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Silke Kainzbauer & Dr. Wolfgang Brandhuber 28. März 2017

Organisationsentwicklung mit Agile Organizational Moves

It is not enough that management commit themselves to quality and productivity, they must know what it is they must do. Such a responsibility cannot be delegated. (W. Edwards Deming) [1]

Wenn ich eine Organisation aufbauen möchte, die in der Lage ist, schnell auf Veränderungen zu reagieren, kann diese Organisationsform selbst nicht statisch sein. So sehr Agilität ermöglicht, die Komplexität der Produktentwicklung in einem sich ständig verändernden Umfeld erfolgreich zu bewältigen, so wenig ist sie bisher in der Organisationsentwicklung angekommen: Change Management-Konzepte mit ihren Big-Upfront-Designs entstammen genau der Wasserfall-Denkweise, die man aus gutem Grund in der Produktentwicklung hinter sich lassen möchte. Sie propagieren agile Werte, ohne selbst agil zu sein.

Unterstützende Maßnahmen werden noch immer mehr oder weniger zentral definiert und implementiert und sind selten inhaltlich und zeitlich passgenau. Denn Agilität beschreibt keinen statischen Zustand, der irgendwann erreicht werden kann, sondern vielmehr einen kontinuierlichen Weiterentwicklungsprozess. Dazu braucht es auch in der Veränderung inkrementelle und iterative Vorgehensweisen, Variation und Selektion und vor allem Transparenz und ein "Alignment" – einen Abgleich in der Ausrichtung – sowohl vertikal innerhalb einer Organisationsebene, als auch horizontal zwischen den Ebenen.

Das ist kein triviales Problem, denn ohne eine entsprechende kontinuierliche Organisationsentwicklung auf allen Ebenen des Unternehmens, kann sich in einer sich ständig verändernden Welt mit immer neuen Möglichkeiten und Herausforderungen keine erfolgreiche agile Produktentwicklung dauerhaft etablieren. Eine Organisation ist ein komplexes System, dessen viele Komponenten auf verschiedenste Weise miteinander interagieren. Eine passende Organisationsentwicklung muss dem Rechnung tragen, um erfolgreich zu sein. Ein bestimmter Grad an Komplexität kann nur von Systemen abgebildet werden, die selbst mindestens so komplex sind wie das, was sie abbilden wollen. Agile Organisationsentwicklung sollte daher einen klaren Rahmen geben, der gleichzeitig Freiraum lässt für die ständig anzupassende konkrete Ausgestaltung. Horizontales und vertikales Alignment ist dabei eine Notwendigkeit, um die Qualität der Ergebnisse zu verbessern und Akzeptanz zu schaffen.

Eine mögliche Lösung bietet das Agile Organizational Moves Framework, das zu erstellende Artefakte vorgibt, aber Freiraum lässt, wie diese erreicht werden können. Wichtig ist das jeweilige Ergebnis als Basis für die nächsten Schritte. Das Framework liefert bei Bedarf sehr konkrete Ideen für Events bis hin zu einem Werkzeugkasten voller Methoden, die man zur Erstellung der Artefakte nutzen kann, doch die spezifische Ausgestaltung ist frei an die Situation und Bedürfnisse anpassbar.

Wer treibt die Organisationsentwicklung voran?

Ein Veränderungsprozess durchläuft mehrere Phasen und braucht Zeit. Ihn abzukürzen gibt den Handelnden möglicherweise ein gutes Gefühl von Geschwindigkeit und Tatkraft, aber dieses Gefühl ist trügerisch. Nachhaltiger, wertschöpfender Erfolg ist durch Abkürzungen selten zu erzielen und die Kollateralschäden im Unternehmen sind in der Regel sehr hoch. Neben verschwendeter Zeit und Geld bleiben häufig demotivierte Mitarbeiter zurück, die sich bei der nächsten Veränderungsinitiative ihr Engagement genau überlegen werden.

