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Petra Vogt & Maj Jäpel 12. Februar 2019

Steigert die Digitalisierung das Gemeinwohl?

Auf den ersten Blick scheint der IT-Sektor ein leuchtendes Vorbild in punkto Gemeinwohl zu sein und noch mehr Potenzial zu bieten: Unser Leben wird leichter und komfortabler durch den beständigen Strom an Innovationen, viele Angestellte der Branche werden exzellent bezahlt und mit Boni wie Massagen verwöhnt. Schaut man aber hinter die Kulissen, ist nicht alles Gold, was glänzt, sondern manches auch ein "Blut-Rohstoff". Dieser Beitrag beleuchtet Licht- und Schattenseiten der Branche und zeigt anhand eines Modells auf der Basis der Gemeinwohl-Ökonomie Perspektiven für ein besseres Leben für alle auf.

Die Basis für Digitalisierung ist stofflicher Natur. Ohne neue Hardware, also etwa die Lithium-Ionen-Batterien für die Elektro-Autos oder die zahllosen kleinen Chips für das "Internet of Things", sind die meisten Zukunftsszenarien nicht verwirklichbar. Dieser Aspekt gerät leicht aus dem Blick und wird in den Zukunftsszenarien als selbstverständlich vorausgesetzt, ist jedoch in puncto Gemeinwohl entscheidend. Daher werfen wir in diesem Artikel als erstes ein Schlaglicht auf die Rohstoff-Thematik.

Die Vorstufen der Hardware-Produktion sind nämlich in vielerlei Hinsicht immer noch ein schmutziges und wenig gemeinwohl-orientiertes Geschäft, das die Hochglanz-PR und Marketing-Maschine rund um die Digitalisierung geschickt ausblendet: Da zwängt sich etwa ein junger Student im Kongo durch einen selbst gegrabenen, kaum gesicherten engen Schacht unter einer ehemaligen Küche und kratzt mit bloßen Händen den für Lithium-Batterien notwendigen Rohstoff Cobalt aus der Erde [1]. Um sich sein nächstes Semester finanzieren zu können, atmet er dabei völlig ungeschützt die lungenschädlichen Cobalt-Dämpfe ein – und ist nicht mal der Jüngste der dort Arbeitenden.

Die UN schätzt, dass mindestens 40.000 Kinder im Kongo in einer der 1,3 Millionen Behelfs-Minen schürfen [2]. Der Rohstoff-Abbau ist dort immer noch eine der wenigen Möglichkeiten, Geld zu verdienen und eine wichtige Quelle für den konstanten weltweiten Cobalt-Bedarf. Allerdings kostete er im Jahr 2016 laut Amnesty International mindestens 80 Menschen das Leben – bei einer vermutlich deutlich höheren Dunkelziffer [2].

Bei anderen Rohstoffen sieht es nicht viel besser aus. Auch Coltan und Zinn kommen häufig aus dem Kongo und finanzieren dort nicht nur die Schulbildung Einzelner sondern auch bewaffnete Konflikte mit. Aber nicht nur der Kongo ist betroffen, sondern auch andere afrikanische Staaten wie Ruanda, Uganda und Burundi. Daher wird in Anlehnung an die bekannten "Blutdiamanten" bzw. "Konfliktdiamanten" auch der Begriff "Konfliktrohstoff" verwendet [3]. Bei anderen Rohstoffen wie etwa Gold und Silber gibt es ebenfalls Probleme. So wird bei der Gewinnung etwa noch immer häufig der Giftstoff Zyanid eingesetzt wird, der die Arbeiter krank werden lässt und eine erhebliche Umweltgefahr auch für die Umgebung darstellt [4].

Hochkomplexe Lieferketten erschweren eine saubere Supply Chain

Als Amnesty International im Jahr 2016 eine große Kampagne zum Cobalt-Skandal durchgeführt hat, gab es schon jahrelang gesetzliche Regelungen, die die Probleme hätten eindämmen sollen. So hatte die US-Regierung unter Barack Obama schon 2010 mit dem Verbot des Einsatzes von Konfliktrohstoffen eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung der Situation geschaffen (§1502 im Dodd-Frank Act [5]). Dennoch hat sich die Lage im Kongo kaum verbessert, wie der Kenianer Claude Kabemba auf der Konferenz Bits & Bäume im November 2018 berichtete [6].

