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Carsten Czeczine 29. April 2025

Introvertiertheit in der agilen Welt: Raum für alle schaffen

Seit über 15 Jahren arbeite ich als Agile Coach und Trainer für Methoden wie Scrum und Kanban und unterstütze Organisationen und Teams dabei, agil zu arbeiten. Natürlich war ich auch oft selbst Teil agiler Teams. Dabei ist mir etwas aufgefallen, das ich lange nicht so richtig einordnen konnte: Obwohl ich voll und ganz hinter den Konzepten der agilen Welt stehe, fühlte ich mich in agilen Settings nicht immer wohl. Diese Ambivalenz irritierte mich und ich wollte herausfinden, woran das liegt.

Eine erste Antwort fand ich auf einer Veranstaltung in einem Vortrag über Susan Cains Buch "Quiet", das beschreibt, wie introvertierte Menschen in einer Welt leben, die stark auf Kommunikation und Zusammenarbeit ausgerichtet ist [1]. Beim Lesen erkannte ich mich teilweise wieder und dachte spontan: "Tun wir introvertierten Menschen mit agilen Methoden eigentlich einen Gefallen?" Gleichzeitig fragte ich mich aber auch: "Und bin ich eigentlich introvertiert oder extrovertiert?"

Diese Frage war schwieriger zu beantworten, als ich zunächst dachte. Ich liebe den Austausch mit Menschen, genieße es, Seminare und Vorträge zu halten und komme schnell mit anderen ins Gespräch – eindeutig extrovertiert, dachte ich. Andererseits habe ich Phasen, in denen ich dringend Rückzug brauche, niemanden sehen möchte und nur allein auf meinem Sofa sitzen und lesen will. Also doch eher introvertiert? Oder etwas dazwischen?

Ein Selbsttest: Bin ich introvertiert oder extrovertiert?

Falls Sie sich gerade etwas Ähnliches fragen, finden Sie hier einen kurzen Selbsttest zur Orientierung. Beantworten Sie die folgenden sieben Fragen einfach spontan mit "Ja" oder "Nein":

  1. Verbringen Sie Ihre Freizeit lieber allein oder in kleiner Gesellschaft statt in großen Gruppen?
  2. Fühlen Sie sich nach intensiven sozialen Kontakten oft ausgelaugt und brauchen Rückzug, um wieder Energie zu tanken?
  3. Denken Sie meist eine Weile nach, bevor Sie etwas sagen, anstatt spontan zu reagieren?
  4. Beobachten Sie gern erst eine Situation oder Diskussion, bevor Sie sich selbst aktiv einbringen?
  5. Bevorzugen Sie es, nicht im Mittelpunkt zu stehen, zum Beispiel bei Präsentationen oder Treffen?
  6. Fühlen Sie sich in vertrauter Umgebung und mit bekannten Menschen wohler als in neuen Situationen oder mit Fremden?
  7. Ziehen Sie tiefergehende Gespräche Smalltalk vor, selbst wenn dies bedeutet, nur mit wenigen Menschen zu interagieren?

Auswertung: Zählen Sie, wie oft Sie "Ja" geantwortet haben.

  • 0–2 Mal "Ja": Tendenziell eher extrovertiert
  • 3–4 Mal "Ja": Tendenziell ambivert (ausgewogene Mischung von intro- und extrovertierten Anteilen)
  • 5–7 Mal "Ja": Tendenziell eher introvertiert

Je höher Ihre "Ja"-Anzahl ausfällt, desto stärker überwiegen introvertierte Verhaltensweisen. Bei wenigen "Ja"-Antworten neigen Sie stärker zur Extraversion. Im mittleren Bereich bewegen Sie sich zwischen beiden Polen und zeigen in verschiedenen Situationen sowohl intro- als auch extrovertierte Merkmale.

Hinweis: Dieser Test ersetzt keine professionelle Diagnose. Er soll lediglich eine erste Selbsteinschätzung bieten und Sie zum Nachdenken über Ihre persönlichen Vorlieben in der Kommunikation und im sozialen Miteinander anregen.

