"Da geraten Selbständige schnell unter den Generalverdacht der Scheinselbständigkeit!"
Die Rechtsanwältin Stefanie Ebeling erklärt im Interview die Auswirkungen der geplanten Gesetzesänderung von §611a BGB auf Selbständige.
Informatik Aktuell: Der Referentenentwurf zu §611a BGB des BMAS wurde kürzlich, nämlich am 16. Februar 2016, dem Kabinett vorgestellt. Welche Änderungen ergeben sich denn für Selbständige?
Stefanie Ebeling: Momentan ändert sich noch nichts, die Umsetzung des Gesetzesvorhabens ist für den 01.01.2017 geplant. Wenn §611a BGB jedoch in der vorliegenden Version eingeführt wird – was meines Erachtens verhindert werden muss – ist das Signal an Selbständige verheerend. Insbesondere Solo-Selbständige geraten unter den Generalverdacht der Scheinselbständigkeit und jeder Auftraggeber in den Bereich der Strafbarkeit (§266a BGB). Unternehmerische Handlungsspielräume werden folglich stark eingeschränkt. Es kommt bereits jetzt vermehrt zur Beendigung oder Vermeidung von Auftragsverhältnissen aufgrund der aktuellen Situation. In Zukunft würde ein solches Gesetz zur völligen Beseitigung von Geschäftsmodellen und Selbständigkeiten führen.
Informatik Aktuell: Welches Ziel verfolgt der Gesetzgeber mit diesen Änderungen?
Stefanie Ebeling: Laut Begründung des Referentenentwurfs will der Gesetzgeber eine gesetzlich definierte Abgrenzung von Werkverträgen ermöglichen und die leidige Diskussion um die Definition des Arbeitnehmerbegriffs beenden. Damit soll der "Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen" verhindert und ein Schutz gegen Ausbeutung von Beschäftigten solcher Werk- oder Leihvertragsgestaltungen geschaffen werden. Zudem will der Gesetzgeber die "Prüftätigkeit für die Behörden erleichtern". Die Ziele sind grundsätzlich sinnvoll. Sie könnten für größere Rechtssicherheit und -klarheit stehen, leider ist die Umsetzung völlig misslungen.
Informatik Aktuell: Wie ist hier denn die aktuelle Situation? Wird nicht einfach nur in ein Gesetz gegossen, was sowieso schon Stand ist und in der Rechtsprechung so umgesetzt wird? Wo liegen die genauen Unterschiede zur aktuellen Situation?
Stefanie Ebeling: Der Gesetzgeber beschreibt sein Vorgehen als bloßes Festschreiben der aktuellen Rechtsprechung. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Es kommt zu einer Vermengung von verschiedenen Thematiken. Bei der Rechtsprechung handelt es sich um Prüfkriterien der Deutschen Rentenversicherung und der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung stammt größtenteils aus dem Sozialrecht, aus Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) oder der Landessozialgerichte. Wir reden hier jedoch über Arbeitsrecht und Werkverträge. Die Regelung wird jedoch nicht dogmatisch bei den Werkverträgen eingeordnet, sondern bei den Dienstverträgen hinter §611 BGB. Die Möglichkeit eines freien Dienstvertrags wird für einen Teil der Selbständigen praktisch vereitelt. Dies stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das deutsche Vertragsrecht dar.
Zudem wurden bei den ausgewählten Prüfkriterien nur acht Kriterien aus einer Vielzahl herausgegriffen. Hierbei ist völlig unbeachtet geblieben, dass die oben genannte Rechtsprechung entwickelt wurde, um verschiedenste Tätigkeiten und Einzelfälle zu bewerten.
Hinzu kommt, dass die Abgrenzungskriterien äußerst schlecht gewählt wurden. Die Auswahl ist schlicht nicht nachvollziehbar, wichtige Abgrenzungsmerkmale wurden nicht berücksichtigt. Bezeichnend ist sicherlich auch, dass nur negative Kriterien, also solche die gegen eine Selbständigkeit sprechen, gewählt wurden. Hinzu kommt die verfehlte Vermutungsregelung in §611a Abs. 3, nach der bei einer positiven Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses ein Arbeitsverhältnis vermutet werden soll.
Informatik Aktuell: Sind von der Gesetzesänderung – wenn sie in Kraft tritt – nur Solo-Selbständige betroffen? Wie ist es, wenn der Selbständige eine GmbH hat?
