Die Blockchain-Technologie im Mobilitäts-Sektor – eine Analyse [Teil 1]
Einen Use-Case zu finden, der wirklich Blockchain-tauglich ist und wo Blockchain einen Mehrwert bringt, ist eine Herausforderung.
Blockchain-Analyse
Es gibt viele Use-Cases, die sich mit einer Blockchain umsetzen lassen. Doch nicht bei jedem Use-Case macht sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus technischer Sicht eine Umsetzung auch Sinn. Daher wird im Folgenden ein Vorschlag zu Analyse potentieller Use-Cases auf Blockchain-Eignung vorgestellt. Diese Analyse zielt weniger auf die technische Realisierbarkeit oder das zu verwendende Blockchain-Protokoll ab. Vielmehr sollen die Rahmenbedingungen der Use-Cases beleuchtet werden, die über die Umsetzbarkeit entscheiden. Dazu konnten vier Kriterien in Tabelle 1 ermittelt werden. Je höher diese Kriterien im Use-Case ausgeprägt sind, desto höher ist der Mehrwert der Implementierung der Blockchain-Technologie.Tabelle 1: Kriterien zur Bewertung der Blockchain-Eignung
Kriterium | niedrig | medium | hoch |
---|---|---|---|
Multi-Party-Prozess | 1 bis 3 Stakeholder | 4-10 Stakeholder | Mehr als 10 Stakeholder |
Single-Source of Truth | Kein Datenabgleich zwischen den Parteien erforderlich | Daten werden zwar mit der Blockchain abgeglichen, haben aber keine zentrale Funktion | Der Mehrwert basiert auf Daten aus der dezentralen Datenbank |
Fehlendes Vertrauen | Vertrauen zwischen den Stakeholdern ist vorhanden | Parteien kennen sich, vertrauen sich aber nicht | Kein Vertrauen vorhanden |
Offenes Ökosystem | Kein offenes Ökosystem, abgeschlossener Prozess | Größtenteils geschlossener Prozess mit Schnittstellen zu anderen Bereichen | Offenes Ökosystem, Zutritt für jeden möglich |
Tabelle 2: Eigenschaften zur Kategorisierung der Use-Cases
Eigenschaft | niedrig | medium | hoch |
---|---|---|---|
Dezentrale Datenbank | Reine Datenbank-Funktion nicht im Fokus | Datenbank-Funktion erforderlich | Datenbank-Funktion zentraler Bestandteil des Use-Cases |
Payment | Keine Payments | Payments vorhanden aber kein Kernaspekt | Payments zentraler Bestandteil |
Smart Contract | Keine automatisierten Prozesse | Prozesse sind durch Smart Contracts teilweise automatisiert | Komplett automatisierte Prozesse |
Autonomous Entity | Keine autonome Entscheidungsfindung | Geringer Freiheitsgrad in der Entscheidungsfindung | Hoher Freiheitsgrad in der Entscheidungsfindung |
Echtzeit-System | Zeit bis zur Validierung nebensächlich | Zeit bis zur Validierung max. 10 Minuten (Bitcoin) | Validierung innerhalb von max. 20 Sekunden |
Technology-Readiness-Level | Technologie in mehr als 5 Jahren verfügbar | Technologie durch Weiterentwicklung in den nächsten 2-5 Jahren verfügbar | Technologie in weniger als 2 Jahren verfügbar |
Blockchain-Use-Case: Car-Wallet und Payments
Ladesäulen-Payments
Eines der am häufigsten genannten Payment-Szenarien ist das Laden von Strom für das Elektrofahrzeug. Während einer kurzen Ladezeit von 2 bis 15 Sekunden an einer Ampel werden sehr kleine Mengen Strom über eine Induktionsplatte im Boden geladen, der Ladevorgang an sich hätte ein Volumen von wenigen Cents. Mit der Blockchain-Technologie können auch kleinste Transaktionen wirtschaftlich abgebildet und das Szenario rentabel durchgeführt werden.Platooning
