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Prof. Dr. Wolfgang Ertel 16. Oktober 2018

Künstliche Intelligenz und die Wirtschaft der Zukunft

Die Künstliche Intelligenz (KI) ist aktuell der Treibstoff für die vierte Stufe der Rakete namens Industrialisierung in der wir auf unserem Planeten durch das All rasen. Industrie 4.0 ist ein Teil davon. Durch die in den letzten Jahren sehr erfolgreichen maschinellen Lernverfahren ist es heute möglich, Probleme zu lösen, die mit den klassischen, aus der Mathematik, der Computersimulation und dem Softwareengineering bekannten Methoden nicht erfolgreich behandelt werden konnten. Selbstfahrende Autos, Serviceroboter und Smart Homes – alles KI-Anwendungen – werden das Leben stark verändern. Die KI und die Automatisierung generell treiben die Wirtschaft weiter an und führen für uns zu noch mehr Komfort und Bequemlichkeit in allen Lebensbereichen.

Große Teile der Gesellschaft und die Politik gehen aber leider mit diesen wunderbaren technischen Innovationen nicht richtig um. Anstatt diese zu unserem Wohl zu nutzen, lassen wir uns durch Industrie, Werbung und den Wachstumszwang in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem immer mehr zum Konsum antreiben. Wir übersehen dabei aber, dass Konsum nicht glücklich macht. Und nebenbei zerstören wir – ohne dies bewusst wahrzunehmen – auch noch die Lebensgrundlagen unserer Kinder und Enkel.

Ist die KI also schuld an dieser Misere? Die KI ist durch ihre Innovationen aktuell ein wichtiger Wachstumstreiber genau wie praktisch alle Technologien seit der Erfindung der Dampfmaschine. Aber die Wurzel des Problems liegt an anderer Stelle. Die Spielregeln unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems sind die falschen. Wenn wir dieses Spiel – nennen wir es Monopoly (als Abkürzung für neoliberalen Kapitalismus) – so weiter spielen, werden wir unsere Lebensgrundlagen, und zwar ökologisch wie sozial, vernichten.

Wenn wir nicht mehr Monopoly spielen wollen, müssen wir aufstehen und ein anderes Spiel aus dem Schrank holen. Dieses Spiel hat den Namen Postwachstumsökonomie und die Regeln unterscheiden sich von den alt bekannten derzeitigen an einigen Stellen deutlich. Und alle Menschen werden bei diesem Spiel mehr Spaß haben als zuvor bei Monopoly.

Was ist Künstliche Intelligenz?

Die Künstliche Intelligenz (KI) beschäftigt sich seit über 60 Jahren mit der Frage, ob und wie Computer und Roboter Dinge tun können, die wir Menschen (noch) besser können. Viele für uns Menschen kognitiv schwierige Aufgaben, wie etwa das Schach spielen oder große Bereiche der numerischen Mathematik, der Logik und der Mustererkennung, können, unter anderem mit Methoden der KI, heute von Computern besser gelöst werden als von Menschen. Andere Aufgaben, wie etwa das Erkennen und Greifen eines Schlüssels in der Hosentasche, oder das Finden einer Tür in einem Raum, fallen uns Menschen leicht, den Robotern aber (noch) sehr schwer. Entsprechend obiger Definition sind das also aktuelle Aufgaben der KI-Forschung. Und tatsächlich wird heute in der Servicerobotik mit Hochdruck an Aufgaben wie etwa lernfähiges Greifen von Objekten oder Objektwahrnehmung in komplexen Umgebungen geforscht.

Besonders hervorzuheben ist hierbei die Lernfähigkeit von Menschen, die bis heute in vielen Bereichen den Computern noch weit voraus ist. Schon seit den Anfängen der KI wird an maschinellen Lernverfahren geforscht und seit Mitte der achtziger Jahre sind schöne Erfolge zu vermelden. Zum Beispiel gab es schon 1987 mit dem System Nettalk ein Programm, das lernte, Texte laut vorzulesen. Im Jahr 1999 wurde mit LEXMED ein lernfähiges Programm für medizinische Diagnose vorgestellt [1], das Blinddarmentzündung gleich gut erkennen konnte wie ein erfahrener Chirurg.

Deep Learning hat zum Durchbruch geführt

In den letzten zehn Jahren gab es im Gebiet des maschinellen Lernens einen Durchbruch. Basierend auf den Ergebnissen von vielen Forschern im Gebiet der künstlichen neuronalen Netze können Computer heute mittels Deep Learning fast beliebige Objekte auf Fotos besser erkennen als wir Menschen. Der Erfolg basiert darauf, dass man es heute schafft, neuronale Netze mit bis zu 1.000 Lagen von einfachen Neuronen auf dem Computer erfolgreich zu trainieren. Zuvor gab es beim Lernen auf Netzen mit mehr als drei Lagen große Probleme und man konnte deshalb auf Bildern nur relativ einfache Objekte erkennen.

Deep Learning wird in den nächsten Jahren zu deutlich besseren medizinischen Diagnosen unter anderem basierend auf bildgebenden radiologischen Verfahren führen. Auch dem autonomen Fahren, das sich ab etwa 2020 weltweit durchsetzen wird, verhilft Deep Learning zum Durchbruch. Eine weitere wichtige Anwendung von Deep Learning ist die Servicerobotik, denn ein Roboter muss Objekte zuverlässig erkennen und greifen können. Dies ist nunmehr mit sehr guter Qualität möglich.

Die Stärken der KI

Schon heute oder in naher Zukunft werden ganz viele kognitiv oder auch motorisch schwierige Spezialaufgaben von lernfähigen Algorithmen besser gelöst als von Menschen. Zum Beispiel können bei Spielen wie Schach, Go und Poker die besten Menschen nicht mehr mit den Lernalgorithmen mithalten. Die schon erwähnte Mustererkennung wird sich in allen Lebensbereichen durchsetzen. Diagnosen in fast allen Bereichen von Medizin und Technik werden besser, schneller und günstiger vom Computer erstellt. Die KI-Systeme sind uns Menschen bei vielen Spezialaufgaben aus mehreren Gründen überlegen:

  • Der Computer hat potentiell mehr verschiedene Sensoren als der Mensch. Ein autonomes Fahrzeug nimmt die Umgebung nicht nur mittels optischer 3D-Kameras wahr, sondern verfügt auch noch über Laserscanner, Radar und Ultraschall-Entfernungsmessung. Noch sind KI-Systeme uns Menschen zum Beispiel aufgrund der viel schlechteren taktilen Wahrnehmung zum Beispiel beim Greifen von Objekten weit unterlegen. Bessere Sensortechnik zusammen mit Deep Learning wird auch diese Lücke in absehbarer Zeit schließen.
  • Maschinelle Lernalgorithmen sind heute in der Lage, das Wissen aus sehr großen Datenmengen in hochdimensionalen Räumen schnell und effizient zu extrahieren und anzuwenden. Diese Datenmengen können viel größer sein als alles, was ein Mensch im Laufe seines Lebens aufnehmen kann. Ein Arzt zum Beispiel, der täglich eine bestimmte Operation macht, kann in 40 Arbeitsjahren diese Operation etwa 8.000 mal ausführen. Ein Computer kann aber aus den Daten von Millionen Fällen lernen, wodurch sich die Statistik deutlich verbessert.
  • Computer sind, im Unterschied zum Menschen, in der Lage, ihren kompletten Speicherinhalt und damit ihr komplettes Wissen in wenigen Sekunden mit anderen Rechnern zu teilen. Das Lernen in der KI kann daher verteilt erfolgen. Zum Beispiel können alle Autos in einer Flotte mit Millionen autonomer Fahrzeuge ihre auf der Straße gesammelten Daten an ein zentrales Rechenzentrum übertragen. Dort wird dann ein Lernalgorithmus aus diesen Daten neue Fahrstrategien extrahieren. Diese werden nach ausgiebigen Tests auf alle Autos kopiert, mit dem Ergebnis, dass am Ende alle Fahrzeuge von den Daten aller anderen gelernt haben. Das ist bei uns Menschen aufgrund der physikalischen Eigenschaften von Gehirn und Körper nicht möglich. Bei uns ist das Wissen sehr stark an das im Körper fest verankerte Gehirn gebunden. Der Austausch von Wissen erfolgt beim Menschen, im Unterschied zur Informatik, sehr umständlich und zeitaufwändig durch Sprache und Bilder.
  • Menschen sind keine rationalen Wesen. Jeder Mensch hat seine eigene Moral. Bei Maschinen kann diese, zumindest näherungsweise, vorgegeben und implementiert werden. Die Entwicklung solch einer Moral kann zum Beispiel durch eine Ethik-Kommission erfolgen und dann per Gesetz für alle Roboter verpflichtend vorgeschrieben werden.
  • Wir Menschen lernen komplexe, zum Beispiel motorische, Tätigkeiten als Kind am besten. Bei der Wahrnehmung von Objekten ist unser Gehirn optimiert auf die Erkennung von Dingen, die wir schon als Baby oft sehen, wie etwa Gesichter von Menschen. Das Erkennen von Krebsgewebe auf verrauschten MRT-Bildern hingegen gehört nicht zum Erfahrungsschatz eines Kleinkinds, sondern wird erst im Erwachsenenalter erlernt, wo das menschliche Gehirn nicht mehr so gut und so schnell lernen kann. Hochspezialisierte Deep-Learning-Netze sind hier klar im Vorteil.
  • Die zeitliche Entwicklung der Technologie zeigt seit der Erfindung der Dampfmaschine im achtzehnten Jahrhundert ein exponentielles Wachstum. Das heißt, bezogen auf die KI, dass wir in den nächsten zehn Jahren ein höheres Innovationstempo erwarten dürfen als in den letzten zehn Jahren. Diese Prognose wird auch gestützt durch die Tatsache, dass die aktuellen Erfolge im maschinellen Lernen in großen Teilen der Industrie noch nicht angekommen sind und daher in den nächsten Jahren zu großen Innovationsschüben führen werden.

Die Grenzen der KI

Trotz aller Erfolge sind die lernfähigen KI-Systeme uns Menschen in vielen Bereichen noch weit unterlegen. Das Reagieren auf völlig neue unerwartete Situationen stellt noch ein großes Problem dar. Zum Beispiel stößt ein Handwerker oder eine Sekretärin im Büro ganz oft auf unerwartete Aufgaben oder Schwierigkeiten und muss dann kreativ reagieren. Mit derartigen Situationen können auch die intelligentesten Maschinen noch nicht umgehen.
Es wird zwar in der KI an Kreativität geforscht, aber hier ist noch ein weiter Weg zu gehen.

Ein ganz großes Problem stellt das "Bewusstsein" dar. In der Philosophie hat die Bewusstseins-Forschung zwar eine lange Tradition, aber es gibt in der KI noch keine erfolgversprechenden Modelle für die Implementierung oder Evolution von Bewusstsein oder intrinsischer Motivation. Damit zusammen hängt unsere Fähigkeit, auf verschiedensten Ebenen über uns selbst zu reflektieren und daraus dann Schlüsse zu ziehen. Daran wird im jungen Gebiet der "Artificial General Intelligence" zwar geforscht, aber noch mit bescheidenem Erfolg. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass KI-Systeme uns Menschen heute zwar bei vielen Spezialaufgaben weit überlegen sind, aber uns bezüglich Weltwissen und dem Umgang mit banalen Alltagsproblemen Menschen noch weit unterlegen sind. Aufgrund unseres mangelhaften Verständnisses von Bewusstsein werden daher empathische Empfindungen oder intrinsische Motivation von Robotern noch für Jahrzehnte zu den ungelösten Problemen der KI zählen.

KI und Arbeitsplätze

Im Januar 2016 publizierte das Weltwirtschaftsforum eine in der deutschen Presse viel zitierte Studie mit der Prognose, in den Industriestaaten würden durch Industrie 4.0 in den nächsten fünf Jahren über fünf Millionen Arbeitsplätze vernichtet werden [2]. Laut anderer Meinungen ist in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren in den USA mit einem Rückgang der gesamten Erwerbsarbeit um 47 Prozent zu rechnen [3]. Diese Prognosen sind keineswegs überraschend, denn die Automatisierung von Fabriken, Büros, Verwaltungen, Verkehr, Haushalt und vielen anderen Bereichen sorgt schon seit der Erfindung der Dampfmaschine dafür, dass immer mehr Arbeiten von Maschinen, Computern und Robotern erledigt werden. Etwa seit dem Jahr 2010 wird die KI zu einem der wichtigsten Faktoren in dieser Entwicklung. Das heißt, die KI trägt heute wesentlich dazu bei, unseren Lebensstandard und Wohlstand noch weiter zu verbessern.

Leider befinden wir uns aber nicht auf dem Weg ins Paradies.

Vermutlich ist sich die Mehrheit der Menschen darin einig, dass schwere, schmutzige und ungesunde Arbeiten besser von Maschinen erledigt werden und wir daher zumindest solche Tätigkeiten gerne an Maschinen abgeben. Die Automatisierung ist also durchaus ein Segen für die Menschheit. Viele der erwähnten unangenehmen Arbeiten werden von den Maschinen schneller, exakter und vor allem kostengünstiger erledigt. Das erscheint fast wie eine Entwicklung hin zum Paradies auf Erden, zumindest wenn wir uns für einen Moment ganz naiv den folgenden Gedankengang erlauben: Wir Menschen müssen offenbar immer weniger unangenehme Arbeiten erledigen und haben entsprechend mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben. Und das bei gleichem, eventuell sogar wachsendem Wohlstand. Denn die Wirtschaft würde diese Maschinen nicht einsetzen, wenn sie die Produktivität nicht deutlich erhöhen würden.

Leider befinden wir uns aber nicht auf dem Weg ins Paradies. Wir arbeiten seit vielen Jahrzehnten oft sogar mehr als 40 Stunden pro Woche, sind gestresst, leiden an Burn-out und anderen Krankheiten und die Reallöhne sinken. Warum, wenn doch die Produktivität immer weiter wächst? Als Grund hierfür wird von vielen Ökonomen der Konkurrenzdruck genannt. Aufgrund des Wettbewerbs müssen die Firmen billiger produzieren, und in der Folge Arbeiter entlassen. So entsteht die erwähnte Arbeitslosigkeit. Damit aufgrund der gesunkenen Preise für die Produkte der Umsatz nicht sinkt, müssen nun also mehr Produkte hergestellt und verkauft werden. Die Wirtschaft muss wachsen!

Und dies tut sie auch, denn sinkende Preise führen zu steigender Nachfrage. Die Nachfrage wird aber vor allem angekurbelt durch die Technologieentwicklung, die uns immer mehr Produkte anbietet, welche Komfort und Genuss vergrößern. Wir können also feststellen, dass die technologische Entwicklung der primäre Treiber für das Wirtschaftswachstum ist [4].

KI und die Grenzen des Wachstums

Wenn in einem Land wie Deutschland (und in den meisten anderen Industrieländern, zum Beispiel auch in China), in dem die Bevölkerung nicht mehr wächst, die Wirtschaft aber weiter wächst, muss zwangsläufig jeder Bürger mehr konsumieren. Dazu müssen neue Märkte geschaffen werden (In vielen Forschungsförderprogrammen der EU und des BMBF zum Beispiel wird heute schon in Projektanträgen von Wissenschaftlern der Nachweis gefordert, dass die Forschung neue Märkte eröffnet) und die Werbung hat die Aufgabe, uns davon zu überzeugen, dass wir die neuen Produkte wollen. Nur so kann – angeblich – der Wohlstand "nachhaltig" gesichert werden. Anscheinend gibt es keinen Ausweg aus dieser Wachstums- und Konsumspirale.

Dies hat zwei fatale Auswirkungen: Zum Einen werden die Menschen durch mehr Konsum nicht glücklicher – im Gegenteil: psychische Krankheiten nehmen zu. Noch viel offensichtlicher und vor allem fataler aber sind die Auswirkungen des Wachstums auf unsere Lebensbedingungen. Es ist kein Geheimnis, dass die Grenzen des Wachstums für die Erde insgesamt schon seit Anfang der 1970er Jahre überschritten sind [5]. Der ökologische Fußabdruck der Deutschen hat im Jahr 2014 die verfügbare Biokapazität um etwa den Faktor 2,9 überschritten [6]. Das heißt, dass wir Deutschen dreimal mehr konsumieren, fahren, heizen und (vor allem tierische Produkte) essen, als erlaubt wäre, damit unsere Kinder und Enkel gleich gute Lebensbedingungen haben wie wir heute. Global liegt der Faktor, um den wir die Kapazität des Planeten überschreiten "nur" bei 1,7 [6]. Aber wir haben eben auch keine 1,7 Planeten zur Verfügung und werden diese auch im Jahr 2040 nicht haben, wenn der Klimawandel seine Wirkung schmerzhaft entfalten wird [7].

Was fehlt, ist eine gerechte Verteilung der Produktivitätsgewinne.

Das heißt, wir betreiben Raubbau an der Natur mit ihren endlichen Ressourcen und leben auf Kosten unserer Kinder und Enkel, die dann folglich schlechtere Lebensbedingungen haben werden als wir heute. Auch ist bekannt, dass jeder weitere Euro an wachsender Wirtschaft unsere Umwelt – zum Beispiel durch zunehmende CO2-Konzentration in der Atmosphäre und den daraus resultierenden Klimawandel – weiter belastet [8]. Wir zerstören unsere eigene Lebensgrundlage. Es ist also offensichtlich, dass wir im Sinne einer lebenswerten Zukunft diesen fatalen Wachstumspfad umgehend verlassen sollten. Aber wie?

Erinnern wir uns dazu nochmal an den Weg hin zum Paradies, den uns KI und Automatisierung scheinbar bereiten. Offenbar führt er so wie wir ihn gestalten nicht ins Paradies. Dieses Problem zu verstehen und den rechten Weg zu finden, ist eine der zentralen Aufgaben der heutigen Zeit. Aufgrund der nicht ganz einfachen Zusammenhänge kann hier keine vollständige Lösung für dieses Problem geliefert werden, ein paar Denkanstöße und Handlungsempfehlungen aber durchaus. Obwohl die Produktivität der Wirtschaft in fast allen Bereichen stetig wächst, wird von den Arbeitern verlangt, dass sie bei sinkendem Reallohn weiter gleich hart arbeiten [9]. Sie profitieren also nicht von der Produktivitätssteigerung. Daher müssen wir die Frage stellen, wo denn nun die Produktivitätsgewinne bleiben? Offenbar nicht bei den Menschen, denen wir sie verdanken, nämlich bei den Arbeitern. Stattdessen wird ein Teil der Gewinne für Investitionen und damit für das Wachstum verbraucht und der Rest landet bei den Kapitaleignern [9], was zu immer größeren Kapitalkonzentrationen bei wenigen Reichen und den Privatbanken führt und auf der anderen Seite zu immer mehr Armut auf der ganzen Welt. Das wiederum führt zu Spannungen mit der Folge von Kriegen, Vertreibung und Flucht. Was fehlt, ist eine gerechte Verteilung der Produktivitätsgewinne.

Wie kann man zu einer besseren Verteilungsgerechtigkeit kommen? Diese hoch spannende volkswirtschaftliche Fragestellung wird leider von zu wenigen Ökonomen untersucht. Die Politik hat dafür offenbar auch keine nachhaltige Lösung anzubieten. Und dies, obwohl Politik und Wirtschaft kontinuierlich versuchen, unser Wirtschaftssystem zu optimieren. Offensichtlich führen alle bisherigen Versuche, innerhalb unseres derzeitigen kapitalistischen Wirtschaftssystems die Parameter zu optimieren, nicht zu einer gerechteren Verteilung des Wohlstands, sondern zum Gegenteil.

Die Steuerprogression muss deutlich progressiver werden.

Deswegen müssen nun vor allem die Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler beginnen, die Systemfrage zu stellen und nach Alternativen suchen. Wir sollten uns fragen, wie die Regeln und Gesetze der Wirtschaft so zu verändern sind, dass alle Menschen von den Produktivitätsgewinnen profitieren und dass die Wirtschaft nicht mehr so schnell wächst, idealerweise gar nicht mehr wächst? Es gibt mittlerweile eine weltweit wachsende Gemeinschaft von Ökonomen und Nachhaltigkeitswissenschaftlern, die hochinteressante Alternativen vorschlagen. Ohne in die Details zu gehen, möchte ich einige zentrale Probleme und Lösungsansätze kurz anreißen, zuvor aber den Physiker Stephen Hawking zitieren. Er antwortete auf die Frage, ob er sich über die durch Automatisierung bewirkte Arbeitslosigkeit Gedanken mache:

"If machines produce everything we need, the outcome will depend on how things are distributed. Everyone can enjoy a life of luxurious leisure if the machine-produced wealth is shared, or most people can end up miserably poor if the machine-owners successfully lobby against wealth redistribution. So far, the trend seems to be toward the second option, with technology driving ever-increasing inequality." [10]

Die Ökologisch-Soziale Steuerreform

Das Problem der Verteilungsgerechtigkeit könnte durch eine Abschaffung der Lohnsteuer für Arbeiter und Angestellte mit niedrigen und mittleren Einkommen deutlich entschärft werden. Mit anderen Worten, die Steuerprogression muss deutlich progressiver werden. Auf die Frage, woher dann der Staat seine Steuereinnahmen bekommen soll, gibt es eine altbekannte und einfache Antwort, welche in ganz natürlicher Weise auch noch die meisten unserer Umwelt- und Klimaprobleme lösen würde.

Schon nach der Ölkrise in den 1970er Jahren wurde die Einführung des Verursacherprinzips zur Vermeidung der Umweltverschmutzung laut. Der Verursacher muss für seine Umweltschäden direkt bezahlen, zum Beispiel durch eine entsprechend hohe Steuer auf fossile Brennstoffe oder tierische Nahrungsmittel. Derzeit muss die Allgemeinheit für die durch Umweltschäden entstehenden sogenannten externen Kosten aufkommen. Diese Idee ist mittlerweile in Form der Gemeinwohlökonomie detailliert ausgearbeitet [11]. Eine wirtschaftswissenschaftliche theoretische Begründung hierfür wurde in Form der biophysikalischen Ökonomie geliefert [12].

Das ungebremste Geldmengenwachstum

Die Wirtschaft kann nur dann schnell wachsen, wenn immer genügend Geld für beliebiges Wachstum bereit steht. Derzeit ist das – insbesondere in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) – der Fall. Ursache des Problems ist die Giralgeldschöpfung durch die Privatbanken. Neues Geld – das unter anderem benötigt wird, um unsere wachsende Wirtschaft in Gang zu halten – wird heute von den Privatbanken geschöpft. Dies wird dadurch ermöglicht, dass Banken von dem Geld, das sie als Darlehen vergeben, nur einen kleinen Teil, nämlich den Mindestreservesatz, in Form von Zentralbankgeld, selbst besitzen müssen. Dieser Mindestreservesatz liegt in der EWWU im Jahr 2018 bei einem Prozent.

Die Staaten leihen sich dieses Geld dann in Form von Staatsanleihen bei den Privatbanken und verschulden sich. So entstehen unsere derzeitigen Staatsschuldenkrisen. Auch die bekannten gefährlichen und zur Blasenbildung führenden Finanzmarktinstrumente wie etwa Derivate, Hedge Fonds und Speed Trading, welche das Finanzvolumen noch weiter erhöhen, wären ohne die einfache Kreditvergabe im Giralgeldsystem nicht möglich.

Dieses Problem kann relativ einfach gelöst werden, indem durch eine Erhöhung des Mindestreservesatzes der Banken auf 100 Prozent die Giralgeldschöpfung verboten wird [13]. Die Geldschöpfung wird dann wieder zum Monopol der staatlichen Zentralbanken und das neu geschöpfte Geld kann vom Staat unmittelbar für Zwecke des Gemeinwohls verwendet werden. Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass durch diese einfache Maßnahme die Staatsschuldenproblematik deutlich entschärft würde. Zum Beispiel müssten die Staaten für neu geschöpftes Geld keine Zinsen mehr an die Privatbanken bezahlen.

Durch ein Vollgeldsystem mit exklusivem Recht der Geldschöpfung durch die Zentralbank wäre es möglich, dass die Zentralbank steuernd auf die Geldmenge einwirken und somit das Wirtschaftswachstum bremsen kann. Derzeit kann zum Beispiel die Europäische Zentralbank die Geldmenge nicht wirklich bremsen, sondern nur erhöhen.

Die Natürliche Wirtschaftsordnung

Ein weiteres interessantes Element in solch einer Wirtschaftsreform könnten eine Umstellung des aktuellen Zinssystems auf die sogenannte von Silvio Gesell schon 1912 erfundene natürliche Wirtschaftsordnung sein [14]. Zinsen sind im Finanzsystem wichtig, denn sie dienen als Umlaufsicherung und verhindern, dass Geld ungenutzt "unter dem Kopfkissen" gelagert wird. Stattdessen legt der Sparer das Geld an und stellt es so Investoren zur Verfügung. Das Problem bei unserem derzeitigen Zinssystem ist, dass die Netto-Zinsgewinner nur die Reichen mit einem Vermögen von mehr als etwa einer Million Euro sind. In der natürlichen Wirtschaftsordnung würden die Zinsgewinne (abgesehen von dem Risikoanteil, den weiterhin die Banken einstreichen würden) im Wesentlichen dem Staat zufließen, der damit zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren könnte.

Zusammenfassung und Fazit

Die KI trägt schon heute wesentlich mit zu unserem (materiellen) Wohlstand bei und wird dies in Zukunft immer mehr tun. Aber sie treibt wie alle technologischen Erfindungen seit der Dampfmaschine das Wirtschaftswachstum weiter an. Weil die Grenzen des Wachstums auf dem Planeten Erde aber längst weit überschritten sind, müssen wir hier gegensteuern. Dieses Steuern kann und soll nicht durch ein Verbot der Forschung erfolgen. Denn der Wissensdrang von uns Menschen ist gut und wichtig. Verbote sind wichtig zum Beispiel beim Einsatz von autonomen Kampfrobotern, aber nicht bei einzelnen Produkten oder Dienstleistungen.

Die Wirtschaft hat in erster Linie dem Gemeinwohl zu dienen.

Das Mittel der Wahl zur Steuerung der Wirtschaft ist das Wirtschaftssystem. Die Wirtschaft hat in erster Linie dem Gemeinwohl zu dienen und nicht dem Kapital oder dem Geld. Darin waren sich die großen Wirtschaftspioniere Adam Smith, John Maynard Keynes und Karl Marx einig. Gefragt ist daher eine Reform des Wirtschafts- und Finanzsystems. Wenn wir nicht mehr Monopoly spielen wollen, dann müssen wir die Spielregeln ändern. Einige Vorschläge dazu wurden hier genannt. Diese und andere genau zu untersuchen und zu simulieren, ist Aufgabe vor allem der Wirtschaftswissenschaftler. Ihre Umsetzung ist Aufgabe der Politik. Und wie wir wissen sind die derzeit gültigen Spielregeln der politischen Welt nicht in der Lage, die großen Probleme, wie etwa den Klimawandel, die Finanzblase oder das Flüchtlingsproblem nachhaltig anzugehen. Vielleicht müssen wir daher auch die Frage nach neuen Spielregen für unser demokratisches Gesellschaftsmodell stellen.

Quellen
  1. M. Schramm, W. Ertel und W. Rampf; 2001: Bestimmung der Wahrscheinlichkeit einer Appendizitis mit LEXMED. Biomedical Journal, 57:9–11
  2. K. Schwab und R. Samans; 2016: The Future of Jobs – Employment, Skills and Workforce Strategy for the Fourth Industrial Revolution. World Economic Forum
  3. C. B. Frey und M. A. Osborne; 2017: The future of employment: how susceptible are jobs to computerisation? Technological forecasting and social change, 114:254–280
  4. U. Herrmann; 2015: Der Sieg des Kapitals: wie der Reichtum in die Welt kam: die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen. Piper Verlag
  5. D. L. Meadows, D. H.Meadows, E. Zahn und P. Milling; 1972: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Dt. Verl. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart
  6. D. Lin et al.; 2018: Ecological Footprint Accounting for Countries: Updates and Results of the National Footprint Accounts, 2012–2018. Resources, 7(3):58
  7. J. Randers; 2012: 2052: A Global Forecast for the Next Forty Years. Chelsea Green Publishing
  8. N. Paech; 2016: Befreiung vom Überfluss – Grundlagen einer Wirtschaft ohne Wachstum. In: Fromm Forum, Band 20, Seiten 70–76. Erich Fromm Gesellschaft, Tübingen
  9. T. Piketty; 2014: Das Kapital im 21. Jahrhundert. CH Beck Verlag
  10. Science AMA Series: Stephen Hawking AMA Answers!
  11. C. Felber; 2014: Die Gemeinwohl-Ökonomie. Deuticke Verlag
  12. J. Grahl und R. Kümmel; 2009: Das Loch im Fass – Energiesklaven, Arbeitsplätze und die Milderung des Wachstumszwangs. Wissenschaft und Umwelt Interdiziplinär, 13:195–212
    R. Kümmel; 2011: The second law of economics: Energy, entropy, and the origins of wealth. Springer Science & Business Media
  13. J. Huber; 2014: Monetäre Modernisierung, Zur Zukunft der Geldordnung: Vollgeld und Monetative. Metropolis Verlag
  14. M. Kennedy; 2006: Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel, das jedem dient. Goldmann Verlag, München

Autor

Prof. Dr. Wolfgang Ertel

Prof. Dr. Wolfgang Ertel ist Leiter des Instituts für Künstliche Intelligenz an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Seine Spezialgebiete sind maschinelles Lernen und lernfähige Roboter.
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