Stefanie Ebeling: Nein, es sind nicht nur Solo-Selbständige betroffen. Es ist leider ein weit verbreiteter Irrtum, dass die Gründung einer GmbH ein sicherer Schutz ist. Insbesondere bei einer Ein-Mann-GmbH, wo der Gesellschafter/Geschäftsführer mitarbeitet, wird oft geprüft, ob eine Umgehung der Sozialversicherungspflichtigkeit vorliegt.
Informatik Aktuell: Einige Selbständige setzen auf das Genossenschaftsmodell. Schützt das?
Stefanie Ebeling: Auch dieses Modell bietet keinen absoluten Schutz. Der DRV prüft auch hier eine Umgehung nach den entsprechenden Prüfkriterien. Die Arbeitsanweisungen der DRV führen hierzu aus: "Das Zustandekommen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses wird weder durch eine etwaige Organstellung (Vorstandsmitglied) noch durch die Mitgliedschaft als Genosse ausgeschlossen."
Wer sicher gehen will, sollte sich eine rechtlich fundierte Meinung einholen.
Informatik Aktuell: Was können Selbständige jetzt schon tun, um sich rechtlich abzusichern?
Stefanie Ebeling: Man muss leider sagen, es gibt keine absolute Absicherung. Entsprechende Angebote sind nicht seriös. Es ist jedoch wichtig, sich mit den von DRV und BSG entwickelten Kriterien auseinanderzusetzen und seine eigene Unternehmung danach zu überprüfen. Wer sicher gehen will, sollte sich eine rechtlich fundierte Meinung einholen. Es gibt Punkte, die kann man vermeiden oder durch einfache Schritte umgehen. Aber wie gesagt, niemand kann anhand der aktuellen Rechtslage die 100 prozentige Lösung geben.
Informatik Aktuell: Gibt es denn auch Selbständige, die ein Interesse an dieser Gesetzänderung haben? Und wenn ja: Welche sind das?
Stefanie Ebeling: Profitieren könnten die tatsächlichen Scheinselbständigen, die aufgrund von Vertragskonstellationen in eine Selbständigkeit gedrängt wurden, deren Arbeitsbild aber tatsächlich der einer abhängigen Beschäftigung entspricht. Entsprechende Modelle kennt man zur Umgehung des Mindestlohnes, aus der Fleischindustrie oder bei den Paketzustellern etc. pp.
Allerdings wird der vorgelegte Entwurf auch an dieser Stelle keine Verbesserung bringen. Es sei noch einmal gesagt, dass grundsätzlich alle Beteiligten – also Auftraggeber, Auftragnehmer und Behörden – ein Interesse an einer klaren eindeutigen Regelung haben. Dies kann der vorgelegte Entwurf jedoch nicht leisten, das Gegenteil ist der Fall.
Informatik Aktuell: Ist der Plan des Gesetzgebers nicht eher, Geringverdiener besser zu schützen? Wenn ja: Warum wurde der Entwurf so formuliert, dass auch beispielsweise IT-Experten, die die Selbständigkeit schätzen, die hervorragend verdienen und wahrlich nicht in eine Festanstellung wechseln wollen, betroffen sein könnten? Ist dem Gesetzgeber nicht bewusst, dass sich damit IT-Freelancer in ihrer beruflichen Existenz gefährdet sehen?
Stefanie Ebeling: "Ein Schuft, wer Böses dabei denkt." Der Gesetzgeber stellt in seiner Begründung nur auf Missbrauchsgestaltungen und den Schutz der Geringverdienenden ab. Die Folgen für IT-Experten, andere hochqualifizierte Wissensarbeiter und gutverdienende Selbständige dürften dem Gesetzgeber sehr wohl bewusst sein. Wie oben bereits ausgeführt, spricht schon die Einordnung des §611a BGB bei den Dienstverträgen Bände. Die gewählten Kriterien öffnen dem Missbrauch im Bereich der Geringverdienenden weiter Tür und Tor. Der sozialpolitische Gedanke kann daher nicht die Zielsetzung des vorliegenden Entwurfs sein.
Augen verschließen oder Panik machen ist der falsche Weg.
Informatik Aktuell: Was empfehlen Sie Selbständigen? Was sollten sie jetzt tun?
Stefanie Ebeling: Sich organisieren! Sie müssen Ihrer Stimme Gewicht verleihen. Sie sollten sich Interessenvertretungen anschließen, um sich politisches Gehör zu verschaffen. Augen verschließen oder Panik machen ist der falsche Weg. Die Lage ist ernst aber noch nicht aussichtslos.
Informatik Aktuell: Vielen Dank für das Gespräch!
Stefanie Ebeling: Ich danke Ihnen!
(Das Gespräch führte Andrea Held)