Die Vernetzung von automatisierten Fahrzeugen ist ein Schlüssel zur Effizienzsteigerung. Dabei müssen die Fahrzeuge in der Lage sein, autonom miteinander zu kommunizieren, um beispielsweise Daten für die Optimierung der Betriebsstrategie einzukaufen. Beim sogenannten Platooning fahren mehrere Verkehrsteilnehmer mit sehr geringem Abstand hintereinander. Die Sicherheit wird dabei durch die Kommunikation der beteiligten Fahrzeuge untereinander und den Austausch von Sensordaten in Echtzeit gewährleistet. Verringern die Fahrzeuge den Abstand signifikant, ergeben sich unter anderem Treibstoff-Einsparungen durch den verminderten Luftwiderstand der folgenden Fahrzeuge. Prinzipiell müssen diese Einsparungen auch an das Führungsfahrzeug weiterverrechnet werden, da dieses das Platoon führt, Gefahrensituationen erkennt und umfährt und mit den folgenden Fahrzeugen seine Sensordaten teilt, selber jedoch keine Treibstoffeinsparungen hat. Die Blockchain-Technologie könnte hier durch automatisierte Payments der einzelnen Teilnehmer die Abrechnung des Platoonings ermöglichen. Mit der Blockchain-Technologie könnte die Verkehrsinfrastruktur (Ampeln, Kreuzungen Bahnübergänge etc.) die günstigsten Verkehrssituationen aushandeln. Denkbar wäre beispielsweise, dass ein Platoon sich als Premiumprodukt eine "Grüne Welle" kauft, um die Treibstoffkosten zu reduzieren und das Verkehrsaufkommen zu mindern. Neben der Bezahlung eines solchen Premiumdienstes könnte auch die Validierung der Kommunikation über die Blockchain-Technologie abgewickelt werden.Temporäre Fahrzeugfunktionen
In der Automobilindustrie ist es heute gängige Praxis, Sonderausstattungen beim Fahrzeugkauf gegen Aufpreis mitzukaufen. Eine Nachrüstung dieser Komponenten ist meist nicht möglich oder mit sehr hohen Kosten verbunden. Die Blockchain-Technologie könnte es ermöglichen, Sonderausstattungen temporär freizuschalten. Dafür müssten die Fahrzeuge ab Werk mit Vollausstattung ausgeliefert werden. Der Nutzer könnte über die Blockchain-Technologie bestimmte Sonderausstattungen oder Fahrzeugfunktionen für einen limitierten Zeitraum über einen Smart Contract freischalten. Befindet sich der Nutzer beispielsweise auf einer langen Autobahnfahrt, könnte er den Abstandsregeltempomat für die Dauer der Fahrt freischalten, den er auf seinen normalen Routen nicht braucht. Neben zusätzlichen Mehreinnahmen durch die temporäre Freischaltung der Sonderausstattungen könnten sich für den Hersteller Skaleneffekte durch die hohe Anzahl an verbauten Komponenten ergeben. Die Blockchain-Technologie ermöglicht in diesem Szenario durch einen Smart Contract die sichere Abwicklung der Zahlung sowie die sichere und nicht manipulierbare Freischaltung der Sonderausstattungen. Die vorgestellten Use-Cases zur Car-Wallet bzw. Payments im Fahrzeugbereich sind Multi-Party-Prozesse mit sehr vielen möglichen Beteiligten. Die Blockchain-Technologie dient dabei als Single-Source of Truth, da die Bezahlvorgänge nur durch die Blockchain validiert werden können. Das Vertrauen zwischen den Stakeholdern ist dabei nicht existent. Das liegt zum einen daran, dass sich, wie beim Platooning, die beteiligten Parteien nicht kennen, zum anderen daran, dass Maschinen, wie beispielsweise eine Ladesäule, an den Payments beteiligt sein können. Dennoch findet sich hier ein hochgradig offenes Ökosystem, an dem jeder mit einer Blockchain-ID teilnehmen kann.Mit der passenden künstlichen Intelligenz kann das Fahrzeug dabei zur autonomen Entität werden.In den vorgestellten Use-Cases liegt die Datenbank-Funktion nicht im Fokus. Die Durchführungen von Payments und Smart Contracts ist das zentrale Element des Use-Cases. Mit der passenden künstlichen Intelligenz kann das Fahrzeug dabei zur autonomen Entität werden. Die Notwendigkeit eines Echtzeit-Systems wurde bereits eingehend erläutert. Das Technology-Readiness-Level ist als mittel einzuschätzen, da bereits einige Firmen und Start-ups mit der Forschung an der Car-Wallet begonnen haben [1].
