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Sabine Canditt & Hedi Buchner 25. April 2023

Agilität und Nachhaltigkeit im E-Commerce

Die Erfolgsgeschichte von ESchopp

IT-Unternehmen haben aufgrund der Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen sowie der Möglichkeit, Daten zu analysieren und zu verwalten, ein erhebliches Potenzial, um Nachhaltigkeit zu fördern. Durch den Einsatz von IT-Systemen können Unternehmen beispielsweise die Überwachung von Lieferketten verbessern und somit die Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards sicherstellen. Es ist jedoch auch von großer Bedeutung, dass IT-Unternehmen ihre eigenen CO2-Emissionen reduzieren und ressourceneffizient arbeiten, um ihren Beitrag zum Klimawandel zu minimieren.

Kann Agilität einem IT-Unternehmen helfen, nachhaltig zu werden? Diese Frage möchten wir anhand der fiktiven Geschichte von ESchopp untersuchen, einem Unternehmen, das vor vierzig Jahren als Versandhaus von Modeartikeln begann und sich im Laufe der Zeit zu einem Online-Händler entwickelt hat. Das Beispiel soll anschaulich und praxisnah zeigen, wie Nachhaltigkeit in einem IT-Unternehmen erfolgreich umgesetzt werden kann. Jegliche Ähnlichkeiten von ESchopp mit realen Unternehmen wären rein zufällig, und jedes Unternehmen, das es ernst mit Nachhaltigkeit meint, wird sich auf seinen eigenen Weg begeben.

Bei der Digitalisierung von ESchopp hatten agile Vorgehensweisen wie Scrum eine große Rolle gespielt und dazu beigetragen, dass die Digitalisierungsstrategie schnell und flexibel umgesetzt werden konnte. Man hatte mit kleinen Testballons in einzelnen Teams in der Softwareentwicklung angefangen. Mehr und mehr Teams waren dazugekommen, sodass die Softwareentwicklung von ESchopp nunmehr 120 Personen umfasste. Man hatte es geschafft, mit Ansätzen aus unterschiedlichen Frameworks die Abhängigkeiten zwischen den Teams und anderen Unternehmensteilen einigermaßen in den Griff zu bekommen. "Business Agility" ermöglichte es dem Unternehmen, schnell auf die veränderten Bedürfnisse von Kund:innen im Bereich Mode einzugehen. Zum Beispiel hatte ESchopp ein Kundenfeedback-System eingeführt, mit dem Kund:innen Vorschläge für neue Produkte oder Verbesserungen des bestehenden Sortiments einreichen konnten.

Man hatte erkannt, dass agiles Arbeiten und Digitalisierung Veränderungsprozesse sind, die das gesamte Unternehmen betreffen und somit Chefsache sein müssen. Man hatte schmerzhaft erfahren müssen, dass sich eine umfangreiche Veränderung nicht einfach so nebenbei erledigen lässt, sondern für die Handelnden Freistellung vom Tagesgeschäft und Ausstattung mit Budget, Zeit und Kompetenzen erfordert. Man war Zweifeln und Ängsten begegnet und hatte immer wieder die Notwendigkeit und die positiven Seiten der Veränderung betont. Die Hilfe einer agilen Beratungsfirma bewährte sich, um kontinuierlich einen Spiegel vorgehalten zu bekommen und frische Impulse zu erhalten. Regina, die Geschäftsführerin von ESchopp, formulierte es auf einer Mitarbeiterveranstaltung so: "Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind, aber es gibt noch viel zu tun."

Und jetzt auch noch Nachhaltigkeit…

In dieser Situation sah ESchopp sich mit einer neuen Herausforderung konfrontiert: Nachhaltigkeit. Dafür gab es mehrere Treiber. "Ich habe bei ESchopp bislang nicht das Gefühl, dass Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt. Verpackungsmaterialien werden oft unnötig verschwendet, die Auswahl an nachhaltigen und fair produzierten Kleidungsstücken könnte größer sein." Feedbacks wie dieses zeigten, dass immer mehr Kund:innen Wert auf Nachhaltigkeit, Ethik und soziale Verantwortung legten und nach Kleidung suchten, die diesen Werten entspricht.

