Sustainability Thinking Process: Der Weg zu nachhaltiger IT
Nachhaltigkeit ist für Unternehmen nicht mehr optional. Allerdings existiert oft keine allgemeingültige Nachhaltigkeitsstrategie, auch nicht im IT-Umfeld. Abhilfe schafft vielleicht der Sustainability Thinking Process (STP). Er klärt die Fragestellungen, welche Nachhaltigkeitsziele verfolgt werden, in welchen Unternehmens- und Tätigkeitsfeldern hierzu Risiken oder Defizite bestehen und begleitet bei der Maßnahmenentwicklung, um Verbesserungen kreativ, methodisch und pragmatisch zu erarbeiten und einzuführen.
"Wir wollen in den kommenden fünf Jahren ein nachhaltiges Unternehmen sein." Dieses globale Ziel und zugleich wertvolle Versprechen ist aus immer mehr Managementetagen quer durch alle Branchen und Unternehmensgrößen zu vernehmen – so auch aus der IT-Industrie. Lange galt Nachhaltigkeit als eher esoterisches Randthema in der IT-Community. Jetzt beschäftigt sich die Branche umso intensiver damit, nachhaltig zu werden. Die Dynamik der Medien und betroffenen IT-Unternehmen, die bislang verpasste Aufmerksamkeit für den Themenkomplex aufholen zu wollen, ist förmlich zu spüren.
Das Bewusstsein, dass es sich hierbei um gesellschaftlich bedeutsame, wenn nicht existentielle Herausforderungen handelt, ist breitflächig angekommen. Mental ist die Branche sogar noch einen Schritt weiter, will den erkannten Bedarf für Nachhaltigkeit konkretisieren und operationalisieren. Dazu muss sie die passenden Zielsetzungen klären, die branchentypischen Defizite aufspüren und einen individuellen Weg für eine Verbesserung gestalten.
Genau an dieser Schwelle strauchelt die IT-Branche, die ansonsten innovativ und progressiv mit jeglicher Herausforderung umgeht. Den Unternehmen fehlt die Standortbestimmung, um nachhaltig zu sein oder zu werden. Sie müssen klären, wo sie hinsichtlich der Nachhaltigkeit stehen, wie sie Nachhaltigkeit verstehen, in welchem Unternehmensbereich Nachhaltigkeit eine Wesentlichkeit darstellt und eine Idee entwickeln, wie ein Weg zur Verbesserung und Zielerreichung aussehen könnte. Das sind viele Unklarheiten in einem komplexen Umfeld – also eines nach dem anderen...
Die nachfolgenden Abschnitte beschreiben ein exemplarisches, verprobtes und branchenneutrales Vorgehen, um das Themenfeld zu sondieren und den individuellen Weg zu einem nachhaltigeren Unternehmen festzulegen.
Das Leitbild definieren
Der Begriff Nachhaltigkeit wird sowohl inflationär als auch uneinheitlich in seiner Bedeutung genutzt. Längst sind deshalb eine gewisse Ermüdung und zugleich Irritation hinsichtlich Inhalt und Relevanz entstanden. Die Vereinten Nationen haben bereits 2015 insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele als Sustainable Development Goals (SDG) durch die Weltgemeinschaft verabschiedet. Diese sind als grundsätzliches Leitbild hilfreich. Auf den ersten Blick wirken diese Ziele jedoch für ein Unternehmen etwas abstrakt und unpraktikabel. Schließlich sind diese globalen Ziele vorrangig an Gesellschaften und Staaten ausgerichtet, etwa "Ziel 3: Gesundheit und Wohlergehen".
Diese Ziele bedürfen also einer Anpassung – sie müssen auf praxisnahe Unternehmensflughöhe transformiert und adaptiert werden. Dann sind sie handhabbar. So ließen sich von "Ziel 3 - Gesundheit und Wohlergehen" mehrere Einzelziele ableiten, unter anderem "Überforderung von Projektmitarbeitern vermeiden", "Minimierung von Stressfaktoren" oder "Frei-Zeiten im Team respektieren"; jeweils im Kontext der SDG.
Obendrein gilt Nachhaltigkeit oft rein als Synonym für Klimaschutz oder Klimaneutralität, obwohl dies lediglich dem "Ziel 13 – Maßnahmen zum Klimaschutz" entspricht. Führen Sie deshalb vorab eine klare und transparente Abgrenzung durch, welche der 17 Ziele Sie im Kontext der eigenen Nachhaltigkeitsbetrachtung und Zieldefinition verfolgen werden.
Die Handlungsfelder klären
Die naheliegendste Handlungsoption eines Unternehmens ist eine Black-Box-Betrachtung, die die innere Struktur des Unternehmens absichtlich ignoriert. Dabei werden an den Schnittstellen des Unternehmens die potenziellen Problembereiche wie unspezifische Energieverbräuche anhand der Strom-, Wärme- und Kälteabrechnungen der Lieferanten ermittelt. Weitere Maßnahmen: Dienstreisen stehen gesamtheitlich auf dem Prüfstand, schärfere Carpolicies für Dienstfahrzeuge kommen zum Einsatz oder eine allgemeine Optimierung der Energieeffizienz des Gebäudes. Diese übergreifenden Potenziale und Verbesserungen sind Teil der sogenannten Corporate Social Responsibility (CSR) und optimieren auf globaler, unternehmerischer Ebene.
Die eigentlichen Nachhaltigkeitsrisiken und zugleich auch deren Verbesserungspotenziale liegen jedoch tiefer: in der Wertschöpfungskette. Also in all den Bereichen, in denen das Unternehmen sein Geschäftsziel verfolgt. Je nach Branche und Unternehmen sind das unterschiedliche Wertschöpfungen, gegebenenfalls mehrere parallele oder ineinandergreifende.
Als Referenz-Wertschöpfung eignete sich für unseren Betrachtungsrahmen auf ein IT-nahes Unternehmen der BizDevOps-Lifecycle [2]. Auch wenn nicht alle Projekte, Produkte oder Vorhaben exakt nach diesem Prinzip ablaufen, sind darin alle Tätigkeiten und Aufgaben aufgeführt, die zu unserem täglichen Geschäft gehören. Wir betrachteten sowohl die Bereiche Business, Development und Operations sowie Projekt- und Produktmanagement. Das beinhaltete Beratungs-, Analyse- und Konzeptionsaufgaben ebenso wie Design-, Architektur-, Entwicklungs- und Test- oder Integrations-, Deployment-, Betriebs- und Monitoring-Tätigkeiten.
Dabei muss die Wertschöpfung gleichermaßen hinsichtlich ihrer internen und externen Wirkung betrachtet werden. Einerseits gilt es, Nachhaltigkeitsrisiken durch die eigenen internen Tätigkeiten aufzuspüren, etwa beim Commit einer Quellcode-Änderung. Andererseits ist zu klären, welche externe Wirkung ein Nachhaltigkeitsdefizit im Betrieb einer IT-Lösung beim Kunden bedeuten kann, wenn sich etwa überdimensionierte Qualitätsanforderungen in unnötig beschaffter und betriebener Hardware auswirken.
Das Vorgehensmodell festlegen
"Bevor man nicht weiß, wo man steht, weiß man auch nicht, wohin man gehen soll". Diese Binsenweisheit ist repräsentativ für die Ausgangssituation vieler Nachhaltigkeitsbestrebungen von Unternehmen. Es besteht selten Kenntnis über den konkreten CO2-Fußabdruck der einzelnen IT-Lösungen oder den Energieverbrauch im Leerlauf der technischen Infrastruktur. Oft ist auch nicht bekannt, welchen konkreten Einfluss die eingesetzten Architekturen, Programmierparadigmen oder eingesetzten Frameworks und Komponenten haben. Stehen dann neben dem Klimaschutz und nachhaltigem Konsum oder Produktion auch weitere Ziele wie Gesundheit oder Gleichheit im Zielbild, bleibt oftmals nur die Spekulation um den Status Quo.
Vorgehensmodelle sind in der IT schon immer ein beliebtes Instrument, um Problemstellungen methodisch und strukturiert zu lösen, anstatt die Lösung dem Zufall zu überlassen. Somit liegt es nahe, auch die Schritte zum nachhaltigen IT-Unternehmen durch ein Vorgehensmodell zu unterstützen und zu begleiten. Bereits die beiden Elemente des zu definierenden Leitbildes, etwa anhand der Sustainable Development Goals, sowie die Auswahl und Justierung der Wertschöpfungskette, etwa nach BizDevOps-Schleife, sind Teil dieses Vorgehensmodells.
