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Heiko Löffler & David Monzel 28. Dezember 2021

Vernetzt, smart, komplex: Den Wandel zu AIoT meistern

Produkte werden zunehmend intelligent und vernetzt, verbinden also AI und IoT in Form von "AIoT". Sie werden zu Smart Connected Products. Diese Entwicklung wird durch die Märkte getrieben und eröffnet den anbietenden Unternehmen attraktive Perspektiven. Aber: Der Wandel zu einem erfolgreichen AIoT-Unternehmen ist keinesfalls trivial. Smart Connected Products weisen hohe Komplexität und neue Herausforderungen für die Organisation auf. Wie können sich Unternehmen darauf einstellen und den Wandel erfolgreich meistern?

Künstliche Intelligenz (=AI/Artificial Intelligence) und das Internet der Dinge (=IoT/Internet of Things) sind zwei Technologieansätze, die kaum noch aus unserem Leben wegzudenken sind. Zunehmend lässt sich die Kombination dieser beiden Ansätze – AIoT – in Form von intelligenten vernetzten Produkten und Lösungen beobachten. Hierbei spricht man von "Smart Connected Products": Vernetzte Züge, deren Fahrdatenschreiber Daten über Fahrverhalten und Treibstoffverbrauch bereitstellen, sodass Lokführer:innen Hinweise für energieschonende Fahrweisen bekommen. Positionierungshilfen in der vernetzten CNC-Fräse, die mit Einsatz von KI-Technologie dafür sorgen, dass Werker an der Maschine Bauteile nicht aufwändig neu positionieren müssen. Vernetzte Stromzähler, deren Daten in Kombination mit Daten aus anderen Quellen (Wetterdaten, Ereignisdaten o. ä.) präzisere Prognosen über Energie-Lastspitzen ermöglichen.

Auch in den Städten sind AI und IoT auf dem Vormarsch – in den so genannten Smart Cities. Beispielsweise verfolgt die Stadt Wien dadurch drei großen Leitziele: Ressourcen, Innovation und Lebensqualität. Dabei wird auf vernetzte Sensorik gesetzt, um Gebäude energieeffizienter zu gestalten. Intelligente Ampeln erlauben es, sich nähernde Fußgänger bereits frühzeitig zu erkennen und somit die Sicherheit zu erhöhen. Ein durch Vermessung des öffentlichen Raums erstellter digitaler Zwilling der Stadt soll es erlauben, Veranstaltungen schneller zu genehmigen und "Stadtmöbel" von Fahrradständern bis Kiosken zu optimieren. Mit Verbreitung von Funkstandards wie LoRaWAN, NB-IoT und 5G rückt nun auch die Vision des Smart Villages in greifbare Nähe. Nicht fern von Wien werden daher in Niederösterreich IoT-Anwendungen in der Landwirtschaft, der Infrastruktur und dem Tourismus im Rahmen des Forschungsprojekts Dataskop erprobt.

Externe Treiber und große Potentiale führen Unternehmen dazu, AIoT in Form von Smart Connected Products umzusetzen

Was bewegt Unternehmen dazu, Produkte auf den Markt zu bringen, die auf AIoT basieren? Warum ändern diese Unternehmen ihr Geschäftsmodell? Die grundlegende Antwort hierfür lautet: Zur Sicherung und zum Ausbau der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Eine genauere Begründung hierfür lässt sich anhand von drei am Markt beobachtbaren, exogenen Treibern beantworten: Steigender Wettbewerbsdruck, sich wandelnde Kundenbedürfnisse und die fortlaufende technologische Entwicklung.

Steigender Wettbewerbsdruck: Durch die seit langem zunehmende Globalisierung erschließen vermehrt neue Wettbewerber (bspw. aus dem asiatischen Raum) bestehende Märkte, was sich in einem zunehmenden Preisdruck sowie abnehmenden Margen auswirkt. Dies lässt sich vor allem im Sachgütergeschäft beobachten. Im Servicegeschäft hingegen lassen sich steigende Margen erkennen, wodurch servicebasierte Geschäftsmodelle/Angebote zunehmend an Attraktivität für alle Arten von Unternehmen gewinnen.

Wandelnde Kundenbedürfnisse: Der Kunde kauft nicht mehr von der Stange (und nicht jeder Kunde möchte, dass sein Ford Model T schwarz ist). Die Nachfrage wird hinsichtlich der kundenseitig erwarteten Lösung zunehmend kundenindividueller und umfassender. Kunden wollen bildlich gesprochen das saubere, korrekt platzierte Bohrloch und nicht den Bohrer. Dies bedingt komplexere Produkte/Lösungen, welche zudem eine Gesamtintegration in das jeweilige System sicherstellen müssen. Hinzukommend will der Kunde vermehrt nicht mehr in Vorleistung gehen und große Einmalzahlungen im voraus stemmen. Dadurch bedingt steigt die Forderung nach flexiblen und vorhersehbaren/servicebasierten Zahlungsmodellen (vgl. im B2C-Markt Spotify, Netflix etc.).

Technologische Entwicklung: Was früher aufwändig und komplex bzw. nur mit speziellem internen Know-how in der Produktarchitektur verankerbar war, ist heute deutlich zugänglicher: Komponenten zur Vernetzung, Sensoren, Aktoren oder Computing-Komponenten. Diese Dinge sind heute bedeutend kostengünstiger zu beschaffen, einfacher in Bestandssysteme zu integrieren und durch eine wachsende Anzahl an verfügbaren Experten beherrschbar. Auch Anwendungen im Analytics- & KI-Bereich sind in skalierbarer Form (bspw. auf cloudbasierten Plattformen) am Markt verfügbar und kurzfristig einsatzfähig.

Nicht nur diese externen Treiber bewegen Unternehmen dazu, Smart Connected Products auf den Markt zu bringen. Zusätzlich lassen sich innerhalb erfolgreicher AIoT-Unternehmen positive Auswirkungen durch die Einführung von AIoT in Form von Smart Connected Products beobachten. Diese dienen als Anreiz für Unternehmen, die noch kein AIoT-Produktportfolio vorweisen können.

Smart Connected Products ermöglichen eine bessere und individualisierte Kundeninteraktion auf Basis eines tiefergehenden Kundenverständnisses. Dieses resultiert aus den in den Fokus gerückten Strom an Nutzungs-, Prozess- oder Flottendaten. Darauf aufbauend lassen sich für die Produktentwicklung essenzielle Fragen beantworten, wie beispielsweise: Auf welcher Eingabemaske muss der Kunde zu lange nach dem richtigen Element suchen? Welche Aufgaben beschäftigen den Kunden größtenteils am Tag, obwohl sie dies eigentlich nicht sollten?

Der Business Case wird positiv beeinflusst durch Effekte wie Produktivitätssteigerung, Kostensenkung oder Erschließung neuer Umsatzquellen. Dies lässt sich beispielsweise auf verbesserte Auslastung von Fertigungsanlagen, Wartungsoptimierung oder datenbasierte Zusatzleistungen zurückführen.

Auch bieten Smart Connected Products die Möglichkeit, neue margenstarke, servicebasierte Geschäftsmodelle mit wiederkehrenden Umsätzen zu realisieren. So kann beispielsweise die Nutzung einer Maschine genau nachverfolgt werden und sich das Geschäftsmodell vom klassischen Einmalkauf hin zu einer nutzungsbasierten Abrechnung wandeln (Stichwort: Everything-as-a-service).

Smart Connected Products bestehen aus physischen Komponenten, Cloud-AI und der Integration in die Kundenumgebung

Wenn der Wunsch besteht, das Produktportfolio also in Richtung AIoT weiterzuentwickeln, sollte zuerst der grundsätzliche Aufbau von Smart Connected Products verstanden werden. Alle Smart Connected Products vereinen drei grundsätzliche Eigenschaften: Sie bestehen aus einer physischen Komponente (sog. Edge Device), haben eine digitale Repräsentation im IT-Backend (der "digitale Zwilling" in der Cloud) und sind in die Kundenumgebung integriert. Die Eigenschaften dienen gemeinsam dem übergeordneten Ziel des Bereitstellens des größtmöglichen Kundenmehrwerts. Dieses Konzept lässt sich anhand eines intelligenten, vernetzten Gabelstaplers anschaulich beschreiben.

Der Gabelstapler als physische Komponente bzw. Edge Device verfügt über eigene Rechnerleistung und Intelligenz. Er erfasst außerdem relevante Statusinformationen und ist eindeutig identifizierbar. Er wird zum "vernetzten" Produkt, da er über ein Kommunikationsmodul verfügt, um den Datenaustausch mit dem IT-Backend zu gewährleisten.

