Selbständigkeit von IT- und Unternehmensberatern bestätigt
Grenzziehung durch Sozialgerichte
Die schier grenzenlose Hatz der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRB) auf selbständige Unternehmensberater und IT-Experten wird zunehmend von den Sozialgerichten (SG) und Landessozialgerichten (LSG) eingehegt. Immer wieder scheitert der Versuch der DRB aus selbständigen Beratern und Entwicklern sozialversicherungspflichtige Angestellte zu machen, um die Kassen der Rentenversicherung zu füllen.
Zwar führt die DRB diesen Kampf meist bis in die zweite Instanz vor das LSG; dort ist dann allerdings häufig Endstation, da die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in den meisten Fällen nicht zugelassen wird und somit auch für die DRB nur über eine Nichtzulassungsbeschwerde erreichbar ist, deren Chancen bei weniger als 5 Prozent liegen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die DRB in zahlreichen von mir vertretenen Fällen die Entscheidung des jeweiligen LSG pro Selbständigkeit letztlich akzeptiert. Zwar ist jeder Fall ein Einzelfall – dennoch geben die Entscheidungen an vielen Stellen deutliche allgemeingültige und durchaus übertragbare Hinweise auf die von den SG und LSG als relevant betrachteten Kriterien, deren Beurteilung teilweise gravierend von der Auffassung der DRB abweicht.
Fall 1 (LSG Schleswig-Holstein)
Sachverhalt
Der selbständige Unternehmensberater war über eine Agentur für einen Automobilkonzern im Rahmen eines Projektes zur Prozessharmonisierung der Vertriebswege für das Flottengeschäft in England und Italien tätig. Die Tätigkeit erfolgte ganz überwiegend vor Ort in den beiden Ländern. Der Selbständige erbrachte seine Tätigkeit im Hotel oder an seinem Heimarbeitsplatz in Deutschland. Konkrete Arbeitszeiten gab es nicht. Das Projekt dauerte knapp ein Jahr.
Die DRB beurteilte diese Tätigkeit als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und erließ einen entsprechenden Bescheid. Als Argumente führte sie an, dass die zu erbringende Leistung vertraglich geregelt sei; der Selbständige auf arbeitsbegleitende Regelungen keinen Einfluss gehabt habe; die Ausführung durch Einschränkungen des Endkunden und des Auftraggebers beeinflusst worden sei; die Gestaltungsmöglichkeit der Arbeitszeit durch die Kontrolle der Anwesenheitszeiten und terminliche Vorgaben des Auftraggebers und Endkunden begrenzt war; die Leistung persönlich habe erbracht werden müssen und Hilfskräfte nicht eingesetzt worden seien; die monatliche Vergütung auf Stundenbasis erfolgte; der Ort der Tätigkeit der des Endkunden gewesen sei, so dass eine Weisungsgebundenheit vorliege; die Arbeitszeit sich an einem vorgegebenen Zeitplan und den üblichen Arbeitszeiten des Endkunden orientierte; eine Eingliederung in die betriebliche Organisation durch die Übertragung einer konkreten Funktion zur Erfüllung einer vom Auftraggeber übernommenen Verpflichtung erfolgt sei und ein Unternehmensrisiko zu verneinen sei.
Nachdem der gegen den Bescheid gerichtete Widerspruch von der DRB abgelehnt wurde, erhob ich Klage, der das SG Schleswig statt gab. Da die DRB mit diesem Urteil nicht einverstanden war, legte sie Berufung beim LSG Schleswig-Holstein ein. Dieses bestätigte das Urteil des SG Schleswig im vollen Umfang, so dass es bei der Feststellung blieb, dass es sich hier um eine selbständige Tätigkeit handelte.
Das LSG betonte dabei nochmals die grundsätzliche Vorgehensweise der Prüfung einer möglichen Sozialversicherungspflicht: In jedem Fall sei stets eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Es müssen dabei zunächst alle für und gegen eine selbständige Tätigkeit sprechenden Kriterien festgestellt und dann gewichtet werden, so dass manchen Umständen ein größeres Gewicht zukommen kann. Anschließend müssen die ihrem jeweiligen Gewicht entsprechenden Kriterien in einer Gesamtwürdigung den Gesetzen der Logik folgend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden.