Nach einer Studie richtet sich ein wachsender Anteil der Deutschen bei Kaufüberlegungen nach ethischen Kriterien [1]:

  • 82 Prozent sind bereit, den Weg von der Wegwerfgesellschaft zur Kreislaufwirtschaft mitzugehen und sprechen sich für eine längere Produktnutzungsdauer und höhere Materialeffizienz aus.
  • 73 Prozent finden es gut, gebrauchte Dinge wie getragene Mode oder alte Möbel verkaufen oder kaufen zu können.
  • 61 Prozent sind der Ansicht, dass Leihen, Teilen und wieder Verkaufen einem neuen Lebensgefühl entspricht.
  • 63 Prozent sind bereit, für einen klimaneutralen Versand zu zahlen.

Zudem wurden bei ESchopp interne Stimmen laut, die sich für eine nachhaltigere Ausrichtung einsetzten. Mitarbeiter:innen erkannten die Bedeutung von Nachhaltigkeit für die Zukunft und wollten diese Erkenntnis in allen Lebensbereichen umsetzen, auch in ihrer Arbeit. Einer von ihnen war Niklas, der als interner agiler Coach das Unternehmen bei der Entstehung von Selbstorganisation und auf seinem Weg in die digitale Welt begleitet hatte. Bei einem seiner regelmäßigen Treffen mit Regina sprach er das Thema an, und beide waren sich einig über die Verantwortung des Unternehmens, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft und Umwelt zu leisten. Eine wichtige Rolle spielte zudem die in Bezug auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz immer strenger werdende europäische Gesetzgebung. "Jetzt wird sich zeigen, ob unsere Agilität und Transformationsfähigkeit ausreicht, um auch diese Herausforderung zu stemmen", sagte Regina. Niklas erklärte sich bereit, sich des Themas anzunehmen.

Reflektiert, wie er als agiler Coach ist, erkannte Niklas, dass er zu stark mit der agilen Transformation bei ESchopp in Verbindung gebracht werden und als Prophet im eigenen Land nicht das nötige Gehör finden könnte. Außerdem fehlte ihm das Nachhaltigkeits-Know-how. Über seine Kontakte fand er Anna, eine erfahrene Beraterin, die sowohl über tiefgreifende Kenntnisse im Bereich Nachhaltigkeit als auch über Erfahrung beim Einsatz agiler Methoden verfügte. Gemeinsam bereiteten sich Anna und Niklas auf das nächste Gespräch mit Regina vor. Sie erstellten eine Präsentation, die die Bedeutung von Nachhaltigkeit für ESchopp auf den Punkt brachte: "Es geht nicht nur um den Umweltschutz, sondern um eine Balance zwischen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Interessen. Der Bestand des Unternehmens soll gesichert werden, ohne die Lebensgrundlage für zukünftige Generationen zu gefährden. Dadurch entstehen neue Chancen für ESchopp. Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Agilität sind ein erfolgreiches Trio: Ohne das eine fehlen dem anderen die Energie und die Wirksamkeit."

Anna skizzierte das grobe Vorgehen, so wie sie es in anderen Unternehmen begleitet hatte:

  1. Analyse und Ist-Stand: Stärken und Schwächen des Unternehmens in Bezug auf Nachhaltigkeit identifizieren, Verbesserungspotenzial erkennen
  2. Purpose, Strategie und Fokus: Das Wesentliche herausarbeiten und verankern
  3. Berichterstattung und Transparenz: Fortschritte kommunizieren, um das Vertrauen von Kund:innen, Mitarbeitenden und anderen Stakeholder:innen zu gewinnen
  4. Umsetzung erster Maßnahmen: Ins Handeln kommen, lernen und Erfolge feiern
  5. Transformation der Unternehmenskultur: Das gesamte Unternehmen beim inneren und äußeren Wandel begleiten

Regina war von der Präsentation beeindruckt, und so kam Anna zu ihrem Auftrag. "Die Gesamtverantwortung für das Thema Nachhaltigkeit trägt der Vorstand, und wir werden das Thema regelmäßig in unseren Sitzungen diskutieren", stellte Regina klar. Das konnte den beiden nur recht sein. Es war allen Beteiligten bewusst, dass der Weg zur Nachhaltigkeit durch unbekanntes Terrain führen würde und daher nur mit Agilität gemeistert werden könnte, um sich schnell auf neue Erkenntnisse und Veränderungen einzustellen.