Zum "smarten" vernetzten Produkt wird der Gabelstapler durch die Repräsentation im IT-Backend, beispielsweise in Form einer Cloud-Plattform. Diese ist die Heimat für das virtuelle Abbild, den sogenannten "digitalen Zwilling". Dieser wird permanent mittels Methoden des maschinellen Lernens bzw. der künstlichen Intelligenz analysiert. Daraus lassen sich Ableitungen für die Steuerung, Ablaufoptimierung oder die Interaktion mit der Flotte treffen.

Der dritte Blickwinkel ist die Integration in die betrieblichen Abläufe: Beispielsweise kann der autonom agierende Gabelstapler optimal die logistischen Prozesse unterstützen. In der Intralogistik kann das zentral unterstützte Assistenzsystem dafür sorgen, dass automatisch der richtige Regalplatz angefahren wird. Oder dass durch analytics-gestützte Vergabe von Regalplätzen die Routen im Lager optimiert werden. Zu guter Letzt können Sicherheitsfunktionen (wie Kollisionsvermeidung) über die AIoT-Features realisiert werden. Der kontextsensitive Austausch von Daten mit den Kundensystemen löst gezielt die Anwenderprobleme wodurch das große Potential von AIoT voll ausgeschöpft wird.

Um AIoT zu beherrschen, muss die Produktentwicklung grundsätzlich auf die Komplexität von unterschiedlichen Produktentwicklungszyklen angepasst werden

Es wird schnell ersichtlich, dass Smart Connected Products durch die Integration der drei Elemente – vernetzte physische Komponente, Cloud-Backend mit Analytics-Komponente und Anbindung an Kundensysteme und -prozesse – einen hohen Grad an Komplexität aufweisen. Das bedeutet große Änderungen für die Produktentwicklung eines Unternehmens, welches bisher keine Smart Connected Product entwickelt hat. Dabei lassen sich vor allem Erfolgsfaktoren in zwei Dimensionen in der Praxis erkennen: Zum einen müssen die unterschiedlichen Entwicklungszyklen der Komponenten aufeinander abgestimmt werden. Zum anderen müssen für die Beherrschung aller benötigten Disziplinen neue Kompetenzen aufgebaut oder anderweitig bereitgestellt werden.

In der traditionellen Entwicklung von Produkten, die nicht vernetzt sind und über keine AI-Komponente verfügen, wird häufig nach dem V-Modell entwickelt. Das bedeutet, dass am Anfang der Entwicklung für das gesamte Produkt Anforderungen definiert und auf alle Subsysteme und Komponenten heruntergebrochen werden. Anschließend wird das gesamte Produkt entwickelt. Zum Ende der Entwicklung erfolgt die Verifizierung der einzelnen Komponenten und die Integration zu Subsystemen und zum Gesamtprodukt, welches abschließend validiert wird. Von der Anforderungsdefinition bis hin zur Markteinführung durchlaufen also alle Elemente des Gesamtprodukts ein und denselben Produktentwicklungszyklus. Entsprechend ist auch die Organisationsstruktur dahinter aufgebaut, beispielsweise nach funktionaler Trennung wie Mechanik, Software oder Galvanik.

Bei Smart Connected Products hingegen besteht die Herausforderung, dass sich durch die Verbindung von AI und IoT die Wertschöpfungskette und die dafür benötigten Komponenten der Produktarchitektur ändern: Neben der Hardware-Komponente werden zusätzlich Connectivity-Komponenten, Messaging-/Bus-Systeme, IoT-Plattformen, Analytics-/AI-Komponenten, Nutzer-Applikationen sowie zusätzlich Service- und Integrationsleistungen benötigt.

Diese Komponenten weisen unterschiedliche Produktentwicklungszyklen auf: Hardware und Connectivity durchlaufen tendenziell einen Zyklus, Messaging-/Bus-Systeme und IoT-Plattformen bereits mehrere Zyklen und Analytics-/AI-Komponenten und Applikationen viele Zyklen. Das liegt in der Lang- bzw. Kurzlebigkeit der Komponenten begründet. Eine Hardware-Komponente wird bedingt durch physische Prozesse und Abhängigkeiten in der Regel einmal in Form von Anforderungen definiert und daran orientiert entwickelt und produziert. Eine Applikation hingegen kann stetig und sehr schnell mit Testnutzern verprobt und weiterentwickelt werden – auch vor dem Ausrollen an den Endkunden. AI-Komponenten, bei denen AI-Modelle und deren Training eine zentrale Rolle spielen, entwickeln sich aufgrund des stetigen Machine-Learnings fortwährend weiter.

Entsprechend müssen die Schnittstellen zwischen diesen Komponenten so definiert werden, dass diese über den Gesamtentwicklungszeitraum und darüber hinaus konstant bleiben und aufeinander abgestimmt sind. Das setzt interdisziplinäre Teams und den permanenten Austausch über die Komponentengrenzen hinweg voraus.

Essenziell für den Erfolg dieser Art der Entwicklung ist neben der Produktarchitektur und der Beherrschung der Schnittstellen das Abdecken der benötigten Disziplinen. Diese umfassen neben herkömmlichen Kompetenzen wie bspw. Mechanik- oder Material-Experten neue Kompetenzen wie UI/UX-Experten, Data Scientists, Solution Designer, System-Architekten oder Connectivity-Experten. Da diese für viele Unternehmen, die zuvor im klassischen Hardware-Produktgeschäft aktiv waren, keine Kernkompetenzen sind, muss der Kompetenzaufbau strategisch erfolgen. Das heißt, neben Insourcing auch andere Optionen wie Outsourcing, Partnering oder Coopetition zu prüfen und umzusetzen.

Erfolgreiches Geschäft mit Smart Connected Products bedeutet neben der Anpassung der Entwicklung auch die Anpassung des Marktangangs, der Entwicklungsstrategie und der gesamten Organisation.

Der Wandel vom klassischen Hardware-Produktgeschäft zum Geschäft mit Smart Connected Products setzt schon den Erfolg vor der eigentlichen Entwicklung voraus: den Marktangang mit entsprechendem digitalem Zielbild mit kundenzentrierten, flexiblen Geschäftsmodellen. Nur dadurch lässt sich der große Vorteil von Smart Connected Products erzielen, der im Bereitstellen von größtmöglichem Kundenmehrwert liegt – für den die Kunden bereit sind, entsprechende hohe Zahlungen zu leisten.

Die hohe Komplexität von Smart Connected Products erfordert zudem ein Umdenken bezüglich der Produktstrategie, bei welcher der Anbieter vor allem auf eine skalierbare Architektur und Beherrschung und Hoheit über den wertvollen Datenstrom setzen sollte. Auch sollte im Sinne eines Ökosystems gedacht werden und gegebenenfalls sogar Teile der Wertschöpfung ausgelagert werden.

Für die Gestaltung der Organisation bedeutet das entsprechend eine andere Form des Sourcings: Co-Creation. Das Unternehmen schlüpft dadurch eher in eine Orchestrator-Rolle. Dafür ist es wichtig, den Betrieb früh im Entwicklungsprozess einzubeziehen, was sich in der Praxis oft in interdisziplinären DevOps-Teams widerspiegelt. Auch am Ende der Wertschöpfung muss sich die Organisation anpassen, indem sich der Vertrieb vom reinen Produktverkauf zum Kundenerfolgsmanagement umorientieren muss.

Detaillierter werden diese Punkte im Rahmen von zehn Paradigmen für erfolgreiche Smart Connected Products beschrieben:

Ganzheitliche Ansätze mit Fokus auf den größtmöglichen Kundenmehrwert sind der Schlüssel zum Erfolg mit Smart Connected Products

Um also am Markt erfolgreich mit Smart Connected Products zu sein und den Wandel zum AIoT-Unternehmen zu schaffen, müssen Unternehmen an vielen Bereichen ihrer Strategie, Organisation, Prozesse und Kompetenzen arbeiten. Entsprechend sind möglichst ganzheitliche Ansätze zu empfehlen, die den gesamten Produktlebenszyklus umfassen. Einen in der Praxis bewährten Ansatz zeigt die AIoT User Group auf [1]. Dieser Ansatz ist im AIoT Playbook festgehalten und wird durch die User Group stetig im engen Austausch mit zahlreichen Industrieunternehmen weiterentwickelt [2]. Doch egal, für welchen Ansatz man sich entscheidet – er sollte ganzheitlich sein. Nur so lassen sich die richtigen Fokuspunkte für die notwendige Transformation setzen, die technische Komplexität strategisch auffangen und kundenorientiertes Lösungsdesign sicherstellen. Denn nur so gelingt es, nachhaltig größtmöglichen Kundenmehrwert zu generieren.

Autoren

Heiko Löffler

Heiko Löffler ist Consultant bei mm1 im Bereich der Digitalen Transformation, insbesondere im Industrieumfeld.
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David Monzel

David Monzel setzt sich seit 2016 mit den Themen IoT, AI, agiler Entwicklung und deren zielführender Verbindung auseinander.
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