Teamresilienz in der Praxis
Was ist das Ziel eines Resilienztrainings?
Fahrplan für eine Resilienz-Retro
Phase 1: Setting the Stage
In der Einführung geht es darum, die Idee von Resilienz vorzustellen und einen Einblick zu geben, warum das Thema möglicherweise nützlich sein könnte, um das Team weiter voran zu bringen [1].- Was ist Resilienz?
Eine Möglichkeit zum Einstieg wäre ein Statement auf einem Flipchart: "Nicht die Schwierigkeiten, denen wir gegenüberstehen, sind problematisch, sondern die Art und Weise, wie wir mit Ihnen umgehen."
In ein paar Sätzen kann der Moderator des Meetings diese These erläutern. Eindrucksvoll ist möglicherweise auch eine Demonstration mit einem Spülschwamm, der nach dem Zusammendrücken schnell wieder in die alte Form zurückfindet. Wichtig ist dabei auch der Aspekt, dass Resilienz nicht nur bedeutet, sich schnell zu erholen und in die alte Form zurückzufinden, sondern aus den Belastungen gestärkt hervorzugehen.
- Was bringt‘s dem Team?
Dann könnte der Moderator kurz über den geplanten Nutzen der Retro sprechen: Das Team kann die Resilienzidee einsetzen, um eine Wahrnehmung dafür zu entwickeln, wie die Teammitglieder selbst mit Schwierigkeiten umgehen und welche Form von Resilienz dem Team helfen könnte, dabei immer besser zu werden.
- Vorstellung von Resilienzfaktoren
Um dem Team eine Idee zu geben, was Resilienz alles beinhalten könnte, kann der Moderator des Meetings die sieben gebräuchlichsten Resilienz-Dimensionen [3] als Beispiel vorstellen:
Eine Möglichkeit wäre, je eine Metaplan-Karte mit einer der 7 Dimensionen zu beschriften, eine Karte nach der anderen an die Wand zu kleben und dazu jeweils kurz zu erklären, was damit gemeint ist.- Emotionssteuerung – alle Gefühle (negative wie positive) wahrnehmen können und selbst entscheiden, wie sie mich beeinflussen.
- Impulskontrolle – nicht den ersten Impulsen folgen müssen.
- Kausalanalyse – Erkennen der tieferen Gründe für die Situation und den eigenen Zustand, Ehrlichkeit mit sich selbst.
- Optimismus – innere Überzeugung, dass sich Dinge zum Besseren wenden.
- Selbstwirksamkeitsüberzeugung – Wissen, dass ich durch mein Handeln dazu beitragen kann, die Dinge zum Besseren zu wenden.
- Zielorientierung – ein klares, realistisches Bild der eigenen Ziele haben, darauf zuarbeiten, sie anpassen zu können und sich nicht von Rückschlägen entmutigen zu lassen.
- Empathie – Perspektive wechseln, und sich in andere hineinversetzen können.
Phase 2: Gathering Data
- Nach der Vorstellung diskutiert das Team über einen Resilienzfaktor nach dem anderen. Hier geht es nur darum, die Faktoren für das Team mit Leben zu füllen und diejenigen herauszufinden, die für das Team relevant sind:
- Spielt diese Dimension für unsere Teamresilienz in der aktuellen Situation eine Rolle?
- In welchen konkreten Situationen im Arbeitsalltag kam dieser Resilienzfaktor zum Tragen und wann hat es daran gemangelt?
- Wenn die sieben Dimensionen durchdiskutiert wurden, besteht noch die Möglichkeit zu fragen:
- Was wären Faktoren, die hier nicht aufgeführt wurden, die uns aber auch widerstandsfähiger machen würden?
Phase 3: Generate Insights
Resilienz PokerDer Resilienz Poker ist eine Abwandlung des Scrum- oder Planning-Poker [6]. In der klassischen Form wird diese Schätzmethode verwendet, um den ungefähren Zeitaufwand einer bestimmten Projektarbeit abschätzen zu können. Alle Meinungen im Team werden dadurch gleichermaßen berücksichtigt. Jedes Gruppenmitglied beteiligt sich aktiv an der Schätzung und bringt seine Perspektive ein.
- Benötige Materialien
Am besten nimmt man Pokerkarten mit T-Shirt-Size Werten (XS, S, M, L, XL, XXL), weil damit nicht fälschlicherweise ein relatives Skalenniveau angenommen wird. Man kann aber auch Planning- oder Scrum-Poker-Karten verwenden und den Zahlenwerten die Bedeutung der T-Shirt-Sizes geben (1=XS, 2=S, 3=M, 5=L, 8=XL, 13=XXL).