Analyse und Ist-Stand

Wie ESchopp Stärken und Schwächen in Bezug auf Nachhaltigkeit identifizierte und Verbesserungspotenzial aufdeckte

Zunächst nahmen Anna und Niklas den Ist-Zustand von ESchopp unter die Lupe. Sie analysierten, wo das Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit stand und in welchem Kontext es sich bewegte.

Viele Studien belegen mittlerweile, dass E-Commerce klimafreundlicher ist als der stationäre Handel, und dennoch ist man noch sehr weit vom klimaneutralen Handel entfernt, wenn man die komplette Wertschöpfungskette betrachtet. Die Textilindustrie verursacht jährlich mehr CO2 als der internationale Flug- und Schiffsverkehr zusammen. Eine Jeans beispielsweise benötigt für die Herstellung circa 6.000 Liter Wasser – das entspricht dem Verbrauch einer Person in circa acht Jahren! Bei der Produktion von einem Kilo Baumwolle werden circa drei Kilo an Chemikalien verwendet. Man schätzt, dass weltweit gesehen weniger als ein Prozent der Alttextilien tatsächlich für neue Kleidung verwertet wird [2].

Anna und Niklas stellten fest, dass es bei ESchopp bereits einige Bemühungen gab, wie zum Beispiel die Einführung von umweltfreundlichen Verpackungen und den Einsatz nachhaltiger Materialien bei Textilien und Druckerzeugnissen. Allerdings gab es noch viel Luft nach oben.

"Jetzt kümmern wir uns um die Stakeholder:innen", verkündete Anna. Niklas dachte dabei sofort an die Endkund:innen des Shops sowie an die Menschen aus anderen Unternehmensteilen, die für die Geschäftsprozesse verantwortlich waren. Anna erklärte ihm, dass dieser Stakeholder-Begriff aus Nachhaltigkeitssicht zu eng gefasst sei. Man wolle ja in Zukunft nicht nur die Kund:innen glücklich machen und damit das eigene Business voranbringen, sondern ebenso die Belange von Gesellschaft und Umwelt berücksichtigen. Anna und Niklas erstellten eine große Matrix, um die wichtigsten Stakeholder:innen herauszufinden. Mit dieser Matrix kristallisierten sie die wichtigsten Stakeholder:innen heraus, mit denen ein systematischer Dialog aufgebaut werden sollte. Als Bewertungskriterium diente der wechselseitige Einfluss zwischen ESchopp und den Stakeholder-Gruppen.

Purpose, Strategie und Fokus

Wie ESchopp das Wesentliche herausarbeitete und das "Warum" der Nachhaltigkeitsinitiative verankerte

Es war an der Zeit zu überlegen, wie Nachhaltigkeit in das Gesamtbild und die Strategie von ESchopp passte. Anna und Niklas organisierten einen Workshop für die Führungskräfte, bei dem es um den Purpose und dessen Verbindung zur Nachhaltigkeit ging. Die Teilnehmenden waren sich schnell einig: Nachhaltigkeit sollte kein Marketing-Gag sein, sondern eine ernsthafte Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt. Das Unternehmen wollte seinen Kund:innen nicht nur ein einzigartiges Einkaufserlebnis bieten, sondern auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und ein zukunftsfähiges, sozial gerechtes Geschäftsmodell aufbauen.

Basierend auf diesen Grundsätzen entwickelten die Führungskräfte unter der Moderation von Anna und Niklas eine Nachhaltigkeitsstrategie, die auf den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs) aufbaute.

