Kathleen Britten und Andrew Booth
Eine Frau, ein Mann, ein Team
Sie forschten und entwickelten zusammen und teilten ihr Leben auch privat. Während in den 1940ern John von Neumann, John Presper Eckert und John William Mauchly in den USA und Konrad Zuse in Deutschland die Computerentwicklung voranbrachten, waren die Namen von Andrew und Kathleen Booth (geb. Britten) eng mit der Rechnerentwicklung in Großbritannien verbunden. Sie war ursprünglich seine Assistentin, er heiratete sie 1950.
Kristallographie, Strukturtests und die Mathematik

Schaut man in die Biographien von Kathleen und Andrew Booth, fallen recht schnell Parallelen auf. Beide studierten Mathematik und konnten auf einen Doktortitel verweisen – Kathleen in Mathematik und Andrew aufgrund seiner Forschungen in der Kristallographie von Sprengstoffen. Damit beschäftigte er sich während des Zweiten Weltkrieges als mathematischer Physiker bei der British Rubber Producers‘ Research Association (BRPRA). Wegen der langwierigen Berechnungen zu Röntgenkristallstrukturen begann er sich mit der Entwicklung automatischer Rechenmaschinen zu befassen.
Für Kathleen wurde der Krieg in gewisser Hinsicht zum Sprungbrett für ihre Arbeit als Wissenschaftlerin. Denn Frauen wurden nun auch als wissenschaftliche Fachkräfte eingestellt. Sie befasste sich am Royal Aircraft Establishment mit Strukturtests an Materialien, die Verwendung im Flugzeugbau fanden. 1946 veröffentlichte sie einen Bericht zu ihrer Arbeit – "Compression Tests on Dural-Celluboard Sandwich Panels". Das Birkbeck College sollte viele Jahre für Kathleen und Andrew Booth die gemeinsame Wirkungsstätte werden.
Kleines Team – großartige Leistungen
Nach dem Krieg lernte Andrew Booth über einen Kollegen die Arbeit von Alan Turing und John von Neumann kennen, die sich mit der Entwicklung logischer Automaten beschäftigten. Und so wandte er sich von der britischen Gummi-Industrie ab, blieb mit dem Direktor der BRPRA jedoch freundschaftlich verbunden. Dieser sorgte später für finanzielle Unterstützung von Booth’ ersten Rechnerfertigungen.
Booth beschäftigte sich nun mit der Entwicklung von logischen Schaltkreisen für digitale binäre Rechenwerke und begann seine Arbeit am Birkbeck College London. Die Entwicklung eines Computers wurde mit einem sehr kleinen Team gestartet, das genau drei Personen umfasste – ihn selbst und zwei Assistentinnen. Eine davon war Kathleen Britten. Da die Gelder für das Projekt knapp waren, entschloss er sich, selbst einen kompakten Speicher zu entwerfen – den weltweit ersten rotierenden Trommelspeicher – dessen Prototyp heute im Londoner Science Museum zu besichtigen ist. Doch ohne Miss Britten und ihre Kollegin Xenia Sweeting wäre das Projekt nicht so erfolgreich gelaufen, denn die beiden kümmerten sich um die Entwicklung der Schaltpläne und Software für den Computer, Andrew Booth um die Hardware. Und so entstand der Automatic Relay Computer (ARC).
1947 hatte Britten das Glück, gemeinsam mit ihrem Chef eine Reise nach Princeton, USA anzutreten. Finanziert über ein Stipendium begleiteten sie mehrere Monate lang die Arbeit des Forschungsteams um von Neumann am Institute for Advanced Study.
Nach ihrer Rückkehr in die Heimat entwickelten Britten und Booth den ARC weiter – unter Einbeziehung der Von-Neumann-Architektur. Booth hielt jedoch an seinem Konzept der Arbeit mit Magnettrommelspeichern fest, welche in einer von seinem Vater und ihm gegründeten Firma produziert wurden. Kathleen Britten widmete sich der Entwicklung einer neuen Art der Programmierung. Sie erfand eine der ersten Assemblersprachen, und zwar die für den ARC. Der Begriff "Assembler" bezeichnet einerseits eine Programmiersprache, andererseits auch die Übersetzung in Maschinencode. Das bedeutete in der Praxis, Kathleen Britten beschrieb ein Assemblerprogramm, welches als Textdatei abgespeichert wurde. Da diese Datei noch nicht vom Rechner selbst umsetzbar war, fungierte der Assembler als Übersetzer in ein binäres Maschinenprogramm. Dabei war die Assemblersprache eng an die Rechnerarchitektur gebunden, also auf andere Computerarchitekturen nicht einfach übertragbar. Gemeinsam mit Andrew Booth beschrieb Britten dies 1948 in "Coding for ARC". Später folgten weitere Computerentwicklungen: der Prototyp des SEC (Simple Electronic Computer) und der APEC (All Purpose Electronic Computer), welcher zur ersten Generation der vollelektronischen Rechner gehörte und bereits mit einer 32-Bit-Präzision aufwarten konnte. Auch hier hielt Booth am Trommelspeicher fest.
Kathleen Britten, seit 1950 Mrs Booth, beschrieb auch für diese Computer die Assemblersprachen. Sie testete die Elektronik und überprüfte den ordnungsgemäßen Ablauf der Programme. Der Booth-Multiplier oder auch Booth-Algorithmus, heute noch in Pentium-Prozessoren von Personalcomputern verwendet, ist ebenso Ergebnis der Forschungen von Andrew und Kathleen Booth zur Erhöhung der Computerleistungen.
Aufbruch zu neuen Forschungsfeldern
Am Birkbeck Institute war Kathleen Booth bis zum Jahr der Auswanderung nach Kanada in der Lehre und als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig, doch ihre Interessen gingen dabei auch eigene Wege und sie trat damit endgültig aus dem Schatten ihres Mannes heraus. Sie wandte sich der Forschung hinsichtlich natürlicher Sprachen und deren maschineller Verarbeitung zu – und in den 1990er Jahren der Thematik "Neuronale Netze". Damit war sie ihrer Zeit weit voraus, stehen eben diese neuronalen Netze heute im Mittelpunkt der KI-Entwicklungen. Ihr Mann sorgte mit der Gründung des Electronic Computation Research Laboratory am Birkbeck Institut dafür, dass erstmals an einer Universität eine Abteilung entstand, die sich der Informatik-Lehre zuwandte und Studiengänge in Informatik anbot. Booth leitete von 1955-1962 die daraus entstandene Abteilung "Numerische Automatisierung" und seine Frau gab hier Programmierkurse. Ebenso bemerkenswert: Mit ihrem 1958 veröffentlichten Werk "Programming for an automatic digital calculator" schrieb sie eines der ersten Bücher über Programmierung überhaupt.
Andrew Booth sah sich in seinem weiteren Streben in Großbritannien nach eigenen Angaben eingeengt von "Kleingeistigkeit" und "sozialistischer Mittelmäßigkeit", eine Professur wurde ihm verweigert, weshalb er sich 1962 gemeinsam mit Kathleen Booth entschied, nach Kanada auszuwandern [1]. Dort wirkten beide an der University of Saskatchewan und entwickelten den M3-Computer, welcher ein Jahrzehnt lang an der Universität genutzt wurde. An der Lakehead University in Ontario war Kathleen Booth u. a. bis 1978 als Professorin für Mathematik tätig, ihr Mann wurde 1972 zum Präsidenten der akademischen Stätte ernannt. Dort gelang es ihm, ein Angebot für besonders begabte Jugendliche auf die Beine zu stellen. Sein "Bright Kids"-Programm bot kostenlose Kurse an der Universität an, die bei erfolgreichem Bestehen auf die Uni-Zulassung angerechnet wurden. Auch die beiden Kinder der Booth’ absolvierten diesen Kurs sehr erfolgreich.
Kathleen und Andrew Booth veröffentlichten zahlreiche wissenschaftliche Werke und zusammen mit Sohn Ian verfasste Kathleen das Buch "Using neural nets to identify marine mammals", welches 1993 erschien. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits 71 Jahre alt!
Im Ruhestand fand das Ehepaar mehr Zeit für die Natur und wanderte gern. Kathleen wandte sich der Gartenarbeit zu und es wird erzählt, dass sie eine begeisterte Gemüsebäuerin gewesen sei [2]. Sie wurde 100 Jahre alt und war bis zuletzt sehr interessiert an der weiteren Computerentwicklung, nutzte sogar noch mit 98 Jahren ein iPad zum Notieren ihrer Erinnerungen. Ihr Mann starb bereits 2009 mit 91 Jahren.
Wertschätzungen
Kathleen Booth’ Leistungen fanden anfangs oft keine Erwähnung in Veröffentlichungen. Meist war nur Andrew Booth’ Name im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Rechner in Großbritannien zu lesen. Glücklicherweise änderte sich dies – und die Wissenschaftlerin steht in einer Reihe mit Frauen, die als Computerpioniere in die IT-Geschichte eingegangen sind. Einige davon sind bereits in dieser Serie vorgestellt worden.
2017 wurde Kathleen Booth’ Name gemeinsam mit denen anderer Frauen genannt, die vom
Centre for Computing History in Cambridge beim Computing Festival vorgestellt wurden. Das Event trug den bezeichnenden Titel "Where did all the women go?" Und das Birkbeck Institute würdigt Kathleen Booth’ Leistungen durch ein Kathleen-Booth-PhD-Stipendium in Informatik.
Schon zu Lebzeiten wurde den Leistungen ihres Mannes weitaus mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Er war u. a. Forschungsleiter am Birkbeck College, erhielt dort allerdings nie eine Professur – ein triftiger Grund für seine Auswanderung nach Kanada, wo er sofort mehrere Angebote für Lehrstühle erhielt. In seiner zweiten Heimat war er einer der ersten, denen die Centennial Medal für wertvolle Verdienste für Kanada verliehen wurde. Außerdem war er Vorstandsmitglied des National Research Council of Canada.