In der Auswertung des Tests oben taucht nur plötzlich ein neuer Begriff auf: Ambivert. Diesen habe ich bei Daniel Pink in seinem Buch "To Sell is Human" kennengelernt [2]. Mit diesem beschreibt er Menschen, die im mittleren Bereich des Spektrums zwischen Introvertiertheit und Extrovertiertheit stehen. Klingt schon logisch, aber irgendwie nicht befriedigend für mich. Das half mir nicht weiter zu verstehen, warum ich in Bezug auf Menschen mal so und mal so bin.

Die unterschiedlichen Ausprägungen der Extraversion

Auf meiner Suche nach Antworten habe ich dann auch verschiedene Tests ausprobiert, die mir nun endlich eindeutig sagen sollten, was ich denn nun bin. Und in vielen Fällen waren diese auch nicht sehr befriedigend. Mal war ich eher introvertiert, mal eher extrovertiert und mal irgendwas dazwischen. Interessant wurde es für mich erst, als ich auf Tests für das "Big-Five-Persönlichkeitsmodell" stieß. In diesem wird die Persönlichkeit eines Menschen an fünf Faktoren gemessen und einer davon ist Extraversion (tatsächlich ist Extraversion die korrekte Bezeichnung und nicht das umgangssprachliche Extrovertiertheit). Soweit nichts Neues, außer dass das Big-Five-Modell jeden der fünf Faktoren nochmal in weitere sechs Unterbereiche unterteilt und damit einen detaillierteren Einblick in die Persönlichkeitsstruktur gibt.

Extraversion wird hier weiter unterteilt in:

  1. Herzlichkeit (Friendliness): Diese Facette beschreibt, wie offen, warm und zugänglich man anderen Menschen begegnet. Personen mit hoher Herzlichkeit nehmen leicht Kontakt auf und zeigen echtes Interesse an ihren Mitmenschen.
  2. Geselligkeit (Gregariousness): Hier geht es darum, wie sehr man sich in Gruppen wohlfühlt und die Gesellschaft anderer aktiv sucht. Wer einen hohen Wert hat, ist gerne unter Menschen, baut schnell soziale Verbindungen auf und genießt das Zusammensein. Der Wert bestimmt auch, inwieweit soziale Interaktionen Energie geben oder kosten.
  3. Durchsetzungsfähigkeit (Assertiveness): Diese Facette misst, ob man in Gruppensituationen gerne die Initiative ergreift und eigene Standpunkte bestimmt vertritt. Menschen mit hoher Durchsetzungsfähigkeit schrecken nicht davor zurück, Verantwortung zu übernehmen und suchen häufig Führungspositionen.
  4. Aktivität (Activity Level): Es wird abgebildet, wie viel Tatendrang und Energie eine Person typischerweise zeigt. Wer hier hoch ausgeprägt ist, sprudelt vor Unternehmungslust, mag keine langen Phasen der Untätigkeit und plant gerne neue Projekte.
  5. Erlebnishunger (Excitement Seeking): Diese Facette beschreibt, wie stark man neue Erfahrungen, Abwechslung und manchmal auch Nervenkitzel sucht. Menschen mit hoher Ausprägung mögen Abenteuer, sind häufig spontan und langweilen sich schnell bei Routineaufgaben.
  6. Frohsinn (Cheerfulness): Dabei wird erfasst, wie intensiv und wie oft eine Person positive Gefühle wie Freude oder Begeisterung empfindet und ausdrückt. Wer hier hoch liegt, ist meist gut gelaunt, strahlt Optimismus aus und steckt andere leicht mit seiner positiven Stimmung an.

Die Skala in allen Metriken reicht von 1 bis 100 und gibt an, wo der Testproband im Vergleich mit allen bereits getesteten Personen liegt. Der International Personality Item Pool bietet kostenfrei umfangreiche Informationen über das Testverfahren und auch entsprechende Tests an [3]. Ich hatte mich dann für die Version mit den 300 Fragen entschieden, denn nun wollte ich es wissen und das Ergebnis war aufschlussreich für mich [4].