Anna leitete die Teilnehmenden an, ein Systembild des Unternehmens zu entwickeln, das die Inputs, Outputs und internen Abläufe visualisierte. Damit stellten sie gemeinsam dar, welche SDGs an welchen Stellen eine Rolle spielten.

Durch diese Darstellung wurde sofort klar, welche Verantwortung ESchopp in Bezug auf die SDGs hat. ESchopp bezieht die Kleidungsstücke, die es seinen Kund:innen verkauft, in seiner "Upstream"-Lieferkette von unterschiedlichen Hersteller:innen und Lieferant:innen. "Downstream" ist vor allem die Nutzung der Kleidungsstücke bis zu ihrem "Lebensende" von Belang. Beides hat eine entscheidende Bedeutung, ist aber auch schwerer zu beeinflussen als die hauseigenen Prozesse. Anhand der Darstellung kristallisierten sich wichtige Fokusthemen heraus:

  • SDG Nr. 12: Nachhaltiger Konsum und Produktion
  • SDG Nr. 13: Maßnahmen zum Klimaschutz

Damit adressierte ESchopp zwei wesentliche Bereiche:

  • Nachhaltigkeit durch IT: Software ermöglicht Lösungen, die zu nachhaltigem Verhalten bei Menschen führen, zum Beispiel Produkte zu recyceln anstatt wegzuwerfen.
  • Nachhaltigkeit in der IT: Die Informations- und Kommunikationstechnologie ist nicht nur ein Teil der Lösung, sondern auch ein zunehmendes Problem. Sie verursacht einen wachsenden Anteil an den weltweiten Treibhausgas(THG)-Emissionen, der bereits heute so groß ist wie der der Luftfahrtindustrie.

Die Führungskräfte beschlossen, dass ESchopp in den nächsten Jahren die THG-Emissionen deutlich reduzieren sollte. Darüber hinaus wollte das Unternehmen eine Kreislaufwirtschaft fördern, indem es anbot, verkaufte Produkte zu reparieren, wiederzuverwenden oder zu recyceln. Martin, der IT-Leiter, sah bereits die Herausforderungen, die dabei auf ihn und seine Leute zukommen würden. Ihn reizten jedoch auch die technologischen Neuerungen. Zum Beispiel hatte er schon lange mit dem Gedanken geliebäugelt, einen digitalen Produktpass einzuführen, der für das Recycling wichtige Informationen zu den Kleidungsstücken enthält. Jetzt schien die Zeit dafür gekommen zu sein.

Um Nachhaltigkeit nicht nur in der Strategie, sondern auch in den operativen Prozessen zu verankern, wurde ein Nachhaltigkeitsteam gebildet, dem neben Niklas und Anna als frischgebackene Nachhaltigkeitsbeauftragte auch Vertreter:innen aus Produktmanagement, Einkauf, Marketing, Vertrieb und IT angehörten. 

Berichterstattung und Transparenz

Wie ESchopp sich für eine Berichtsform entschied, um Fortschritte zu kommunizieren.

Ein anderes Thema lag Anna am Herzen: die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die nach der Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) der EU auf das Unternehmen zukommen würde [3]. Niklas war zunächst gar nicht begeistert, geprägt vom agilen Grundsatz "lauffähige Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation". Anna konnte seine Bedenken nachvollziehen. Viele Unternehmen empfinden die Pflicht zur Berichterstattung als belastende Bürde ohne erkennbaren Nutzen, was dazu führen kann, dass das Thema schnell verbrannt wird. Trotzdem konnte Anna Niklas davon überzeugen, dass der Bericht ein wichtiges Ergebnis ist und der Information von Finanzmärkten, politischen Akteuren und potentiellen Kund:innen dient. Damit zeigt ein Unternehmen öffentlich, dass es sich der Verantwortung bewusst ist, die mit einem sparsamen Verbrauch an Ressourcen und einer Schonung der Umwelt einhergeht, und wie es dieser Verantwortung gerecht werden will. Der Bericht ist ein Frühindikator, da die Auswirkungen von Verbesserungsmaßnahmen möglicherweise erst mit großer zeitlicher Verzögerung sichtbar werden. "Mit dem Bericht ist Transparenz nach innen und außen gegeben, und das ist doch auch ein wichtiges agiles Prinzip", sagte sie und wusste gleich, dass dieses Argument für Niklas zählte.

Anna stellte Niklas die Global Reporting Initiative (GRI) vor: "Die GRI ist eine gemeinnützige Stiftung. Die GRI-Standards sind die bekanntesten Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung." Niklas wirkte etwas hilflos angesichts des umfangreichen Werks, aber Anna beruhigte ihn: "Unser erster Bericht muss die Standards noch nicht abdecken. Aber es ist gut, wenn wir uns frühzeitig damit anfreunden. Andere Unternehmen, wie z. B. Tchibo [4] und Vaude [5], orientieren sich auch daran, und wir können sicher mal einen Erfahrungsaustausch organisieren. Ich kenne da ein paar Leute." In solchen Momenten war Niklas froh, Anna an seiner Seite zu haben.

Anna erläuterte Niklas, wie man die Berichterstattung agil angehen kann. "Viele Unternehmen betreiben Nachhaltigkeit nach einem Wasserfallprozess: Erst kommen eine umfangreiche Analyse und Datenerfassung, dann erst starten die ersten Maßnahmen. Manchmal wird ein erster Bericht verfasst, ohne dass eine einzige Maßnahme umgesetzt wurde. Und das, obwohl wir es mit vielen Unsicherheiten zu tun haben. Wenn wir agil arbeiten, beginnen wir frühzeitig mit Maßnahmen, werten sie aus und passen unsere Strategie und Planung wenn nötig an." Das konnte Niklas nachvollziehen. "Wenn der Nachhaltigkeitsbericht so wichtig ist, sollten wir ihn begleitend zu unseren Aktivitäten mit erstellen", sinnierte er. "Wir können ihn nutzen, um die Ergebnisse und Wirkungen unserer umgesetzten Maßnahmen intern zu kommunizieren. Das könnte Teil unserer Definition of Done werden, und der offizielle Nachhaltigkeitsbericht würde dabei inkrementell entstehen." (Die Definition of Done regelt in Scrum, welche Kriterien die Ergebnisse eines Sprints erfüllen müssen, um als "fertig" zu gelten. Die Dokumentation gehört typischerweise dazu.) "Bingo!", freute sich Anna über diesen konstruktiven Vorschlag.

Ein wesentlicher Bestandteil von GRI-Berichten ist die Wesentlichkeitsanalyse (Impact-Analyse): Im Bericht müssen die Themen behandelt werden, die die signifikantesten Auswirkungen (Impacts) auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft haben, die sog. "material topics". Beispiele:

  • Korruptionsbekämpfung
  • Diskriminierung
  • Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz
  • Treibhausgase
  • Abfall
  • Wasser und Abwasser

Die Identifikation und Bewertung dieser Themen hat einen gewissen Interpretationsspielraum. Was als relevant erachtet wird und was nicht, hängt auch davon ab, mit welchen Stakeholder:innen man spricht.

Beispiel: Die unter SDG 12 zusammengefassten Zielvorgaben rufen Organisationen dazu auf, eine umweltfreundliche Abfallbehandlung zu implementieren und durch Wiederverwendung und Recycling Abfall zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Abfall kann erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen haben, wenn nicht adäquat mit ihm umgegangen wird. Im Fall von ESchopp umfasst das zum Beispiel die Materialverarbeitung der Lieferant:innen (Upstream) und die Entsorgung der Produkte durch die Verbraucher (Downstream). Der Themenstandard GRI 306 widmet sich diesem Thema ausführlich und kann dabei helfen, die abfallbezogenen Auswirkungen besser zu verstehen und zu kommunizieren [6].

Nachdem Niklas und das Nachhaltigkeitsteam diese Informationen verdaut hatten, identifizierten sie mithilfe einer Wesentlichkeitsanalyse das Thema "Abfall" als "material topic".