Im konkreten Fall beurteilte das LSG wie schon zuvor das SG die Tätigkeit als selbständig und nannte dabei insbesondere folgende Aspekte: Der Inhalt der Verträge zwischen dem Selbständigen und der Agentur mache deutlich, dass eine Selbständigkeit von beiden Seiten gewollt war; der Selbständige sei unternehmerisch aufgetreten und präsentiere sich auf seiner Homepage und in Datenbanken dementsprechend; er war nicht in die Betriebsorganisation der Agentur eingegliedert; hatte dort kein Büro und musste seine Bürokosten selbst tragen; es bestanden keine inhaltlichen Vorgaben zum Projekt; der Selbständige war nicht verpflichtet, jeden Auftrag anzunehmen und durfte eigene Mitarbeiter einsetzen; vertragliche Regelungen über Lohnfortzahlung bei Urlaub und Krankheit gab es nicht; die Vergütung mit 74,00 EUR/h zzgl. USt. lag deutlich über der vergleichbar Beschäftigter; der Selbständige trug ein unternehmerisches Risiko, denn er musste seine Bürokosten selbst tragen und hinsichtlich Reisekosten und Vergütung in Vorleistung treten; es gab eine Vertragsstrafenvereinbarung bei Verstößen gegen vertragliche Pflichten und dem Selbständigen konnte fristlos gekündigt werden, wenn beispielsweise der zugrundeliegende Auftrag storniert würde.
Als nicht gegen die Selbständigkeit sprechende Indizien nannte das LSG, dass die Abrechnung nach Arbeitsstunden erfolgte; dass die Verpflichtung zur Rechnungsstellung und Erstattung der Reisekosten weder für eine selbständige Tätigkeit noch für eine abhängige Beschäftigung spreche; dass der Selbständige parallel nicht für andere Auftraggeber tätig war, weil ihn der Auftrag mehr als vollständig auslastete, wobei es dem Selbständigen grundsätzlich vertraglich nicht untersagt war, weitere Aufträge anzunehmen.
Rechtliche Bewertung
Dieses Verfahren zeigt deutlich, dass die DRB eine extrem einseitige Sicht auf die Tätigkeiten Selbständiger hat und dies teilweise zu absurden, um nicht zusagen abstrusen, Auslegungen führt: So kann die Honorierung nach Stunden nicht ernsthaft jegliches unternehmerische Risiko entfallen lassen – schon allein deshalb nicht, weil jedes Projekt sehr kurzfristig vorzeitig gestoppt werden kann und der Selbständige in der Regel keinen Anspruch auf Bezahlung der noch offenen Stunden hat. Und auch der Umstand der Beachtung bestimmter Parameter wie Öffnungszeiten eines Unternehmens bzw. eine Tätigkeit am Sitz des selbigen können nicht quasi "automatisch" zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung führen, da es in der Natur der Sache liegt, dass manche Tätigkeiten beim Auftraggeber vor Ort und zu dessen Bedingungen zu erbringen sind, ohne dass der Selbständige damit eine Selbständigkeit aufgeben würde.
Weiter fällt auf, dass die DRB auch gerne eher schwammige "Argumente" bringt, um die Liste der gegen die Selbständigkeit sprechenden Aspekte auszuweiten: Hier zum Beispiel mit dem angeblich fehlenden Einfluss des Selbständigen auf "arbeitsbegleitende Regelungen" oder dass die Ausführung durch "Einschränkungen des Endkunden und des Auftraggebers" beeinflusst worden sei. Und typisch auch, dass die DRB trotz des gut begründeten Urteils des SG eine Runde weitergeht, den Rechtsstreit um weitere zwei Jahre verzögert und erst das Urteil des LSG akzeptiert.