Wer treibt den Veränderungsprozess durch die Phasen und achtet darauf, dass er nicht im Arbeitsalltag versandet, bevor sich neue Gewohnheiten etablieren konnten und Teil der Unternehmensnormalität geworden sind? Es braucht eine starke "Guiding Coalition" [2], die zumindest aus Teilen des Top-Managements und weiteren Führungskräften aus anderen Ebenen besteht. Ihnen gemeinsam ist ein Verständnis der Notwendigkeit der Veränderung, ein Bewusstsein für den existierenden Handlungsdruck, die Bereitschaft zum Handeln, der Wille, die erforderlichen Aktivitäten mit einer hohen Priorität zu versehen und nicht zuletzt die Macht, sie durchzusetzen. Das beinhaltet auch, sich als Team zu begreifen und gemeinsam zu handeln, auch wenn gerade im Management die Fähigkeit zur Teamarbeit zu Beginn unter Umständen noch nicht sehr ausgeprägt ist.

Wie kann Agile Organisationsentwicklung aussehen?

Zu Beginn einer Organisationsentwicklung stehen Fragestellungen wie "Was ist unsere Vision?" oder "Was sind unsere Wertströme?", die wichtige Voraussetzungen sind, um eine Richtung und einen Rahmen für das Unternehmen zu setzen. Auch dafür gibt es Artefakte, doch wir möchten hier explizit auf die Phase eingehen, die darauf folgt, weil diese oft vernachlässigt wird und aus unserer Sicht die Arbeitsweise der Guiding Coalition sehr gut veranschaulicht:

Artefakt 1: Urgency Artifact

"Es gibt immer zu viele Baustellen, immer zu wenig Zeit und immer zu wenig Ressourcen. Worauf wollen wir uns fokussieren?"

Im ersten Schritt geht es um den Abgleich, welches Ziel das wichtigste ist und als nächstes in Angriff genommen werden sollte. Für die einzelnen Teilnehmer ist oft offensichtlich, was das nächste Ziel sein sollte und wo die größten Probleme liegen – und manchmal ist es eine Überraschung, dass die eigenen Perspektiven von denen der anderen abweichen. Deswegen ist die Diskussion, welche Zielsetzung die Teilnehmer besonders wichtig finden und aus welchen Gründen sie zu ihrer Priorisierung kommen, essentiell für alle weiteren Entscheidungen. Dabei entsteht Alignment: Wissen um die Ideen, Perspektiven und dahinterstehenden Überlegungen der anderen und ein gemeinsames Verständnis für das wertvollste nächste Ziel der Organisation oder des Bereiches. Natürlich ist dieses Ziel nicht fixiert und muss immer wieder iterativ aktualisiert werden. Entweder geschieht das in einem bestimmten Rhythmus (z. B. alle 10 Wochen) oder aufgrund besonderer Ereignisse (z. B. geänderte Marktsituation).

Das Urgency Artifact spiegelt die gemeinsame Ausrichtung der Teilnehmer wider und muss für das gesamte Projekt transparent sein. Wie dieses Artefakt erreicht wird, ist sekundär. Doch die Praxis zeigt, dass schnell der Fokus auf Zielabstimmung gelegt wird und essentielle Komponenten wie das Alignment gerne vernachlässigt werden. Diese Vorgehensweise ist ein sicherer Indikator für einen langfristig scheiternden Veränderungsprozess: "Führen Sie schnell formelle Beschlüsse herbei, um sie anschließend auf der informellen Ebene infrage zu stellen." [3]

Deswegen empfehlen wir einen erprobten mehrstufigen Weg mit mehreren Kurz-Workshops und Update-Phasen dazwischen.

Urgency Map-Workshop (60 - 90 min.)
Die Teilnehmer werden gebeten, innerhalb von z. B. fünf Minuten jeweils für sich auf Klebezettel aufzuschreiben, welches die dringendsten Probleme sind, die es derzeit für sie zu lösen gilt. Jeder Teilnehmer geht nach vorne und klebt seine Zettel an die Wand. Bei jedem Zettel erklärt er, warum er dieses Problem für wichtig hält. Diese Zettel werden geclustert und daraus eine Story Map entwickelt, die sowohl horizontal als auch vertikal priorisiert ist. Die Priorisierung kann einfach durch Diskussion oder zum Beispiel auch per Planning Poker erfolgen, eine von vielen Möglichkeiten aus dem Methodenbaukasten.

