Herausforderungen bei der dualen Ausbildung als Informatiker

In Deutschland zeigt sich laut einer aktuellen OECD-Studie eine alarmierende Entwicklung: Der Anteil junger Menschen, die sich für eine klassische Berufsausbildung entscheiden, ist dramatisch gesunken. Dabei hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher und verzeichnet den größten Rückgang der beruflichen Bildung unter allen OECD-Ländern. In diesem Zusammenhang fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine grundlegende Reform und eine bessere finanzielle Unterstützung für das Berufsbildungssystem in Deutschland.
Doch inmitten dieser besorgniserregenden Entwicklung fragen sich viele: Ist die duale Ausbildung überhaupt noch attraktiv genug, um junge Menschen anzuziehen? Der 19-jährige Auszubildende Jonas Lohrmann, im dritten Lehrjahr zum Fachinformatiker für Systemintegration, berichtet von seinen Erlebnissen:
In der Dunkelheit einer ungewöhnlich frühen Morgenstunde, um genau drei Uhr, klingelte der Wecker. Dies sollte ein besonderer Tag für mich werden, denn er markierte den Start der Berufsschule. Zum 1. September 2021 begann ich eine duale Ausbildung. Doch bereits da wusste ich, dass mein Weg zur Berufsschule nicht so reibungslos verlaufen würde, wie ich es zuvor geplant hatte.
Dabei konnte ich froh sein, überhaupt einen Ausbildungsplatz in meiner Region gefunden zu haben. Die Schulschließungen und Pandemiebedingungen haben auch meine Schulzeit stark beeinflusst. Zu dieser Zeit stand ich vor einem wichtigen Übergang von der Schule in das Berufsleben, beeinflusst durch die Pandemie und die Unsicherheit in dieser Zeit. Ich musste mich beruflich orientieren, obwohl Schülerpraktika ausfallen mussten und die meisten Betriebe aufgrund der Corona-Pandemie keine "Fremden" aufgenommen haben.
Mit einem zielstrebigen Blick auf die Uhr und einem Hauch von Aufregung in der Luft verließ ich also an meinem ersten Berufsschultag das Elternhaus gegen 03:45 Uhr. Schließlich erreichte ich nach einem zehnminütigen Fußweg den Hauptbahnhof von Lutherstadt Wittenberg. Doch das war nur der Anfang meiner abenteuerlichen Reise. Ich bestieg den Zug S8 nach Halle (Saale) Hauptbahnhof, voller Vorfreude auf den Unterricht, doch die Hindernisse sollten erst beginnen.
Da genau an diesem Tag in der Händelstadt Halle die Straßenbahnfahrer streikten, musste ich meine Reise anders fortsetzen als geplant. Entschlossen suchte ich nach einer Alternative. Und als ich einen überfüllten Bus fand, war ich bereit für das letzte Kapitel meiner Reise. Der Busfahrer zögerte zuerst, die Fahrt überhaupt anzutreten und musste schließlich einige Fahrgäste "rausschmeißen", um Platz sowie Sicherheit im Bus zu schaffen. Schließlich erreichte ich mit einem Gefühl der Erschöpfung und leichter Frustration Halle-Neustadt, einst eine Vorzeigestadt der ehemaligen DDR. Inmitten verlassener Hochhäuser suchte ich unermüdlich nach dem Schulgebäude der BBS Gutjahr, das sich in unmittelbarer Nähe einer Schwimmhalle befindet.
Täglich lege ich noch heute während der Berufsschulzeit fast fünf Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln zurück und überwinde dabei mehr als 180 Kilometer, nur um die Berufsschule zu erreichen. Meine Bemühungen hatten ihren Preis und in den letzten beiden Ausbildungsjahren habe ich mehr als 22 Tage reine Fahrzeit meines Lebens in Zügen und Bussen verbracht. Rechnet man die Pendelzeit zusammen, beansprucht diese insgesamt mehr als die eigentliche Unterrichtszeit an einem sechsstündigen Schultag. Diese Anstrengungen hinterlassen nicht nur Spuren an meiner Gesundheit, sondern beeinträchtigten auch Lernmöglichkeiten und -motivation.
Während der langen Zugfahrten gibt es dabei nur selten eine ruhige Atmosphäre, um in aller Ruhe zu lernen oder Hausaufgaben zu erledigen. Die von mir befahrene Strecke zieht nicht nur zahlreiche weitere Pendler an, sondern auch Festivalgäste, die nach Ferropolis strömen, sowie Reisende, die das Ziel Ostsee vor Augen haben. Besonders während der Zeit des Neun-Euro-Tickets waren die Züge überfüllt und die Suche nach einem freien Sitzplatz oft vergeblich. Stattdessen fand ich mich in stickiger Hitze wieder, da die Klimaanlage der Zuges ihren Dienst bei der Hitze versagte.
