt-Vorgehen. Selbst in einer Organisation, die sich als agil betrachtet, wird diese Selbstverständlichkeit im Falle einer akuten Krise häufig vergessen. Das Gefühl von Dringlichkeit verdrängt eingeübte, erfolgreiche Strategien und verleitet zu Hyperaktivität. Maßnahmen sollten auch nicht parallelisiert werden, sofern sie nicht wirklich unabhängig voneinander in der Durchführung sind und tatsächlich auf die Lösung unterschiedlicher Probleme abzielen.

Der Point of no Return

Letztlich stehen alle Maßnahmen und die Feststellung ihrer Wirksamkeit im Kampf gegen die Uhr. Die Leistungsfähigkeit des Teams darf aus Organisations- und Kundensicht nicht langfristig eingeschränkt sein. Daher müssen Krisenmanager, Scrum Master und Team sich darüber einig werden, wie lange sie bereit sind, auf die Wirksamkeit bereits getroffener Maßnahmen zu warten und wann der Punkt erreicht ist, an dem auch keine weitere Maßnahme mehr verprobt wird. Diese Entscheidung sollte im Idealfall eine Konsens- oder wenigstens eine Konsent-Entscheidung sein. Ist weder das eine noch das andere zu erzielen, so beendet der Krisenmanager den Prozess zu dem Zeitpunkt, an dem er nach interner und externer Beratung keine Möglichkeiten zur kurzfristigen Selbstheilung des Teams mehr sieht. Ob Teamentscheidung oder einsame Entscheidung des Krisenmanagers: der Zeitpunkt der Feststellung, dass keine Maßnahmen zur Anregung der Selbstheilung hinreichend gewirkt haben, ist der Point of no Return.

Ein Team in einer eskalierten Konfliktsituation kann eine Teamveränderung nicht aus eigener Kraft angehen.

Teamveränderung ist die Ultima Ratio

In diesem letzten Schritt kommt dem Krisenmanager – unabhängig von seiner "hierarchischen Einordnung" – bereits eine Managementverantwortung zu, die ihn vom Team abhebt. Was dem Point of no Return nun jedoch nachfolgen muss, ist die Ultima Ratio der Teamheilung: die Teamveränderung. Ein Team in einer eskalierten Konfliktsituation kann eine solche erfahrungsgemäß nicht konstruktiv und wertschätzend aus eigener Kraft angehen. Dafür sind alle Beteiligten inklusive des Krisenmanagers zu sehr emotional involviert. Hierzu muss eine neue Instanz in den Prozess eintreten und einen transparenten und fairen Veränderungsprozess anstoßen und begleiten. Und das ist der Punkt, an dem das Management in die unmittelbare Verantwortung tritt.

Teamveränderungen können Positives bewirken

Generell bestehen große Ressentiments vor Veränderungen von Teams. In Eskalationsfällen der beschriebenen Dimension sollte man jedoch hiervor nicht zurückschrecken, denn die Teams funktionieren zu diesem Zeitpunkt ja ohnehin nicht mehr. Darüber hinaus können Teamveränderungen neben einer schnellen Heilung der akuten Beschwerden auch darüber hinaus Positives bewirken. Selbst wenn die Veränderung die Teameffizienz kurzfristig sinken lässt, wird durch neue Ideen, eine sich neu einstellende Diskussionskultur und – nun hoffentliche konstruktive – neue Auseinandersetzungen ein kreatives Potenzial entfaltet. Scheuen Sie nicht davor zurück!

Autor

Dr. Stefan Barth

Dr. Stefan Barth ist seit vielen Jahren im Telekommunikations- und IT-Markt tätig. Seit 2013 nimmt er die Rolle eines Geschäftsführers der Technologieagentur tarent solutions GmbH in Bonn wahr.
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