Dabei ist das Ergebnis des Workshops genauso wichtig, wie der Prozess, sich auszutauschen, um zu diesem gemeinsamen Ziel zu kommen. Die Teilnehmer eines solchen Workshops schauen meistens aus unterschiedlichen Perspektiven und Flughöhen auf die Lage, was sehr nützlich ist, weil man diese Varianz nutzen kann, um implizite Erfahrungen, Annahmen und Sichtweisen der Teilnehmer transparent zu machen, zu diskutieren und so gemeinsam neue Perspektiven entstehen zu lassen. Die Qualität des Ergebnisses ist dadurch deutlich besser.

Es kann die Diskussion "Was wollen wir am dringendsten erreichen/verbessern?" erleichtern, wenn man ein Modell als Orientierungshilfe nimmt, wie beispielsweise den SAFe-Kompass mit den vier Zielsetzungen Produkteinführungszeit (Time-to-Market), Qualität, Produktivität und Engagement [4].

Ein Workshop sollte eine vorher vereinbarte Zeitbegrenzung haben und nicht länger als 60 bis 90 Minuten dauern. Diese TimeBox ist wichtig, um bei jedem Workshop-Schritt die Energie hochzuhalten. Es geht nicht darum, ein vollständiges Artefakt zu erarbeiten, sondern lediglich darum, ein Starter-Artefakt zu erstellen, mit dem das Team in den nächsten Tagen weiterarbeitet.

Update-Phase (ca. 1 Woche)
Durch den Workshop werden intensive Denkprozesse in Gang gesetzt. In der Regel kommen dadurch anschließend Ideen, Fragen und neue Gesichtspunkte an die Oberfläche, die unbedingt in die Urgency Map eingearbeitet werden müssen und ihre Qualität sowie das Alignment deutlich verbessern. Dazu muss das Workshop-Ergebnis zwingend allen Teilnehmern zur Verfügung stehen. Wenn die Teilnehmer nicht co-located arbeiten, braucht es dafür eine Online-Lösung. Jeder neue Aspekt, der nach dem Workshop hochkommt, wird dabei auf einem Zettel so festgehalten, dass er für die anderen Teilnehmer möglichst nachvollziehbar ist. Jeder Zettel wird direkt an eine gemeinsam vereinbarte Stelle für alle sichtbar aufgehängt oder zum nächsten Update-Event mitgebracht.

Update-Event (15 min.)
Die Beteiligten kommen zu einem kurzen Stand-Up-Meeting zusammen und besprechen alle Zettel, die in der Zwischenzeit erstellt wurden. Bei vielen neuen Ideen ist es sinnvoller, mehrere Stand-Ups durchzuführen, als die Dauer zu verlängern. Durch die Diskussion soll ein Abgleich und Konsens erzielt und die Ergebnisse direkt in die Urgency Map eingearbeitet werden, sodass das Artefakt den aktuellen Stand aller Teilnehmer wiederspiegelt. Dies geschieht idealerweise direkt vor der Urgency Map.

Beginn des nächsten Workshops (15 min.)
Zu Beginn des nächsten Workshops werden die letzten, noch nicht besprochenen neuen Aspekte der Urgency Map diskutiert und eingearbeitet, sodass das Artefakt alle im Teilnehmerkreis existierenden Informationen, Perspektiven und Ideen beinhaltet. Nur dann können alle Teilnehmer wirklich hinter dem Ergebnis stehen. Als nächstes werden die Aspekte der Map priorisiert (z. B. per Dot-Voting oder Weighted Shortest Job First (WSJF) [5]), sodass sich das Urgency Backlog daraus ergibt. Dieses Urgency Backlog kann als Ausgangspunkt für das darauffolgende "Hypothesis Artifact" dienen.

Schwierigkeiten zu ignorieren ist, wie die aufleuchtende Öl-Warnlampe im Auto abzukleben und sich dann zu wundern, wenn der Motor kaputt ist.

Die Workshopreihe hat sich in der Praxis als sehr erfolgreich erwiesen, da sie ohne großen Zeitaufwand in den Projektalltag eingepasst werden kann und dafür sorgt, dass alle Ideen eingebracht und das Ergebnis von allen mitgetragen wird. Es setzt die Teilnehmer nicht unter Druck, innerhalb kurzer Zeit alle Aspekte aufzulisten, sondern gibt ihnen die Zeit, während der Update-Phase darüber nachzudenken, zusätzliche Informationen einzuholen und im kleineren Kreis bestimmte Gesichtspunkte schon vorzudiskutieren, bevor diese mit dem gesamten Team geteilt werden. Dadurch stellt es eine stabile Ausgangsbasis für den nächsten Schritt dar. Der beschriebene Workshop-Prozess ist jedoch nur ein Vorschlag. Wichtig sind die abgestimmten Artefakte, auf welche Weise auch immer sie erreicht werden (vgl. auch Results Only Work Environment (ROWE) [6]).