Selbstkritische Nachfrage
Fokussiert sich ein Unternehmen auf Klimaziele und hat bereits alle Stromverträge auf Ökostrom umgestellt, wozu soll dann eine Analyse der Wertschöpfung und dem Finden von weiteren Detail-Defiziten noch hilfreich sein?
Antwort: Solange keine flächendeckende Verfügbarkeit von Ökostrom besteht, hemmt dessen Verschwendung den Umstieg anderer Unternehmen und Sektoren auf regenerative Energien und verschärft die Energieknappheit. Zudem hat Energie- und Ressourcenverschwendung zunehmend auch ökonomische Relevanz und kann zukünftig wettbewerbsentscheidend sein.
Die Maßnahmen entwickeln
"Ein Vorgehen ist besser als kein Plan." Allerdings ist ein Vorgehensmodell auch kein dogmatisch zu verfolgender Plan, sondern lediglich eine dem Bedarf anzupassende Skizze. Deshalb diente unser Sustainability Thinking Process als Unterstützung, um uns mit den potenziellen Risiken und Defiziten unserer Wertschöpfung vertraut zu machen. Wir spannten damit den Problemraum auf. Zugleich umfasst der Prozess die kreative Entwicklung und Umsetzung von passenden Gegenmaßnahmen, um die Defizite zu vermeiden oder zumindest zu lindern. Wir definierten damit den Lösungsraum.
Problemraum
Mit der Sammlung von Tätigkeiten, Aufgaben und Ressourcen innerhalb der IT-Wertschöpfung begann die Standortbestimmung. In unserem Szenario begleiteten wir dazu Spezialisten und Vertreter der Disziplinen Business, Development, Operations und Projektmanagement in parallelen Teams und verschiedenen Workshop-Formaten. So sammelten wir deren typische Tätigkeiten und fanden zu diesen potenzielle Risiken und Verletzungen von Nachhaltigkeitszielen.
Als ein Beispiel von über 50 potenziellen Defiziten spekulierten wir bei Business darüber, dass bei der Erstellung von konzeptionellen Personas die dabei beschriebenen Personen mit vermeintlich geschlechtertypischen Eigenschaften und möglichen Vorurteilen versehen werden [3]. Hierbei kann es implizit zur Dokumentation und Nutzung von Geschlechter-Ungleichheiten kommen, was das "Ziel 5 - Geschlechtergleichheit" verletzen würde. Als weiteres Beispiel aus der Development-Disziplin könnte man die Energieverschwendung nennen, die durch unnötig laufende Continuous-Integration-Prozesse verursacht wird. Diese technische Errungenschaft für ein automatisches Erstellen und Verteilen jeglicher Codeänderung, führt oftmals zu unbeachteten und unnötigen Produktinkrementen und widerspricht somit dem "Ziel 12 – Nachhaltiger Konsum und Produktion". Vergleichbare Größenordnungen an weiteren Nachhaltigkeitsrisiken identifizierten wir auch in den anderen Disziplinen Development, Operations und Projektmanagement.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass es sich hierbei in der Tat um Spekulationen zu Risiken handelte. Weder ist bekannt, ob alle erstellten Personas frei von geschlechterspezifischen Vorurteilen sind, noch, ob diese Problemstellung bei ihrer Erstellung allen bewusst ist. Wesentlich für ein potenzielles Nachhaltigkeitsdefizit ist vielmehr, sicherzustellen, dass durch angemessene Maßnahmen keines der Sustainable Development Goals mehr verletzt wird.
Nach der Konsolidierung von ähnlichen Defiziten, die wir zu Nachhaltigkeitsproblemen samt Beschreibung verdichteten, erfolgte eine Einschätzung hinsichtlich ihrer Tragweite. Dazu setzten wir ein Vier-Quadranten-Tableau ein. Auf der X-Achse wurde die Kritikalität für die Betroffenen und auf der Y-Achse die Beeinflussbarkeit für eine Verbesserung versucht, einzuschätzen. Durch eine Markierung in Form blauer Kreise fügten wir eine dritte Dimension hinzu. Sie gab an, wie häufig oder umfassend dieses Defizit zur Wirkung kommt.
Dadurch ergab sich eine grobe, subjektive Priorisierung von rechts oben nach links unten, um die nachfolgende Maßnahmenentwicklung zu organisieren.
