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Prof. Dr. Ruth Breu 25. September 2018

Agile Digitale Transformation – Instrumente für die effektive Steuerung von Digitalisierungsvorhaben

Ist die Digitalisierung inzwischen in der mittelständischen Praxis angekommen? Von den großen Beratungshäusern kürzlich durchgeführte Umfragen deuten darauf hin, dass sich die Mehrheit mittelständischer Unternehmen auf den digitalen Weg gemacht hat. Auf der anderen Seite sehen sich gerade diese Firmen großen Herausforderungen ausgesetzt, digitale Transformationsinitiativen zu planen und zu steuern. Zu mannigfaltig sind die Konzepte und Technologien – von Internet of Things über Big Data bis zur Cloud, zu unklar sind die Auswirkungen auf das eigene Geschäft und die damit verbundenen Risiken, z. B. in Hinsicht auf Datensicherheit und Datenschutz. 

Einen Weg durch den digitalen Dschungel bieten Konzepte und Methoden der Agilität. Sie stellen das Umgehen mit Veränderung ins Zentrum. Agile Methoden unterstützen ein schrittweises Vorgehen und beziehen dabei verschiedene Sichtweisen und Akteure mit ein. Ein agiler Ansatz sieht eine Abfolge von Entscheidungspunkten vor, sowie das Umgehen mit kontinuierlich bewerteten und adaptierten Zielen ("Moving Targets"). 

Im Folgenden wird kurz der Kontext gesetzt und auf die Herkunft agiler Prinzipien und Methoden eingegangen. Danach werden fünf Instrumente agiler digitaler Transformation vorgestellt.

Digitale Transformation und das Agile Manifest

Obwohl derzeit noch keine akzeptierte Definition Digitaler Transformation existiert, sind es doch immer zwei Aspekte, die eng zusammenspielen – die Veränderung von Geschäftsmodellen und die Verbesserung von Geschäftsprozessen auf der einen Seite, und der durchdringende Einsatz von IT-Technologien auf der anderen. Digitale Transformationen sind damit keine IT-Projekte, sondern Unternehmenstransformationen. Ihre erfolgreiche Gestaltung bedarf der engen Kooperation vieler Stakeholder, aus Sicht der Unternehmen, der Technologien und der Mitarbeiter. 

Agile Methoden stammen aus der Softwareentwicklung und sind damit nicht direkt auf digitale Transformationsvorhaben anwendbar. Es lohnt sich aber ein Blick auf sie, da sie ebenfalls für Kontexte mit unklaren, sich verändernden Zielen und Anforderungen entwickelt wurden.

Die ersten agilen Methoden, allen voran Extreme Programming, waren Anfang der 2000er Jahre eine Reaktion auf ein zunehmend prozessorientiertes Denken in der Softwareentwicklung. Das agile Manifest von 2001 formuliert vier zentrale agile Werte. Diese Werte stellten zu diesem Zeitpunkt einen provokanten neuen Ansatz dar, der in der Zwischenzeit jedoch längst den Weg in die breite Praxis der Softwareentwicklung gefunden hat. Auf den Kontext digitaler Transformation übertragen, lauten die Prinzipien der Agilität etwa wie folgt:

  • Verbesserungen aus Geschäftssicht zählen mehr als der Einsatz von Technologien.

  • Reagieren auf Veränderung zählt mehr als das Befolgen eines Plans.
  • Individuen und Interaktionen zählen mehr als Prozesse.
  • Ein realisiertes Projekt zählt mehr als ein Konzept.

Agile digitale Transformation bedeutet also die Steuerung durch geschäftliche Ziele – nicht der Data Lake, die vernetzte Produktionsanlage oder die Blockchain stehen im Zentrum, sondern der neue Service für den Kunden, die verkürzte Abwicklung des Bestellprozesses oder die Möglichkeit, Geschäftspartner effizient in Prozesse einzubinden. Auf der Umsetzungsseite bedeutet agile Transformation ein schrittweises Vorgehen, unter laufender Beobachtung der Auswirkungen und flexiblem Reagieren darauf. Zur Umsetzung agiler Prinzipien sind die folgenden fünf, eng miteinander verwobenen Instrumente von zentraler Bedeutung (vgl. Abb. 1).