Die Anzahl der Workshops oder sonstigen Maßnahmen, die notwendig sind, um das Alignment für ein Artefakt zu erhalten, sind von Team zu Team unterschiedlich. Gerade wenn Schwierigkeiten in der Abstimmung auftauchen, die mehr Zeit erfordern als geplant, ist ein offener und konstruktiver Umgang damit essentiell. Schwelende Konflikte im Untergrund verursachen zu einem späteren Zeitpunkt meist erheblich höhere Kosten, in dem sie den gemeinsamen Change-Prozess untergraben. Darüber hinweg zu gehen, wäre, wie die aufleuchtende Öl-Warnlampe im Auto abzukleben und sich dann irgendwann zu wundern, dass der Motor kaputt ist.

Ein Ergebnis einer Workshopreihe zum Urgency Artifact könnte sein, dass sich die Guiding Coalition darauf einigt, dass nach Abwägung aller Argumente eine Reduzierung der "Time-to-Market“ das derzeit wichtigste Ziel wäre, um das Unternehmen substantiell voranzubringen.

Artefakt 2: Hypothesis Map und Hypothesis Backlog

"Nach dem wir entschieden haben, worauf wir fokussieren wollen: Was hat unserer Ansicht nach alles Einfluss darauf?"

Nachdem das aktuelle Ziel geklärt ist, braucht es einen Austausch darüber, welche Faktoren Einfluss haben. Auch dabei gibt es in der Regel sehr unterschiedliche Perspektiven. Eine "Hypothesis Map" enthält alle Annahmen über beeinflussende Aspekte. Sie kann als Story Map oder Mind Map oder in einer anderen Form erstellt werden. Häufig wird dafür eine Mind Map mit dem anzustrebenden Ziel – der höchsten "Urgency" – als Ausgangspunkt gewählt.

Dieses Artefakt kann wieder mit einer Workshopreihe aus Kurz-Workshops, Update-Phase und Update-Events erstellt werden, wie wir sie oben beschrieben haben. Es ist dann vollständig, wenn die Hypothesen in der Map gemäß ihrem Einfluss auf das Ziel gewichtet sind. Das kann beispielsweise mit einem Dot-Voting geschehen, bei dem jeder Teilnehmer gemäß seiner Überzeugung eine bestimmte Anzahl Punkte auf die Karten mit den Hypothesen kleben kann und anhand der Summe der Punkte pro Karte ein Ranking ermittelt wird. Auch hier steht wieder die Frage im Raum: "Mit welchem Schritt tragen wir am meisten zur Zielerreichung bei?" Das Ergebnis ist das Hypothesis Backlog.

Auf dem Weg zu einem Hypothesis Artifact kann es die Diskussion erleichtern, wenn man ein Modell als Grundlage nimmt, wie beispielsweise die agilen Werte und Prinzipien aus dem agilen Manifest oder die neun SAFe-Prinzipien und sich auf dieser Basis überlegt, welche der Prinzipien in der eigenen Organisation vermutlich am meisten auf das anzustrebende Ziel einzahlen würden. 

Nehmen wir beispielsweise an, dass die Teilnehmer der Meinung sind, dass die objektive Bewertung von Meilensteinen auf der Grundlage einer funktionierenden Software einen bedeutenden Schritt in Richtung schnellere Time-to-Market darstellen würde und das Continuous Integration dabei die wichtigste Rolle spielt.

Artefakt 3: Maturity Map und Maturity Model

Welche konkreten Ausprägungen hat die am höchsten bewertete Hypothese und was davon brauchen wir?