- Ablauf
Nun wird über jeden einzelnen Resilienzfaktor diskutiert, wie stark oder schwach dieser Faktor im gesamten Team ausgeprägt ist. Wenn genug Argumente ausgetauscht wurden, schätzen alle Teilnehmer den ihrer Meinung nach passenden Wert, indem sie die Karte mit dem entsprechenden Wert verdeckt auf den Tisch legen. Im Anschluss werden die Karten aufgedeckt und verglichen. Stimmen sie nicht überein, begründen die Spieler mit der niedrigsten und höchsten Karte ihre Einschätzungen. Danach gibt es weitere Schätz- und Diskussions-Runden bis ein Konsens über die Bewertung gefunden wird. Achtung! Es gibt bei dieser Schätzung keine Mittelwertbildung. Das gesamte Team muss einen Konsens über den Wert jedes einzelnen Faktors finden.
Die Diskussionen über die einzelnen Resilienzfaktoren sind das wichtigste am Resilienz Poker, denn hierbei kommen die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Projekt, den Projektalltag und das Team hoch und können besprochen werden. Die Teammitglieder erfahren die unterschiedlichen Perspektiven ihrer Kollegen und die Konsensfindung erfordert, sich darauf einzulassen. In diesen Diskussionen kann der komplette Teamalltag aufgearbeitet werden.
- Ergebnis
Das Resultat der Pokerrunde ist eine priorisierte Liste mit den zuvor festgelegten Resilienzfaktoren. Nach dem wichtigen ersten Schritt der Einigung auf die teaminternen Resilienzfaktoren ist diese Diskussion der zweite wichtige Schritt im Resilienztraining des Teams. Nur wenn es gelingt, sich auf eine gemeinsame Sichtweise zu einigen, sind weitere Schritte zur Teamresilienz sinnvoll und zielführend. Wird an diesem Punkt keine gemeinsame Basis entwickelt, ist das ein Hinweis auf grundlegendere Baustellen in der Teamarbeit, die angegangen werden sollten.
Mit dem Resilienzradar kann das Team für sich visualisieren, wie sehr die im Resilienz-Poker gefundenen Faktoren im Projektalltag aktuell ausgeprägt sind.
- Ablauf
Die im Resilienz-Poker ermittelten einstimmigen Werte jedes Resilienzfaktors werden in ein Radarchart eingetragen: Jeder Faktor erhält eine eigene Achse, die mit T-Shirt-Sizes unterteilt wird. Der gefundene Wert des Faktors wird auf seiner Achse eingetragen und die Werte mit einer Linie verbunden (s. Abb.). Je kleiner die entstehende Fläche, desto weniger ausgeprägt sind die Resilienzfaktoren. - Diskussion
Wie schaut der Radarchart genau aus, welche Faktoren sind stark, welche weniger stark ausgeprägt? Wie können wir die auf dem Radarchart entstandene Fläche vergrößern?
Phase 4: Decide What to Do
Jetzt geht es daran, zu entscheiden, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Das Ziel ist, klare und konkrete Vereinbarungen über sinnvolle und realistische Schritte zu treffen, die im nächsten Sprint umgesetzt werden können.- Diskussion
- Was bringt unsere Teamresilienz am wahrscheinlichsten weiter?
- Für welche unserer Resilienzdimensionen wollen wir im kommenden Sprint Maßnahmen in Angriff nehmen?
- Was wären Maßnahmen bzw. Moves [7], die uns dabei unterstützen könnten, die ermittelten Resilienzfaktoren zu trainieren? Ideen oder Inspirationen zu möglichen Moves finden sich in [8, 9, 10, 12].
- Was lässt sich schnell, was lässt sich einfach umsetzen (Quick Wins)? Was braucht mehr Zeit?
- Entscheidungen
Am Ende dieser Phase sollte das Team gemeinsam entschieden haben:- Welche Moves sollen angegangen werden?
- Wer macht mit?
- Wie sollen sie dokumentiert werden?
- Was sollte bis zur nächsten Retro erreicht werden?
Phase 5: Closing the Retrospective
- Beispiel einer ROTI:
- 5 Kreise auf einem Flipchart übereinander malen
- von oben nach unten mit 5 - 1 beschriften
- die Teilnehmer beim Verlassen des Besprechungsraumes bitten, in den entsprechenden Kreis ein Kreuz machen, je nach dem wie gut die Zeit in der Retro nach ihrem persönlichen Gefühl investiert war
- 5 bedeutet „Sehr gut“, 1 bedeutet „sehr schlecht“.
