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Pierre Korzen & Jessica Nagel 24. November 2020

Fast-Track-Methode to S/4HANA – Warum eine “Dirty Conversion” sinnvoll ist

Die digitale Transformation ist in vollem Gange – und ruft in Wirtschaft und Gesellschaft hohe Erwartungen, aber auch Unsicherheiten hervor. Die Arbeitswelt wird sich durch die Automatisierung stark verändern und der Fortschritt wird den meisten Menschen mehr nützen als schaden. So werden Unternehmen, die die Chancen der Digitalisierung nutzen, flexibler, schneller und kostengünstiger die Anforderungen ihrer Kunden bedienen können und damit einen deutlichen Wettbewerbsvorteil erzielen. Es gibt allerdings auch einige Herausforderungen, die mit der Automatisierung der Geschäftsprozesse verbunden sind. Dies gilt gerade auch für SAP-Kunden, für die der digitale Wandel untrennbar mit dem Wechsel auf SAP S/4HANA verbunden ist.

SAP S/4HANA ist das neuste Produkt der SAP und der funktionale Nachfolger der bisherigen SAP ERP-Software, stellt jedoch eine neue Produktlinie und daher keinen rechtlichen Nachfolger dar. Das "S" im Produktnamen steht für "simple" und die "4" für die vierte Produktgeneration.

Die dreistufige Client-Server-Architektur von SAP S/4HANA, basiert vollständig auf der In-Memory-Plattform SAP HANA. Als Benutzeroberfläche steht zusätzlich zur transaktionalen SAP GUI auch die app-basierte mobile Benutzeroberfläche SAP Fiori zur Verfügung. Auf Basis der Komponenten SAP HANA und SAP Fiori wurden neue Geschäftsanwendungen entwickelt, welche im so genannten SAP S/4HANA Digital Core zusammengefasst sind. Diese Anwendungen werden durch die In-Memory-Technologie unterstützt, welche durch die Speicherung von Daten im Arbeitsspeicher die Geschäftsprozesse schneller durchführbar macht.

Bei einem Umstieg auf SAP S/4HANA ändert sich nicht nur der Aufbau des Systems, sondern auch die komplette Infrastruktur der IT-Landschaft, da teilweise einzelne Funktionen aus ursprünglichen Schnittstellensystemen vollständig in den S/4HANA Digital Core integriert wurden und dadurch auf diese Schnittstellensysteme verzichtet werden kann. Des Weiteren ergeben sich auch Änderungen an den einzelnen Funktionalitäten innerhalb des Systems, da Funktionalitäten aufgrund der Datenstruktur geändert werden oder aufgrund der Verfolgung des Principle-of-One nicht mehr verfügbar sind oder zumindest nicht mehr weiterentwickelt werden. Bei einem Umstieg von SAP ERP auf SAP S/4HANA muss ein Unternehmen also zunächst genau prüfen, welche Änderungen sich an den genutzten Funktionalitäten ergeben und ob die Funktionalitäten unter SAP S/4HANA noch zur Verfügung stehen.

Der Umstieg auf S/4HANA ist weit mehr als ein Update!

Obwohl es zu SAP S/4HANA bereits umfassende Informationen gibt, herrscht bei den meisten Entscheidungsträgern noch Unsicherheit über die Möglichkeiten und Vorteile eines Wechsels auf die neue SAP-Anwendungssuite. Es stehen zahlreiche Fragen im Raum, angefangen damit, welchen Transformationspfad sie wählen müssen, um das Potenzial der SAP Business Suite der nächsten Generation zu heben und welche geschäftlichen und organisatorischen Anforderungen an die neue SAP-Umgebung einbezogen werden müssen. Hierbei ist es auch besonders wichtig, die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit zu betrachten. Hierbei muss auf der einen Seite betrachtet werden, ob beispielsweise in Know-how investiert werden muss, damit der Betrieb auch nach der Umstellung auf S/4HANA keinen Business Impact erleidet. Auf der anderen Seite gibt es auch die Möglichkeit, das Business mit neuen Funktionalitäten und somit neuen Möglichkeiten, wie beispielsweise besseren Expansionsmöglichkeiten, zu versorgen.

Auch wenn die Wartung der Vorgängerversion SAP ERP (SAP ECC6.0) bis 2027 verlängert wurde, sollte sich jedes Unternehmen bereits heute mit der Umstellung auf S/4HANA beschäftigen. Je früher man mit der Planung und der Umstellung auf S/4HANA beginnt, desto früher kann man auch von dessen Vorteilen profitieren. Wenn die Wartung für die bisherige Systemlösung ausläuft, werden Fehler und Schwachstellen nicht mehr durch Updates behoben, wodurch sich erhebliche Risiken für den Systembetrieb ergeben.

Wirtschaftlich handelnde Unternehmen benötigen für ihren Unternehmenserfolg Flexibilität, Geschwindigkeit und Automatisierung – und zwar ietzt und nicht erst im Jahr 2027.Warum weiter in eine Software investieren, die abgeschafft werden soll?

Ausgangssituation

Die deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) mit mehr als 60.000 Mitgliedern aus 3.700 Unternehmen verschiedenster Größen und Branchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist einer der einflussreichsten Anwenderverbände der Welt und führt jährlich eine Umfrage bei den Anwendungsunternehmen zu geplanten Investitionen im SAP durch.

Der DSAG Investitionsreport 2020 zeigt ganz deutlich, dass das Thema S/4HANA boomt [1]. Erstmalig sind höhere Investitionen in S/4HANA als in die bisherige Business Suite geplant. Allerdings sind sich 34 Prozent der Unternehmen, welche einen Umstieg auf S/4HANA planen, noch unsicher bezüglich der Vorgehensweise.

Dies unterstrich auch der DSAG Investitionsreport 2019, welcher bereits gezeigt hat, dass nur 8 Prozent der befragten Unternehmen bis Ende 2019 auf SAP S/4HANA umstellen wollten [2]. Die größten Herausforderungen in Unternehmen sind dabei historisch gewachsene IT- und SAP-Landschaften mit intransparenten Prozessen, bestehende Eigenentwicklungen und Unschlüssigkeit über neue Themen wie Optimierung oder Konsolidierung.

  • Wo stehe ich mit meiner IT heute?
  • Wie kann mein Zielbild aussehen?
  • Wie komme ich dorthin?

Auf diese meistgestellten Fragen gibt es keine pauschale Antwort, sondern es muss eine individuelle Roadmap mit individuell passendem Szenario für jede Firma auf Basis der heutigen Situation ausgearbeitet werden. Dies ist die Aufgabe von Beratern.

Mögliche Wege zu SAP S/4HANA

Zum Umstieg von SAP ERP auf SAP S/4HANA kann grundlegend zwischen zwei verschiedenen Szenarien unterschieden werden.

Bei einem Green-Field-Ansatz führt das Unternehmen ein komplett neues SAP S/4HANA-System ein. Bei einer Neuimplementierung von SAP S/4HANA über einen Green-Field-Ansatz erfolgen eine komplette Neukonzeption und -installation eines SAP S/4HANA-Systems, wobei das alte ERP-System (SAP oder non-SAP) komplett abgelöst wird.

Bei einem Brown-Field-Ansatz wird das bestehende SAP ERP auf SAP S/4HANA konvertiert. Bei der Durchführung einer Systemkonvertierung über einen Brown-Field-Ansatz, wird das bestehende SAP ERP mit allen Mandanten, allen Einstellungen und allen vorhandenen Stamm- und Bewegungsdaten sowie kundenindividuellen Programmierungen in ein SAP S/4HANA-System konvertiert. Das System bleibt hierbei technisch gesehen gleich, inklusive derselben System Identifikation (SID).

Obwohl generell gesagt werden kann, dass der Green-Field-Ansatz vor allem dann sinnvoll ist, wenn ohnehin größere Veränderungen im Unternehmen anstehen – zum Beispiel bei einer Umstrukturierung von Geschäftsfeldern oder -prozessen – und der Brown-Field-Ansatz häufig gewählt wird, wenn Unternehmen die individuellen Anpassungen sowie Customizing-Einstellungen bewusst behalten möchten, ist diese Entscheidung für die meisten Unternehmen nicht einfach.