Fall 2 (LSG Darmstadt)
Sachverhalt
In diesem Fall war der selbständige IT-Berater als Diplom-Informatiker (FH) – ebenfalls über eine Agentur – für eine Bank im Bereich Design und Entwicklung eines Testautomatisierungssystems zur Überführung von Massendaten tätig, wobei die Tätigkeit von vornherein auf drei Monate begrenzt war. Als Tagessatz wurden 520,00 EUR zzgl. USt. vereinbart. Der Selbständige stellte dann zusammen mit der Agentur einen Statusfeststellungsantrag bei der DRB.
Das (fast) vorhersehbare Ergebnis war, dass die DRB den Selbständigen als sozialversicherungspflichtig einstufte. Dies begründete sie damit, dass der Selbständige seine Tätigkeit in einer fremd bestimmten Arbeitsorganisation ausgeübt habe und die Rechtsmacht, die Durchführung der Beschäftigung entscheidend zu bestimmen, beim Auftraggeber liegt. Auch eine Tätigkeit, die im hohen Maße durch eigene Verantwortlichkeit und Entscheidungsfreiheit gekennzeichnet sei, schließe eine abhängige Beschäftigung nicht aus. Angesichts der Zahlung fester Bezüge habe er kein unternehmerisches Risiko getragen. Regelmäßig bedienten sich Arbeitgeber ihrer Beschäftigten zur Erfüllung der von ihnen übernommenen (vertraglichen) Verpflichtungen. Eine eigene Kalkulation bzw. Preisgestaltung gegenüber der Bank sei durch ihn nicht erfolgt. Der wirtschaftliche Aufwand für den Erwerb eigener Arbeitsmittel (Laptop und weitere Arbeitsmittel) sei nicht so hoch, dass damit ein erhebliches wirtschaftliches Risiko begründet worden sei. Über die Tätigkeit seien Tätigkeitsnachweise zu führen gewesen. Er sei im Außenverhältnis als Mitarbeiter der Beigeladenen wahrgenommen worden.
Da auch der Widerspruch gegen diese Beurteilung der DRB keinen Erfolg hatte, erhob ich für den Selbständigen Klage beim SG Frankfurt am Main, welches der Klage statt gab. Dabei führt das SG u.va. aus, dass der Selbständige nicht sozialversicherungspflichtig gewesen sei, denn er habe seine Tätigkeit nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt. Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung sei zunächst der Auftrag, dessen Regelungen für eine selbständige Tätigkeit sprächen.
Und auch die dem Selbständigen gestellten Rahmenbedingungen ließen nicht den Rückschluss auf eine abhängige Beschäftigung zu, denn diese seien der Natur der Tätigkeit geschuldet und nicht Ausfluss eines einseitigen Direktionsrechts des Auftraggebers. Der Selbständige könne die Arbeiten nach seinem Ermessen von seinem Home-Office aus oder am Betriebssitz des Kunden ausführen. Er sei als IT-Spezialist selbständig tätig gewesen ohne Weisungsrecht des Auftraggebers. Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers habe nicht bestanden. Anhaltspunkte dafür, dass die Vereinbarung eines Auftragsverhältnisses auf selbständiger Basis nur formal vereinbart worden sei, seien nicht ersichtlich. Das Gesamtbild der Tätigkeit des selbständigen Klägers ergebe im Ergebnis das typische Bild einer selbständigen Beschäftigung eines IT-Experten.
Rechtliche Bewertung
Auch dieser Fall zeigt deutlich, dass die DRB stets nach dem "Rosinen-Pick-Prinzip" vorgeht: Es werden nur die Aspekte herangezogen, die u. U. für eine Sozialversicherungspflicht sprechen und alle anderen Kriterien werden schlicht totgeschwiegen. Somit ist die notwendige Gesamtabwägung schon allein deshalb nicht möglich. Zwar findet sich am Ende eines jeden Bescheids der DRB die Aussage, die DRB habe im Rahmen einer Gesamtabwägung entschieden – dies stellt aber in der Regel nicht mehr als eine leere Floskel dar.
