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Dr. Jürgen Lampe 22. März 2016

Build or Buy: Wenn Individualsoftware unverzichtbar ist

Veränderung prägt unseren Alltag. Die Prozesse in den Unternehmen müssen dieser Dynamik folgen. Das heißt häufig, Software muss erweitert oder ersetzt werden. Wenn das vorhandene IT-System nicht mehr den aktuellen Anforderungen genügt, ergibt sich sofort die Frage, ob es durch eine am Markt erhältliche Lösung oder durch eine Eigenentwicklung ersetzt werden soll. Kurzfristig spricht vieles für den Kauf: Man bekommt für ein überschaubares Budget und in relativ kurzer Zeit ein erprobtes System. Zumindest das Controlling wird diesen Weg in den meisten Fällen bevorzugen und oft auch durchsetzen. Es wird leicht übersehen, dass die Entscheidung pro oder contra erhebliche strategische Bedeutung hat, wenn der betrachtete IT-Prozess in enger Verbindung zur Kernkompetenz des Unternehmens steht oder diese verkörpert. Die Risiken, die der Einsatz von Kaufsoftware birgt, werden oft unterschätzt oder zu spät erkannt.

Gekaufte Software entspricht selten exakt den eigenen Anforderungen.

Mit dem Kauf einer Software begibt man sich in Abhängigkeit von ihrem Hersteller. Niemand kann seriös vorhersagen, zu welchen Veränderungen es in den Besitzverhältnissen oder dem Produktportfolio zukünftig kommen wird. Selbst bei den ganz Großen ist man vor heftigen Strategieschwenks nicht sicher. Die Nutzungsspanne einer Software einschließlich ihrer Einführung beträgt oft zehn oder mehr Jahre. In dieser Zeit kann viel passieren. Selbst wenn der Anbieter nicht vom Markt verschwindet, kann er an Innovationskraft verlieren oder das Interesse an einem Produkt verlieren. Die Verfügbarkeit neuer Features hängt weitgehend von der Release-Planung des Herstellers und den Wünschen seiner anderen, bisweilen einflussreicheren Kunden ab. Abgesehen von diesen technischen Risiken bedeutet eine solche Abhängigkeit immer auch eine finanzielle Unwägbarkeit. Es gibt zahllose Beispiele dafür, dass etablierte Anbieter ihre Kunden mit erheblichen Erhöhungen von Wartungs- oder Lizenzgebühren konfrontiert haben.

In den wenigsten Fällen entspricht eine gekaufte Software exakt den eigenen Anforderungen. Entweder man verzichtet dann auf einige der angestrebten Vorteile, oder es sind spezielle Anpassungen notwendig. Häufig wird man einen Mittelweg zwischen diesen Extremen einschlagen. Man bekommt dann eine Lösung, die nicht optimal ist, aber mehr Kosten verursacht, als das pure Produkt. Das muss gar nicht schlecht sein. Ein großes Problem dabei stellt jedoch die Wartung der Anpassungen dar. In vielen Fällen werden beim Adaptieren Schnittstellen benutzt, deren Funktion für zukünftige Releases nicht garantiert ist. Jedes Update birgt dann ein erhebliches Risiko und verlangt entsprechend aufwändige Tests und eventuell weitere Anpassungen. Ganz besonders gravierend ist dieses Problem, wenn zwischen den einzelnen Überarbeitungen längere Pausen liegen. Unabhängig davon, ob diese Leistungen selbst oder von einem externen Dienstleister erbracht werden, wird es nur selten gelingen, dabei auf eingearbeitete und mit der Aufgabe vertraute Mitarbeiter zurückgreifen zu können. Das erhöht durch die notwendige Einarbeitung nicht nur den Aufwand, sondern bedroht auf längere Sicht häufig die Stabilität des Gesamtsystems. Letzteres kann nur durch eine äußerst rigide und ebenfalls weitere Kosten verursachende Überwachung der Codequalität verhindert werden.

Kaufsoftware ist fast immer viel komplexer als es eine maßgeschneiderte Lösung wäre. Weil der Verkäufer einen möglichst großen Kundenkreis ansprechen will, muss er sein Produkt in vielen Aspekten anpassbar und konfigurierbar machen. Dabei entsteht unvermeidlich eine Vielzahl von mehr oder weniger verdeckten Abhängigkeiten, die das Auftreten von Fehlern oder unerwarteten Effekten erhöhen und die Wartbarkeit und Anpassbarkeit verschlechtern. Außerdem erhält man nicht gewollte Funktionen, die im besten Fall nur den Preis erhöhen, oft aber die Leistung vermindern und dadurch die Kosten für die benötigten Ressourcen erhöhen.

Mit dem Kauf einer Software wird es schwieriger, sich vom Wettbewerb abzusetzen.

Natürlich hat eine Kaufsoftware auch Vorteile. Die Entwicklungs- und Wartungskosten können auf die Käufer verteilt werden und sind dadurch niedriger als bei Individualsoftware. In der Regel verfügen die Hersteller über zahlreiche und kompetente Entwickler. Durch den breiteren Einsatz der Programme bei unterschiedlichen Kunden werden Fehler schneller gefunden und das Produkt reift in der Folge schneller. Der richtige Einsatz eines guten Produktes kann beim Anwender substantiellen Gewinn abwerfen. Trotzdem handelt man sich mit dem Kauf einer Software ein grundsätzliches Handicap ein: Es wird schwieriger sich vom Wettbewerb abzusetzen.

Eine Kaufsoftware kann von jedem Wettbewerber ebenso gekauft werden. Das ist unproblematisch so lange die Kernkompetenzen nicht berührt werden. Für einen Schraubenhersteller ist es beispielsweise nicht so wichtig, wie der Web-Shop aussieht, mit dem er einen kleinen Teil seiner Produkte an Privatkunden verkauft. Bei einem Versandhaus sieht das schon ganz anders aus. An diesem Beispiel lässt sich illustrieren, welche Bedeutung Software für den Geschäftserfolg hat. Der Versandhandel kann inzwischen nicht mehr nur mit günstigen Preisen und durchgängiger 24/7-Erreichbarkeit locken. Ganz wichtig ist die gute Bedienbarkeit der Web-Oberfläche geworden. Neue Anbieter mit eigens entwickelten Systemen machen den altbekannten Versandhäusern das Leben schwer. Diese haben die strategische Bedeutung der Webshop-Software teilweise falsch eingeschätzt und auf Produkte gesetzt. Damit haben sie sich jedoch der Möglichkeit beraubt, schnell auf die Herausforderungen des Wettbewerbs reagieren zu können. Produkthersteller sind in aller Regel nicht darauf eingestellt, sehr schnell auf spezielle Anforderungen einzelner Kunden zu reagieren. Koordination mit den Wünschen anderer Kunden und Einordnung in den Releasezyklus führen zu einem eher behäbigen Verhalten. Die erwähnte größere Komplexität der Produkte verstärkt diesen Effekt.

Soll als Ausweg hier nun das Alles-selber-machen propagiert werden? Nein, darum geht es nicht. Man kann zum Vergleich etwa die Automobilproduktion heranziehen. Nur ein kleiner, aber entscheidender Anteil der Teile wird durch den Hersteller selbst produziert. Der Rest setzt sich aus Standardteilen und im Auftrag entwickelten exklusiven Zulieferungen zusammen. Autohersteller sind zu einem erheblichen Teil Systemintegratoren. Genau so muss sich jedes Unternehmen, dass in führender Position am Markt bestehen will und dessen Kernkompetenz IT-bezogen ist, auch als Integrator seiner IT-Lösung sehen. Dazu gehört, dass eine hinreichende IT-Kompetenz im eigenen Haus vorhanden ist, um diesen fortlaufenden Integrationsprozess strategisch steuern zu können und dass man daneben über langfristig gebundene externe Partner verfügt, die bei Bedarf spezielles Know-how und zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung stellen können. Das Ziel sind schlanke Lösungen, die für Standardfunktionen auf erprobte (möglichst - im Prinzip - austauschbare) Produkte setzen. Diese Lösungen müssen ständig weiterentwickelt werden, um zum einen möglicher Degeneration entgegenzuwirken, vor allem aber, um vorhandene Kompetenzen zu erhalten und auszubauen.

Autor

Dr. Jürgen Lampe

Dr. Jürgen Lampe befasst sich seit mehr als 15 Jahren mit Design und Implementierung von Java-Anwendungen im Bankenumfeld.
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