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Svenja Hofert 23. Oktober 2018

Welches Mindset braucht die digitale Arbeitswelt?

Warum sich unsere Denk- und Handlungslogik für ein agiles Umfeld ändern muss

Viel ist in letzter Zeit von "Mindset" die Rede. Dass es für die Zukunft der Arbeit ein anderes brauche. Man radikal neu denken müsse. Doch ist das überhaupt möglich? Wann und wie verändern sich die Denkeinstellungen von Mitarbeitern? Und lässt sich das überhaupt von außen beeinflussen?

Es beginnt mit einer großen Enttäuschung: "Es gibt kein Kochrezept?" – Die Führungskraft schaut mich bittend an. Wir hatten über agiles Arbeiten und Führen gesprochen. Ich hatte dargelegt, dass es zwar Rahmen für Vorgehensweisen gibt, aber keine Rezepte, wie genau etwas zu tun ist. Denn es ist das Ziel, vom "Richtig-Denken" loszulassen. Einfach mal ausprobieren, etwas ohne Feinplan versuchen? Das fällt vielen schwer. Es setzt eine Emotion frei, über die sehr ungern gesprochen wird: Angst. Sicherheitsbedürfnisse entstehen ebenso wie Veränderungsresistenzen immer aus der Angst. Wenn Angst da ist, hilft auch kein Tschaka, denn jede Freude wird da künstlich.

Von ähnlichen Erlebnissen können viele Personal- und Organisationsentwickler berichten, die derzeit gerufen werden, um agiles Arbeiten oder Führen nahe zu bringen. Doch es gibt weder Rezepte, noch Best Practice oder Blaupausen für das, was durch die Digitalisierung in der Arbeitswelt auf uns zukommt. Ich definiere Agilität als die Fähigkeit einer Organisation, sich auf veränderte Bedingungen erfolgreich einzustellen. Mindset begreife ich als die Logik des Denkens, Fühlens und Handelns, mit der ein Mensch etwas aufnimmt, ausblendet, interpretiert – und mit der er eigene Gedanken und Handlung produziert [1].

Methoden sind nie agil

Agiles Arbeiten kann nicht konzeptioniert und per Powerpointschlacht kommuniziert werden. Agil ist nicht Scrum, Kanban oder Design Thinking, sondern die Art und Weise des Denkens und Herangehens in solchen Rahmenwerken. Die beinhaltet auch gelegentlich bewusste Entscheidungen gegen diese Methoden.

Meine Definition von Agilität bewegt sich in einem weiteren gedanklichen Denkrahmen. Die Grundannahme ist, dass ein solches adaptives Vorgehen einer komplexen Umwelt angemessen ist. Bildungssysteme, Schule und Studium, vermittelten und vermitteln aber in allererste Linie – wenige Ausnahmen bestätigen die Regel – Denkrahmen für einfache und komplizierte Umfelder. Obwohl bewiesen ist, dass komplexe Umfelder sich dem Ursache-Wirkungs-Prinzip entziehen und hier nur Ex-post-Analysen, nicht aber Vorschauen möglich sind. Die Werte, Prinzipien und Meetingformate aus Scrum sind auf einen Denkrahmen der Komplexität zugeschnitten. Es geht deshalb um den nächsten Schritt, um Kollaboration, Ko-Kreation und Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Nicht um das Tool, nicht um die Methoden.

Hauptsache, Kommunikation wird zur Nebensache

Doch die Hauptsache – die Kommunikation – begreifen viele als Nebensache. Selbst in Büchern zum Thema stehen Methoden im Mittelpunkt, auch Methoden zur Kommunikation. Was vergessen wird: Kommunikation ist komplex und nicht nur kompliziert. Sie lässt sich nicht mit Methoden "bedienen". Genau hierhin liegt die Herausforderung für das Mindset, etwa eines Scrum Master, eines agile Coaches und einer Führungskraft.