Verspätungen und Zugausfälle sind bekanntlich alltägliche Probleme im Bahnverkehr. Besonders ärgerlich ist die Streichung des direkten Zugs von Halle (Saale) nach Lutherstadt Wittenberg auf der Rückfahrt, was mich dazu zwingt, über Dessau einen Umweg zu nehmen. Während meines ersten Berufsschulturnus im dritten Ausbildungsjahr, der vom 17. August bis zum 01. September stattfand, wurden ganze vierzehn wichtige Zugverbindungen gestrichen. Diese Unsicherheit im Bahnverkehr macht es nahezu unmöglich, Termine verlässlich zu planen. Das zeigte sich auch im März beim ersten Teil meiner IHK-Abschlussprüfung, vor dem ich in einem Hotel in Halle übernachten musste.
Meine Geschichte zeigt dabei nicht nur die individuellen Herausforderungen der Pendelstrecke zur Berufsschule, sondern wirft auch ein Licht auf die allgemeinen Schwierigkeiten im Bildungssystem und die Unterstützung für Berufsschüler. Ich sehe das Bildungsministerium in der Pflicht und fühle mich in Bezug auf die Förderung meiner Ausbildung vernachlässigt. Während im ersten Ausbildungsjahr noch Fahrtkostenzuschüsse gewährt wurden, fielen diese ab dem zweiten Ausbildungsjahr weg, da eine Übernachtung beispielsweise im Wohnheim gesetzlich vorgeschrieben ist. Pendler wie ich sind somit ab dem zweiten Jahr vom Förderungssystem ausgeschlossen, was die finanzielle Belastung in der dualen Ausbildung weiter erhöht.
Ich sehe das Bildungsministerium in der Pflicht und fühle mich in Bezug auf die Förderung meiner Ausbildung vernachlässigt.
Meiner Einschätzung nach ist die Generation Z keineswegs generell desinteressiert an einer Ausbildung und als faul zu betrachten. Vielmehr liegt das eigentliche Problem darin, dass heutzutage eine Vielzahl von Beschäftigungsmöglichkeiten existieren, die keine Berufsausbildung erfordern. In dieser kontextuellen Lage sehen sich junge Menschen mit einer schweren Entscheidung konfrontiert: Soll man sich für schnelles Geld durch eine Tätigkeit mit Mindestlohn entscheiden oder doch die mühsame Ausbildung wählen, die oft mit vergleichsweise niedriger Ausbildungsvergütung einhergeht und zudem bedeutet, wieder zur Schule zu gehen und das Bundesland zu bereisen?
Es ist für mich daher besonders enttäuschend zu beobachten, dass einige Unternehmen ihren Auszubildenden lediglich die gesetzlich vorgeschriebene Mindestvergütung zahlen. In solchen Betrieben erhalten junge Fachkräfte nur begrenzte finanzielle Anreize, sich für eine Ausbildung zu entscheiden. Dies spiegelt aber auch häufig die problematische Praxis wieder, bei der Auszubildende als billige Arbeitskräfte betrachtet werden und die "Drecksarbeit" erledigen sollen. Im Endeffekt führt das dazu, dass die ehemaligen Auszubildenden nach dem Abschluss nicht angemessen auf ihren Beruf vorbereitet sind.
Es ist allgemein bekannt, dass das Problem nicht allein auf die Bezahlung zurückzuführen ist, sondern auch auf das oft negative Image von beruflichen Ausbildungen, insbesondere in den Augen der betroffenen Generation. Überholte Vorstellungen wie "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" finden hier wenig Anklang. Das ist jedoch nicht auf Faulheit zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, dass sich die Arbeitswelt stetig verändert und das duale Ausbildungssystem diesen Veränderungen folgen muss.
Doch meine Herausforderungen in der dualen Ausbildung beschränkten sich nicht nur auf die Pendelstrecke und die Förderproblematik. Seit dem 01. August 2020 ist eine neue Ausbildungsordnung für die sogenannten "IT-Berufe" in Kraft getreten. Das ist in dem Fall erstmal als sinnvoll zu betrachten, weil im Bereich der IT ein stetiger Wandel herrscht. Themen wie Vernetzung, Internet of Things, Industrie 4.0 und die damit verbundene Digitalisierung aller Wirtschaftsbereiche haben zuvor nur sehr kleine oder sogar gar keine Anwendung gefunden. Leider hinkt die technische Ausstattung meiner Berufsschule aber noch immer teilweise ein Jahrzehnt hinterher. Der technische Wandel hätte bereits vor Jahren stattfinden müssen, um auch mit der neuen Ausbildungsordnung eine zeitgemäße Ausbildung für junge Fachkräfte gewährleisten zu können. Als kürzlich erwartete Fördermittel für technische Modernisierungen endlich bereitgestellt wurden, kam dies aus meiner Sicht deutlich zu spät. Ich selbst werde in meiner Ausbildung nicht mehr davon profitieren, da mein letzter Schultag im April des nächsten Jahres bevorsteht und die Modernisierung bis dahin nicht abgeschlossen sein wird. Das bedeutet, dass ich bis dahin aktuell den störenden Baulärm in der Schule während des Unterrichts ertragen muss, ohne im Anschluss davon profitieren zu können.
Die technische Ausstattung hinkt noch immer teilweise ein Jahrzehnt hinterher.
Und es handelt sich in meiner Berufsschule keinesfalls um einen Einzelfall. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) berichtet, dass sich weniger als die Hälfte der Auszubildenden gut auf das Thema Digitalisierung vorbereitet fühlt. Fast 40 Prozent erhalten selten oder nie die benötigte technische Ausstattung. Und nur etwa ein Drittel der Befragten bewertet die digitale Ausstattung von Berufsschulen als gut. Es ist in dem Fall für uns Fachinformatiker bedauerlich, dass die dringend benötigten technischen Modernisierungen erst so spät angegangen wurden. Dieses Versäumnis in der Politik zeigt, wie wichtig es ist, Bildungseinrichtungen rechtzeitig auf die Anforderungen der sich entwickelnden Arbeitswelt vorzubereiten und mehr Geld für die Digitalisierung in die Hand zu nehmen.
Aber nicht nur die zeitgemäße technische Ausstattung fehlt, sondern auch die passende Unterrichtslektüre. Bislang steht kein Arbeitsbuch zur Verfügung, das die Umsetzung der neuen Prüfungsordnung ermöglicht. Das speziell auf die Anforderungen im dritten Ausbildungsjahr zugeschnittene Buch erscheint voraussichtlich erst im Februar 2024, obwohl es bereits letztes Jahr von den nunmehr ausgelernten Fachinformatikern genutzt werden sollte.
Inmitten der gegenwärtigen Bildungslandschaft Deutschlands, die von einer alarmierenden Abkehr der Jugend von klassischen Berufsausbildungen gezeichnet ist, erheben sich einige Fragen. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland bei der Berufsausbildung hinterher und verzeichnet den stärksten Einbruch unter allen OECD-Ländern. Diese Zahlen fordern dringend eine tiefgreifende Reform und eine substantielle finanzielle Unterstützung für das deutsche Berufsbildungssystem, wie von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gefordert. Und es stellen sich viele die Frage, ob die duale Ausbildung überhaupt noch attraktiv genug ist, um junge Menschen anzuziehen?
Fazit
Jonas' Geschichte verdeutlicht die persönlichen Herausforderungen, denen junge Menschen in der dualen Ausbildung gegenüberstehen. Sein täglicher Bildungsmarathon, bei dem er fast fünf Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegt und mehr als 180 Kilometer bewältigt, um die Berufsschule zu erreichen, ist beeindruckend und beunruhigend zugleich. Die finanzielle Belastung und die negativen Auswirkungen auf Lernmöglichkeiten und -motivation sind offensichtlich.
Doch seine Erfahrungen werfen nicht nur ein schlechtes Licht auf individuelle Schwierigkeiten im Bildungssystem, sondern auch auf allgemeine Probleme und Versäumnisse. Die Abschaffung von Fahrtkostenzuschüssen ab dem zweiten Ausbildungsjahr für Pendler wie ihn ist problematisch und verschärft die finanzielle Belastung während der Ausbildung. Darüber hinaus sehen sich junge Menschen heute mit einer komplexen Entscheidung konfrontiert: Die Aussicht auf schnelles Geld in Tätigkeiten mit Mindestlohn gegenüber der mühsamen Ausbildung, die oft mit niedriger Vergütung einhergeht und erneutes Schulbankdrücken bedeutet. Die mangelnde Wertschätzung der dualen Ausbildung, die fehlende Bereitschaft einiger Unternehmen, angemessene Vergütungen zu zahlen und die betrübliche Haltung, Auszubildende als billige Arbeitskraft zu betrachten, sind nicht nur ethisch bedenklich, sondern führen auch dazu, dass Absolventen nicht adäquat auf ihre Berufslaufbahn vorbereitet sind.
Jonas hebt zu Recht hervor, dass die Arbeitswelt sich ständig verändert und das duale Ausbildungssystem diesen Veränderungen folgen muss. Die unzureichende technische Ausstattung der Berufsschulen und das Fehlen geeigneter Lehrbücher für die Umsetzung der neuen Ausbildungsordnung sind Beispiele für dringend notwendige Reformen. Die Politik muss Bildungseinrichtungen rechtzeitig auf die Anforderungen der sich entwickelnden Arbeitswelt vorbereiten und mehr Geld in die Digitalisierung investieren.
Die Attraktivität der dualen Ausbildung sollte keineswegs in Frage gestellt werden. Stattdessen bedarf es dringend einer Modernisierung des Systems, um den Erwartungen und Bedürfnissen der jungen Generation gerecht zu werden. Wenn Deutschland seinen Platz im internationalen Bildungsvergleich behaupten möchte, muss es diese Herausforderungen mit Entschlossenheit und innovativem Denken angehen, um die berufliche Bildung wieder zu einem attraktiven Weg für die kommenden Generationen zu machen.