Business Stories sind aus Sicht des Geschäfts formulierte Ziele für die Transformation. Business Stories sind die Treiber des Digitalisierungsvorhabens und die Eckpfeiler für die Bewertung der Ergebnisse. Business Stories werden schrittweise in (Produkt- und Service-)Inkremente umgesetzt. Jedes Inkrement ist damit ein IT-Projekt. Im Kontext der Inkremente werden die Business Stories konkretisiert und nach Abschluss bewertet. Die Clear View ist eine übergeordnete Planungssicht, die den aktuellen Stand des Digitalisierungsvorhabens aus Sicht von Geschäft und IT widerspiegelt und Basis für Anpassungen für Business Stories und Inkrement-Planung ist. Risk Flow nimmt ebenfalls eine übergreifende Sicht ein, die sich auf das dynamische Erkennen und Behandeln von IT-Risiken fokussiert. Die Betrachtung von Aspekten, die aus IT-Sicherheit, Datenschutz und Compliance resultieren, wird damit eng in das Digitalisierungsvorhaben integriert. Das fünfte Instrument, Skilled Staff, beschäftigt sich mit den vielfältigen Auswirkungen des Digitalisierungsvorhabens auf die Mitarbeiter und setzt in diesem Bereich Maßnahmen.

Im Folgenden wollen wir uns die fünf Instrumente und ihre Querbeziehungen näher betrachten.

Business Stories – Die Ziele aus Sicht des Geschäfts

Oft wird übersehen, dass die uns allen bekannten, überaus erfolgreichen digitalen Vorreiter nicht von der Technologie her denken, sondern sehr stringent von den Kunden und den Geschäftszielen her. Digitale Geschäftsmodelle bauen auf der Durchdringung von Prozessen mit IT, der geschäftlichen Verwertung von Daten, der Bündelung von Dienstleistungen auf Plattformen und Nutzen neuer Kanäle zu den Kunden auf. Für die Steuerung von Digitalisierungsvorhaben im Unternehmen bedeutet dies, Ziele aus Geschäftssicht heraus zu entwickeln. Nützlich ist hierbei eine Rundumsicht. Kunde, Geschäftspartner und Mitarbeiter sind die traditionellen Orientierungspunkte bzw. Akteure einer solchen Rundumsicht. Hinzu kommt in der digitalen Welt als viertes Element das "Ding", also Assets, die im Geschäft des Unternehmens eine bedeutende Rolle einnehmen und Teil von Prozessen sind, z. B. Maschinen, Produkte oder Fahrzeuge. Im digitalen Unternehmen geht es darum, diese vier Akteure durch IT-Technologie so miteinander zu verbinden, dass sie ihre Aufgaben und Rollen in informierter, vorausschauender, hochautomatisierter, koordinierter, flexibler und situationsbezogener Art und Weise erfüllen können. 

Ergebnis einer agilen Geschäftsanalyse sind Business Stories – Ziele und digitale Lösungsansätze, die aus Geschäftssicht formuliert sind und als deren Treiber sich das Management versteht. Natürlich ist das Identifizieren und Reihen dieser Ziele keine leichte Aufgabe. Für die Ideenfindung und die Standortbestimmung haben sich in den letzten Jahren unterschiedliche Vorgehensweisen gebildet, etwa interne Innovationsprozesse, Organisation von Hackathons oder die Verwendung von Industrie 4.0-Maturity-Modellen. Eine Methodik, die sehr systematisch durchgeführt werden kann und sich mit agilen Konzepten sehr gut verträgt, ist das Value Proposition Design. Value Proposition Design kommt aus dem Start-up-Bereich und stellt den Kunden ins Zentrum. Im Wesentlichen werden in dieser Methode zwei Sichtweisen gegenübergestellt und in Einklang miteinander gebracht: Diejenige des Kunden mit seinen Aufgaben, Pains (Problemen) und Gains (Gewinnen), und auf der anderen Seite das Wertangebot des eigenen Unternehmens mit seinen Problemlösern und Gewinnbringern. Value Proposition Design ist mit verschiedenen Workshop-Techniken und Bewertungen verbunden, mit deren Hilfe die Verantwortlichen aus Geschäft und Technologie gewichtete Wertangebote erarbeiten können.

