Mit Digitalisierung zu mehr IT-Nachhaltigkeit
There is no Planet B! Wir befinden uns mitten in den größten Herausforderungen, der die Menschheit je gegenüberstand: Der Klimawandel ist nicht nur real, er ist bereits da. Seine Auswirkungen auf das Leben auf diesem Planeten, auf unsere Kinder und Enkelkinder sind immens. Wenn wir jetzt nichts tun, dann lässt sich der Wandel nicht mehr aufhalten. Also müssen wir schnell und umfassend unseren CO2-Abdruck reduzieren. Wir brauchen ganzheitliche Pläne, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.
Mit dem Klimaabkommen von Paris und dem Europäischen Green New Deal haben wir uns ambitionierte Ziele gesetzt. Ziele, die nun auf einzelne Industrien heruntergebrochen werden und an denen jedes Unternehmen sich beteiligen muss. Das betrifft auch die Digitalbranche. Ein Ziel für die deutsche Industrie stellt etwa die angestrebte Reduzierung von 262 Millionen Tonnen CO2 bis 2030 dar. Diese ehrgeizige Maßnahme wird derzeit nach verschiedenen Sektoren, Branchen und Unternehmen aufgebrochen. So unterliegt die Digitalbranche dem Ziel, ihre Rechenzentren bis 2030 klimaneutral zu gestalten.
Wir als Unternehmen der freien Wirtschaft sind nicht nur aufgefordert, es wird auch von unseren Kunden und unseren Mitarbeiter:innen erwartet, dass wir uns an dem Wettlauf gegen die Zeit beteiligen. Drei von vier Angestellten gaben in einer Befragung von Stepstone und Handelsblatt Research Institut (HRI) an, dass es ihnen wichtig ist, dass Nachhaltigkeit bei ihrem (möglichen) Arbeitgeber einen hohen Stellenwert hat [1]. Laut einer Capgemini-Studie setzen bislang allerdings nur sechs Prozent der Unternehmen eine nachhaltige IT umfassend um und Unternehmen sind sich der Klimabilanz ihrer IT im Grunde kaum bewusst [2].
Und so haben wir also die fortschreitende Digitalisierung, die auf der einen Seite den Energieverbrauch enorm fördert, auf der anderen Seite aber auch einen Anteil daran haben kann, Klimaneutralität zu erreichen. Eine Studie des Verbandes Bitkom kommt zu dem Schluss, dass digitale Technologien die Hälfte dazu beitragen können, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 erfüllt [3]. Dabei ist der CO2-Fußabdruck für die digitale Infrastruktur schon eingerechnet. Wohl gibt es gewisse Unsicherheiten und einen Rebound-Effekt, die in dieses Potenzial mit einzukalkulieren sind.
Es stellt sich also die Frage danach, wie wir die richtigen Technologien auf die richtige Weise einsetzen. Doch die grundsätzliche Existenz eines enormen Potenzials bleibt unbestritten: Richtig eingesetzt können digitale Technologien etwa die erwarteten Verkehrsemissionen für den Güterverkehr nur durch intelligente Logistiklösungen um bis zu 16 Prozent reduzieren. Oder die erwarteten energiebedingten Emissionen in der Fertigung nur durch Simulation und Optimierung physikalischer Produkte und Prozesse um bis zu 8 Prozent verringert werden.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass das CO2-Einsparpotenzial der betrachteten digitalen Technologien mehr als sechs Mal höher ist als ihr eigener Ausstoß. Legen wir also los!
Der Business Case steht
Dass digitale Lösungen dazu beitragen können, die Klimabilanz zum Positiven zu entwickeln, ist längst keine Zukunftsvision mehr. Erste Leuchtturmprojekte haben das Potenzial aufgezeigt und längst haben verschiedene Einsatzszenarien eine Massentauglichkeit erreicht.
Nehmen wir zum Beispiel das Thema Remote-Support, ein Feld, das natürlich auch durch die Reisebeschränkungen während der Corona-Pandemie deutlich an Fahrt aufgenommen hat: Die Augmented-Reality-Brille HoloLens von Microsoft zum Beispiel erlaubt dem Nutzer, interaktive 3D-Projektionen in der realen Umgebung darzustellen. Mit Hilfe der AR-Brille können Servicetechniker:innen – beispielsweise eines Maschinenherstellers – Mitarbeitende vor Ort anleiten und die Wartung oder Inbetriebnahme einer Anlage aus der Ferne steuern und sich in entsprechende Remote-Sessions virtuell einbringen.
Reisen oder Flüge zur Anlage am jeweiligen Standort entfallen. Und damit auch eine Arbeitsleistung, die vom geschulten Personal vor Ort im Zweifel nur wenig Zeit in Anspruch genommen, aber eine lange Anreise bedeutet hätte. Veranschlagt man hier beispielsweise einen rund 6.000 km langen Flug von Deutschland zu einer Einsatzstelle an der US-amerikanischen Ostküste, dann würde allein der Wegfall der Anreise rund 1,5 Tonnen CO2 einsparen. Natürlich muss hierbei berücksichtigt werden, dass auch die Produktion der AR-Brille Energie verbraucht; genauso wie die Implementierung der Infrastruktur, das Aufsetzen des Service und eben die Nutzung der Brille selbst. Da kommen gut und gerne 6 Tonnen CO2 zusammen. Unter dem Strich rechnet sich dieses Szenario dann aber schon nach dem vierten HoloLens-Einsatz und die CO2-Einsparungen schlagen ins Positive aus.
Ein weiterer Praxiscase, der längst gelebte Realität ist, ist der Einsatz wassergekühlter Serverinfrastrukturen in einem Hochleistungsrechenzentrum. Mit ihr reduziert sich der Energieverbrauch im Vergleich zur klassischen Luftkühlung deutlich. Die Einsparungen betragen bis zu 33 Prozent aufgrund des verringerten Stromverbrauchs, höherer Effizienz und Wärmerückgewinnung.
Projekt braucht Framework
Die Beispiele der HoloLens und der Wasserkühlung im Rechenzentrum sind reale Kundenprojekte. Doch schon das Wort "Projekt" zeigt, dass wir noch ganz am Anfang stehen. Nachhaltigkeit lässt sich nicht mit einzelnen, innovativen Projekten erreichen. Es braucht ein übergeordnetes Framework. Nur dann können unterschiedliche Projekte im Zusammenhang betrachtet werden und in ihrer Gesamtheit auf das Ziel der Klimaneutralität hin geprüft werden. Eine nachhaltige Digitalisierungsstrategie bringt die Vorteile der digitalen Technologie mit den Anforderungen an die Nachhaltigkeit in Einklang. Sie identifiziert, beschreibt und implementiert die relevanten Level, basiert auf einem übergreifenden Framework und berücksichtigt die Komplexität von Technologien wie auch das meist sehr diverse Ökosystem.
Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit führen dazu, Greenwashing zu vermeiden!
Entscheidend bei einer Nachhaltigkeitsstrategie ist auch die Transparenz und Nachvollziehbarkeit sowie die Vergleichbarkeit mit anderen Projekten. Denn es braucht immer auch das Buy-in der Belegschaft, um eine entsprechende Strategie zum Erfolg zu führen! Gleichzeitig etabliert ein Unternehmen so im Zweifel direkt Benchmarks für die eigene Branche, wozu übergreifende Rahmenbedingungen einzuhalten sind. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit führen aber auch dazu, (den Verdacht von) Greenwashing zu vermeiden! Der Begriff bezieht sich auf Unternehmen, die – gerade in der Außenkommunikation – versuchen, grüner und nachhaltiger zu wirken, anstatt es wirklich zu sein.
Schritte zur Nachhaltigkeitsstrategie
Wie lässt sich eine effektive, digitale Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln, die den notwendigen Anforderungen an Transparenz und Klarheit nachkommt? Grundsätzlich empfiehlt sich der Einsatz einer praxisbewährten Struktur, wie wir sie aus unterschiedlichsten ITC-Projekten kennen. Wir wenden bei unseren Kundenprojekten ein Vorgehen entlang dieser sechs wesentlichen Schritte an:
- Scope definieren – Welchen Umfang soll die ökologische Nachhaltigkeitsstrategie haben?
Zunächst gilt es, den Umfang einer individuellen, ökologischen Nachhaltigkeitsstrategie festzulegen. Basierend auf dem Greenhouse Gas Protocol (GHG) werden drei Bereiche (Scopes) unterschieden, nämlich direkte Emissionen, indirekte Emissionen und Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette entstehen. Ausrichtung und Ziele sollten sich demnach sehr präzise ableiten. Wichtig ist in diesem Zuge ein gemeinsames Verständnis hinsichtlich einer Definition und Zielen der ökologischen Nachhaltigkeit sowie den Handlungsfeldern, in denen diese erreicht werden sollen – zum Beispiel direkte CO2-Reduktion, Abfallvermeidung oder Ressourceneffizienz des Unternehmens. Es folgen Herleitungen konkreter Anforderungen innerhalb dieser Handlungsfelder – also Reporting-Standards oder Methoden. Abgeschlossen wird der erste Schritt durch die Festlegung eines Zeitplans sowie der Benennung zentraler Ansprechpartner:innen und Verantwortlichkeiten. - Environmental Baseline – Welche aktuelle Ausgangsbasis liegt vor?
Hier gilt es, den Ausgangswert zu definieren, die Environmental oder ökologische Baseline. Wie groß ist der aktuelle CO2-Fußabdruck? Wurde mit den relevanten Daten gearbeitet? Stimmt die Flughöhe? Gegebenenfalls müssen Zahlen revidiert oder anders strukturiert sein, um den korrekten Ausgangswert zu bestimmen, der die Grundlage für weitere Diskussionen und Aktivitäten bildet. Hier gilt es also den analytischen Ansatz in Form von Methoden, Standards und Tooling zu definieren. Auch auf die relevanten Datensätze, die Art der Datensammlung und -harmonisierung sowie ihre Aggregation sollte sich in diesem Schritt geeinigt werden. - Ambition Level – Welches ist das richtige Ambitionsniveau, um Umweltauswirkungen zu reduzieren?
Wie muss eine adäquate Zielsetzung gestaltet sein? Oft tobt im Markt ein heftiger Konkurrenzkampf um die ehrgeizigsten Ziele – nach dem Motto "Höher, schneller, weiter". Dann legt ein Protagonist noch einen drauf und kündigt ein noch ehrgeizigeres Ziel an. Und dann passiert… nichts. Dies ist nicht der richtige Weg. Unternehmen sollten für sich das richtige Ziel finden. Sie sollten sich fordern, ja, aber sie sollten dieses Ziel auf der Grundlage von Branchen-Benchmarks ausrichten, indem sie eine detaillierte Analyse ihrer aktuellen Situation durchführen und auf Basis derer sie entscheiden, was sie in den nächsten Jahren erreichen können und welche Ziele Priorität haben. In die Analyse sollten aktuelle und geplante rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen Deutschlands und der EU ebenso einfließen, wie das Handeln der Konkurrenz, von NGOs oder anderer externer Stakeholder. Zum Schluss folgt der Abgleich zwischen Baseline und Ambitionslevel um die Lücke, die geschlossen werden soll, klar zu beschreiben. - Actions – Welche Maßnahmen sind geeignet, die Lücke zu schließen?
Hier gilt es, Maßnahmen, Aktivitäten und Programme auf der richtigen Ebene einzuleiten, um die zuvor definierten Ziele zu erreichen. So müssen sinnvolle Optimierungshebel für Reduktionspotenziale der negativen Umweltauswirkungen des Unternehmens identifiziert sowie Szenarien für die Zielerreichung definiert und modelliert werden. Es folgt die Kostenberechnung für die Maßnahmen und jeweiligen Szenarien. Liegen die Handlungsoptionen auf dem Tisch, kommt es zur Auswahl des gewünschten Szenarios. Die Definition einer Roadmap, von KPIs und Monitoring-Prozessen zur Nachverfolgung der Fortschritte sind dabei Pflicht. - Governance – Wie ist die Nachhaltigkeitsstrategie als Unternehmensstrategie zu verankern?
In diesem Schritt gilt es zu klären, wie die ökologische Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie verankert und in die DNA eines Unternehmens gebracht werden kann. Ein strategisches Leitbild, Schlüsselrollen und Verantwortlichkeiten sowie Multiplikatoren in Unternehmensbereichen, der Aufbau einer dedizierten Abteilung für Nachhaltigkeitsthemen, die Schaffung von Anreizen und Sensibilisierung der Mitarbeiter sowie Compliance und Verantwortlichkeiten sind zu klären. - Chance-Management - Wie lassen sich alle relevanten Stakeholder überzeugen?
Alle Stakeholder müssen vom Konzept für Klimaneutralität überzeugt sein. Dazu müssen beispielsweise das Senior Management, aber auch Mitarbeitende, Kunden und Lieferanten am gleichen Strang ziehen. Kontinuierliche Kommunikation und eine Kultur des kontinuierlichen Lernens sind genauso gefragt, wie eine Neuausrichtung der Unternehmensvision. Wer hier im Schritt Governance gute Vorarbeit geleistet hat, ist im Vorteil. Dabei gilt: High-Impact-Führungskräfte wirken durch ihr Engagement als Vorbild und die teambasierte Entwicklung von Umsetzungsszenarien holt Mitarbeiter:innen aus unterschiedlichsten Bereichen früh mit ins Boot. Eine Community von Nachhaltigkeitsbotschafter:innen ermöglicht eine Skalierung in alle Unternehmensbereiche.
Handlungsfelder im Fokus
Im Grunde lassen sich alle Bereiche der ITC mit diesen sechs Schritten durcharbeiten, um Lücken zu identifizieren und mehr Klimaneutralität in unserer Branche zu erreichen. Dennoch stoßen einige Handlungsfelder mehr heraus als andere:
- Green IT: Energieeffizienz bei Rechenzentren, Cloud- sowie Büro-IT.Infrastruktur für niedrigere Kosten und geringeren CO2-Fußabdruck. Die Green-IT-Strategie umfasst die Wertschöpfungskette: Auswahl von Hardware und Anbietern, "Make-or-Buy"-Entscheidungen, Erneuerbare Energie, Sicherheitsaspekte oder Recycling.
- Nachhaltige Produkte: Evaluierung der ökologischen Auswirkungen von Produkten und Lösungen. Optimierung aufgrund der durch die Evaluierung erlangten Erkenntnisse sowie faktenbasierte Kommunikation an Kunden und Investoren.
- Supplier-Management: Definition von Umweltaspekten und -standards. Einführung einer Lieferantenstrategie mit Fokus auf die zuvor definierten Aspekte für neue und bestehende Lieferantenverträge. Evaluierung und Monitoring der Lieferanten.
- New Normal: Etablierung des "New Normal" in der Arbeitswelt, um auf geänderte Bedürfnisse zu reagieren, neue Möglichkeiten aufzuzeigen und Mitarbeiter:innen stärker einzubeziehen. Neben positiven ökologischen Wirkungen stehen Mitarbeiterzufriedenheit, Produktivität und Kostenreduktion im Fokus.
- Mobilität: Definition von intelligenten und nachhaltigen Mobilitätskonzepten für Angestellte, um zum einen die Aufmerksamkeit für das Thema Nachhaltigkeit zu steigern und zum anderen Mobilitätsemissionen zu vermeiden.
- Smart Manufacturing: Optimierung des Stromverbrauchs basierend auf Produktionskapazität aber auch erneuerbaren Energiequellen. Effiziente Materialnutzung durch Verfolgung des Materialabfalls, Identifikation effizienter Prozesse mit weniger Materialeinsatz, etwa durch den Einsatz einer Augmented-Reality-Brille in Wartung und Reparatur von Maschinen.
- Green Software Engineering: Nachhaltige Softwareentwicklung und Green Coding, die Effizienz von Datenflüssen und die Identifikation der emissionsstärksten Anwendungen in einer Hotspot-Analyse, Überprüfung des Belastungszustands von Hardwarekomponenten, Ökobilanz von Produkten und Lösungen.
Packen wir es an
Es ist an der Zeit, zu handeln. Nutzen wir die immensen Potenziale der Digitalisierung und ihre Gestaltungsmöglichkeiten, um schädliche Emissionen für unser Klima deutlich zu reduzieren. Nicht nur einzelne Unternehmen werden davon profitieren, sondern unser aller Lebensqualität und die der nächsten Generationen von Mitarbeitenden sowie die unserer Kinder und Enkelkinder.