Nach einer Systemkonvertierung funktioniert das neue S/4HANA-System nicht automatisch wieder wie vorher. Die bestehenden Prozesse sind der größte Aufwandstreiber, da das bestehende Customizing sowie eventuell notwendige Eigenentwicklungen, ebenso wie das Rollenmodell, abgeglichen und gegebenenfalls angepasst werden müssen. Falls SAP Add-ons oder Zusatzlösungen von anderen Anbietern im System vorhanden sind, müssen diese zuvor auf die S/4HANA-Tauglichkeit überprüft werden. So kann es sein, dass die geplante neue Struktur im alten ERP-System abzubilden aufwändiger wird, als alles komplett neu aufzusetzen. Viele Unternehmen haben ERP-Systeme, die sie über die Laufzeit stark individualisiert haben und wollen bewusst wieder zurück zur Standard-Version, um die Möglichkeiten der neuen Software voll ausnutzen zu können.

Bei einer klassischen Projektvorgehensweise, z. B. nach dem Wasserfallmodell, wird versucht, diese Fragen durch eine umfassende Vorstudie zu beantworten, um danach eine genaue Roadmap nach SAP S/4HANA zu erarbeiten und umzusetzen. Hierbei werden mehrere Tausend Euro und hundert Tage in Analyse investiert.

Für die Durchführung eines Green-Field-Ansatzes wird allerdings keine umfassende Analyse des Vorsystems benötigt, da alle Anforderungen an das neue System neu definiert werden können. Das Hauptziel einer solchen Analyse ist es, eine Conversion sowie die Machbarkeit dieser zu bewerten. Die Erfahrung bei Conversion-Projekten hat gezeigt, dass beim ersten Start der Conversion jedoch mindestens 20 Dinge hochkommen, die vorher bei der Analyse nie betrachtet wurden. Hierzu gehören beispielsweise Änderungen auf Grund von Simplification Items, welche sich auch auf kundeneigenes Coding auswirken, Probleme bei der Business-Partner- Konvertierung oder mit Drittanbieter-Add-ons.

"Wir können heute theoretisch fast alles berechnen, jedoch liegen Theorie und Praxis so weit auseinander, dass wir dessen Abstand nicht einmal theoretisch genau berechnen können." (Dustin Theuner)

Wir sagen jedoch: das geht auch anders!

Lösung: "Dirty Conversion"

Anstelle viel Zeit in die Durchführung einer Vorstudie zu investieren, deren Ergebnisse nicht hundertprozentig sicher und umsetzbar sind, setzen wir hier auf einen agilen Ansatz und auf die Durchführung einer Test-Conversion ("Dirty Conversion") des Produktivsystems.

Dieser Ansatz orientiert sich an den vier Werten des Agilen Manifest. Das Agile Manifest ist der kleinste gemeinsame Nenner aller agilen Vorgehensmodelle und wurde im Jahr 2001 von 17 renommierten Softwareentwicklern formuliert. Trotzdem oder gerade wegen seines Ursprungs in der Softwareentwicklung bietet das agile Manifest ein Referenzmodell auch für die Zusammenarbeit von Teams in anderen Industrien oder Problemdomänen und ist einer der wesentlichen Meilensteine der modernen agilen Bewegung. Folgende vier Werte werden im agilen Manifest definiert:

Individuen und Interaktion vor Prozessen und Methoden – Die "Dirty Conversion" wird in enger Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmen und dem Beratungshaus durchgeführt. Hier kann die Aufgabenverteilung individuell vorgenommen werden.