Das gesamte Statusfeststellungsverfahren hat fast 9 Jahre gedauert!
Und dieser Fall zeigt gleichzeitig auch die weitgehende Sinnlosigkeit eines Statusfeststellungsverfahren auf: Der Selbständige hatte seinen Antrag auf Statusfeststellung seiner Tätigkeit am 03.08.2009 gestellt. Die DRB erließ dann am 18.02.2010 den negativen Bescheid, zu einem Zeitpunkt, als die Tätigkeit, die bis zum 31.08.2009 dauerte, längst beendet war! Auf den Widerspruch gegen diesen Bescheid erließ die DRB dann am 26.01.2011 einen Widerspruchsbescheid. Die Klage dagegen habe ich dann am 21.02.2011 erhoben; das Urteil des SG Frankfurt am Main erging am 17.03.2016 und das Berufungsurteil Hessischen LSG datiert auf den 26.04.2018. Das gesamte Statusfeststellungsverfahren hat somit fast 9 Jahre gedauert! Und dies ist aufgrund der üblichen Dauer der Sozialgerichtsverfahren und der üblichen Anrufung der Berufungsinstanz durch DRB leider keine Seltenheit.
Fall 3 (LSG Bremen/Niedersachsen)
Sachverhalt
Hier hatte die DRB im Jahre 2014 die Tätigkeit eines selbständigen IT-Experte ebenfalls als sozialversicherungspflichtig eingestuft. Der Selbständige war in einem Projekt "TK-Konsolidierung" als Projektleiter für ein Teilprojekt tätig. Als Tagessatz wurde mit 925,00 EUR zzgl. USt. vereinbart. Dem Selbständigen, der für ein Projektteam von insgesamt 13 Mitarbeitern zuständig war, wurden keine Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt. Er konnte seine Arbeitszeit frei bestimmen, hatte aber ein gewisses Maß an Abstimmung zu berücksichtigen. Eine Anwesenheitspflicht oder eine Meldungpsflicht über Aufnahme, Unterbrechung oder Beendigung der Arbeitszeit war nicht gegeben.
Da die DRB dennoch einen negativen Bescheid erließ und auch dem Widerspruch nicht abhalf, erhob ich Klage beim SG Oldenburg, das der Klage im vollen Umfang stattgab. Nach der Beurteilung des SG war der Selbständige nach dem Gesamtbild nicht persönlich und wirtschaftlich abhängig gewesen. Schon nach der Vertragsbeziehung überwögen die Gründe für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit. Es habe sich um einen projektbezogenen und befristeten Vertrag gehandelt. Der Selbständige sei eigenverantwortlich und weisungsfrei tätig gewesen. Er habe seine Zeit frei einteilen können, er habe weitergehender als ein klassischer Arbeitnehmer gehaftet, nämlich auch für einfache Fahrlässigkeit und auch für Schäden beim Kunden. Die Höhe der Vergütung habe für eine selbständige Tätigkeit gesprochen. Der Tagessatz von knapp 1.000,00 EUR sei untypisch für eine abhängige Beschäftigung, auch die eines leitenden Angestellten. Bei einer solchen Vergütungshöhe sei es in finanzieller Hinsicht möglich und schlüssig, sich als Selbständiger privat für den Fall des Alters, der Arbeitslosigkeit, der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit abzusichern. Es sei finanziell möglich, Mitarbeiter für den Fall der eigenen Verhinderung zu beschäftigen. Und auch die außervertraglichen Umstände sprächen für eine selbständige Tätigkeit. Der Selbständige sei weder persönlich noch wirtschaftlich abhängig gewesen. Er sei auch von anderen Auftraggebern begehrt gewesen und habe frei entscheiden können, welchen der angebotenen Aufträge er annehme. Er habe auch die Höhe der Vergütung selbst festlegen können. Auch die formellen Umstände wie Versteuerung und fehlende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bei Urlaub sprächen für eine selbständige Tätigkeit. Die tatsächliche Arbeitsgestaltung spräche überwiegend für Selbständigkeit. Der Selbständige sei nicht auf der gleichen Ebene beschäftigt gewesen wie andere feste Mitarbeiter, mit denen er zusammengearbeitet habe, sondern er habe übergeordnetes Fachwissen und eher eine beratende und koordinierende Funktion gehabt. Er habe über Arbeitszeit und Arbeitsinhalt frei verfügen können. Dass er sich hierbei an den üblichen Bürozeiten orientiert habe, sei dem Umstand geschuldet, dass eine Begleitung am besten im persönlichen Kontakt mit den Mitarbeitern des Endkunden möglich gewesen sei.
Hier wird erneut deutlich, dass die DRB in hohem Maße beratungsresistent ist.
Und auch der Auftragsinhalt spreche im Ergebnis für eine Selbständigkeit. Der Selbständige habe ein besonderes Fachwissen eingebracht und insbesondere in kommunikativer Hinsicht zwischen den angestellten Mitarbeitern vermittelt. Er habe ähnlich einer externen Unternehmensberatung oder eines externen Coaches selbst keine Programmieraufgaben oder Arbeitsaufträge im Mitarbeiterteam übernommen. Seine Funktion sei übergeordnet gewesen. Der beratende Anteil der Tätigkeit war ähnlich eines Unternehmensberaters und spreche ebenfalls für eine selbständige Tätigkeit. Dies sei ein klassischer Fall der Beauftragung eines externen selbständigen Experten für ein konkretes Anliegen. Die Selbständigkeit habe der Überzeugung und dem Willen des Selbständigen entsprochen. Für eine abhängige Beschäftigung spreche zwar, dass er die Tätigkeit habe höchstpersönlich erbringen müssen und die Einschaltung von Subunternehmern einer Genehmigung bedurfte. Dies könne jedoch als Ausdruck der besonderen Qualifikation des Selbständigen verstanden werden; er sei daher auch höher entlohnt worden. Insgesamt überwögen mithin die Merkmale für eine selbständige Tätigkeit.
Die Berufung der DRB wies das LSG Bremen-Niedersachsen – hier sogar ohne mündliche Verhandlung – im vollen Umfang zurück, so dass das Urteil des SG Oldenburg rechtskräftig wurde.
Rechtliche Bewertung
Auch hier wird erneut deutlich, dass die DRB in hohem Maße beratungsresistent ist. Das Urteil des SG Oldenburg war gründlich und widerspruchsfrei begründet. Die Tätigkeit des Selbständigen wurde abgewogen und sowohl tatsächlich wie rechtlich umfassend gewürdigt. Dennoch musste die DRB offensichtlich allein aus Prinzip in die Berufung gehen, um dann aber auf den schriftlichen Hinweis des LSG Bremen-Niedersachsen die Berufung doch zurückzunehmen, was alle Beteiligten zwei weitere Jahre "gekostet" hat.
Besonders positiv am Urteil ist meines Erachtens, dass die Zusammenarbeit des Selbständigen – und die damit notwendige Abstimmung – mit den anderen Projektbeteiligten nicht negativ gewertet wird. Weiterhin wurden auch die wie von der DRB regelmäßig als unwichtig eingestuften Aspekte der fehlenden Lohnfortzahlung bei Krankheit oder Urlaub und die Freiheit, Aufträge abzulehnen, als relevante für die Selbständigkeit sprechende Kriterien gewertet.
Fall 4 (LSG Bayern)
Sachverhalt
Im letzten hier dargestellten Fall geht es um einen selbständigen IT-Berater, der über eine Unternehmensberatung für eine Versicherung eine Aufgabe, die als "Projektmanagement Internet" bezeichnet war, übernommen hatte. Die Tätigkeit war von vornherein befristet geplant für den Zeitraum von 02.01.2014 bis zum 31.07.2014.
Am 22.01.2014 stellte der Selbständige einen Antrag auf Statusfeststellung bei der DRB. Wie kaum anders zu erwarten, war Ergebnis dieses Verfahrens ein ablehnender Bescheid und Widerspruchsbescheid, so dass ich beim SG München Klage erheben musste. Das SG München entschied dann mit seinem Urteil vom 11.08.2016, dass der Selbständige keine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausübt. Hierbei führte das SG München u. a. aus: "Vorliegend ist sehr ausführlich und sorgfältig dargelegt und auch unschwer erkennbar, dass die Dienstleistung des Klägers ausgesprochen hochwertig, spezialisiert und individualisiert war. Er wurde offenkundig genau wegen eines bei der Beigeladenen bekannten Profils persönlicher und fachlicher Eigenschaften für genau die Aufträge herangezogen, bei denen er unter allen Aspekten von Zuverlässigkeit und Schnelligkeit die besten Ergebnisse garantieren und die Risiken minimieren konnte."
Und weiter: "In der modernen Dienstleistungsgesellschaft ist es zur alltäglichen Erscheinung geworden, dass hoch qualifizierte Personen in einer extrem flexiblen Weise für mehrere Arbeitgeber oder Auftraggeber tätig werden. Der Arbeitsort kann abwechselnd der EDV-Arbeitsplatz zu hause, ein entsprechend ausgestatteter Raum des Auftraggebers, das Auto, der ICE oder das Flugzeug sein. Dem "Produkt" fehlen oftmals sowohl das klassische materielle Substrat eines Handwerks- oder Industrieerzeugnisses als auch das persönliche Element einer in körperlicher und geistiger Präsenz erbrachten Dienstleistung. Produziert wird vielmehr ein letztlich virtuelles Gebilde, bei dem es sich um eine Kommunikations-, Werbe-, Bestell- und Lieferungsstruktur zwischen dem Anbieter realer Waren und Dienstleistungen hier und der Kundschaft dort handeln kann, um eine Plattform für den politischen und gesellschaftlichen Nachrichten- und Meinungsaustausch oder um ein Spiel mit der Möglichkeit der Teilnahme von mobilen Geräten aus."
"Vorliegend bietet die Tätigkeit des Klägers geradezu das Idealbild einer solchen digitalen Arbeitstechnik im 21. Jahrhundert. Der Kläger hat wiederum ganz diesem Bild entsprechend die Behauptungen der Beklagten über eine Fremdbestimmung von Arbeitsplatz, Arbeitszeit und Arbeitsweise geduldig widerlegt, ohne jedoch bei der Beklagten Gehör zu finden. Ort und Zeit der Leistungserbringung werden vorliegend gerade nicht vorgegeben. Die Beeinflussung des kreativen Prozesses des Klägers findet nicht in Gestalt von Weisungen statt, sondern in der Kommunikation auf Augenhöhe zwischen gleichberechtigten Partnern. Bekanntlich gibt auch der Eigentümer von Immobilien dem Gärtner, Anstreicher oder Installateur die Art und den Umfang seiner Tätigkeiten vor, ohne dass der Handwerker damit auch bei wochenlanger Inanspruchnahme in ein Beschäftigungsverhältnis bei ihm eintreten würde. Die Beauftragung eines selbständigen Tagungsreferenten oder Kabarettisten, Architekten oder Bildhauers, Catering-Unternehmers oder Reiseleiters bedeutet ja jeweils auch nicht dessen völlige Freiheit in Art und Ergebnis seiner Aktivitäten, sondern geschieht in der Erwartung, dass ganz spezifische Arbeitsanteile unter den Aspekten von Auftragstreue, Zeit und Qualität erfüllt werden. Selbstverständlich finden zu diesem Zweck je nach der Eigenart des Projekts Kontrollen, Rückfragen und Besprechungen statt.