Umsetzung erster Maßnahmen

Wie ESchopp mit zwei dedizierten Teams ins Handeln kam und sich weiterentwickelte

Allen Beteiligten war klar, dass eine Transformation zu einem nachhaltigen Unternehmen nur mit der Einbeziehung der Mitarbeitenden möglich ist. Daher wurden diese aktiv eingeladen, sich an den Initiativen zu beteiligen. Es meldeten sich Personen, die auf so eine Gelegenheit schon lange gewartet hatten. So entstanden zwei interdisziplinäre Teams, eines zur Kreislaufwirtschaft und Abfallvermeidung und eines zum Klimaschutz. Niklas, der mit den Geschäftsprozessen des Unternehmens vertraut war, übernahm die Aufgabe, das Kreislaufwirtschafts-Team zu coachen, während Anna sich um das Klima-Team kümmerte.

Beide Teams arbeiteten agil: Die langfristigen, visionären Ziele wurden schrittweise in kurzfristige Ziele unterteilt, an denen das Team in kurzen Zyklen (Sprints) arbeiten konnte. Um Fortschritte sichtbar zu machen, wurden die Ziele mit Indikatoren hinterlegt, die, wenn möglich, quantitativ messbar waren. Das Erreichte konnte so regelmäßig überprüft und der Fortschritt auf dem Weg zu den langfristigen Veränderungen gemessen werden. Selbstverständlich wurden dabei auch Anpassungen aufgrund neuer Erkenntnisse berücksichtigt.

Die Coach:innen halfen den Teams dabei, ihre Ziele und Aufgaben zu definieren und stellten sicher, dass sie genügend Freiraum, Ressourcen und Unterstützung ihrer Führungskräfte hatten, um ihre Projekte erfolgreich umzusetzen. Sie schufen Raum für effektive Teamarbeit, indem sie regelmäßige Meetings für Abstimmung, Information, Review, Erfolgsmessung, Lernen und Verbesserung einführten, so wie die Teams es vom agilen Vorgehen ja bereits kannten.

Nachhaltigkeit in der IT: Das Klima-Team

"Der Weg zum klimaneutralen Unternehmen folgt dem Grundprinzip: Erfassen, Reduzieren, Kompensieren", erläuterte Anna.

Der Begriff "klimaneutrales Unternehmen" bedeutet nicht etwa, dass keine Treibhausgas-(THG)-Emissionen verursacht werden, sondern gleicht diese Emissionen durch Kompensation aus. Dabei werden sogenannte Emissionsminderungsgutschriften erworben, mit denen die entsprechende Emissionsmenge durch Investition in Klimaschutzprojekte ausgeglichen wird. Dieses Vorgehen gerät zunehmend in Verruf, da Unternehmen zu oft auf reine Kompensation setzen. Man muss dem Vermeiden und Reduzieren von THG oberste Priorität geben, sonst wird das Vorgehen zum reinen "Ablasshandel". Ein ambitionierteres Ziel ist "Net-Zero", das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und darauf ausgerichtet ist, die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, wie im Pariser Abkommen vereinbart. Dabei geht es nicht nur darum, das zu reduzieren, was heute möglich ist, sondern einen Plan zu entwickeln, um das zu erreichen, was notwendig ist.

Anna empfahl, sich bei der Erfassung der THG-Emissionen nach dem Greenhouse Gas (GHG) Protocol zu richten.

Das GHG-Protokoll ist der am weitesten verbreitete Standard zur Bilanzierung von THG-Emissionen, auf dem weitere Standards wie ISO 14064 aufbauen. Das GHG-Protokoll unterteilt Emissionen in drei Bereiche:

  • Scope 1 umfasst die direkten Emissionen, die innerhalb des Unternehmens entstehen und in dessen Verantwortungsbereich liegen. Beispiele dafür sind Emissionen durch Verbrennungsprozesse.
  • Scope 2 bezieht sich auf die indirekten Emissionen, die durch den Bezug von Energie von Dritten entstehen, wie z. B. gekaufter Strom und Wärme.
  • Scope 3 betrachtet die vor- und nachgelagerten Emissionen, die im Zusammenhang mit der Wertschöpfungskette des Unternehmens entstehen. Bei ESchopp umfasst dies zum Beispiel Emissionen durch Produktion, Transport und Entsorgung von Kleidungsstücken sowie durch die Nutzung der in der Cloud betriebenen E-Commerce-Software.