Ein in meinem Verständnis "agiles" Mindset ist ein agil-fähiges Mindset. Es kann diesen Gedanken aufnehmen und in eine dem Kontext angemessene Handlung übersetzen. Der Wunsch nach einem Kochrezept ist nicht agil. Agil wäre es, sich Verbündete zu suchen, sich der Herausforderung "rezeptfrei" zu stellen und das Umfeld für eine effektive Kommunikation zu schaffen.

Die Power der agilen Meetings bleibt oft ungenutzt

Hier kommen die agilen Meetingformate ins Spiel, die der Kern agilen Arbeitens sind. Agile Frameworks bedienen das menschliche Bedürfnis nach Zielorientierung und zeitlicher Struktur. Wer über "agil" und seine Auswüchse klagt, schimpft in der Regel über als Methode angewendete Agilität, also über etwas, was gar nicht agil ist. Wer dann nach einem agilen Mindset ruft, tut dies in den meisten Fällen ebenso mit dem Wunsch nach Tools und Methoden. Toolboxen wie "liberating structures" oder auch "Management 3.0" können dieses Denken stützen und somit leicht missbraucht werden: "A fool with a tool is still a fool". Sie können sogar helfen, bisheriges Tool-Denken zu zementieren. Anstatt klassische Seminare zu besuchen, besucht man nun eben Workshops mit bunten Zettelchen. Im Kopf verändert das strukturell gar nichts. Es werden einfach neue Inhalte "heruntergeladen".

Zweite goße Enttäuschung: Neu ist nur Denken, für das es kein Tool gibt

Haben Sie mal einen Malermeister erlebt, der stolzer auf seinen Pinsel als auf seine Malerleistungen war? Einen Professor, der Powerpoint oder Keynote als erfolgsentscheidend für seine Vorlesungen pries? Wir würden automatisch denken: Was sind das denn für unfähige Typen, wenn sie sich auf ihr Werkzeug berufen? Irgendwie wissen wir also schon, dass Methoden allenfalls unterstützen können.

Der Mensch ist kein Fertigprodukt, sondern ein laufender Prozess.

Aber die Hoffnung auf ein Wunder sitzt tief. Und dieses Wunder muss "neu" daherkommen, denn "neu" könnte "einfach" sein. Und hier erleben viele die zweite große Enttäuschung in Zusammenhang mit Agilität. Alles auf Tool- und Methodenebene stammt aus den 1960er oder 1970er Jahren. Es geht nicht um neu, es geht um eine andere Haltung. Die sollte mehr von Sowohl-als-auch denn von Entweder-oder geprägt sein.

So reift das Mindset

Sowohl-als-auch zu denken, ist keine intellektuelle, sondern eine psychologische Herausforderung. Legt man entwicklungspsychologische Erkenntnisse zugrunde, so reift die Denk- und Handlungslogik bei allen Menschen auf die gleiche Art und Weise. Diese Entwicklung ist im Erwachsenenalter nicht abgeschlossen. Der Mensch ist kein Fertigprodukt, sondern ein laufender Prozess.

Die Logik des Denkens und Handelns erweitert sich wie eine nach oben breiter werdende Spirale. Im Zuge dessen lösen sich soziale Prägungen auf bzw. verändern ihre Gestalt. Das führt zu einer Befreiung. Im Torrance-Test für Kreativität erzielen nur noch vier Prozent der Erwachsenen die Werte von Kindern [2]. Kreativität hat eben viel mit freiem Denken zu tun. Das Ergebnis zeigt deshalb auch, dass Erwachsene etwas verlieren, was Kinder hatten. Sie durchlaufen viele Phasen der Anpassung an Familie, soziales Umfeld und Bildungssystem. Mit der Folge, dass viele Erwachsene nicht sie selbst sind, sondern Ergebnis ihrer Prägungen. Zu erkennen ist das im Arbeitsalltag an der Art und Weise des Umgangs mit Konflikten und Herausforderungen. Wer nicht er oder sie selbst ist, nimmt sein Menschsein nicht an. Er oder sie freut sich nicht wie ein Kind über die Gelegenheit, Neues zu lernen, sondern hat Angst davor. Er oder sie kann schlecht "Nein" sagen, weil er sich nicht abgrenzen kann. Er oder sie sucht nach Kochrezepten – aus Angst, etwas falsch zu machen. Dafür wurde man früher ja bestraft.

Die Entwicklung des Mindsets läuft laut Entwicklungspsychologen wie Jane Loevinger, Lawrence Kohlberg oder Robert Kegan in aufeinanderfolgenden Phasen oder Stufen ab [3]. Je reifer ein Mensch, desto mehr kann er auf sein Verhalten und seine Beziehungen schauen und diese zum Objekt machen. Kann er oder sie bestimmte Dinge nicht sehen, ist er mit ihnen verschmolzen. Deshalb zeigt sich Entwicklung auch an der Fähigkeit zur Grenzziehung und zur Setzung eigener Maßstäbe und Bewertungen, die auch unabhängig vom Kontext sind.
 
Niemand ist nur in einer Phase oder Stufe, jeder trägt alle Ressourcen "mehr zu werden" in sich. Den Schlüssel zur Entwicklung bieten die Emotionen. Wer also von Mindset und seiner Entwicklung redet, muss Emotionen miteinbeziehen. Emotionen, so betont der Neurobiologe Gerald Hüther, kommen vor dem Denken und gehen mit ihm einher [4]. Es sind frühe emotionale Markierungen, die unsere Reaktionsmuster im Berufsleben immer noch bestimmen. Auf der negativen, veränderungsblockierenden Seite sind das die Grundemotionen Angst, Wut und Trauer. Und auf der positiven, veränderungsbegünstigenden, sind es Freude und Interesse/Neugier. Alle anderen Gefühle – hier als Begriff synonym zu Emotion verwendet – sind Mischformen.

Der Zugang zu Emotionen ist also der Schlüssel zur Veränderung des Mindsets, des individuellen ebenso wie des organisatorischen, das in dauernder Rückkopplung zum Individuellen steht. So kann die Organisation Denkmöglichkeiten des Einzelnen einschränken oder begünstigen. Negative Gefühle lassen sich nicht einfach überspielen. Man muss darüber sprechen. Wenn wir von Entwicklung sprechen, so braucht diese immer Zeit, eher Jahre als Monate. Jeder Modus beinhaltet den vorherigen. Es ist nicht möglich, einen zu überspringen.

Es gibt den Spruch, ein Grashalm wächst nicht, indem man daran zieht. So ist es auch bei der Entwicklung der Denk- und Handlungslogik, die man auch als Fühl-, Denk- und Handlungslogik bezeichnen kann. Denn ohne Fühlen kein Denken (wer anderes behauptet, möge sich in ein MRT legen) und ohne Fühlen und Denken kein Handeln. Selbst Nachmachen beruht auf Denken. Und selbst produzierte, kreative Gedanken erst recht.

Es ist hilfreich, sich den Ablauf der Entwicklung einmal anzuschauen. Menschen reduzieren Informationen auf das, was in das eigene Mindset passt, auf das, worauf sie ihre Aufmerksamkeit richten. Sie wählen für ihr Mindset passende Informationen aus – und blenden die anderen aus. Wie ordnen wir Informationen in die Schubladen unseres Gehirns? Was nehmen wir auf? Was speichern wir? Und wie legen wir es ab? Mit welchen Bewertungen verknüpfen wir es?  

Ich nutze den Begriff "Modus", da "Phase" oder "Stufe" etwas Festschreibendes hat und zu laienhaften "Diagnosen" verleitet. Wenn Sie sich mit dem Thema beschäftigen, tun sie das als Beobachter Ihres Selbst und Ihres Umfelds, bitte nie als Bewerter!

Ego-Modus: Die Sonne kreist um mich

In einer häufig mit der Pubertät endenden Phase kreist das Denken in erster Linie um sich selbst, das nenne ich Ego-Modus. Schreibt sich dieser Modus bis ins Erwachsenenalter fest, so zeigen sich dem Beobachter narzisstische Züge. Nicht wenige Führungskräfte sind auch deshalb so weit gekommen, weil dieser Modus mit wenig Rücksichtnahme verbunden ist und gleichzeitig der Fähigkeit verbunden sein kann, das Beste für sich selbst herauszuholen. Ein passendes Zitat wäre wohl "L'état c'est moi". Das Bild: Eine Sonne, die um mich kreist.

Wir-Modus: Ich kreise um die Erde

Der folgende Modus ist auf Anpassung ausgerichtet: Im Wir-Modus richtet sich das Denken an den Erwartungen der Gruppe aus. Hier fokussiert man auf Verhalten, Menschen-imitieren, was andere tun und halten das für maßgeblich. Das Verhalten richtet sich auf einen Weg aus. Ins Bild übertragen: Ich bin mitten auf der Erde, wo mein Zuhause ist, meine Familie, mein Stamm, meine Clique, mein Berufsstand...

Richtig-Modus: Ich bin ein eigener Planet im Planetensystem

Danach geht es über in den Richtig-Modus. Die Gruppe ist nach wie vor wichtig, aber Individualität wird hochgeschätzt. Der Experte "made in Germany" ist ein Prototyp des Richtig-Denkens. Studiengänge, die von überlegenen Methoden ausgehen, fördern den Richtig-Modus ebenso wie Vorgaben und Verhaltensideale. Effizienz kommt in diesem Denken und Handeln noch vor Effektivität. Es geht also darum, dass etwas gut und richtig gemacht wird. Perfekt soll es sein und so wundert es nicht, dass so viele Perfektionisten nach Kochrezepten suchen. Im Bild gesprochen: Jeder Mensch ist ein eigener Planet mit einem Eigenleben, aber dieses ist klar und berechenbar.

Effektiv-Modus: Ich bestimme meinen Platz im Sonnensystem

Erkennt das Richtig-Mindset, dass es richtige Methoden nicht gibt, sondern der Maßstab entscheidet, tickt es im Effektiv-Modus. Dieses richtet sich an eigenen Wertmaßstäben aus. Das setzt das Bewusstsein für die Vielfalt möglicher Kontexte voraus. Wer in diesem Modus denkt, kann etwas be-werten und erkennt auch die Subjektivität seiner Bewertung. In früheren Modi ist das nicht der Fall. Da ist etwas wie es ist – und nicht etwa wie ich es sehe. Im Bild: Mir ist klar, dass jeder seinen Platz im Sonnensystem auch selbst bestimmen kann.

Flexibel-Modus: Ich bin nur ein kleiner Punkt in der Galaxie

Auch danach entwickelt sich Denken weiter, den nächsten Modus nenne ich Flexibel. Ab hier wird die systemisch-konstruktivistische Sicht der Welt und eine Hyperperspektive möglich. Bis dahin neigen manche Berater dazu, auch "systemisch" als "richtig" und alles andere als "falsch" zu interpretieren. Sie verstehen nicht, dass genau das ja eben nicht systemisch ist, sehen Systemtheorie und systemische Ansätze also keineswegs als eines von vielen möglichen Konstrukten, die die Welt erklären, sondern als Nonplusultra. Im Flexibel-Modus weiß ich, dass ich nichts weiß und kann mich deshalb viel besser auf die anderen konzentrieren. Im Bild: Ich bin ein unwichtiger, vergänglicher Punkt im Sonnensystem und weiß eigentlich nur, dass ich nichts weiß.

Vom Quadrat zum Hyperwürfel

Wie sich Denken entwickelt, zeige ich manchmal vereinfacht mit grafischen Formen. Ein Denken, das nur auf mich bezogen ist, ist quadratisch. Das Quadrat hat enge Begrenzungen und ich sehe nicht weit über die Begrenzungen hinaus. Ich sehe mich, vielleicht noch meine Familie, Bekannte, Freunde, Kollegen. Ich habe also Schwierigkeiten, die Perspektiven von anderen anzunehmen, denn ich bin ja mein Maßstab. Wenn sich das Denken ausweitet und einen stärkeren Perspektivenreichtum entwickelt, dann wird ein Würfel daraus. Ich sehe also nicht nur mich und mein unmittelbares Umfeld, ich sehe auch den Kontext und ich begreife, dass mein Handeln Auswirkungen auf andere hat. Doch der Kontext ist immer noch mein eigener, den ich kenne, der mir vertraut ist. Mein Maßstab ist jedoch der Kontext geworden.

Im Hyperwürfel stecken viele kleine Würfel. Da sind viele Aspekte, viele Perspektiven und ich kann sie einnehmen. Ich kann mich hineinversetzen: So sieht das jemand durch diese Brille, so sieht das jemand durch jene Brille. Das schärft den Blick immens. Absolut notwendig für alle, die von oben auf Zusammenhänge schauen müssen. Wer bewusst in diesen grafischen Formen denkt, kann damit auch sein Mindset trainieren. Beispielsweise ist jede Kommunikation durch eine der grafischen Formen geprägt. "Das geht nicht", ist quadratisch. "Möglicherweise funktioniert es, wenn…", bezieht den Kontext ein. Und "Wenn wir erst diese Brille und dann diese aufsetzen, wie verändert sich unsere Sicht?" ist Hyperwürfel und Flexibel-Modus. Der zeigt sich auch daran, dass mehr Fragen gestellt, als Antworten gegeben werden.

Wie entwickelt sich Mindset?

Die wichtigsten Entwicklungstreiber sind Führungskräfte, die Organisationen und Menschen Richtung geben. Herausforderung ist derzeit, dass nicht die richtigen Leute an den passenden Hebeln sitzen. Zentrale Funktionen sind von Richtig-Denkern besetzt. Deren Denken in kurzer Zeit zu verändern, ist illusorisch. Sie können agile Buzzwords auswendig lernen und in Powerpoints übersetzen, aber kaum Rahmen für Neues und wirksame Kommunikation gestalten. An den Schalthebeln und Schnittstellen brauchen Organisationen Menschen, die wie ein Katalysator wirken können. Die etwas aufnehmen und in Energie umwandeln können. Die andere verstehen und Sinn vermitteln können. Die Ziele und Rahmen geben können und gleichzeitig Freiraum schaffen. Die Best Practice selbst gestalten – anstatt sich auf sie zu berufen.

Bewusstes Anwenden von Growth-Mindset-Denken im Sinne von Caral Dweck, die Fixed- und Growth-Mindset unterscheidet, unterstützt Menschen mit einem Fixed-Mindset (in der Regel Richtig-, Wir- oder Ego-Modus) davon wegzukommen, sich selbst als "Fertigprodukt" und nicht als Prozess zu sehen [5]. Menschen mit einem Fixed-Mindset glauben, dass sie sind, wie sie sind und daran nichts ändern können. Ob sie sich nun für besonders klug oder sehr dumm halten, strukturell und im Ergebnis ist es dasselbe – sie betrachten sich als Zielzustand, nicht als in stetiger Entwicklung begriffen. Sie suchen zum Beispiel nach Stärken, die sie haben und die einfach da sind, anstatt sich dazu zu entscheiden, Stärken zu entwickeln, die man haben möchte.