Insgesamt erzielte ich in Extraversion einen Wert von 70, ich bin also eher extrovertiert denn introvertiert. Die wahre Erkenntnis liegt aber in der Verteilung meiner Werte über die Unterbereiche. Bei drei der sechs Unterkategorien liege ich über dem Durchschnitt, bei einer sogar stark, bei zweien ziemlich im Durchschnitt und bei einer deutlich unter dem Durchschnitt. Die überdurchschnittlichen Werte erklären, warum ich mich an sich für eher extrovertiert halte. Aber mein sehr geringer Wert in der Unterkategorie "Geselligkeit" (28) erklärt, warum ich im Gegenzug die Gesellschaft anderer manchmal kaum ertragen kann. Soziale Interaktionen, so sehr sie mir auch gefallen, kosten mich immer Energie und irgendwann ist mein sozialer Akku halt leer. Und ich kann ihn nur aufladen, wenn ich meine Ruhe habe. Und das erklärt auch, warum ich mich in der agilen Welt nicht immer wohl gefühlt habe. In einer Welt, in der ständig kommuniziert und eng zusammengearbeitet wird, fehlt mir der Ruheraum, um immer mal wieder meinen Akku aufladen zu können. 

Bedeutet Agilität, dass wir uns alle ständig auf den Pelz rücken müssen?

Das drückte jetzt allerdings nur meine spezielle Herausforderung mit agilem Arbeiten aus. Bei anderen ist der introvertierte Teil der Persönlichkeit eventuell anders ausgeprägt. Dann ist es zum Beispiel nicht unbedingt ein Thema des sozialen Akkus, sondern eher der Umgang mit Verantwortung oder der Aktivitätslevel einer Person oder deren Durchsetzungsfähigkeit. Doch muss das denn so sein? Bedeutet Agilität, dass wir uns alle ständig und ohne Pause eng auf den Pelz rücken müssen und es keinen Raum für sich allein gibt? Ist Agilität tatsächlich auf Extrovertierte ausgelegt?

Agilität und Kommunikation: Warum Agilität extrovertiert zu sein scheint

Auf den ersten Blick könnte man den Eindruck bekommen, dass Agilität tatsächlich auf Extrovertierte ausgelegt ist. Ich möchte kurz beleuchten, warum. Im Agilen Manifest werden zwölf Prinzipien beleuchtet, die hier interessant sind:

  • Fachexperten und Entwickler müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten.
  • Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an ein Entwicklungsteam und innerhalb eines solchen zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.
  • Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams.

Diese drei Prinzipien betonen direkte Kommunikation und Zusammenarbeit. Das letztgenannte vor allem dadurch, dass hier das Konzept der selbstorganisierten Teams in den Raum gestellt wird. Und gerade dieses Konzept hat große Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten und die Zusammenarbeit von Gruppen. In den meisten agilen Vorgehensmodellen übernehmen die Teams als Ganzes die Verantwortung für ihre Arbeit und ihre Ergebnisse. Und auch wenn es nicht ausdrücklich verboten ist, ist ein Command-and-Order innerhalb dieser Teams nicht die angestrebte Form von Selbstorganisation. Wenn alle in einem Team gemeinsam für die Arbeit und die Ergebnisse des Teams verantwortlich sind und auch von außen dann verantwortlich gemacht werden, dann ergibt sich daraus ein erheblicher interner Kommunikations- und Abstimmungsaufwand. Alleingänge einzelner Teammitglieder gehen dann nicht mehr.

Entscheidungen darüber, wer was macht, wie es gemacht wird, Architektur, Design etc. müssen dann grundsätzlich gemeinsam gefällt werden. Das hat natürlich große Vorteile. Nicht nur, dass die Arbeitsmotivation in der Regel durch die Übernahme der Verantwortung und eben auch durch die Möglichkeit, die Entscheidungen mit beeinflussen zu können, steigt. Wir bekommen in der Regel auch qualitativ bessere Entscheidungen, da alle Teammitglieder ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbringen können. Dann geht die Erwartungshaltung aber noch weiter, wir erwarten, dass das Team immer einsatzfähig ist, egal, wer gerade im Urlaub oder krank ist. Also müssen Wissensinseln aufgelöst und vermieden werden, Wissen muss immer und überall geteilt werden. Niemand kann einfach so in seinem stillen Kämmerlein vor sich hin entwickeln und die Details seiner Arbeit für sich behalten. Eine sehr hohe Transparenz über Arbeit und Ergebnisse ist gefordert. Es gibt dementsprechend auch keinen Code Ownership mehr. Deshalb wird in vielen Fällen konsequentes Pair Programming als Mittel der Wahl angesehen. Es gibt Menschen, die das lieben und es gibt andere – ich gehöre dazu – die drehen bald am Rad deswegen.

Scrum beispielsweise unterstützt diese Arbeitsweise durch seine Events. Gemeinsame Sprint Plannings, in denen das Scrum-Team zusammen den Sprint plant, Daily Scrums, in denen täglich innerhalb des Teams geteilt wird, wer woran dran ist und wie es weitergeht. Sprint Reviews, in denen das Scrum-Team gemeinsam das Sprintergebnis vorstellt und sich zusammen den Fragen der Stakeholder und deren Feedback stellt. Sprint-Retrospektiven, in denen nichts unangetastet bleibt, um die Arbeitsweise im Team weiter zu optimieren. Und das Backlog Refinement, in dem auch die Entwickler Verantwortung für die Qualität der Anforderungen im Product Backlog übernehmen und sich dementsprechend einbringen müssen. Das ist eine ganze Menge Kommunikation und Miteinander und das in relativ kurzen Zyklen!

Als Agile Coach bin ich begeistert, als Mensch stellen sich die Nackenhaare auf. 

In Kanban sieht es nur auf den ersten Blick etwas entspannter aus. Da kann ich nur solange in Ruhe an meiner Arbeitsstation vor mich hin werkeln, wie keines der WIP-Limits im Prozess eine Eskalation auslöst. In dem Fall muss auch ich mich dann für mögliche Lösungen einbringen und Verantwortung übernehmen, selbst wenn es nicht meine Arbeitsstation war, die die Eskalation ausgelöst hat. Und im Design Thinking wird ebenfalls der Wert der Zusammenarbeit eines interdisziplinären Teams betont. Der ständige Austausch über alle Phasen des Design-Thinking-Zyklus hinweg soll die Ideenfindung für neue, innovative Lösungen beflügeln. Wieder nix mit: Ich kann mal alleine für mich arbeiten.

Verschärft wird die Wahrnehmung, dass agiles Arbeiten ein ständiges Miteinander ohne Privatsphäre bedeutet, durch die Außendarstellung vieler Unternehmen, die als Vorzeigemodelle für agile Unternehmenskultur gelten. Spotify und sipgate werden oft als Beispiele herangezogen. Gerade Pairing, die Arbeit zu zweit, wird als eines der Kernelemente dargestellt. Nicht nur beim Entwickeln, sondern auch bei der Erstellung von Designs, Texten oder sogar beim Kochen. Als Agile Coach bin ich begeistert von solchen Ideen. Als Mensch stellen sich bei mir jedoch die Nackenhaare auf. Allein bei dem Gedanken daran, immer alles im Pair machen zu müssen, läuft mein sozialer Akku schon auf Notstrom.

Aber ist das jetzt der Beweis, dass agiles Arbeiten nur für Extrovertierte geeignet ist und die Introvertierten außen vor bleiben oder da einfach durchmüssen? Definitiv nicht. Die oben aufgeführten Prinzipien des Agilen Manifestes und auch eine Reihe der Konzepte und Regeln in den konkreten Vorgehensmodellen verlangen schon zwischenmenschliche Interaktionen zwischen den Beteiligten und damit in Teilen extrovertiertes Verhalten, aber eben nicht ständig und rund um die Uhr. Das wird teilweise nur so ausgelegt oder erweckt in manchen Organisationen so den Eindruck. In Wirklichkeit haben wir auch in der Welt des agilen Arbeitens genügend Gestaltungsmöglichkeiten, um das passende Arbeitsumfeld für alle Beteiligten schaffen zu können.

Die richtige Arbeitsumgebung für into- und extrovertierte Teammitglieder

Der erste Schritt ist, sich im Team überhaupt einmal bewusst zu machen, wer eher introvertiert, extrovertiert oder ambivert ist – und vor allem, wie genau sich diese Introvertiertheit bei den einzelnen Teammitgliedern äußert. Dabei sollte die Haltung klar sein: Es geht nicht darum, Schwächen bloßzustellen oder Menschen in Kategorien zu pressen. Vielmehr geht es darum, persönliche Stärken zu erkennen, bewusst einzusetzen und Situationen zu schaffen, in denen alle Beteiligten optimal arbeiten können. Wenn jemand beispielsweise ruhig wirkt und wenig spricht, bedeutet dies nicht automatisch mangelndes Interesse oder fehlende Kompetenz. Vielleicht ist genau dieses Teammitglied besonders gut darin, Informationen tiefgründig zu durchdenken oder komplexe Probleme still für sich zu lösen.

Sind die unterschiedlichen Bedürfnisse erkannt, können gezielt Maßnahmen ergriffen werden:

  • Klare Strukturen und Vorbereitungsmöglichkeiten: Meetings sollten stets eine klare Agenda haben und diese auch vorab geteilt werden. Das ermöglicht introvertierten Menschen, sich inhaltlich vorzubereiten und ihre Gedanken besser einzubringen.
  • Asynchrone Kommunikation: Kommunikationsmittel wie Chat-Tools oder digitale Whiteboards ermöglichen es, Beiträge auch ohne direkten verbalen Austausch zu leisten. Das senkt die Hürde für Menschen, die ungern spontan oder vor einer großen Gruppe sprechen.
  • Stille Phasen in kreativen Meetings: Gerade in kreativen Phasen wie Retrospektiven, Backlog Refinements oder Architektur- und Designsessions können bewusst "stille" Phasen integriert werden. So kann jedes Teammitglied zunächst für sich Ideen sammeln, bevor diese in die Gruppe getragen und diskutiert werden.
  • Formate, die allen Stimmen Raum geben: Methoden wie das Round-Robin-Verfahren oder Arbeiten in kleineren Gruppen (Breakouts) geben zurückhaltenden Mitgliedern die Möglichkeit sich einzubringen, ohne sich das Rederecht erkämpfen zu müssen.
  • Psychologische Sicherheit: Eine Kultur, in der Fehler nicht als Versagen, sondern als Lernchance angesehen werden, schafft Vertrauen. Auch die Sprachkultur ist wichtig: Kritik sollte stets wertschätzend und konstruktiv erfolgen. Nur so entsteht eine Atmosphäre, in der sich alle trauen, offen ihre Meinung zu äußern.
  • Bewusstsein für soziale Akkus schaffen: Teams können das Recht etablieren, offen anzusprechen, wenn der soziale Akku leer ist und man einfach eine Pause von intensiver Zusammenarbeit braucht. Dies stärkt das gegenseitige Verständnis und vermeidet unnötigen Druck.
  • Gezielte Pausen einplanen: Vor allem bei längeren Events oder Tagen mit hoher Meeting-Dichte sollten bewusst Pausen eingeplant werden. Diese bieten wichtige Erholungsphasen, besonders für introvertierte Mitglieder, die intensiven Austausch als energiezehrend empfinden. Das gilt vor allem in Scrum bei Sprintwechsel-Tagen oder bei skaliertem Scrum, zum Beispiel beim PI Planning.
  • Balance zwischen Zusammenarbeit und Einzelarbeit finden: Das Verteilen von Wissen und die Vermeidung von Wissensinseln ist eine wichtige Grundlage in agilen Teams. Das erfordert oft ein hohes Maß an direkter Zusammenarbeit, wie zum Beispiel Pair Programming. Aber nicht alle Tätigkeiten müssen ständig im Pairing-Modus erfolgen. Fokussierte Phasen für Einzelarbeit sollten bewusst eingeplant werden. Gleichzeitig ist aber klar, dass rein asynchrone Methoden wie ausschließliches Dokumentieren nicht ausreichen, um Wissensinseln aufzulösen. Auch introvertierte Menschen müssen sich daran gewöhnen, Wissen aktiv mit anderen zu teilen. Wichtig ist jedoch, dass nach Phasen konzentrierter Einzelarbeit klar geregelt ist, wie die Ergebnisse ins Team zurückfließen, um Wissensinseln zu vermeiden.

Diese Vorschläge helfen dabei, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der sowohl extrovertierte als auch introvertierte Menschen ihre Stärken einbringen und sich nachhaltig wohlfühlen können.

Natürlich können auch introvertierte Teammitglieder selbst viel dazu beitragen, sich in agile Arbeitsweisen optimal einzubringen und ihre Stärken besser zur Geltung kommen zu lassen:

  • Aktiv um Vorabinformationen bitten: Es hilft sehr, aktiv nach einer Agenda oder Themenübersicht vor Meetings oder Stand-ups zu fragen, um sich in Ruhe vorbereiten zu können und dadurch selbstsicherer aufzutreten.
  • Persönliche Kommunikationsvorlieben mitteilen: Wenn man offen mit dem Team oder Scrum Master darüber spricht, in welchen Kommunikationssituationen man sich wohlfühlt, können Meetings entsprechend gestaltet werden – beispielsweise in kleineren Gruppen oder mit schriftlichen Formaten.
  • Gezielt asynchrone Beiträge leisten: Chat-Tools, Projektmanagement-Boards oder E-Mails bieten Raum, Gedanken strukturiert festzuhalten. Das verschafft Zeit, Ideen zu durchdenken und anschließend gut vorbereitet in Diskussionen einzubringen.
  • Stärken hervorheben: Indem man bewusst zeigt, wie sorgfältige Recherche, tiefgründige Analysen und gut durchdachte Lösungsansätze dem Team weiterhelfen, lernen die Kollegen, diese Fähigkeiten wertzuschätzen.
  • Proaktiver Wissensaustausch: Wer lieber zuhört, kann Beobachtungen und konstruktives Feedback gezielt im Nachgang teilen, etwa in Retrospektiven oder im Team-Chat.
  • Kurze Sprechphasen vorbereiten: Gerade für Daily Stand-ups ist es hilfreich, sich vorher kurz zu notieren, welche Punkte wichtig sind, um gezielter und sicherer aufzutreten.
  • Pausen und Rückzug bewusst nutzen: Kurze Ruhephasen oder konzentrierte Einzelarbeitszeiten sollten proaktiv eingeplant und im Team kommuniziert werden, um neue Energie zu gewinnen.
  • Rückmeldung zum Prozess geben: Retrospektiven oder Feedback-Runden bieten ideale Gelegenheiten, um auf persönliche Bedürfnisse und eventuelle Anpassungen im Arbeitsprozess hinzuweisen.

Diese Vorschläge helfen den introvertierten Teammitgliedern, selbst auch Verantwortung dafür zu übernehmen, um sich in agilen Arbeitsweisen konstruktiver einbringen und dabei wohlfühlen zu können. Doch auch für extrovertierte Teammitglieder bringt die agile Arbeitswelt Herausforderungen mit sich. Extrovertierte Menschen wollen häufig schnell zu Ergebnissen kommen, zeigen hohen Tatendrang und lieben intensive Kommunikation. Daher kann es ihnen schwerfallen, geduldig zuzuhören und ruhigen oder zurückhaltenden Kollegen bewusst Raum zu geben. Zudem können Phasen konzentrierter Einzelarbeit für sie frustrierend wirken oder sogar das Gefühl sozialer Isolation hervorrufen. 

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, hilft es, wenn das Team auch gezielt Formate anbietet, in denen extrovertierte Mitglieder ihren hohen Energielevel ausleben können – beispielsweise durch lebendige Diskussionen oder spontane Brainstormings – gleichzeitig aber auch regelmäßig daran erinnert werden, bewusst und aktiv Raum für die leiseren Stimmen zu schaffen. Auch hier ist das Verständnis füreinander entscheidend, um gemeinsam produktiv und zufriedenstellend zusammenarbeiten zu können.

Agile auf den diesjährigen IT-Tagen

Spannende Vorträge und Workshops zum Thema Agile erwarten Euch auch auf den IT-Tagen, der Jahreskonferenz von Informatik Aktuell. Die IT-Konferenz findet jedes Jahr im Dezember in Frankfurt statt – dieses Jahr vom 08.-11.12.

Fazit

Agile Arbeitsweisen erscheinen auf den ersten Blick vielleicht besonders für extrovertierte Menschen geeignet, da sie intensive Kommunikation und ständige Zusammenarbeit betonen. Doch in Wirklichkeit bieten agile Methoden genügend Gestaltungsspielraum, um sowohl introvertierten als auch extrovertierten Persönlichkeiten gerecht zu werden. Der Schlüssel dazu liegt im bewussten Umgang mit den Bedürfnissen aller Teammitglieder, in klarer Kommunikation und der gezielten Gestaltung des gemeinsamen Arbeitsalltags. Wenn Teams lernen, offen über ihre individuellen Präferenzen zu sprechen und gegenseitig Rücksicht aufeinander zu nehmen, entsteht eine harmonische und produktive Zusammenarbeit, in der jeder seine Stärken bestmöglich einbringen kann.

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