Scope-1- und Scope-2-Emissionen müssen erfasst werden, während die Erhebung von Scope-3-Emissionen optional ist.

Die Analyse der Emissionen ergab, dass typische Quellen wie Dienstreisen und Anreise von Mitarbeitenden aufgrund der Corona-Pandemie kaum ins Gewicht fielen. Da die Lieferkette aus unabhängigen Unternehmen besteht und damit schwer zu beeinflussen ist, konzentrierte sich das Klima-Team zunächst auf die Softwareentwicklung und den -betrieb. Es stellte sich heraus, dass die Entwickler:innen gar nicht wussten, wie Software so implementiert und betrieben werden kann, dass dabei möglichst wenig Energie verbraucht wird. Sie hatten sich angewöhnt, unbekümmert vermeintlich günstige Ressourcen in der Cloud zu reservieren, die dann gar nicht oder nur selten genutzt wurden, nach dem Motto: "Der nächste Black Friday kommt bestimmt." Damit standen sie nicht allein, und dieses Verhalten führt dazu, dass einer Studie zufolge ca. ein Drittel der laufenden Software in Rechenzentren nicht verwendet wird, aber dennoch Strom verbraucht. Hier war also zunächst Sensibilisierungstraining und Schulung notwendig, damit die Entwickler:innen lernen konnten, wie man eine möglichst CO2-effiziente Software herstellt ([7;8]).

Nachhaltigkeit durch IT: Das Kreislaufwirtschafts-Team

Das Kreislaufwirtschafts-Team entwickelte etliche Ideen, vom Reparaturservice bis zum Angebot, Kleidung zu leihen, statt zu kaufen. Schließlich entschieden sich die Mitglieder dazu, einen Shop für Second-Hand-Kleidung in ihr Angebot zu integrieren. Der Aufbau der Logistik war nicht ohne. Das Team nutzte Methoden aus dem Design Thinking und ein schlankes Minimum Viable Product (MVP), um die Resonanz der Kund:innen auf dieses Angebot frühzeitig zu testen. Der digitale Produktpass, mit dem Martin liebäugelte, wurde noch nicht in dieses MVP integriert. Auch wenn Martin das bedauerte, war es ihm wichtig, die Entscheidung des Teams zu respektieren und zu unterstützen. Nach dem Go-Live zeigten die ersten Zahlen, dass das neue Angebot begeistert aufgenommen wurde. Ein Feedback einer Kundin: "Ich bin beeindruckt, dass ESchopp meine gebrauchten Produkte zurücknimmt. Es ist großartig zu sehen, dass das Unternehmen sich um Nachhaltigkeit bemüht und sich um den ökologischen Fußabdruck kümmert. Die Rücksendung war sehr einfach und unkompliziert. Ich werde auf jeden Fall weiterhin bei ESchopp einkaufen."

Die Themen weiteten sich weiter aus. Das Kreislaufsystem wurde mit der Klimastrategie zusammengeführt, um zu vermeiden, dass die zusätzlichen Transporte in Sortier- oder Reparaturzentren den Großteil des Klimanutzens, der durch den verlängerten Gebrauch der Kleidungsstücke entstand, wieder zunichte machten. Schließlich kam Martins großer Moment: der digitale Produktpass. Ein NFC-Tag mit Informationen zu den einzelnen Materialien und deren Herkunft wurde in die Produkte eingenäht, sodass sie von den Mitarbeiter:innen in den Sortierbetrieben ausgewertet werden können. Dies ist entscheidend, um den Rohstoff im Kreislauf zu halten. Auch die Kund:innen konnten von der Technologie profitieren: Der Produktpass enthielt Pflegehinweise, die sie mit dem Smartphone auslesen konnten.