Einer der vielfältigen Gründe dafür dürften die hochkomplexen Lieferketten im Elektronik-Bereich sein – vor allem bei der Rückverfolgung bis zum Rohstoff. Von Amnesty befragte bekannte Hardware-Hersteller zogen sich zum Teil genau darauf zurück. Microsoft etwa sagte: "Wir haben die Cobalt-Verwendung in Microsoft-Produkten aufgrund der Komplexität und der benötigten Ressourcen noch nicht bis auf das Level der Verhüttung in der Lieferkette untersucht." Samsung behauptete sogar: "Es ist unmöglich für uns, festzustellen, ob das Cobalt für Samsung SDI aus den Minen der Demokratischen Republik Kongo in Katanga stammt."

Amnesty kommentierte ganz trocken: "Wenn Amnesty International das erledigen kann, dann kann es Microsoft auch." Jedoch muss man zugestehen, dass die Lieferketten in der IT-Hardware in der Tat deutlich komplexer sind als etwa bei Lebensmitteln oder Kleidung. Selbst eine simple Maus besteht aus 15 Bauteilen, deren Lieferkette eine komplette Seite füllt, wie der Hersteller Nager-IT sehr schön am Beispiel des eigenen Produktes aufzeigt (s. Abb. 2).

Trotz intensiver Bemühungen ist es dem nachhaltigen und gemeinwohl-orientierten Projekt zur Herstellung fairer Computer-Mäuse nicht gelungen, für alle Bauteile vollständig Lieferanten und Arbeitsbedingungen ausfindig zu machen. Die komplette Supply Chain für einen Laptop, der neben dem Mainboard samt Prozessor auch noch Bildschirm, Tastatur, Festplatte(n) etc. enthält, ist eine echte Mammutaufgabe. Greenpeace berichtet in seinem "Guide to Greener Electronics" [8], für den 17 große Markenhersteller von IT-Hardware untersucht wurden, dass nur sechs davon eine Basis-Liste von Zulieferern veröffentlichen. Einzig Fairphone und Dell boten Details für jeden Lieferanten. Und selbst Fairphone ist es nach eigenen Angaben noch nicht gelungen, ein komplett faires Produkt anzubieten – und das, obwohl genau dies das auserkorene Unternehmensziel ist [9].

Um ein wirklich faires Smartphone zu bauen, müssten alle Probleme der Welt gelöst werden.

– Bas van Abel, Gründer von Fairphone

Das Problem verschärft sich durch kurze Innovations- und Lebenszyklen. Das Erlösmodell vieler Hersteller ist darauf ausgelegt, Konsument*innen schon nach wenigen Jahren ein neues Gerät zu verkaufen. So beträgt etwa die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Smartphones nur 18 Monate [10]. Da viele prominente Hersteller wie Apple gezielt ein Aufrüsten und Weiterverwenden verhindern – obwohl sie selbst in ihrem Umweltbericht anderes proklamieren [11] –, landeten die Geräte früher oder später auf einem bereits riesigen Abfallberg, der sich schon im Jahr 2015 auf 42 Megatonnen weltweit summierte [12]. Greenpeace gibt für 2017 schon 65 Megatonnen E-Abfall an – von denen weniger als 16 Prozent effektiv recycelt würden [8]. Dies entspricht dem Gewicht von etwa 240.000 Airbus A380 – dem derzeit größten Passagierflugzeug der Welt.

Betrachtet man die Dinge von dieser stofflichen Basis aus, kann man sich kaum vorstellen, wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl selbst nur mittelfristig zusammen gehen könnten – egal wie hochfliegend die gesellschaftlichen Visionen sind, die auf einer als vorhanden vorausgesetzten Hardware aufbauen. Doch zu Lösungsansätzen später noch mehr. Wenden wir uns zunächst der Software zu.

Software und Services: Entwicklung künstlicher Intelligenz und Menschenwürde

Auch bei Software und Services sieht es nur auf den ersten Blick besser aus – selbst, wenn man die Hardware-Aspekte komplett ausblendet. Hier ist es vor allem der KI-Boom, der den Nutzer*innen eine leuchtende Zukunft verspricht. Die Herausforderungen in diesem Bereich sind jedoch so vielfältig, dass sie einen eigenen Artikel rechtfertigen würden.

