Barrierefrei für die bessere User Experience

Die Qualität der User Experience auf eigenen Websites und in Apps hat für viele Unternehmen keine Priorität. Ein Fehler. Denn das Nutzererlebnis ist entscheidend, um neue Kunden zu gewinnen, bestehende zu halten und alle Kunden zufriedenzustellen. Nun rückt das kommende Barrierefreiheits-Stärkungsgesetz in den Fokus, stellt Unternehmen vor zusätzliche Herausforderungen – und bietet Chancen.
Für Verbraucher:innen sind es wenige Klicks, für Unternehmen sind sie ein entscheidendes Urteil über ihren digitalen Auftritt: Sekunden und Minuten entscheiden darüber, ob Website-Besucher:innen zu Kunden werden oder nicht. Eine intuitive Navigation und nahtlose Customer Journey erhöhen die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Sales Journey. Der Schlüssel dazu heißt User Experience (UX). Doch wird genau diese nach wie vor häufig vernachlässigt: Web- und App-Design werden in vielen Fällen nicht ausreichend nach UX-Kriterien optimiert, großes Potenzial bleibt so ungenutzt.
Denn das Nutzererlebnis ist ein entscheidender Faktor. Und die Ansprüche der Kunden an die gebotene Experience steigen. Verbraucher:innen, die auf einer Website Probleme haben, sich über ein nachgefragtes Produkt zu informieren, werden kaum zu Neukunden. Bietet ein Konkurrent das gleiche Produkt, eingebettet in eine intuitive, komfortable User Experience, fällt die Kaufentscheidung leicht. Gleiches gilt für die Kundenbindung. Um die Zufriedenheit bestehender Kunden zu sichern und diese zu halten, ist eine gute User Experience ebenso zentral. Die User Experience hat somit direkten Einfluss auf Umsatz und Geschäftserfolg eines Unternehmens.
Umso erstaunlicher, dass die Optimierung der UX allzu oft kein Fokusthema für die Unternehmensführung ist. Es mangelt an den richtigen Daten, an Verständnis und insbesondere an der Bereitschaft, nötige Investitionen zu tätigen. Denn eine holistische Überarbeitung und Optimierung des Nutzererlebnisses ist kein Projekt, das in wenigen Wochen abgeschlossen wäre.
Allen Menschen soll die Teilhabe am Wirtschaftsleben möglich sein.
Mit dem kommenden Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sehen sich Firmen nun jedoch mit Handlungsbedarf konfrontiert [1]. Das BFSG fordert und fördert verpflichtend die Barrierefreiheit von Websites und Apps, die bislang nur auf den wenigsten Seiten privater Anbieter gegeben ist. Unternehmen müssen ihre Web-Angebote grundlegend prüfen und überarbeiten. Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen, doch bietet das BFSG auch attraktive Chancen. Denn wenn es konsequent und ganzheitlich umgesetzt wird, kann mit den Anpassungen auch die User Experience und die Auffindbarkeit bei Suchmaschinen verbessert werden.
Das will das BFSG erreichen
Das BFSG tritt am 25. Juni 2025 in Kraft und soll einen Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft leisten, in der alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können. Allen Menschen soll die Teilhabe am Wirtschaftsleben möglich sein. Dies schließt beispielsweise solche mit körperlichen Einschränkungen, Sprachbarrieren oder wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien ein. Hierfür braucht es die digitale Barrierefreiheit.
Bislang unterliegen bereits öffentliche Einrichtungen wie Behörden der Pflicht, ihre Webpräsenz barrierefrei zu gestalten. Diese Pflicht wird nun auch auf die Privatwirtschaft ausgeweitet und betrifft sowohl Produkte als auch Dienstleistungen. Konkret bedeutet das für Produkte: Bei der Benutzung eines Smartphones zum Beispiel muss dieses die technische Möglichkeit bieten, Informationen auf mehr als einem sensorischen Kanal zu vermitteln. Zum Beispiel müssen schriftliche Informationen vorgelesen werden können. Zudem müssen Informationen auch für Personen verständlich sein, deren Sehkraft eingeschränkt ist, das Smartphone muss es also ermöglichen, Schriften zu vergrößern oder farbliche Kontraste zu verändern.
Ebenso gilt das BFSG für elektronische Dienstleistungen und somit für Onlineshops ebenso wie für Websites, die beispielsweise die Möglichkeit zur Online-Terminvereinbarung bieten. Das bedeutet, dass die meisten Unternehmen in Deutschland, die eine eigene Website haben, unter dem BFSG verpflichtet sind, diese barrierefrei zu gestalten. Auf Websites bezogen bedeutet Barrierefreiheit, dass die Seite auch für Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen auf robuste Art und Weise wahrnehmbar, bedienbar und verständlich sein muss. Diese "Four Principles of Accessibility" stellen die Grundlage der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) dar, die häufig als Standard für barrierefreie Websites verwendet werden – und auf denen auch das BFSG basiert [2].
Synergien schaffen
Für eine Website bedeutet das zum Beispiel, dass Farbe nicht das einzige visuelle Mittel sein darf, um eine Information zu transportieren, eine Aktion anzuzeigen oder eine Reaktion zu erbitten. Da nicht alle Menschen Farben gleichermaßen gut erkennen oder unterscheiden können, ist dies ein wichtiger Faktor. Zudem sollten Texte sich immer durch einen deutlich sichtbaren Kontrast von ihrem Hintergrund bzw. ihrer Umgebung abheben. Nur so sind sie zuverlässig auch für Menschen mit stark beeinträchtigtem Sehsinn noch erkenn- und lesbar. Bei schwachen Kontrasten oder bei einer Farbwahl, die bei Rotgrünblindheit nicht gut zu unterscheiden ist, ist die Barrierefreiheit nicht gegeben. Gleiches gilt für zu kleine Texte, die sich nicht vergrößern lassen oder für Videos ohne Untertitel. Ein weiterer großer Punkt sind Navigationselemente, die nicht oder nicht gut allein mit der Tastatur angesteuert und genutzt werden können. Barrierefreiheit betrifft aber ebenso komplizierte, verklausulierte oder bürokratisierte Sprache oder auch Bilder ohne Alternativtext, der z. B. für Screenreader genutzt werden kann.
Die notwendigen Analysen und Überarbeitungen sollten Unternehmen so bald wie möglich angehen.
Werden solche Schwachpunkte konsequent und mit einer dahinterstehenden, umfassenden Idee umgesetzt, steht am Ende des Prozesses nicht nur eine barrierefreie Website. Vielmehr kann auch die User Experience insgesamt deutlich verbessert werden. Zudem profitieren alle Nutzer:innen. Wenn man gerade nur eine Hand frei hat oder die Sonne auf ein Display scheint, freut man sich über universell bessere Bedienbarkeit und Lesbarkeit. Zusätzlich setzt Barrierefreiheit voraus, dass eine Website klar gegliedert ist und Elemente deutlich und eindeutig markiert sind. Dies wiederum sorgt für einen besseren, schlankeren Code, schnellere Websites – und verbessert die Auffindbarkeit durch Suchmaschinen.
Die Macht von KPIs
Die Umsetzung des BFSG bietet also auch für die User Experience große Chancen. Denn eine Website, die konsequent barrierefrei ist, bietet das bessere Kundenerlebnis und ist für Suchmaschinen besser optimiert. Dazu sind jedoch bei den meisten Unternehmen grundsätzliche Anpassungen der Webangebote notwendig. Der hierzu nötige Aufwand darf dabei keinesfalls unterschätzt werden. Zwar gilt das BFSG erst ab 2025, die für die Umsetzung notwendigen Analysen und Überarbeitungen sollten Unternehmen jedoch so bald wie möglich angehen.
Zu Beginn dieses Prozesses muss dabei zunächst die Datensammlung stehen: Wie gut ist die UX? Wie bewerten Nutzer:innen die UX? Wie barrierefrei ist die Website bereits? In der Regel haben Unternehmen nur ein unvollständiges Bild hiervon, das es zunächst zu vervollständigen gilt. Für einen ersten Überblick können frei zugängliche Tools hilfreich sein, spezialisierte Dienstleister und Beratungen bieten genauere Analysen und Bewertungen von UX und Barrierefreiheit. Anhand von Scores und Analysen lassen sich zielgenau die Stellen identifizieren, an denen eine Adaption notwendig ist.
Dabei ist es über den gesamten Prozess, begonnen bei der Analyse bis zur laufenden Optimierung, wichtig, konsequent KPIs zu erheben. Diese Kennzahlen sind einerseits zentral, um die langfristigen Veränderungen der UX einer App oder Website aufzuzeigen. Damit sind sie gleichzeitig auch ein zentrales Instrument für die interne Kommunikation. Denn für eine erfolgreiche Optimierung von UX und Barrierefreiheit ist es unerlässlich, alle internen Stakeholder, von Marketing bis Management, konsequent einzubinden. Um erfolgreich und eindrücklich die Bedeutung des Nutzererlebnisses für Kundenverhalten und Geschäftserfolg zu demonstrieren, sind KPIs dieser Art ein wirkungsvoller Hebel. So kann die Bedeutung von UX-Elementen verdeutlicht werden, was wiederum die Chancen erhöht, das Thema UX zukünftig intern zentraler zu positionieren – und Investitionsentscheidungen günstig zu beeinflussen. Denn: Mehr Barrierefreiheit führt zu einer besseren User Experience und somit zu mehr Umsatz.
Zusammengefasst lässt sich also sagen: Das BFSG bedeutet viele Herausforderungen und zusätzliche Belastungen für Unternehmen. Doch bietet es gleichzeitig auch die ideale Gelegenheit, konzentriert, analytisch und ganzheitlich auf die bestehende User Experience und Customer Journey zu blicken. Denn Anpassungsaufwand wird durch das BFSG ohnehin notwendig. Wird dieser richtig genutzt, eröffnen sich große Potenziale, Synergien zu schaffen und den eigenen Webauftritt komfortabel und zukunftsfähig aufzustellen.
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
- Wikipedia: Web Content Accessibility Guidelines