Beispiele für Business Stories, die Ergebnis dieses Prozesses sein können, sind: "Durch Monitoring unseres Produkts beim Kunden beträgt die Downtime höchstens x Tage", "Unser Kunde kann bei Bestellung unseres Produkts Eigenschaften X&Y online personalisieren" oder "Die Dauer unseres Auftragsprozesses soll im Durchschnitt um x Prozent verkürzt werden". Business Stories stellen also aus dem Projektmanagement bekannte SMARTe Ziele (S=spezifisch, M=messbar, A=angemessen, R=erreichbar, T=terminiert) dar. Sie dienen sowohl dazu, den Mitarbeitern eine Vision und eine Leitlinie zu geben, als auch die Ergebnisse eines Digitalisierungsvorhabens messbar zu machen. Ein wichtiger Teil von Business Stories ist deshalb eine Bewertung der Relevanz aus Sicht des Geschäfts, sowie Fit Criteria – Indikatoren und Maßzahlen, mit denen die Zielerfüllung von Business Stories überprüft werden kann, nach Möglichkeit in quantitativer Weise.

Produkt- und Service-Inkremente – die agile IT-Umsetzung

Die Umsetzung von Business Stories erfolgt in agil durchgeführten IT-Projekten. Bei der Inkrement-Planung werden die Business Stories auf Basis der aktuellen – durch die Clear View dargestellte – Situation in einzelne, parallele oder einander folgende IT-Projekte heruntergebrochen. Relevanz und Fit Criteria der Business Stories werden dabei in Zielvorgaben der IT-Projekte übersetzt und diese unter Verwendung agiler Softwareentwicklungsmethoden durchgeführt. 

Eine typische Abfolge solcher IT-Projekte ist der Proof-of-Concept, das Pilotprojekt und die Produktentwicklung. Als Beispiel sehen wir uns die Business Story "Durch Monitoring unseres Produkts beim Kunden beträgt die Downtime höchstens x Tage" an. Wir nehmen an, dass es sich beim Produkt um eine Maschine handelt, die beim Kunden Teil einer Produktionsanlage ist, und das Monitoring durch Sensorbestückung der Maschine und Predictive-Maintenance-Konzepte realisiert werden soll. Gegenstand eines ersten Projekts ist die Entwicklung eines Proof-of-Concepts. Dieser beinhaltet typischerweise die Datensammlung von den Sensoren, sowie die Entwicklung der Algorithmen zur Vorhersage technischen Verschleißes. Die Bewertung des dabei entstehenden Prototypen fokussiert sich auf die Präzision der Algorithmen, um die Machbarkeit zu prüfen und die mit dem Vorhaben verbundenen technischen Risiken zu verringern. 

Ein typisches Folge-Inkrement ist ein Pilotprojekt zusammen mit einem oder mehreren Kunden, in deren Produktionsanlage die sensorbestückte Maschine zumindest im Pilotbetrieb eingesetzt werden kann. Neu hinzukommende Ziele und Anforderungen kommen hierbei den Bereichen Usability, Sicherheit und Datenschutz. Basis dafür ist das Feedback der Pilotkunden sowie im Kontext des Risk Flows durchgeführte Sicherheitsanalyse des Systems. Im Pilotprojekt wird außerdem eine Software-Architektur aufgebaut, die mit der Agilität des Gesamtansatzes vereinbar ist.

Der dritte Schritt wird getrieben durch die Skalierung des Systems auf alle Kunden und die Integration des neuen Systems in die Unternehmensarchitektur. Dies bedeutet auf funktionaler Ebene die Erweiterung von Konfigurationsmöglichkeiten, Schnittstellen und User Interfaces. Einen bestimmenden Faktor nehmen in diesem Schritt die Anforderungen eines Produktkontexts ein. Dies betrifft z. B. die Performanz, Robustheit und Sicherheit des Gesamtsystems, sowie Anforderungen, die aus gesetzlichen Vorgaben und Standards resultieren. Nicht zuletzt spielen dann auch Aspekte des Produktmanagements, des Marketings und des Vertriebs eine zunehmend wichtige Rolle.

Natürlich muss die Umsetzung einer Business Story nicht in genau diesen drei Schritten erfolgen, sie sind lediglich als typische Beispiele eines agilen Vorgehens zu sehen. Wichtig ist, dass jedes Inkrement in Interaktion mit den übrigen vier Instrumenten des agilen Vorgehens durchgeführt wird: Business Stories, Clear View und Risk Flow sind Ausgangspunkt für die Inkrement-Planung, und adaptieren und verändern diese nach Abschluss und Bewertung des Inkrements.

Clear View – die Planungs- und Steuerungssicht

In einem agilen Ansatz wird starres prozessorientiertes Vorgehen ersetzt durch flexibles akteurzentriertes Vorgehen. Zentrales Element ist dabei verlässliches Wissen um die Gesamtsituation. Für die agile digitale Transformation bedeutet dies die Gesamtbewertung von Geschäft und IT im Kontext der Business Stories. 

Grundlage der meisten Methoden des IT-Managements für diese Gesamtsicht ist die sogenannte Unternehmensarchitektur. Diese gliedert die Gesamtsicht in drei Ebenen: Die Ebene des Geschäfts, die z. B. Geschäftsprozesse oder Geschäftsobjekte betrachtet, die Ebene der Anwendungen, die z. B. traditionelle Anwendungen wie ERP-Systeme, aber auch Big Data oder mobile Services umfasst, sowie die Ebene der IT-Infrastruktur, die neben der klassischen Rechenzentrums-Infrastruktur (Server, Netzwerke) zunehmend auch den physischen Anteil von cyber-physischen Systemen (vernetzte Produktionsanlagen, medizinische Geräte, Energieversorgungsinfrastruktur etc.) beinhaltet. 

Das Rückgrat der Planungs- und Steuerungssicht bildet das Modell der Unternehmensarchitektur (Enterprise-Architektur-Modell). Dieses Modell bildet nicht nur die Elemente der einzelnen Ebenen ab, sondern auch deren Abhängigkeiten, beispielsweise welche Anwendungen welche Geschäftsprozesse unterstützen und auf welchen IT-Infrastruktur-Elementen laufen. Da die Elemente des Enterprise-Architektur-Modells mit Zielen, Zuständen und Kennzahlen versehen werden können, können im Enterprise-Architektur-Modell alle Instrumente der agilen Transformation zusammengeführt werden. 

Beispielsweise können Business Stories zusammen mit ihrer Bewertung hinsichtlich Relevanz und Zielerreichung innerhalb der Geschäftsebene abgebildet werden, die Inkremente finden ihre Abbildung in der Anwendungs- und IT-Infrastrukturebene. Abb. 2 zeigt schematisch in Planung befindliche Elemente im Rahmen einer Transformation in die Cloud (Modell auf der linken Seite) und Abb. 3 zeigt ein Dashboard, das die mit den Elementen im Modell verbundenen Maßzahlen und Zustände visualisiert. 

Erfahrungen aus dem Enterprise-Architecture-Management zeigen, dass es starke Abhängigkeiten zwischen den Planungs- und Steuerungsaufgaben und Anforderungen an die Granularität und Aktualität des Enterprise-Architektur-Modells gibt. Beispielsweise erfordert die Transformation einer IT-Infrastruktur in die Cloud eine wesentlich feingranularere Abbildung der IT-Infrastrukturebene als die Entwicklung eines Empfehlungssystems für einen Webshop. Insofern ist auch die Entwicklung des Enterprise-Architektur-Modells unter Gesichtspunkten der Agilität zu betrachten.

Im Kontext der Verknüpfung von Elementen der Enterprise-Architektur mit Indikatoren und Maßzahlen erfährt auch das Konzept SMARTer Ziele eine neue Interpretation: SMARTe Ziele von Business Stories und Inkrementen können als Attribute von Elementen der Enterprise-Architektur aufgefasst werden und aus externen Datenquellen (z. B. Geschäftsdaten, IT-Betriebsumgebung) direkt in das Enterprise-Architektur-Modell eingespielt werden. Beispiel dafür ist wieder eine Business Story von oben, "Verkürzung des Auftragsprozesses", bei der der Auftragsprozess (Element des Enterprise-Architektur-Modells) mit der durchschnittlichen Dauer von tatsächlich abgewickelten Aufträgen (aus dem ERP-System) verknüpft werden kann. Elemente der Anwendungsebene können mit dem Verlauf der Nutzerzahlen, der Nutzungsdauer, der Downtime und vielem mehr verbunden werden. Durch diese Kopplung von "Realität" (Geschäftsdaten, Betriebsdaten) und Modell entsteht eine lebendige Zusammenschau von Geschäfts- und IT-Sicht als Unterstützung für die Planungsaufgaben der digitalen Transformation.

Risk Flow – Dynamisches Behandeln von Risiken

Aspekte der Sicherheit, des Datenschutzes und der Compliance sind heute keine Anhängsel mehr, sondern wichtige Faktoren für den Erfolg digitaler Transformationsvorhaben. Die Gesamtsicht über IT-Risiken und deren Behandlung muss deshalb als ebenbürtiges Instrument in einem agilen Ansatz für die digitale Transformation behandelt werden. 

Der Begriff des Risikos ist mit zwei Komponenten verbunden, die Auswirkung (Impact) und die Wahrscheinlichkeit (Probability). Diese spiegeln die grundsätzlichen zwei Seiten digitaler Transformation – die geschäftliche und die technologische Seite – wider: Während die Einschätzung der Auswirkung eines Schadens vor allem eine geschäftliche oder fachliche Sichtweise erfordert, ist die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit für einen Schadensfall, unabhängig davon, ob aus einem Angriffsszenario oder einem technischen Versagen heraus, primär mit der Bewertung der technologischen Umsetzung verbunden. 

Wieder kann die Enterprise-Architektur dazu dienen, diese zwei Sichtweisen zusammenzuführen. In diesem Vorgehen werden die Elemente des Enterprise-Architektur-Modells mit Risiken und Anforderungen aus Sicherheit und Datenschutzssicht verknüpft (vgl. Abb. 4). Die daraus resultierende Gesamtschau bildet eine geeignete Basis für die anderen Instrumente der agilen Transformation: Beispielsweise können daraus unterschiedliche Anforderungen an die Inkremente zur Umsetzung von Business Stories abgeleitet werden. Ebenso können die Security- und Datenschutzanforderungen der eigenen Organisation auf Anforderungen an Service-Provider abgebildet werden.

Insbesondere Anforderungen an die Informationssicherheit sind mit einer hohen Dynamik verbunden. Risiken aus Sicht der Security können sich mit dem Auftreten neuer Bedrohungen rasch ändern und die sofortige Umsetzung von Maßnahmen erfordern. Insofern sind IT-Risiken im Allgemeinen einem höherfrequenten Lebenszyklus unterworfen als die Anforderungen, die z. B. aus der Umsetzung der Business Stories resultieren.   

Anforderungen aus Sicht der Compliance überschneiden sich oft mit Anforderungen aus Sicherheit und Datenschutz. Aus Gründen der Effizienz ist das Sichtbarmachen dieser Überschneidungen ratsam – einzelne Anforderungen müssen dann nicht mehrfach überprüft werden. Wieder kann das Enterprise-Architektur-Modell als Nukleus für die Zusammenführung der einzelnen Sichtweisen dienen. Spezifisch für die Compliance ist die Nachweisbarkeit, d. h. das Dokumentieren von Verweisketten von Risiken, Anforderungen und getroffenen Maßnahmen. Auch hier können die Abhängigkeiten des Enterprise-Architektur-Modells zwischen den Ebenen des Geschäfts, der Anwendungen und der IT-Infrastruktur die Basis bilden.

Skilled Staff – Fokus auf die Mitarbeiter

Die Auswirkung digitaler Transformationen auf die Mitarbeiter ist Punkt vieler öffentlicher Diskussionen. Auch wenn ein tiefgreifendes digitales Transformationsvorhaben mit manch harter Entscheidung in Richtung der Mitarbeiter verbunden sein wird, wird der Hauptfokus doch in der Weiterentwicklung der Expertise bestehender Mitarbeiter, in der Anwendung digitaler Technologien zur Unterstützung der Mitarbeiter und sogar im Aufbau neuer Organisationsstrukturen und Aufgabenbereiche liegen. 

Der Mitarbeiter wurde bereits bei den Business Stories als einer der vier Akteure einer Rundumsicht genannt. Während der Schwerpunkt dabei auf die Einbindung von Mitarbeitern in IT-unterstützte Prozesse lag, betrachtet Skilled Staff die Fähigkeiten der Mitarbeiter. Natürlich gibt es hierbei wieder Wechselwirkungen, da z. B. ein Ausrüsten von Mitarbeitern mit VR-Brillen mit Einspielen von Arbeitsinformationen (Business Story/Inkremente) eine Maßnahme zur Befähigung von Mitarbeitern für ihre Aufgaben sein kann. Ebenso können Anforderungen aus Sicherheit, Datenschutz und Compliance vielfältige Maßnahmen zur Ausbildung von Mitarbeitern nach sich ziehen.

Insgesamt ist es ratsam, alle anderen Instrumente hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Mitarbeiter zu überprüfen. Das Schaffen von Win-win-Situationen – sei es die Teilhabe an der Weiterentwicklung der Firma oder die persönliche Weiterqualifikation – ist als Erfolgsfaktor für die digitale Transformation nicht zu unterschätzen.

Nach der Transformation ist vor der Transformation

Der Begriff der Transformation suggeriert die Terminiertheit einer digitalen Initiative. Aufgrund des raschen Wandels von Geschäftsmodellen und IT-Technologien sollte digitale Transformation allerdings mehr als Einrichten von Strukturen verstanden werden, die permanenten digitalen Wandel unterstützen.

Darüber hinaus sind die beschriebenen fünf Instrumente selbst digitalen Transformationsprozessen unterworfen. Am deutlichsten wird dies wie bereits angedeutet an der Clear View. In den Anfangsphasen der digitalen Transformation ist es oftmals ausreichend, die Unternehmensarchitektur in grobgranulaner Form in Spreadsheets oder Zeichenwerkzeugen manuell zu dokumentieren und zu pflegen. Mit steigendem Digitalisierungsgrad verschieben sich typischerweise immer mehr Planungs- und Qualitätssicherungsmaßnahmen auf die Planungssicht. Diese reichen von der Simulation, der Konsistenzprüfung bis zu Tests, Generierung von Konfigurationen und Schulung von Mitarbeitern. Planungsmodelle werden dann zu einem sogenannten digitalen Zwilling. Ein digitaler Zwilling bildet die Realität auf eine oder mehrere Modellabstraktionen und koppelt diese mit der Realität in hochautomatisierter Weise. Angewandt auf cyber-physische Kontexte entstehen so digitale Zwillinge von Produktionsanlagen, Gebäuden, Produkten und sogar Städten. Seien wir gespannt, wie sich die Digitalisierung der digitalen Transformation weiter entwickeln wird!

Autorin

Prof. Dr. Ruth Breu

Ruth Breu ist Leiterin des Instituts für Informatik an der Universität Innsbruck und seit September 2018 Leiterin der Forschungsgruppe „Digitale Plattformen“ bei Fraunhofer Austria.
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