Die von der Beklagten immer wieder herangezogenen Kriterien "Kapitaleinsatz" und "Unternehmerrisiko" sind bei der Beurteilung von Dienstleistungen wenig aussagekräftig. Der eindeutig selbständige bzw. freiberufliche Schriftsteller, Psychotherapeut, Unternehmensberater oder Rechtsanwalt setzt genauso wenig "Kapital" ein wie der bei einer Zeitung vollzeitbeschäftigte Journalist oder der leitende Angestellte eines Unternehmens. Die für viele geistig-kommerziell-kommunikative Berufe notwendige Vorhaltung eines häuslichen Büros mit PC, Telefon und Schreibtisch sowie der Besitz eines Autos sind so selbstverständlich geworden, dass sich aus einer solchen Infrastruktur und ihrer mehr oder weniger intensiven beruflichen Nutzung keine bedeutsamen Schlüsse ziehen lassen. Auch die Mehrzahl der zweifellos nicht selbständigen Tageszeitungsredakteure, Gymnasiallehrer, Hochschulprofessoren und Richter halten sich zu hause eine wissenschaftlich-schreibtechnisch-kommunikative Arbeitsbasis.
Hinsichtlich des Unternehmerrisikos müsste die Beklagte zur Kenntnis nehmen, dass im Dienstleistungsbereich gewiss nicht die einzelne vereinbarte Arbeitsstunde oder der einzelne Arbeitstag in der Ungewissheit über einen Erlös begonnen werden, sondern dass das typische Risiko hier in der Ungewissheit künftiger Aufträge besteht. Eine betriebswirtschaftliche Risikokalkulation kann im Dienstleistungsbereich naturgemäß nicht in derselben Weise stattfinden wie sie bei der Produktion von Waren möglich ist, bei der die Wahrscheinlichkeiten eines schnellen Abverkaufs, eines zögernden Verkaufs erst nach wiederum kostspieliger Lagerhaltung, einer billigen Abgabe von Überbeständen und schließlich einer vollständigen Abschreibung des unverkäuflichen Rests mit betriebswirtschaftlichen Kurven aufgezeichnet werden können. Unstrittig unterliegt der Kläger einem Risiko künftiger Beauftragung, das durch keinen Kündigungsschutz und durch keine sonstige Bestandsgarantie abgefedert ist. Nach alledem ist beim Kläger mit großer Deutlichkeit die Selbständigkeit bewiesen."
Trotz dieses sehr eindeutigen und sehr gut begründeten Urteils rief die DRB das Bayerische LSG an. Dieses machte dann der DRB im Termin der mündlichen Verhandlung am 28.02.2019 deutlich, dass es hier ebenfalls von einer Selbständigkeit ausgehe. Da die DRB zudem ihren ursprünglichen Bescheid erst erließ, als das Projekt bereits beendet und der Selbständige nicht mehr tätig war, nahm die DRB die Berufung noch im Termin zurück, so dass damit das Urteil des SG München rechtskräftig wurde.
Rechtliche Bewertung
Dieses Verfahren ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die DRB auch noch so gut begründete Urteile der Sozialgerichte nicht zu akzeptieren bereit ist. Und es zeigt ebenfalls, dass die DRB auch dann an Kriterien wie Kapitaleinsatz und unternehmerisches Risiko geradezu verzweifelt festhält, wenn diese – wie häufig im IT-Bereich – erkennbar keine Bedeutung haben.
Fazit
Alle Entscheidungen machen deutlich, dass die Rechtsprechung den Bereich der IT- und Unternehmensberatung in vielen Fällen erheblich klarer und praxisnäher sieht als die DRB. Auch berücksichtigen viele Gerichte die Intentionen des Gesetzgebers und wenden die höchstrichterliche Rechtsprechung zutreffend und rechtskonform an.
Zwar bewegen sich hier alle Akteure nach wie vor in einer Grauzone, die mal heller und mal dunkler ist. Im Gegensatz zur eindimensionalen Sichtweise der DRB kann man nach meiner Erfahrung auf diesem Gebiet vor den Sozial- und Landessozialgerichten jedoch mit einer in der Regel abgewogenen und die Gesamtumstände des Einzelfalls bewertenden Beurteilung rechnen.
Allein deshalb sollte kein Selbständiger und kein Auftraggeber einen negativen Bescheid der DRB einfach hinnehmen, sondern diesen gerichtlich überprüfen lassen. In den meisten Fällen wird man sagen können: Es lohnt sich!