Blockchain-Use-Case: Smart Insurance
Blockchain-Use-Case: Self-Owning Car
Weitere spannende Blockchain-Use-Cases im Mobility-Bereich
Digital Twin
Mit der Aufzeichnung verschiedener Daten von Bauteilen in einer dezentralen Datenbank bietet sich die Möglichkeit, die Kongruenz von Daten von Assets aus der realen Welt und denen in der Datenbank herzustellen und einen sogenannten "Digital Twin" zu erschaffen. Die Daten könnten Hersteller und Verkäufer, aber auch den Mechaniker oder Echtzeitdaten aus den Fahrzeugen beinhalten. Auf einem gemeinsam genutzten Blockchain-Ökosystem könnte so ein transparenter und sicherer Ursprungsnachweis geschaffen werden.Fahrzeugleasing und -finanzierung
Mit einem Smart Contract können im Leasing und Finanzierungssegment zahlreiche Prozesse automatisiert werden. Beispielsweise könnte man durch das Deaktivieren der Entriegelung verhindern, dass Fahrzeuge, deren Leasing- oder Finanzierungsraten nicht beglichen wurden, genutzt werden können.Carsharing
Beim Carsharing kann die Blockchain-Technologie eine sichere digitale Identität ermöglichen, ohne dabei eine reale Identität preisgeben zu müssen. So könnte eine einzige Registrierung im Blockchain-Ökosystem Carsharing ausreichen, um alle Carsharing-Angebote der verschiedenen Anbieter nutzen zu können. Mit der Nutzung des Carsharings erzeugt der Kunde große Mengen an personenbezogenen Daten. Die Datenhoheit würde mit der Verwendung der Blockchain-Technologie wieder beim Nutzer liegen, da durch die Blockchain kein Bezug zur realen Identität herstellbar ist. Somit wäre auch ein Benutzerprofil-Roaming möglich, bei dem fahrzeugbezogene Einstellungen ohne Bedenken gespeichert und bei der nächsten Miete wieder abgerufen werden könnten. Diese Eigenschaften sind auch für das P2P-Carsharing spannend.Keyless Authentification
Über einen Smart Contract können Zugangs- und Nutzungsrechte an Fahrzeugen verwaltet werden. Weitere Funktionen wie eine zeitliche oder örtliche Beschränkung, beispielsweise für P2P-Carsharing können ebenfalls eingebaut werden. Die Rechte sind in einem offenen Blockchain-Ökosystem dann an jeden Empfänger mit einer Blockchain-ID übertragbar. Diese Funktion kann die Grundlage für eine Vielzahl neuer Dienstleistungen und Services bilden.Infrastruktur-Sharing
Die Sharing Economy macht auch bei der Mobilitäts-Infrastruktur nicht halt. Durch den Aufbau eines Ökosystems Laden werden Probleme in der Transaktionsabwicklung der beteiligten Parteien gelöst. Die Betreiber schließen ihre Ladesäulen an das offene Blockchain-Ökosystem an, wodurch die Zugangsbarrieren in Form von Kundenkarten entfallen. In das Ökosystem können auch private Ladeplätze integriert werden, wodurch ein viel höherer Grad der Netzabdeckung erreicht wird.Kilometerstandsdatenbank
Mit dem regelmäßigen Upload von Daten in die Blockchain, entweder selbständig durch das Fahrzeug oder bei regelmäßigen Werkstattbesuchen, kann eine transparente, anonymisierte und vor allem manipulationssichere Datenbank für Kilometerstände aufgebaut werden. So kann einer Tachomanipulation vorgebeugt werden. Anhand eines "Blockchain-Zertifikats" kann dem potentiellen Fahrzeugkäufer nachgewiesen werden, dass der im Fahrzeug angezeigte Kilometerstand dem reellen Wert entspricht. Kilometerstands-Zertifikate beim Fahrzeughandel sind bereits seit Jahren in Belgien und anderen Ländern gesetzlich verpflichtend und erfreuen sich großer Beliebtheit.Digitales Serviceheft
Eine Erweiterung der Kilometerstands-Datenbank könnte das digitale Serviceheft auf Blockchain-Basis sein. Genauso wie der Kilometerstand könnten alle Werkstattbesuche und Reparaturen fälschungssicher in der Blockchain gespeichert werden. Deren Nachvollziehbarkeit kann den Wiederverkaufswert des Fahrzeugs steigern. Der Vorteil der Blockchain-Technologie liegt darin, dass alle Prozess-Beteiligten, also Fahrzeughalter, freie und Vertrags-Werkstätten sowie der Hersteller, ein gemeinsames Ökosystem nutzen, wodurch die Transparenz erhöht wird.Fazit
Die Blockchain-Technologie bietet auf dem Weg zur digitalen Mobilität scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten, die wir Ihnen in Teil 1 vorgestellt haben. Doch warum gibt es in diesem Umfeld bis heute noch kein Produkt auf Blockchain-Basis, das sich in der Masse durchgesetzt hat? Mit dem folgenden zweiten Teil von "Blockchain-Technologie im Mobilitäts-Sektor – eine Analyse" möchten wir Ihnen Herausforderungen vorstellen, die im Hinblick auf erfolgreiche Produkte und Services noch zu bewältigen sind.
- ZF: Car eWallet
- Schlatt, V., Schweizer, A., Urbach, N., Fridgen, G.; 2016: Blockchain: Grundlagen, Anwendungen und Potenziale. Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT