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Niall Deehan 16. Juli 2024

Warum BPMN nach wie vor der goldene Standard in der Prozessmodellierung und -automatisierung ist

"Wozu sollen wir heutzutage noch Lesen und Schreiben lernen? Die Technik ist über 3.000 Jahre alt und total eingestaubt. Wir brauchen eine neue, innovative Kommunikationsmethode, am besten mit proprietärer Technologie!" Klingt das albern? Ist es auch – so in etwa hört es sich an, wenn es heißt, BPMN (Business Process Model & Notation) sei nicht mehr zeitgemäß. Interessanterweise haben Kritiker:innen von BPMN aber nie einen direkten Vergleich zu Alternativen.

Aber eins nach dem anderen: Bei BPMN handelt es sich um eine ISO-Norm zur visuellen Beschreibung der einzelnen Schritte, Entscheidungen und Ereignisse, die im Verlauf eines Prozesses in einem Unternehmen auftreten können. Ich selbst nutze BPMN seit fast zehn Jahren, um Prozesse zu modellieren und auszuführen – und in meinen Augen kann soweit keine Alternative mithalten. Denn BPMN kann so einiges leisten.

Beobachtbarkeit und Übersichtlichkeit

Im Gegensatz zu allen derzeitigen Alternativen wurde BPMN ursprünglich nicht konzipiert, um ausführbar zu sein. Dies hat sich allerdings genau als einer der Gründe erwiesen, warum BPMN so viel besser ist als andere Prozesssprachen. Die erste Version von BPMN wurde als Notation entwickelt, die es leichter machen sollte, Prozesse zu entwerfen und Prozessdiagramme zu teilen. Das Ergebnis war eine Notation, die selbst bei großer Komplexität visuell übersichtlich bleibt. So kann ein Diagramm, das als zentrales Designprinzip präsentiert wird, wesentlich schneller verstanden werden. In der zweiten BPMN-Version wurden die Ausführungssemantik sowie einige fehlende Symbole hinzugefügt.
Der Schlüssel zum Erfolg bestand darin, ein ausführbares Modell aus einem visuellen Framework zu erstellen, das bereits gut getestet und bewährt war. Dies veranlasste zahlreiche Unternehmen, eine Prozess-Engine zu entwickeln, die BPMN-Modelle übernehmen und direkt ausführen kann. Nun sind Process Analysts und Software Engineers in der Lage, beim Design gemeinsam an derselben Notation zu arbeiten – ein gewaltiger Schritt nach vorne. DevOps- und Support-Engineers verfügen jetzt über Tools, die BPMN integrieren können, wodurch es viel einfacher wird, den aktuellen Zustand eines Prozesses zu erfassen und Änderungen vorzunehmen.

Zudem kann BPMN nicht nur ein laufendes System aufrechterhalten, sondern auch iterative Verbesserungen erleichtern. Wenn Prozessentwickler:innen wissen möchten, ob das, was sie gebaut haben, so effizient läuft wie angenommen, müssen sie lediglich nachsehen. Genau der Prozess, der entworfen und bereitgestellt wurde, spielt nun eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Verbesserungen vorzuschlagen und zu bewerten.

Ereignisvielfalt

Die grundlegende Prozessmodellierung und -automatisierung besteht aus Aufgaben. Einen Microservice oder ein Skript ausführen oder einen Menschen einbeziehen — all das ist in BPMN und sogar in einigen Alternativen möglich. Aber die Möglichkeit, "grundlegende Prozesse" zu entwerfen und auszuführen, ist keine allzu hohe Messlatte. Unternehmen, die ihre Kernprozesse automatisieren möchten, wollen zumeist keine Kompromisse bei den Tools dafür eingehen. Sie möchten lieber ihre bevorzugten Tools zur Automatisierung der Dokumentenverarbeitung, des CRMs, der Back-Office-Funktionen und mehr einsetzen. Sie wollen auch die Freiheit haben, Automatisierungstools zu ersetzen, wenn es technisch oder geschäftlich erforderlich ist. 

Ein Beispiel, auf das es sich lohnt, näher einzugehen, sind BPMN-Ereignisse. Die Vielfältigkeit und Flexibilität dieser Ereignisse zeichnen sich durch den gesamten Standard ab.

Es gibt viele verschiedene Ereignisse in BPMN. Sehen wir uns die an, die am häufigsten vorkommen, und warum sie eine wichtige Grundlage für den Erfolg bieten. 

Nachrichtenereignisse
Dies ist die häufigste Art der Kommunikation zwischen zwei Prozessen. Ein ausgelöstes Nachrichtenereignis wird immer an eine externe Quelle gesendet (d. h., es verlässt den aktuellen Prozess) und hat stets genau einen Empfänger. Das ist eine unkomplizierte und zuverlässige Art der Kommunikation innerhalb einer Prozess-Engine, da die Engine selbst für die Übermittlung der Nachricht verantwortlich ist. Bei der Modellierung des Prozesses muss lediglich ein Nachrichtenname und Zuordnungsschlüssel festgelegt werden. 

Beispiel: Ein Bestellprozess sendet eine Nachricht an einen Beschaffungsprozess und fährt wieder fort, wenn die Beschaffung abgeschlossen ist.

Timer-Ereignisse
Viele Prozesse starten zu einem festgelegten Datum oder müssen eine bestimmte Zeitspanne abwarten. Dem Timer-Ereignis muss nur mitgeteilt werden, wann der Prozess gestartet bzw. wie lange gewartet werden muss. Die Prozess-Engine kümmert sich um das Warten bzw. Fortfahren. 

Beispiel: Es soll bis zwei Wochen vor einem Ablaufdatum gewartet werden, bevor ein Verlängerungsantrag gestellt wird

Signal-Ereignisse
Ähnlich wie Nachrichtenereignisse mit dem folgenden Unterschied: Sie sind ein Broadcast, der potenziell null bis x Empfänger erreicht. Sie sind äußerst nützlich, da sie alle Prozessinstanzen und Prozessdefinitionen umfassen können. So wird sichergestellt, dass jedweder "Zuhörer" das Signal empfangen kann. 

Beispiel: Abbruch aller Prozesse im Zusammenhang mit bestimmten Kund:innen, nachdem diese abgelehnt wurden.

Fehlerereignis
Dieses oft missverstandene Symbol deckt eine häufig auftretende Grauzone in der Prozessgestaltung ab. Es tritt ein Problem auf, aufgrund dessen der Prozess nicht wie geplant fortgesetzt werden kann, aber es liegt kein technischer Fehler vor. Stattdessen handelt es sich um einen Fehler, der behoben werden kann. Anschließend kann der Prozess auf einem anderen Weg fortgeführt werden.

Beispiel: Ein:e Benutzer:in hat eine falsche E-Mail-Adresse eingegeben. Der oder die Benutzer:in muss kontaktiert und gebeten werden, eine andere E-Mail-Adresse einzugeben, bevor der Vorgang wiederholt wird.

Dies sind einige der häufigsten Symbole in BPMN. Nutzer:innen von BPMN, die diese kennen, erhalten einen guten Überblick, wie viele der typischen Herausforderungen bei Prozessen gelöst werden können. Wie praktisch BPMN ist, wird deutlich, wenn man sich die Synergien ansieht, die diese Symbole mit dem Rest des Standards bilden.

Synergistische Symbole

Zum Erlernen von BPMN gehört jedoch mehr, als nur BPMN-Symbole zu kennen. Es ist ähnlich wie beim Schreibenlernen. Zu wissen, wie die einzelnen Buchstaben klingen, nützt nicht viel, wenn man einen Satz zu bilden versucht. Um das Beste aus BPMN herauszuholen, muss man wissen, wie die Symbole kombiniert werden und zusammenwirken, sodass leistungsfähige Entwurfsmuster und -strukturen erstellt werden können. Doch wie lassen sich die Symbole zu Mustern kombinieren?

Nachrichtenereignis
Natürlich kann gewartet werden, bis eine Nachricht zu einem bestimmten Zeitpunkt im Prozess auftritt. Diese kann aber auch an eine Aufgabe angehängt werden, sodass eine Nachricht nur dann ausgelöst wird, wenn die Aufgabe noch aktiv ist und parallel zur Arbeit an der Aufgabe auf den Eingang der Nachricht wartet.

Zeitereignis
Doch was, wenn es einen bestimmten Zeitrahmen für einen Prozess gibt, der eine rasche Ausführung erfordert? Bei BPMN lassen sich Aufgaben in einen Teilprozess verpacken und ein nicht unterbrechendes Zeitereignis verwenden, um einen Warnhinweis zu senden, kurz bevor ein Service-Level-Agreement (SLA) nicht eingehalten wird. Die Komplexität, die mit dem Erstellen dieses relativ einfachen Musters verbunden ist, ist einen genauen Blick wert, denn dabei wird deutlich, warum dieses Muster bei Alternativen oft nicht vorhanden ist. Das sind die Anforderungen: 

  1. Es muss eine gewisse Zeit lang parallel zur Ausführung anderer Aufgaben gewartet werden.
  2. Das Auslösen des Timers sollte die parallel laufenden Aufgaben nicht beeinträchtigen. 
  3. Der Timer muss den Gültigkeitsbereich verstehen, damit er sich in Übereinstimmung mit der Aufgabe, für die er zuständig ist, aktiviert und deaktiviert.

Die Umsetzung ist für eine Prozess-Engine keine leichte Aufgabe. Eine BPMN-Engine muss jedoch nur die einzelnen Symbole und deren Kombination verstehen. Die Engine ist nicht darauf ausgerichtet, das Muster an sich zu verstehen, sondern nur, wie BPMN funktioniert.

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Fehlerereignisse
In Kombination mit einem Ereignis-Teilprozess ist es möglich, auf globaler Ebene alle Fehler, die in einem Prozess auftreten könnten, abzufangen. Dies ist natürlich nicht auf Fehlerereignisse beschränkt. Mit dem "Global Catch"-Muster in BPMN können Gültigkeitsbereiche der gesamten Prozessinstanz genutzt und entschieden werden, auf welche Ereignisse eine Instanz warten soll.

Dies ist natürlich nur die Spitze des Eisbergs: In BPMN sind viele verschiedene Bausteine vorhanden, die zusammen mehr ergeben als die Summe ihrer Teile. Dieses Konzept wird von Unternehmen, die versuchen, ihre eigenen Alternativlösungen zu entwickeln, stets übersehen.

Die Community & der Standard

Neben den Features und Konzepten, die BPMN auszeichnen, stellt die Community ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dar. Sie hält BPMN am Leben. BPMN wird vielfach eingesetzt, um Prozesse zu modellieren und auszuführen, weil es sehr zugänglich ist. Menschen können kostenlos lernen, wie man modelliert (durch Bücher, Blogs und Tutorial-Videos). Es stehen unzählige Modellierungs-Tools zur Verfügung und es lässt sich sogar auswählen, welche Engine einen Prozess am Ende ausführt. Zudem kann auf eine große Community zurückgegriffen werden, wenn Hilfe bei der Erstellung einer Lösung benötigt wird (so auch im Camunda Forum [1], dort finden Sie auch mich). 

Aber es gibt nicht nur eine Endanwender:innen-Community. Anbieter von BPMN-Tools haben auch eine großartige Community. In der OMG's Model Interchange Working Group [2] geht es darum, wie der Standard positiv weiterentwickelt werden kann und wie sichergestellt wird, dass er in den verschiedenen Tools konsistent und interkompatibel unterstützt wird.

BPMN: Goldstandard im Prozessmanagement 

Anstatt zu fragen, warum BPMN immer noch verwendet wird, sollte man sich fragen, warum BPMN nicht eingesetzt werden sollte. Bisher gibt es keine bessere Notation. Einige Anbieter von Orchestrierungslösungen haben keine Visualisierung, andere wollen offensichtlich den Wettbewerb vermeiden, der mit der Migration von einem BPMN-Tool zu einem anderen verbunden ist.
Daher sollten Anwender:innen sich vor der Entscheidung für eine andere Lösung fragen: Welches System ist wirklich besser als BPMN – oder ist BPMN vielleicht doch die beste Option?

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