Nun ist es an der Zeit, die Flughöhe zu reduzieren und herunter zu brechen, was beispielweise "Continuous Integration" konkret in diesem Fall bedeutet und welche Entwicklungsstufen es dafür gibt. Dieses Artefakt wird häufig als Story Map erstellt und auch hier kann die oben beschriebene Workshopreihe das Alignment unterstützen und die Qualität der Ergebnisse deutlich steigern. Aus dieser Map entwickelt sich dann ein mehrstufiger Entwicklungspfad, den wir "Maturity Model" nennen. Das Modell hat in der Regel drei, fünf oder zehn Stufen, kann aber auch jede andere Anzahl von Stufen haben.
Für "Continuous Integration" könnte ein sehr einfaches fünfstufiges Maturity Model mit nur einer Anforderung pro Stufe so aussehen:

  • Stufe 1: Bevor ich meinen Schreibtisch verlasse, checke ich meine Arbeit in das Repository ein.
  • Stufe 2: Kein Branch darf älter als eine Woche sein.
  • Stufe 3: Es gibt eine transparente Korrelation zwischen Code und den Datenbank-Versionen.
  • Stufe 4: Jeder im Team ist in der Lage, den CI-Server zu konfigurieren.
  • Stufe 5: Es gibt keine Branches mehr, jeder arbeitet am "Trunk".

Ein solches Modell erleichtert nicht nur das Erkennen des Ist-Zustands und zeigt einen klaren Entwicklungspfad zum Zielzustand auf. Es ist vor allem einer der wichtigsten Unterschiede zu herkömmlichen Change-Initiativen, die sich mit dieser Detailtiefe nicht auseinandersetzen. Ohne diesen Blick hinter die Kulissen wird jeder Change-Prozess in gewisser Weise auf ein "Jetzt arbeitet mal schneller und besser" hinauslaufen – und scheitern.

Ein solches Maturity Model kann für Rollen, Aufgaben, Teams etc. entwickelt werden. Es schafft Transparenz und eröffnet einen Entwicklungspfad mit einer Definition-of-Done. Dieser Pfad ist eine Voraussetzung für Veränderung, denn viele Mitarbeiter möchten besser werden, wenn sie nur genau wüssten, wie [7]. Will man die vorhandenen Ressourcen optimal nutzen, kann es sein, dass es völlig ausreichend ist, nicht die höchste Ausprägung anzustreben, weil Stufe 3 schon einen so großen Teil zur Zielerreichung beiträgt, dass der Aufwand für eine höhere Stufe im Verhältnis zur dann noch zu erwartenden Verbesserung zu hoch wäre.

Wie jedes Artefakt ist auch dieses niemals statisch, sondern wird immer wieder an sich verändernde Umstände und neue Erfahrungen angepasst. Es ist überdies ein Vorschlag in die Organisation hinein. Ein Team, dass das vorgeschlagene Modell nicht passend findet, ist aufgefordert, mit einem eigenen Artefakt einen Vorschlag zu machen. Dieses Gegenstromverfahren [8] hilft, sowohl die horizontale, als auch die vertikale Integration der Perspektiven voranzutreiben und das Ergebnis auf eine breitere Basis zu stellen.

Artefakt 4: Moves Map und Moves Backlog

Welche Fähigkeiten brauchen wir, um zum Ziel-Zustand zu kommen? Welche neuen Gewohnheiten sind notwendig?

Auch dieses Artefakt dient dazu, festzustellen, welche Aspekte auf das Ziel einzahlen und die verschiedenen vorhandenen Perspektiven zu integrieren. Konkret bedeutet das: Wie könnte ein Curriculum aussehen, mit dem die verschiedenen "Maturity Level" erreicht werden können? Sind dafür bestimmte Trainings notwendig? Sollten dafür bestimmte Bücher oder Artikel gelesen werden? Stehen Videos und Podcasts zur Verfügung? Gibt es eine Community of Practice? Könnte Coaching oder Mentoring die Zielerreichung unterstützen?

In einer Moves Map, die beispielsweise als Vier-Felder-Matrix oder als Mind Map dargestellt werden kann, werden alle Aspekte gesammelt. Dabei sollte die gesamte Bandbreite von Möglichkeiten ausgeschöpft und Ideen sich nicht nur auf bereits vorhandene Weiterbildungsmöglichkeiten fixieren. Hier können auch Kreativitätstechniken helfen, "out of the box" zu denken. Die Erstellung der Map mit der oben skizzierten Workshopreihe kann dabei helfen, den Ideenfluss in Gang zu bringen.

Aus der Map wird wieder ein priorisiertes Backlog geschaffen, dass die Schritte, die am stärksten auf das Ziel einzahlen, am höchsten bewertet. Im Gegenstromverfahren kann jedes Team eigene Ideen und eigene Lernschritte erarbeiten und das eigene Artefakt zur Diskussion stellen. Diese Art der Variation und Selektion ermöglicht, dass der Organisation nicht nur abgestimmte Ziele und konkrete Schritte zur Verfügung stehen, die nach ihrem aktuellen besten Wissensstand die jeweils wertvollsten im Hinblick auf die Zielerreichung sind. Die Vorgehensweise schafft Alignment und fördert Kommunikation von innen heraus.

Die nächste Phase

Hat eine Organisation diese Phase verankert, können in der nächsten Phase weitere wichtige Artefakte fokussiert werden:

  • Tipping Point Artifact: Wie wollen wir die geeigneten Personen identifizieren, die den Prozess weitertreiben?
  • KPI Artifact: Wie wollen wir den Erfolg des Prozesses messen?
  • Road Map Artifact: Wie könnte der Prozess in den nächsten Iterationen umgesetzt werden?

Um nicht Gefahr zu laufen, einmal erarbeitete Artefakte als gegeben hinzunehmen, müssen rhythmisiert "Inspect-&-Adapt-Phasen" in den Prozess eingebaut werden. Skalierungsframeworks wie SAFe, Nexus oder Less bieten Entwicklungsrhythmen, die dazu genutzt werden können, um die Organisationsentwicklung parallel zu den Prozessen der Produktentwicklung voranzutreiben.

Agile Organization Moves als Karrieremodell

Hat man diese Art der Organisationsentwicklung verankert, ist der Schritt hin zu einem analogen Karrieremodell nicht mehr weit. Wenn man ein Portfolio von Maturity Level nutzt, um bestimmte Karriereschritte zu beschreiben und beispielsweise Moves zur Weiterentwicklung auf dem Pfad mit Credit Points versieht, erhält man ein sehr transparentes und im Unternehmen abgestimmtes Karrieremodell, das gleichzeitig gezielt die Organisationsentwicklung vorantreiben würde.

Fazit

Die Agile Organizational Moves sind kein Wundermittel, das alle Schwierigkeiten eines Change-Prozesses abfängt, aber sie sind die Essenz unserer langjährigen Erfahrung, haben sich in der Praxis bewährt und werden iterativ und inkrementell weiterentwickelt. Insofern spiegelt dieser Artikel den aktuellen Stand unserer Arbeit wider.

Quellen
  1. W.E. Deming; 2000: Out of the Crisis. The Mit Press
  2. J.P. Kotter, P. John; 1996: Leading Change. Harvard Business School Press
  3. P. Kruse: 8 Regeln für den totalen Stillstand in Unternehmen
  4. SAFe Principles
  5. WSJF (Weighted Shortest Job First) Abstract
  6. Wikipedia: Results Only Work Environment (ROWE)
  7. D. & C. Heath; 2010: Switch: How to Change Things When Change Is Hard. Crown Business
  8. Wikipedia: Gegenstromverfahren

    Weitere Literaturempfehlungen:
    - Reinertsen, Don (2009): Principles of Product Development Flow: Second Generation Lean Product Development. Celeritas Publishing
    - Gladwell, Malcolm (2000). The Tipping Point: How Little Things Can Make a Big Difference. Little Brown.
    - Harford, Tim (2012): Adapt. Why Success always Starts with Failure. Picador.
    - Kim, G. et al. (2016): The DevOps Handbook: How to Create World-Class Agility, Reliability, and Security in Technology Organizations. IT Revolution Press

Autoren

Silke Kainzbauer

Silke Kainzbauer arbeitet seit über 20 Jahren im Bereich Veränderungsmanagement als Beraterin in großen Transformationsprojekten. Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist die agile Organisationsentwicklung.
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Dr. Wolfgang Brandhuber

Dr. Wolfgang Brandhuber ist seit über 14 Jahren als Berater vor allem im agilen Umfeld tätig. Neben der Leitung mehrerer agiler Projekte war er Scrum-Entwickler, Product Owner, Scrum Master und Chief Scrum Master in verschiedenen…
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Buchhinweis
Wolfgang Brandhuber, Mark Rehberg, Silke Kainzbauer, Milenko Bugueno und Regina Brandhuber Täglich agiler – Artikel zum Agile Moves Frameworkhier bestellen >>
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