Diese Erfolge erhöhten die Akzeptanz und die Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeitsinitiative. Die Aktiven sahen sie als Belohnung ihrer Bemühungen und feierten sie entsprechend.

Transformation und Unternehmenskultur

Wie Nachhaltigkeit nach und nach das gesamte Unternehmen erfasste

Dennoch war die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie kein einfacher Prozess. Einige Mitarbeitende standen den Veränderungen sehr skeptisch gegenüber, und andere waren der Meinung, dass Nachhaltigkeit zu teuer sei. Die beiden Coach:innen blieben geduldig und nahmen alle Bedenken ernst. Sie luden Expert:innen ein und veranstalteten Weiterbildungen zu Nachhaltigkeitsaspekten. Sie organisierten regelmäßige Austauschformate wie Open Spaces, um einen intensiven Wissenstransfer und eine Vernetzung der Teams zu ermöglichen. Ideenwettbewerbe zusammen mit Kund:innen und Stakeholder:innen trugen dazu bei, Kreativität und Co-Creation zu beflügeln. Den Führungskräften kam bei diesem Prozess eine besondere Bedeutung zu: Sie sorgten dafür, dass die Vision eines nachhaltigen Unternehmens glaubwürdig vermittelt wurde, Mitarbeitende den Freiraum für dieses Engagement erhielten und dies auch in die Bewertung ihrer Leistungen einfloss. Offene Kommunikation und ein Dialog auf Augenhöhe hatten mit der Agilität bereits Einzug in das Unternehmen gehalten und wurden nun weiter gepflegt. Regina übernahm es, besondere Leistungen mit der Auszeichnung "ESchopp Sustainability Champion" öffentlich zu würdigen.

Es entstanden Partnerschaften mit anderen Unternehmen, die ebenfalls digitale und nachhaltige Lösungen entwickelten. So verstanden die Mitarbeitenden nach und nach, dass es viel teurer ist, sich nicht um Nachhaltigkeit zu kümmern, weil dadurch immense Folgekosten entstehen [9]. Immer mehr Menschen im Unternehmen erlebten, dass sie selbst einen Beitrag leisten konnten, anstatt hilflos den Kopf in den Sand zu stecken. Es entstand ein Bewusstsein dafür, dass Nachhaltigkeit nicht im Widerspruch zu erfolgreichem Wirtschaften steht, sondern es sogar langfristig sichert. Die Verpackung und der Transport wurden nachhaltiger gestaltet und es gab mehr Möglichkeiten für die Kunden, nachhaltige Produkte zu kaufen. Eine große Herausforderung war der Aufbau einer Datenbank, die Transparenz über die gesamte Lieferkette einschließlich aller Geschäftspartner:innen schaffen sollte. "Ohne Digitalisierung ist so ein Vorhaben gar nicht möglich", weiß Regina.

Anna und Niklas nahmen die Veröffentlichung ihres ersten Nachhaltigkeitsberichts zum Anlass, gemeinsam auf das Erreichte anzustoßen. Niklas: "Danke für die tolle Zusammenarbeit. Wir haben gemeinsam gezeigt, wie wichtig es ist, Agilität und Digitalisierung für Nachhaltigkeit einzusetzen, wenn man echte Veränderung schaffen will." Anna: "Es war mir eine Freude, Niklas. Auch ich habe viel gelernt und freue mich schon darauf, dies auch bei anderen Unternehmen einsetzen zu können."

Danke an Johannes Mainusch für die konstruktiven Anmerkungen zu diesem Artikel.

Autorinnen

Sabine Canditt

Sabine ist zertifizierte Trainerin und Coach der Scrum Alliance. Auch über den Bereich Agilität hinaus verfügt Sabine über Coaching-Expertise und -Erfahrung.
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Hedi Buchner

Hedi hat über 15 Jahre Erfahrung in der Organisationsentwicklung für verschiedenste Unternehmen und ist seit 2019 geschäftsführende Gesellschafterin der improuv GmbH.
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