Dialektisch denken lernen

Wer ein Growth-Mindset hat, sieht überall Entwicklung und Möglichkeiten. Er wird auch die Bedeutung von Kommunikation erkennen und andere motivieren anstatt sie zu bewerten. Agile Retrospektiven können für die Entwicklung des Mindsets sehr nützlich sein, aber auch jedwede Gruppenformate, die eine tiefere Reflexion fördern. Dialektisches Denken zu trainieren kann ebenso hilfreich sein, da die Bewusstheit für das gleichzeitige Bestehen von These und Antithese und die Möglichkeit zur Synthese ins Sowohl-als-auch-Denken führen.

Selbstkenntnis fördern

Organisationen sollten weiterhin Selbstkenntnis fördern. Nur wenn ich weiß, wer ich bin und eine Idee von meinem inneren Kern habe, kann ich mich auf andere wirklich einlassen. Selbstkenntnis wird erst durch andere Menschen möglich. Dabei geht es um Feedback und wertfreie Rückmeldung – aus einem Growth-Mindset. Das ist die Voraussetzung für echte Selbstentwicklung – was möchte ich verändern, was üben, erproben, ausprobieren?

Wenn Neuronen feuern, entstehen neue Verbindungen, die trainiert werden müssen.

Das Konzept des Working out Loud nach John Stepper etwa ist gut geeignet, um dafür eine Struktur zu erhalten [6]. Überhaupt hilft bei der Entwicklung von Mindset die Kombination von Ich- und Wir-Ebene. Je mehr "Wir" in den Mittelpunkt rückt, desto wichtiger wird das Format der Gruppe als Reflexionsmedium.

In meinem Modell des "agilen" Mindsets – das man genauso gut als "reifes" Mindset bezeichnen könnte – wird der Output (Handeln) also wesentlich vom Input (Fühlen und Denken) gesteuert. Diesen Input überhaupt bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren, ist ein zentraler Entwicklungsschritt. Wichtiger aber noch ist das Erleben, setzt dieses doch eine ganze Ladung an Emotionen frei. Und wenn Neuronen feuern, entstehen neue Verbindungen, die immer wieder trainiert werden müssen. Dabei könnte es helfen, auch Kommunikation im Team iterativ zu denken.

Wie reagieren wir auf Anforderungen? Was erleben wir dabei? Was fühlen wir? Und wie könnten wir uns anders verhalten? Und wenn es dann heißt "Probieren wir es aus!", dann bitte ohne Kochrezept.

Quellen
  1. S. Hofert; 2016: Agiler führen: Einfache Maßnahmen für bessere Teamarbeit, mehr Leistung und höhere Kreativität, Springer Gabler
    S. Hofert; 2018: Das agile Mindset: Mitarbeiter entwickeln, Zukunft der Arbeit gestalten, Springer Gabler
  2. E. P. Torrance; 1980: Growing Up Creatively Gifted: The 22-Year Longitudinal Study. The Creative Child and Adult Quarterly, 3, 148-158.
    Wikipedia: Torrance Tests of Creative Thinking
  3. R. Kegan, L. Lahey; 2016: An everyone culture, Harvard Business Review Press
    Über Loevinger und Konzept der Ich-Entwicklung: T. Binder; 2016: Ich-Entwicklung für effektives Beraten
    Über sämtliche Konzepte der Entwicklungspsychologie: S. Hofert; 2017: Psychologie für Berater, Coaches, Personalentwickler, beltz
  4. G. Hüther, S.-O. Müller; 2018: Wie Träume wahr werden. Das Wunder der Potenzialentfaltung, Goldmann
  5. C. Dweck; 2017: Mindset – Updated Edition: Changing The Way You think To Fulfil Your Potential, Robinson
  6. John Stepper: About Working Out Loud

Autorin

Svenja Hofert

Svenja Hofert ist Bestsellerautorin (u. a. "Business Slowdown), hält Vorträge, berät Organisationen und ist Geschäftsführerin bei Teamworks GTQ GmbH.
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