Funktionierendes Produkt vor umfassender Dokumentation – Die Durchführung einer "Dirty Conversion" hat nicht nur den Vorteil, dass damit die Conversion geübt und verifiziert wird und somit auch die Migrationszeit und die Downtime durch Tuning der technischen Migrationsparameter  reduziert wird. Durch die Conversion steht außerdem bereits früh eine individuelle Testumgebung aus dem Produktivsystem zur Verfügung. Somit können rechtzeitig Fehler und Dateninkonsistenzen, die nach der System Conversion auftauchen, entdeckt werden. Da das System komplett autark ist, kann hier mit Echtdaten getestet werden, ob die Geschäftsprozesse unter S/4HANA funktionieren, ohne das parallellaufende Produktivsystem zu beeinflussen

Zusammenarbeit mit Kunden vor Vertragsverhandlung – Der Aufwand für diese Vorgehensweise kann individuell zwischen Beratungsunternehmen und Kunden abgestimmt werden und ist abhängig davon, wer welche Aufgaben übernimmt. Die Test Conversion kann beliebig oft wiederholt werden, auch der Fokus der einzelnen Testläufe kann sich unterscheiden. Somit kann die Analyse-Tiefe kundenindividuell angepasst werden.

Auf Veränderung reagieren vor Verfolgen des Plans – Bei einer Test Conversion werden sehr schnell Erkenntnisse generiert und können sofort in die Roadmap eingearbeitet werden. Die Ergebnisse der Scan- und Focus-Phase werden somit direkt validiert und es ergibt sich ein fließender Übergang zwischen Theorie und Praxis.

Der agile Beratungsansatz X’Accelerate liefert die notwendigen Ressourcen und Strategien für eine valide Entscheidung sowie für eine reibungslose und effiziente Einführung von SAP S/4HANA. X‘Accelerate verkürzt die Scan- und Focus-Phase im Fast Track to S/4HANA Model, um durch eine Test Conversion schnellstmöglich folgende zentrale Fragestellungen zu beantworten:

  • Conversion oder Greenfield?
  • Ist eine Conversion möglich?
  • Wie komplex wird ein Conversion-Projekt?
  • Welche vorbereitenden Projekte sind notwendig und sinnvoll?

Der Ansatz wird auch Rapid-Ansatz oder Fast Track genannt, da hier relativ schnell Ergebnisse erzielt werden, und hat einige Mehrwerte gegenüber dem Adoption Startet Programm der SAP oder bereits erwähnten Deep-Dive-Analysen. In der ersten Setup-Phase findet ein gemeinsames Kick-Off mit dem Unternehmen statt. Der Start ist jederzeit und ohne "Bewerbungsprozess" möglich. Das Unternehmen stellt die bereits vorhandenen Analyse-Materialien wie beispielsweise den Business Scenario Recommendations Report oder den Readiness Check zur Verfügung. In der Analyze Phase werden alle Software-Komponenten analysiert und zudem laufende bzw. geplante Projekte berücksichtigt. Die Analyse-Tiefe wird hierbei kundenindividuell angepasst. Am Ende der Analyze-Phase wird als Meilenstein der Starting-Point definiert und auf dieser Basis ein erster Entwurf des Transformation Plan evaluiert. Dieser wird in der Validation-Phase durch die Test-Conversion validiert und kann hier auch angepasst werden. Die Test-Conversion kann direkt im kundeneigenen Rechenzentrum auf eigener Hardware durchgeführt werden. Falls dies von Kundenseite nicht gewollt oder möglich ist, da beispielsweise keine Kapazitäten oder noch keine Hardware vorhanden ist, kann diese auch bei einem Serviceprovider als "Spielwiese" zur Verfügung gestellt werden. Somit ergibt sich ein fließender Übergang von der Theorie in die Praxis. Am Ende steht eine finale Roadmap, welche nur noch umgesetzt werden muss.

Autoren

Pierre Korzen

Pierre Korzen fungiert als Bereichsleiter Consulting bei XEPTUM und ist zudem als Projektleiter in diversen Consulting-Projekten verantwortlich.
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Jessica Nagel

Jessica Nagel ist als Beraterin und Projektmanagerin bei der XEPTUM Consulting AG für die Durchführung von SAP-Projekten im ERP- und S/4HANA-Umfeld sowie die strategische Beratung im Rahmen der Digitalisierung verantwortlich.
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