Als Vorbereitung für die Maßnahmenentwicklung formulierten wir für jedes Nachhaltigkeitsproblem anhand einer Satzschablone eine Fragestellung, um die Zielsetzung für die Verbesserung greifbar zu machen. Aus dem Nachhaltigkeitsproblem "Unpassende und überzogene Lösungsarchitektur definieren" des Development-Teams wurde so als Zielorientierung: "Wie können wir als Entwickler dafür sorgen, dass die konzipierten Lösungsarchitekturen einen nutzungsorientierten Betrieb ermöglichen und dabei den minimalsten CO2-Fußabdruck aufweisen?"
Satzschablone für das Problemstatement
Wie können wir/ich als <AKTEUR> sicherstellen/beitragen,
dass <NH-Problem>
<ein abgeleitetes SDG-Ziel gefördert/nicht verletzt wird>?
Lösungsraum
Basierend auf den priorisierten Nachhaltigkeitsproblemen beginnt nun der kreative Teil der Maßnahmenfindung. Dafür steht der gesamte Blumenstrauß an kreativen Workshop-Formaten vom einfachen Brainstorming bis hin zur Kopfstandmethode zu Verfügung. Allerdings muss nicht alles an Ideen selbst neu erfunden werden, sondern greift auch auf Empfehlungen – etwa Guidelines zum Green-Coding – aus der IT-Community zurück.
Je konkreter und umfangreicher die Maßnahmenideen werden, desto fundierter sollten parallele Recherchen erfolgen, um deren Wesentlichkeit und Wirkung einschätzen zu können. Die Kenntnis über konkrete Energieverbräuche im eigenen oder angemieteten Rechenzentrum oder den Umfang eigener Beiträge zur Open-Source-Community sollte in die Überlegungen und Einschätzung der Maßnahmen einfließen.
Eine Erkenntnis der Maßnahmenfindung ist, dass es meist nicht eine einzelne Idee ist, die ein konkretes Defizit lindert, sondern mehrere Teilmaßnahmen mit unterschiedlicher Ausprägung und Wirkung auf eine Verbesserung einzahlen. Der Findungsprozess im Development hat zu 14 identifizierten Nachhaltigkeitsproblemen insgesamt 52 Verbesserungsmaßnahmen hervorgebracht. Allerdings sind diese Größenordnungen keine allgemeingültige Metrik. Sie ergaben sich aus der angesetzten Granularität der Nachhaltigkeitsprobleme, dem Spektrum der betrachteten Ziele, den unternehmensspezifischen Aufgaben sowie der Kreativität der beteiligten Analysten. Mit der Ideenfindung ist der Lösungsraum jedoch nicht abgeschlossen.
Ziele und Ergebnisse
Das Vorgehensmodell soll die eigenen Ziele definieren und transparent aufbereiten (s. Abb. 4, rechts). Dazu gehören etwa die Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien, Policies, Arbeitsleitfäden und spezifische Einzelmaßnahmen. Durch die erfolgreiche Umsetzung der Ziele soll aber auch eine höhere Kunden- und Mitarbeitenden-Zufriedenheit und letztendlich eine gesellschaftliche Anerkennung aufgrund des real erzielten Nachhaltigkeitsbeitrags erreicht werden.
Erkenntnisse
Der Weg durch den Problem- und Lösungsraum soll am Ende nicht nur ein formal abgehaktes Ziel ergeben, sondern einen Erkenntnisgewinn über die Werte des Unternehmens, dessen Potenzialschöpfung und Verantwortungsbewusstsein offenbaren. Der Balanceakt zwischen wirtschaftlichem Streben und zugleich sozialem und ökologischem Gleichgewicht ist für Unternehmer – gerade in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld – eine große Herausforderung. Zwischenergebnisse des Vorgehensmodells wie Transparenz über Risiken und Defizite, Überblick zu Wesentlichkeiten in den Handlungsfeldern bis hin zur Empfehlung von konkreten Verbesserungen und Strategien erhöhen die Entscheidungs- und Berichtsfähigkeit des Unternehmens in Bezug auf seine Nachhaltigkeitswirkung (s. Abb. 4, unten).
Aspekte
Mit dem Vorgehensmodell lassen sich auch andere Aspekte statt der Wertschöpfung durch den Problem- und Lösungsraum analysieren und verbessern (s. Abb. 4, links). Das Spektrum der möglichen Aspekte ist stark branchen- und unternehmensspezifisch. Es kann sowohl Lieferketten, Geschäftsgebäude oder Produktionsressourcen berücksichtigen. Je nach Art und Umfang des Aspekts sind weitere Unterstrukturen anzusetzen, etwa bei Industrieunternehmen nach Produktionsverfahren oder Produktgruppen.
Das Ziel fixieren
Als wesentliches Ergebnis des Vorgehensmodells gelten die gefundenen Maßnahmen zur Vermeidung und Linderung von Defiziten und Verletzungen der Sustainable Development Goals, auf die wir uns fokussiert haben. Vergleichbar mit Anforderungen an ein IT-System lassen sich auch diese Maßnahmen in einem Anforderungskatalog (Backlog) sammeln und strukturieren. Dabei kann ein identifiziertes Defizit mit Beschreibung der grundsätzlichen Problematik und Akzeptanzkriterien als Epic und die dazugehörigen Einzelmaßnahmen als Stories angelegt werden. Die übergreifend angestrebten Sustainable Development Goals werden als Saga im Backlog hinterlegt und mit individualisierten Zielen konkretisiert.
Die ansonsten geschäftsgetriebene Priorisierung der Funktionalitäten und Anforderungen ist bei Nachhaltigkeitsmaßnahmen durchaus schwieriger, weil die Sustainable Development Goals grundsätzlich keine Wertigkeit darstellen, sondern gleichgestellt sind. Nichtsdestotrotz muss man sich in der operativen Maßnahmenumsetzung für eine sinnvolle und angemessene Reihenfolge entscheiden, die nicht ausschließlich anhand der Kritikalität des Defizites erfolgt. Als weitere Kriterien zur Priorisierung könnten die zeitliche Umsetzbarkeit, dessen Vorbildwirkung, die wirtschaftlichen Auswirkungen oder die prozessuale- und unternehmenskulturelle Kompatibilität dienen. Letztendlich muss man sich beispielsweise im Einzelfall entscheiden, ob etwa eine Maßnahme zur Verbesserung des Klimaschutzes vor, nach oder parallel zu einer Maßnahme zur Verringerung von Ungleichheiten umgesetzt werden soll. Das wird vielleicht nicht allen Ansprüchen und Betroffenen gleichermaßen gerecht. Es ist aber für eine pragmatische Zielverfolgung unumgänglich.
Je nach Komplexität und Umfang des Nachhaltigkeitsproblems und dessen Verbesserungsmaßnahmen ist die Entwicklung einer spezifischen Strategie hilfreich. Hierzu lässt sich eine Wardley-Map als grafische Repräsentation und Bewertung des Ist-Zustands und der angestrebten Wirkung durch die Maßnahmen einsetzen (s. Abb. 6) [4]. Durch die schematisierte Visualisierung der Selbsteinschätzung und gleichzeitiger Bewertung, welche Wirkung und Reifegrad mit welcher Maßnahme erzielt werden soll, wird die Diskussion und Priorisierung um die Einzelmaßnahmen vereinfacht.
Nachhaltigkeit lässt sich nur selten anhand von offensichtlichen Metriken messen.
Die konkrete Verbesserung wird leider erst mit der Umsetzung einer Maßnahme erzielt. So zumindest die optimistische Erwartung. Nicht alle Maßnahmen werden sich unmittelbar auswirken, sondern zahlen erst mittel- oder gar langfristig auf eine allgemeine Verbesserung ein. So wirkt eine überarbeitete Vorlage für genderneutrale Personas oder Anforderungsdokumente vermutlich erst zeitlich verzögert; der Einsatz von GraalVM zum ausgeklügelten Start abgeschalteter Anwendungen erzielt hingegen sofort Energieeinsparungen im Rechenzentrum.
Die stringente Messung von Erfolg und Misserfolg von Maßnahmen sowie deren Rückkopplung und Einarbeitung in nachjustierte Zielvorgaben sind notwendig, um sich iterativ den angestrebten Verbesserungen zu nähern oder Einbahnstraßen in der Zielverfolgung zu schließen. Stichwort Messung: Nachhaltigkeit lässt sich nur in Einzelfällen per se anhand von offensichtlichen Metriken messen. Die angestrebte Zielerreichung muss sich dabei in den Akzeptanzkriterien widerspiegeln, denen unter Umständen Voranalysen, Emissionsbilanzen oder Mitarbeitenden-Befragungen vorausgehen müssen. Erst dann lässt sich ein Erfolg oder Misserfolg der Maßnahme attestieren.
Das Vorgehen übertragen
Das hier vorgestellte Vorgehen beschränkt sich nicht auf die IT und deren Wertschöpfung. Alle drei Kernelemente, also das angewendete Vorgehensmodell (STP), das Leitbild (Sustainable Development Goals) sowie der zu betrachtende Unternehmensbereich (BizDevOps-Wertschöpfung) sind durch Elemente anderer Branchen und Unternehmen austausch- und anpassbar. Das grundsätzliche Prinzip bleibt gleich:
- Klären Sie, welche Aspekte und Unternehmensbereiche hinsichtlich Nachhaltigkeit mit Blick auf Wertschöpfungen, Lieferketten, Liegenschaften und so weiter analysiert werden sollen.
- Klären Sie, gegen welche Nachhaltigkeitsziele dabei validiert werden soll, etwa alle Sustainable Development Goals oder nur mit Fokus auf Klima- und Energieziele.
Beim Eintritt in den Problemraum führen Sie die folgenden Aktivitäten durch:
- Analysieren Sie die Tätigkeiten, Aufgaben oder Ressourcen in Bezug zu den festgelegten Aspekten und Unternehmensbereichen.
- Machen Sie sich mit den Problemstellungen vertraut und identifizieren Sie oder spekulieren Sie über die potenziellen Defizite und Risiken in Bezug zu den Nachhaltigkeitszielen oder Ihrem Fokus.
- Bewerten Sie subjektiv die Kritikalität von Defiziten für die Betroffenen, die Beeinflussbarkeit durch Ihr Unternehmen sowie die Häufigkeit des Defizitereignisses.
Beim Eintritt in den Lösungsraum ergreifen Sie dann folgende Aktivitäten:
- Sammeln oder erarbeiten sie kreative Gegenmaßnahmen, um die identifizierten Defizite zu vermeiden oder zu lindern und entwickeln Sie Strategien.
- Strukturieren und priorisieren Sie die Maßnahmen in einem oder mehreren Backlogs.
- Setzen Sie die Maßnahmen iterativ um. Qualifizieren Sie sie durch Datenerhebungen, Voranalysen und Pilotierungen und führen Sie schrittweise Verbesserungen ein.
- Prüfen Sie regelmäßig die Auswirkungen der Maßnahmen und justieren Sie das eigene Ambitionsniveau und damit auch die Zielvorgaben.
Um die Transformation zum nachhaltigeren Unternehmen zu starten, ist neben dem guten Vorsatz vor allem das klare Mandat und die Unterstützung des Managements sowie der Mitarbeitenden mit intrinsischer Motivation für diese Aufgabe notwendig. Die fachliche Kompetenz der zu betrachtenden Aspekte rekrutiert sich aus den eigenen Reihen der jeweils betroffenen Fachbereiche und Disziplinen, eben beispielsweise den Spezialisten für Business, Development, Operations und Projektmanagement. Die Moderation der Workshops im Sinne des Vorgehensmodells sowie die Unterstützung in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen kann durch externes Coaching eingekauft oder durch entsprechende Ausbildung eigener Mitarbeitenden erfolgen. Eine optimale Voraussetzung stellt dabei ein Coach mit dualem Know-how aus Nachhaltigkeit und Fachthema dar.
Fazit
Nachhaltigkeit lässt sich weder online bestellen noch gibt es hierfür einen allgemeingültigen Fahrplan. Für Teilgebiete existieren viele Initiativen und Empfehlungen, die sich beispielsweise unter Green IT oder Green Coding für Klimathemen in der IT subsumieren. Allerdings repräsentieren diese nicht das gesamte Zielbild der Nachhaltigkeit. Zudem sind die meisten Empfehlungen zu unkonkret, um sie operativ sofort umsetzen zu können. Die Reflektion mit den Aufgaben und Themenbereichen im eigenen Unternehmen ist deshalb ein notwendiger Startpunkt, um die spezifischen Bedarfe zu ermitteln und anhand eines Vorgehens Verbesserungen für die priorisierten Defizite zu erkennen und zu erzielen.
Der hier vorgestellte Sustainability Thinking Process ist als Hilfsmittel oder Synonym zu verstehen, um das Bewusstsein für Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen zu operationalisieren und schrittweise, iterativ, methodisch und pragmatisch umzusetzen. Der Weg zum nachhaltigen Unternehmen ist kein einfacher – das Ergebnis aber umso wertvoller.