Daher hier nur ein Schlaglicht: Die derzeitigen Systeme arbeiten vor allem mit maschinellem Lernen auf der Basis von neuronalen Netzen. Deren Grundlage sind "Trainingsdaten". Sind diese nicht repräsentativ genug, kann es sehr schnell zu fehlerhaften und diskriminierenden Ergebnissen kommen. Prominente Beispiele sind etwa der als "Google Gorilla fail" bekannt gewordene Vorfall, bei dem der Suchmaschinen-Betreiber Menschen mit dunkler Hautfarbe in seiner Foto-Anwendung fälschlicherweise als "Gorillas" klassifizierte [13].

Besonders problematisch werden solche Bewertungen, sobald sie die Basis für menschliche Entscheidungen sind. In den USA etwa werden im Rahmen des COMPAS-Systems Entlassungen aus dem Gefängnis durch maschinelle Prognosen gestützt [14]. Erschwerend hinzu kommt die Eigenart von selbstlernenden Systemen, dass sie beobachtete Effekte eher noch verstärken. So entsteht schnell ein Teufelskreis, der irgendwann bestimmten Bevölkerungsgruppen keine Chance mehr gibt.

Auch hier ist das Gemeinwohl also in Gefahr. Und das waren nur zwei Beispiele für aktuelle Herausforderungen  des IT-Sektors und nur solche, die an der Basis ansetzen und die Voraussetzungen für die darauf aufbauenden Zukunftsvisionen bilden. Schauen wir von da an weiter auf die bereits existierende und geplante IT-Nutzung, finden wir zahlreiche weitere Problemfelder in puncto Gemeinwohl. Um einen systematischen Überblick zu bekommen und ein Modell zur Einordnung zu bieten, haben wir die verschiedenen Aspekte in eine speziell für die IT-Branche angepasste Gemeinwohl-Matrix gebracht.

Gemeinwohl-Ökonomie als Rahmen für die Einordnung der Herausforderungen

Das grundlegende Modell dazu ist der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) entlehnt. Diese Bewegung entstand ab 2010 zunächst rund um das gleichnamige Buch von Christan Felber [15]. Der Philologe, Tänzer und Universitätslektor sowie Senior Fellow am renommierten IASS in Potsdam plädiert darin für ein anderes Wirtschaften, in dessen Zentrum Sinn, Werte und das Anstreben von Gemeinwohl durch Unternehmen stehen .

Ein wesentlicher Baustein dazu ist die sogenannte "Gemeinwohl-Bilanz". Sie untersucht das Handeln von Unternehmen auf seine Übereinstimmung mit den Grundwerten demokratischer, gemeinwohl-orientierter Gesellschaften. Es wurden dazu vier große Kategorien gebildet:

  • Menschenwürde – wird ganz klassisch so verstanden, dass der Mensch im Mittelpunkt und über jeder Sache sowie Vermögenswerten steht. Die Menschenwürde wird als unabhängig von der Verwertbarkeit der menschlichen Arbeitskraft gesehen.
  • Solidarität und Gerechtigkeit – zielt vor allem auf eine angemessene Verteilung von Gütern, Ressourcen, Macht sowie Chancen und Pflichten ab. Dies soll durch eine Balance von Stark und Schwach sowie Kooperation und gegenseitige uneigennützige Hilfe erreicht werden.
  • Ökologische Nachhaltigkeit – nimmt vor allem die Beziehungen des Menschen zur Umwelt in den Blick. Die Einwirkungen auf die Umwelt sollen dabei möglichst minimal innerhalb der Grenzen unseres Planeten erfolgen.
  • Transparenz und Mitentscheidung –  Unter "Transparenz" ist die Offenlegung aller für das Gemeinwohl bedeutenden Informationen zu verstehen, insbesondere der kritischen Daten. Betroffene sollen so zu Beteiligten und mündigen Mitentscheidenden werden.

Diese Themen werden in der Gemeinwohl-Ökonomie in Form einer Matrix den verschiedenen Stakeholdern eines Unternehmens – also den Lieferant*innen, Eigentümer*innen und Finanzpartner*innen, Mitarbeitenden, Kund*innen und Mitunternehmen – gebenübergestellt (s. [16]).

Da die Gemeinwohl-Matrix auf Einzelunternehmen zugeschnitten ist, haben wir sie für eine Gesamtbetrachtung der IT-Branche angepasst und in folgender Tabelle in die verschiedenen Sektoren unterteilt sowie mit den aus unserer Sicht aktuell wichtigsten Inhalten gefüllt. Wir erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr laden wir ein, die Inhalte durch weitere Aspekte im Sinne einer kooperativen und partizipativen Gemeinschaftsleistung in den Kommentaren zu diesem Beitrag zu ergänzen.

Überblick: Derzeitige Herausforderungen in der IT aus Gemeinwohl-Sicht

  Menschenwürde Solidarität und Gerechtigkeit Ökologische Nachhaltigkeit Transparenz und Mitbestimmung
übergreifend - Erhebung privater Daten (bis hin zum "gläsernen Menschen")
-> Risiko Missbrauch und Manipulation durch Unternehmen, Parteien, Regierungen und Geheimdienste
- starkes weltweites Ungleichgewicht in Produktion und Nutzung(-smöglichkeiten)
- ohne Teilnahme an der Digitalisierung nur eingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
- Enormer Ressourcenverbrauch (Energie, Rohstoffe...)
- Zunehmender Konsum überkompensiert Einsparung durch neue techn. Möglichkeiten ("Rebound-Effekt" [1])
- derzeit vergleichsweise hohe Intransparenz auf fast allen Ebenen
- vor allem auf Zulieferer-Ebene in vielen Ländern der Erde systematische Verhinderung von Mitbestimmung
Hardware - Verletzungen vor allem in den Frühstadien der Lieferkette ( "Blut-Rohstoffe")
- Gesundheitsgefährdungen durch vermehrte Arbeit mit chemischen Komponenten der IT-Hardware
- Digital divide auf verschiedenen Ebenen bis hin zur ungleichen Verteilung schneller Netzzugänge zwischen Stadt und Land - Umwelt- und Gesundheits-Gefährdung beim Rohstoff-Abbau und Recycling
- hoher Rohstoff-Verbrauch – vor allem bei seltenen und nicht-erneuerbaren Stoffen problematisch
- Problemmüll durch kurze Lebenszyklen (zur Profimaximierung von Unternehmen) und Entsorgung des Abfalls oft in Länder, die nicht über Know-how oder Möglichkeiten für fachgerechte Handhabung verfügen. Insgesamt deutlich zu niedrige Recycling-Quote.
- intransparente Lieferketten
- systematische Verhinderung von Mitbestimmung vor allem in den Fertigungs-Ländern wie z.B. China
Software (vor allem auf Endnutzer-Geräten installierbare Kaufversionen) - Verletzungen in der Herstellung vor allem in Niedriglohnländern - stärkere Individualisierung ermöglicht Entsolidarisierung - Verpackungsmüll (mit sinkender Tendenz)
- Nutzung von ergänzenden Datenzentren (Clouds) erhöht Stromverbrauch erheblich
- systematische Verhinderung von Betriebsräten selbst in Ländern des globalen Nordens
Services (= Software, die von Unternehmen zentral gehostet und in der Regel übers Internet bereit gestellt werden) - Verletzungen vor allem bei Zulieferern in Niedriglohnländern
- Unreglementierte Hassreden in Plattform-Ökonomien fördern Inhumanität
- Manipulation durch gezielte Nutzung der persönlichen Daten, z. B. für Mehrkonsum, Wahlbeeinflussung
- Willkürliche Löschung wie etwa bei Facebook untergräbt das Recht auf freie Meinungsäußerung
- Plattform-Ökonomien behindern gezielt Alternativen
- Digitale (Groß-)unternehmen profitieren von den Infrastrukturen & Gemeinwohl eines Landes, aber viele tragen nichts dazu in Form von Steuern bei
- Scoring benachteiligt gezielt bestimmte Gruppen
- Gefahr der Verstärkung bestehender Vorurteile/Probleme durch KI
- Ökologisch nachhaltige/sozial gerechte Start-Ups können sich oft nicht finanzieren, da Investoren oft nur bei Aussicht auf sehr hohe Gewinne investieren
- Digitalisierung macht vieles komfortabler, daher massiver Überkonsum; Trend wird verstärkt durch die gezielte Förderung der Übernutzung durch Unternehmen zur Erhöhung der Wertschöpfung > Energieverschwendung - weitgehend Intransparenz der Datenverwendung – besonders auch im Bereich KI
- Datenschutz-Probleme, verstärkt bei den großen amerikanischen Plattform-Unternehmen
- systematische Verhinderung von Betriebsräten selbst in Ländern des globalen Nordens

Die Tabelle zeigt anschaulich die vielfältigen Gefahren der Digitalisierung für das Gemeinwohl. Ein besorgniserregender zusätzlicher Aspekt ist, dass die Plattform-Ökonomie [17] zur Konzentration auf einige wenige Unternehmen führt – derzeit vor allem die viel beschworenen Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA), wobei sich in Zukunft große KI-Anbieter wie Microsoft und IBM dazu gesellen dürften; mittelfristig wahrscheinlich auch noch die großen chinesischen Konzerne, die bisher hierzulande wenig direkt präsent sind. Diese wenigen Unternehmen haben einen enormen Einfluss und blockieren derzeit an vielen Stellen schon, dass kleinere, nachhaltigere Alternativen ausreichend Zulauf bekommen, um konkurrenz- oder gar überlebensfähig zu sein.

Die obige Darstellung der aktuellen Herausforderungen ist eine Ausgangsbasis, um Handlungsfelder für eine gemeinwohl-orientiertere digitale Welt aufzudecken. Allerdings möchten wir dabei nicht stehen bleiben, sondern auch aufzeigen, wo es schon besser geht und wie es noch besser gehen könnte.

Wie könnte eine gemeinwohl-orientierte IT aussehen?

Setzen wir wieder an der Basis an: den gigantischen Energiemengen, die zur Erstellung und vor allem dem Betrieb der komplexen IT-Infrastrukturen benötigt werden. Die großen Tech-Konzerne haben hier ein Aktionsfeld erkannt und stellen auf erneuerbare Energien um. Apple und Google etwa haben die 100 Prozent bereits geschafft, Google erreicht sogar CO2-Neutralität. Apple geht so weit, dass auch die Zulieferer zu grüner Energie wechseln sollen. Hand in Hand damit geht die kontinuierliche Optimierung der Geräte und – im Fall von Google vor allem auch Rechenzentren –, damit sie möglichst wenig Strom benötigen. Google behauptet, sie hätten es in den letzten fünf Jahren geschafft, dass die eigenen Rechenzentren 59 Prozent weniger Strom verbrauchen und 50 Prozent energieeffizienter arbeiten als der Branchendurchschnitt [18]. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass dies nur dann zu einem absolut niedrigerem Verbrauch führen würde, wenn die Nutzung der Zentren nicht kontinuierlich ansteigen würde. Fachleute sprechen hier von einem "Rebound-Effekt" und fordern "digitale Suffizienz" [1].

Für die eingangs geschilderte Rohstoff-Problematik bieten verschiedene Varianten eines Kreislaufwirtschaftens – wie etwa Cradle-to-Cradle – mindestens eine deutliche Entlastung. Tech-Gigant Apple ist nun auf den Zug aufgesprungen und gibt in seinem letzten Nachhaltigkeits-Bericht eine "closed-loop supply chain" als Ziel an, in der Produkte nur noch aus recycelten oder erneuerbaren Materialien bestehen [11]. Das derzeit bestehende Problem der zu geringen Recycling-Quote geht Apple auf mehreren Ebenen an: Um die Rücklaufrate von Geräten zu erhöhen, lockt man die Kunden mit Provisionen und Umweltschutz-Spenden pro abgegebenem Smartphone zurück in die Läden. Die eingesammelten Handys werden dann mit einem eigens entwickelten Recycling-Roboter namens Daisy auseinander genommen.

Da Apple über die Konstruktionspläne seiner Geräte verfügt, kann das Unternehmen ein deutlich effektiveres Recycling betreiben als ein konventionelles Entsorgungs-Unternehmen, das zahllose Marken verarbeiten muss und häufig zunächst schreddert.

Huawei bekennt sich im Nachhaltigkeits-Bericht ebenfalls zu "Elementen der Kreislaufwirtschaft", bleibt bei der Konkretisierung aber sehr vage. Von der Konsequenz des niederländischen Anbieters Fairphone, der auf vollständige Reparier- und Upgradebarkeit seiner Geräte durch die Nutzer*innen durch modulares Design achtet [19], sind Apple und Huawei noch weit entfernt – vielleicht auch deshalb, weil sie eine Veränderung des Geschäftsmodells mit sich bringen muss, das bisher ja auf Konsum und ständiges starkes Wachstum ausgelegt ist.

Über die Hardware hinaus bietet vor allem die Software-Welt Hoffnung. Open-Source-Software etwa hat heute schon einen so signifikanten Anteil erreicht [20], dass die Autoren einer Fraunhofer-Studie zum Thema schon im Jahr 2005 schrieben: "Die Frage, ob sich Open-Source-Software gegenüber kommerzieller Software durchsetzen können wird, stellt sich in dieser Form nicht mehr. Sie hat es in vielen Bereichen bereits erreicht." Und ihr wird weiteres Wachstum prognostiziert: "Für die Zukunft ist mit einer weiteren Verbreitung von Open-Source-Software zu rechnen, auch und gerade in den Bereichen, in denen sie bisher unterrepräsentiert ist [21].    

Es gibt immer einen Anfang für das Bessere

– Motto des Gemeinwohl-Pioniers Märkisches Landbrot [22].

Nach diesen konkreten Beispielen bietet auch hier die angepasste Gemeinwohl-Matrix wieder den Rahmen für eine Gesamtübersicht von Verbesserungsoptionen. Die im folgenden genannten IT-spezifischen Punkte sollten selbstverständlich um branchen-neutrale Aspekte wie etwa faire Löhne durch die gesamte Lieferkette, Nachhaltigkeitsmanagement etc. ergänzt werden. Anregungen dazu gibt zum Beispiel die Gemeinwohl-Matrix und vor allem das ergänzende Arbeitsbuch [22].

Überblick: So könnte eine gemeinwohl-orientiertere IT aussehen

  Menschenwürde
Solidarität und Gerechtigkeit
Ökologische Nachhaltigkeit Transparenz und Mitbestimmung
übergreifend - konsequenter Schutz der Privatsphäre > Datenschutz als "default",
- Manipulationsfreiheit
- Re-Regionalisierung (lokale/globale Wertschöpfung im Gleichgewicht),
- Gerechte Verteilung der Gewinne der Digital-Ökonomie,
- Netzneutralität,
- Open-Source-Prinzip auf verschiedenen Ebenen > offene Innovationen,
- Level Playing Field → Ausgangs-voraussetzungen sowohl in punkto Hardware als auch in punkto Big Data angleichen,
- Einsatz der Digitalisierung für humanitäre Zwecke
- Einsatz von Green IT: nachhaltige Energiequellen durch die gesamte Lieferkette,
- Digitale Suffizienz > nur so viel IT wie nötig und nicht wie möglich [12]
- weitgehende Transparenz über Herstellungsbedingungen,
- Offenlegung von KI-Mechanismen,
- Keine Diskriminierung aufgrund erhobener digitaler Daten,
- Kritische digitale Bildung,
- Mitentscheidung mindestens für Mitarbeitende, idealerweise sogar alle Stakeholder
Hardware - Faire Herstellungs-bedingungen auch in Niedriglohnländern - Keine Abladung von Abfall in Ländern, die nicht das Know-how oder die Möglichkeiten zur fachgerechten Entsorgung haben - intelligente(re) Energienutzung,
- lange Nutzungsdauer (Reparierbarkeit & Erweiterbarkeit),- Überarbeitung der Materialien im Sinne eines Cradle2Cradle-Gedankens: abbaubar oder wiederverwertbar,
- Verhinderung von Übernutzung/ Rebound-Effekten,
- massive Verbesserung der Recycling-Quote
- Transparenz über Lieferketten
Software - Keine heimliche Erhebung von Daten - offene Standards ("Open Source") oder mindestens freie/definierte Schnittstellen,
- Teilung ("Open Source") allgemeiner Basisdaten (z. B. für KI) mit dem Gemeinwesen
- Verpackungen reduzieren/eliminieren - techn. Lösungen für mehr demokratische Teilhabe (z.B. Online-Konvente),
- Transparenz über die Entscheidungsmuster von KI-Algorithmen
Services - Konsequenter Datenschutz und Datensouveränität,
- keine verdeckte Manipulation der Nutzer (Passivitäts-gebot)
- flexible Preismodelle für benachteiligte Gruppen,
- kein Scoring ohne Offenlegung der Maßstäbe,
- gezielte Förderung gemeinwohl-orientierter Bereiche der Digitalisierung, z. B. guter Sharing-Konzepte, die nicht profitorientiert sind
- intelligente Nutzungsverteilung zur Einsparung von Ressourcen > "Sharing Economy" - informationelle Selbstbestimmung (= Datenhoheit für die Nutzer),
- wird mit Daten gezahlt, wird das transparent ausgewiesen,
- Individuelle Entscheidungsmöglichkeit für oder gegen individuell angepasste Werbung

Wie könnten die hehren Ziele erreicht werden?

Um die genannten Ziele zu erreichen, ist es noch ein weiter Weg – aber einer, der bereits von einigen Unternehmen wie etwa Fairphone und Nager-IT gegangen und zunehmend auch in der Öffentlichkeit gefordert und gefördert wird. Wir möchten daher einige konkrete Maßnahmen vorstellen, die bereits heute umgesetzt werden können:

  • Unternehmen können durch die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz erkennen, wo sie noch Schwachstellen haben und wo Verbesserungspotenzial in puncto Gemeinwohl liegt. Sie sollten diese Potenziale konsequent ausbauen – besonders auch im Hinblick auf die in den Tabellen dargestellten Aspekte.
  • Der Staat könnte mittelfristig durch eine Bevorzugung gemeinwohl-orientierter Unternehmen in der öffentlichen Beschaffung, bei der Vergabe von Forschungsaufträgen oder mit steuerlichen Anreizen diesen Effekt noch verstärken. Darüber hinaus fordern viele NGOs zahlreiche weitergehende direktive Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen. Die folgenden Punkte können nur einzelne Elemente einer deutlich längeren Liste sein, denn der Regulierungsbedarf ist noch sehr hoch und es würde den Rahmen des Artikels sprengen, alle aufzuführen.
    • Ein wichtiger Punkt ist der Umweltschutz, der durch eine Steuerreform für Energie- und Ressourcenverbrauch [12] ebenso verbessert werden könnte wie durch ein "Recht auf Reparierbarkeit" und die Verpflichtung, Prinzipien menschenrechtlicher und ökologischer Sorgfaltspflichten in den Abbau- und Produktionsländern konsequent anzuwenden [25].
    • Zur Einhegung digitaler Monopole könnte eine Revision des Kartellrechts ebenso helfen wie die der internationalen Rechtshilfe.
    • In den Bereich der "Solidarität und Gerechtigkeit" ist die Forderung nach Schaffung einer solidarischen Datenbasis einzuordnen. Idee ist dabei, dass Basis-Lerndaten für KI-Systeme durch eine staatliche Stelle garantiert mehreren Unternehmen zur Verfügung stehen und dadurch die Ausgangsbedingungen auch für kleinere Firmen fairer werden. Die britische Biobank ist ein Beispiel, wie nutzbringend eine offene Datenbasis sein kann.
  • Jede*r Einzelne kann durch gezielte Auswahl von Hard- und Software und vor allem durch gelebten Konsumverzicht einen bedeutenden Beitrag leisten. Die Handlungsmöglichkeiten sind hoch, denn Unternehmen sind letztlich von der Masse der Konsument*innen abhängig. Dies gilt in besonderem Maße für alle Firmen, deren Geschäftsmodelle auf dem Sammeln von Daten beruhen. Hier bestehen große Chancen, wenn viele ihre Spielräume stärker nutzen.
    • Geräte länger zu nutzen und sie einem Recyling-Kreislauf zuzuführen, ist ein wichtiger grundlegender Baustein einer nachhaltigen IT-Strategie für jede*n Einzelne*n [26].
    • Muss doch neu gekauft werden, kann als Entscheidungshilfe für Hardware z. B. der "Guide to greener Electronics" von Greenpeace genutzt werden, in dem 17 Technologieunternehmen in Bezug auf die Verwendung erneuerbarer Energien, den Einsatz von Chemikalien sowie dem Recycling von Rohstoffen vergleichend bewertet werden [8].
    • In punkto Software und Services hat die GWÖ eine Liste für gemeinwohl-orientierte Alternativen begonnen, die jedoch noch in den Anfängen steckt [27].
    • Als weiteres Mittel schlägt die GWÖ den Konsumenten-Kontakt zu Herstellern vor. Mit einem "Kund*innenwunschzettel" sollen sie diese darauf aufmerksam machen, wo sie Verbesserungspotenzial sehen [28].

Fazit

Obwohl die Durchdringung mit Computern (im weitesten Sinne bis hin zum Smartphone) weltweit schon sehr hoch ist, stecken wir noch in den Anfängen der Digitalisierung. "Es gibt noch viel zu gewinnen und viel zu verlieren" stellt der aus Talkshows und von Veranstaltungen bekannte Philosoph und Beststeller-Autor Richard David Precht fest und ruft zu Aktivität auf: "Es wird weder die Hölle noch das Paradies. [..] Wir können uns entscheiden und müssen nicht der Logik des Silicon Valley folgen, nach der alles schon vorgezeichnet ist." [29]

Es gilt, die Vorteile der Digitalisierung mit ethischen Werten zu kombinieren. Dabei muss regelmäßig geprüft und bei Bedarf nachjustiert werden, ob letztere noch ausreichend berücksichtigt werden. Das Instrument "Gemeinwohl-Bilanz" könnte ein Schlüsselelement zur Messung des Erfolgs sein und zum Wegweiser in eine gemeinwohlverträgliche digitalisierte Welt werden.

Quellen
  1. Youtube: Amnesty International: This is what we die for: Child labour in the DRC cobalt mines
  2. Amnesty International: Exposed: Child labour behind smart phone and electric car batteries
    media.ccc.de: Wie schwer wiegt ein Bit?
  3. Wikipedia: Konfliktrohstoff
  4. Apple: Environmental Responsibility Report
  5. Wikipedia: Dodd–Frank_Act
  6. media.ccc.de: Wie schwer wiegt ein Bit?
  7. Nager-IT: Lieferkette
  8. Greenpeace: Guide to Greener Electronics
  9. Golem: Wie fair ist das Fairphone?
  10. Serlo: Lebensdauer eines Smartphones
  11. Apple: Environmental Responsibility Report
  12. S. Lange, T. Santarius: Smarte grüne Welt. Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit. oekom Verlag 2018
  13. Spiegel Online: Google entschuldigt sich für fehlerhafte Gesichtserkennung
  14. Menschenrechte.org: Künstliche Intelligenz und Menschenrechte
  15. C. Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie. Piper 2018
  16. Gemeinwohl Ökonomie: Gemeinwohl-Bilanz
  17. Wikipedia: Plattformkapitalismus
  18. Google: Environmental Report
    Google: 100 % erneuerbar ist nur der Anfang
  19. Fairphone: Bei uns geht die Lebensdauer von Produkten in die Verlängerung
  20. Statista: Projected revenue of open source services
  21. Fraunhofer Gesellschaft: Open Source Software Einsatzpotenziale und Wirtschaftlichkeit
  22. Märkisches Landbrot
  23. Gemeinwohl Ökonomie: Gemeinwohl-Matrix
  24. Gemeinwohl Ökonomie: Arbeitsbuch zur Gemeinwohl-Bilanz 5.0 – Vollbilanz
  25. Netzpolitik.org: Bits & Bäume: Forderungen für mehr digitale Nachhaltigkeit
  26. Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften: The Generation Z and the environmental impact of their digital media behaviour
  27. ECG/GWÖ-Wiki: Gemeinwohl-orientierte IT-Werkzeuge
  28. Gemeinwohl Ökonomie
  29. Spiegel Online: Facebook ist gefährlicher als Trump

Autorinnen

Petra Vogt

Petra Vogt berät sowohl Unternehmen als auch gemeinnützige Organisationen in punkto Digitalisierung. Als Wirtschafts-Informatikerin fühlt sie sich der Technik ebenso nah wie Nutzerfreundlichkeit und Gemeinwohl.
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Maj Jäpel

Maj Jäpel kennt als digital Native die Welt gar nicht ohne Computer und Internet, hat zur Recherche für ihren Artikel aber auch noch zahlreiche Bücher auf Papier gewälzt. Sie möchte, dass die Welt auch in 50 Jahren noch lebenswert…
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Kommentare (2)
  • Alina
    am 05.04.2020
    Was für ein wunderbarer, ausführlicher, wertvoller Artikel! Meinen herzlichsten Dank an die Autorinnen. Dass man sowas noch ohne Paywall zu lesen bekommt: ich bin begeistert!

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