Ideen für weitere Resilienz-Retros
Phase 1: Setting the Stage
Eine Möglichkeit könnte sein, andere Studien zu Teamresilienz und damit andere Resilienzfaktoren vorzustellen, um die Sicht auf Resilienz zu erweitern und neue Ideen und Perspektiven für die teameigene Resilienz zu bekommen (s. [2] [3] [4]). Mittlerweile gibt es auch einige gute Bücher zum Thema Resilienz, die auch viele neue Impulse liefern können (z. B. [14] [15]).Phase 2: Gathering Data
Durch die Diskussionen in der ersten Retro wurde die Wahrnehmung der Teammitglieder für Resilienz und einzelne Resilienzfaktoren geschärft. Erfahrungsgemäß werden diese Faktoren daraufhin in deutlich mehr Situationen beobachtet. Nicht-resilientes Verhalten fällt dadurch viel stärker auf als vorher. Die Teamresilienzfaktoren an möglichst konkreten Beispielen durchzusprechen, ist eine gute Basis, um zu diskutieren, ob die bisherigen Faktoren für das Team die richtigen sind und welche anderen einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Resilienzwahrnehmung leisten könnten.Phase 3: Generate Insights
- Auf der Basis der neuen Erfahrungen können die Teamresilienzfaktoren mit einer neuen Runde Resilienz-Poker im Team neu bewertet werden.
- Dem schließt sich ein weiterer Resilienzradar an. Hier bietet sich ein Vergleich mit dem letzten Resilienzradar an. Wo hat sich die Fläche verändert?
- Ein weiterer Schritt in einer Folgeretro könnte auch sein, eine "Definition von Resilience" – in Anlehnung an die "Definition of Done" aus Scrum – mit dem Team zu erstellen, zu dokumentieren und immer wieder zu ergänzen und zu überarbeiten
Phase 4: Decide What to Do
- In jeder Retro sollten neue Resilienz-Moves beschlossen werden um den Spaß und das Training auf Dauer aufrecht zu erhalten. Möchte das Team mit den bisherigen Moves weiterarbeiten, sollten diese zumindest variiert oder weiterentwickelt werden.
- Beispiele und Anregungen zu Moves finden sich hier: [1] [7] [8] [9] [10] [12].
- Entscheidet das Team beispielsweise, dass es wichtig ist, in einer ehrlichen Analyse die tieferen Gründe für die aktuelle Projektsituation und den spezifischen Zustand des Teams zu erkennen, könnte beispielsweise ein Move wie das Impediment Bingo [12] hilfreich sein.
Phase 5: Closing the Retrospective
Die Literatur zu Retrospektiven ist mittlerweile sehr vielfältig. Gute Ideen für das Closing finden sich beispielsweise im "Retromat" [11].Fazit
Teamresilienz ermöglicht dem Team, Belastungen nicht nur gut zu überstehen, sondern gestärkt daraus hervorzugehen. Was Teamresilienz konkret für ein Team bedeutet, kann es nur selbst und im Konsens herausfinden. Bekannte Resilienzfaktoren können dafür zwar als Ansatzpunkt dienen, entscheidend aber sind die Faktoren, an die das Team glaubt. Diese Faktoren zu ermitteln bedeutet, sich in einem intensiven Teamprozess mit den Belastungen des Teams, der Art, wie damit umgegangen wird und den möglichen Maßnahmen auseinanderzusetzen und gemeinsam zu entscheiden, welche Moves eine substantielle Verbesserung bringen können. Alleine diese Auseinandersetzung unterstützt die Zusammenarbeit und Synchronisation im Team. Als Fundament für gemeinsame Resilienz-Moves ist sie unentbehrlich.Quellen
[1] Informatik Aktuell: W. Brandhuber und S. Kainzbauer: Teamresilienz – das eigentliche Fundament agiler Entwicklung
[2] K. Connor, J. Davidson, 2003: Development of a new Resilience Scale: The Connor-Davidson resilience scale (CD-RISC). Depression and Anxiety 18, 76-82.
[3] K. Reivich, A. Shatté, 2003: The Resilience Factor. Broadway Books, USA
[4] K. K. Leppert, 2008: Die Resilienzskala (RS) - Überprüfung der Langform RS-25 und einer Kurzform RS-13. Klinische Diagnostik und Evaluation.
[5] Retrospektiven
[6] Wikipedia: Planning Poker
[7] Informatik Aktuell: M. Rehberg: Agile Moves in der Praxis
[8] Informatik Aktuell: W. Brandhuber: Agile Moves: Selbstorganisation trainieren durch Augenhöhe
[9] Informatik Aktuell: W. Brandhuber: Agile Moves: Agilität trainieren
[10] Agile Moves Trainingskarten auf Github
[11] Retromat
[12] Impediment Bingo
[13] Informatik Aktuell: J. Andresen: Retrospektiven im Projektmanagement
[14] D. Mourlane, 2015: Resilienz: Die unentdeckte Fähigkeit der wirklich Erfolgreichen
[15] C. Berndt, 2013: Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft