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Michael Jantsch & Dr. Michael Prinz 01. März 2022

Herausforderungen verteilter Teams am Beispiel eines realen Projektes

Das heutige Requirements Engineering findet nicht mehr nur in der persönlichen Kommunikation vor Ort statt, sondern immer häufiger durch Nutzung digitaler Medien. Dies ist besonders wichtig für Unternehmen, bei denen Teams – ob durch äußere Einflüsse oder durch die Unternehmensstruktur – standortübergreifend zusammenarbeiten. Unsere aktuellen Projekte haben gezeigt, dass unsere Kunden vor größeren Herausforderungen (z. B. Zusammenarbeit verteilter Teams) stehen als noch vor ein paar Jahren. Das Requirements Engineering muss insbesondere in der heutigen Zeit über die klassische Herangehensweise hinausgehen und den Fokus auf das Vermitteln von Anforderungen legen. Hierbei muss der Mensch in den Mittelpunkt gestellt werden. Das ist bei verteilten Teams umso wichtiger geworden. Das Ziel ist es, das richtige Werkzeug zur richtigen Zeit einzusetzen.

In unserem Projektbeispiel geht es um ein Unternehmen, das vereinzelt verteilte Teams an internationalen Standorten hat, der Hauptteil der Stakeholder hat jedoch vor Ort an einem Standort gearbeitet. Das Projekt war ein klassischer Beratungsauftrag, bei dem wir den Kunden bei der klassischen und agilen Produktentwicklung durch gezieltes Requirements Engineering unterstützt haben. Unsere Werkzeuge aus dem Requirements Engineering lagen dabei mit dem Fokus auf dem Ausrichten des Projektes, Einbinden der richtigen Stakeholder, Ermitteln und Dokumentieren der Anforderungen und dem Steuern des gesamten Prozesses.

Als dann der Moment kam, in dem von jetzt auf gleich eine unternehmensweite digitale Kommunikation ausgerollt werden musste, stellte dies alle Stakeholder vor Herausforderungen. Es wurde zwar stets darüber nachgedacht, in der Zukunft langfristig mehr Homeoffice anzubieten, jedoch waren die Vorbereitungen bei weitem nicht so ausgeprägt, dass es ohne Probleme hätte umgesetzt werden können.

Wir konnten bei dem genannten Unternehmen von unseren Erkenntnissen aus vorherigen internationalen Projekten profitieren. Folgende Fragen haben uns dabei beschäftigt:

  • Inwieweit wird das Requirements Engineering durch die verteile Projektsituation erschwert?
  • Wie verbinden wir analoge und digitale Kommunikation ohne große Reibungsverluste?
  • Wie können wir den fehlenden "Flurfunk" ersetzen, um an nützliche Informationen/Kontakte zu kommen?
  • Wie wählen wir durch die erschwerte Projektsituation die passenden Ermittlungstechniken und wie werden manuelle Prozesse durch fehlende Präsenz erfasst?
  • Wie und in welcher Form können wir durch die digitale Kommunikation Anforderungen mit mehreren Stakeholdern konsolidieren?

Auf Basis unserer Erkenntnisse aus unseren Projekten mit verteilten Teams können wir die folgenden Praxistipps ableiten.

Ausrichten

Bevor mit der Arbeit begonnen werden kann, muss zunächst einmal das Vorhaben auf das Projekt ausgerichtet werden. Dazu muss auf einer hohen Ebene verstanden werden, welcher Bedarf durch das Projekt erfüllt werden soll. Der Requirements Engineer sollte in dieser frühen Phase bereits klare Kenntnis über den Umfang (Scope) erlangen, im besten Fall beratend mitgestalten. Es ist wichtig, zu Beginn eines jeden Projekts sowie nach jeder Projektphase oder Iteration zu prüfen, ob das Projekt und mein eigenes Vorgehen korrekt ausgerichtet sind. Weiterhin werden zu Beginn alle Einflussfaktoren identifiziert, die auf den Projekt-Scope einwirken.

Haupttätigkeiten beim Ausrichten:

  • Bedarf formulieren,
  • Scope ermitteln und
  • Einflussfaktoren aufdecken.

Die plötzliche digitale Zusammenarbeit stellte das Unternehmen vor neue Herausforderungen. Durch die Distanz und die dadurch oft isolierten Arbeitssituationen wurde der Zugang zu den Stakeholdern erschwert. In der Regel arbeitet der Requirements Engineer beim Stakeholder vor Ort und hat so einen kurzen Draht zu seinen Ansprechpartnern. In der digitalen Zusammenarbeit braucht es also eine Anforderungsanalyse, die auch über eine digitale Kommunikation funktioniert. Es hat sich dadurch schnell herauskristallisiert, dass es essentiell wichtig ist, sich zu Beginn des Projekts mit einzelnen Schlüsselstakeholdern gemeinsam auf das Projekt auszurichten und die Art der Zusammenarbeit festzulegen.

Praxistipp 1: Zu Beginn des Projekts sollte die Art der Zusammenarbeit diskutiert und festgelegt werden. Für zielführende Gespräche empfiehlt sich ein möglichst kleiner Kreis von wichtigen Stakeholdern.

Als Aspekt bei der technischen Infrastruktur haben unsere Projekte gezeigt, dass die verwendete Software zur internen Zusammenarbeit der Teams oft ein Hindernis darstellt. Hier stellten sich Fragen wie: Mit welcher Software möchten wir unsere Termine organisieren? Mit welcher Software möchten wir Telefon- oder Videokonferenzen durchführen? Mit welcher Software möchten wir Dateien bereitstellen und austauschen? In einer geschlossenen Unternehmenswelt stellen sich diese Fragen möglicherweise nicht, da die Software im ganzen Unternehmen vorgegeben ist. In unserem Projekt war eine so weitreichende Nutzung bisher nicht vorgesehen gewesen. Daher war eine Klärung dieser Fragen zwingend erforderlich, um so einen Beschaffungs- und Einrichtungsprozess zu beginnen.

Praxistipp 2: Stimmen Sie sich zu Beginn der digitalen Zusammenarbeit auf die entsprechenden Tools zur digitalen Zusammenarbeit ab. Je nachdem welche Entscheidung getroffen wird, müssen ggf. Zugänge und Berechtigungen eingerichtet werden.

Die Integration von verschiedenen (Organisations-)Kulturen ist ein Thema für die Unternehmen von heute und morgen. In den heutigen Organisationen mit internationalen Mitarbeitern, aber auch Mitarbeitern verschiedenster Fachrichtungen, wird die Vielfalt der Belegschaft als eine der Herausforderungen beim Management der Mitarbeiter angesehen. Obwohl die Vielfalt in einer Belegschaft eine strategische Bedeutung hat, betrachten die Organisationen die Mitarbeiter oft als eine homogene und generische Kategorie. Die Qualität des Managements der kulturellen Vielfalt bestimmt in hohem Maße den Erfolg. Das gilt insbesondere für die Ermittlung und Entwicklung gewünschter Anforderungen in der Produktentwicklung, die durch kulturelle und sprachliche (auch interdisziplinäre) Barrieren nicht so einfach zu erheben sind. Grenzüberschreitende und interdisziplinäre Aktivitäten können zum einen zwar die Kosten für die Produktentwicklung senken und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit eines Vorhabens verbessern; allerdings würde das Requirements Engineering somit auf der anderen Seite anspruchsvoller und komplexer. Dies sollte im Vorfeld berücksichtigt werden.

Praxistipp 3: In Projekten mit unterschiedlichen Kulturen und Disziplinen ist es besonders wichtig, ein gemeinsames Verständnis der geplanten Produktidee zu haben und sich mehr Zeit für ein einheitliches Verständnis der Anforderungen zu nehmen. Für internationale und interdisziplinäre Teams, die gemeinsam Produktvisionen umsetzen, ist daher eine effektive interkulturelle Zusammenarbeit und Kommunikation ein Schlüsselfaktor für den Erfolg.

Einbinden

Zur Ermittlung der wesentlichen Anforderungen sind die Anforderungsquellen entscheidend. Eine Nichtberücksichtigung von Stakeholdern erzeugt Risiken, da bestimmte Anforderungen an das System nicht erkannt werden könnten. Um diese Risiken zu minimieren, ist die Erarbeitung einer möglichst vollständigen Stakeholderliste notwendig. Neben den relevanten Stakeholdern sollten auch weitere Anforderungsquellen berücksichtigt werden. Das könnten Dokumente wie Unternehmensrichtlinien, Normen, Gesetze oder Anforderungsspezifikationen sowie bestehende Systeme sein. Eine Sammlung von Fehlerberichten oder Beschwerden aus dem Vorgängersystem kann eine wertvolle Anforderungsquelle sein.

Haupttätigkeiten beim Einbinden ist das Identifizieren von

  • Stakeholdern und
  • weiterer Quellen.

Abgesehen von der Planung von Regelterminen war auch die Abstimmung von einmaligen Terminen schwieriger, da die Stakeholder an unterschiedlichen Standorten/Homeoffice gearbeitet haben. Dies war insbesondere bei größeren Stakeholdergruppen schwieriger zu koordinieren. Bei der Planung von spontanen Terminen ergab sich oft eine Herausforderung für den Organisator, einen gemeinsamen Termin zu finden. Softwaretools zur Verwaltung eines Kalenders bieten die Möglichkeit, entweder den eigenen Kalender zur Einsicht freizugeben oder auch bei der Planung von Terminen die zeitlichen Verfügbarkeiten der entsprechenden Stakeholder anzuzeigen. So konnten wir bei der Organisation eines Termins auf einen Blick schnell und unkompliziert die zeitliche Verfügbarkeit jedes einzuladenden Stakeholders sehen und bei der Planung des Termins berücksichtigen.

Praxistipp 4: Die Transparenz der zeitlichen Verfügbarkeit jedes einzelnen Stakeholders ist ausschlaggebend für den Erfolg der Anforderungsanalyse.

Ein weiterer Aspekt in Bezug auf die zeitliche Verfügbarkeit sind – wenn vorhanden – unterschiedliche Zeitzonen, in denen die Stakeholder leben und arbeiten. Auch schon vor der flächendeckenden digitalen Zusammenarbeit waren verschiedene Stakeholder über Standorte in unterschiedlichen Zeitzonen verteilt. Der Zeitunterschied zwischen Berlin und London ist gering, doch zwischen Berlin und New York oder gar Sydney ist der Zeitunterschied signifikant. So wird es für einen in Deutschland agierenden Requirements Engineer nahezu unmöglich sein, nach deutscher Zeit vormittags mit Stakeholdern in New York und nachmittags mit Stakeholdern in Sydney zu sprechen. Die zeitliche Verfügbarkeit ist dementsprechend zusätzlich eingeschränkt und somit die Planung von Terminen erschwert. Bei dieser Herausforderung kann ebenfalls die softwaregestützte Darstellung zeitlicher Verfügbarkeit Abhilfe schaffen. Auch in diesem Fall hilft es, geplante Abwesenheiten oder Nichtverfügbarkeiten anzuzeigen und zu verhindern, dass bspw. ein in Deutschland agierendes Teammitglied um 1 Uhr morgens zu einem Termin eingeladen wird. Bei Stakeholdern, die einfach zu weit von der Zeitzone von Deutschland entfernt waren, blieb meistens nur eine asynchrone Zusammenarbeit übrig.

Praxistipp 5: Die zeitliche Verfügbarkeit der Stakeholder hängt auch von den unterschiedlichen Zeitzonen ab.

Die fehlende physische Präsenz der Stakeholder führt auch anfänglich dazu, dass mitunter nicht direkt ersichtlich ist, wie die Anforderungsanalyse voranschreitet. Zwar ist die sichtbare Anwesenheit in einem Büro nicht automatisch mit produktivem Arbeiten gleichzusetzen, dennoch wird sie naturgemäß höher eingeschätzt als der Verfügbar-Status eines Messengerdienstes. Schnell mag das Gefühl aufkommen, dass man sich mit anderen Dingen als seiner Arbeit beschäftigt – so auch ein Artikel der Wirtschaftswoche zum Thema Arbeiten im Homeoffice [1]. Dass diese Denkweise auf Dauer für sich selbst und vor allem für die konstruktive Zusammenarbeit nicht gesund ist, ist offensichtlich. Eine strikte Kontrolle mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, dennoch führt eine zu hohe Kontrolle stattdessen dazu, dass Energie und Zeit in Gedanken und Dinge gelenkt werden, die das Projekt bzw. das Arbeitsergebnis eher behindern als fördern. Um dem entgegen zu wirken haben wir also proaktiv die Arbeitsergebnisse aus der Zusammenarbeit mit den Stakeholdern transparent gestaltet und direkt kommuniziert. Auf der anderen Seite gab es im Projekt durch das Distanz-Arbeiten auch positive Effekte. Das Arbeiten fiel den Stakeholdern nach einer Eingewöhnungsphase auch leichter, da sie durch die räumliche Distanz entspannter und somit produktiver wurden. Uns war es wichtig, im vorhinein mit allen Beteiligten abzustimmen, welche Aktivitäten in welcher Qualität bzw. in welchem Umfang erledigt werden sollen. So fiel der Fokus auf die Arbeitsergebnisse schlussendlich einfacher.

Praxistipp 6: Eine klare und regelmäßige Abstimmung, Visualisierung und Kommunikation der Arbeitsergebnisse zeigt den Stakeholdern die Fortschritte und den Wert der Anforderungsanalyse.

Ermitteln

Beim Ermitteln der Anforderungen aus den erkannten Quellen sind Methodenkenntnis und Kreativität gefragt. Projektabhängig müssen hier zur Ermittlung der bewussten, unbewussten und unterbewussten Anforderungen der Stakeholder die richtigen Techniken identifiziert und eingesetzt werden.

Haupttätigkeiten beim Ermitteln ist das Festlegen der Ermittliungstechnik und das Ermitteln der Anforderungen.

Eigentlich ein selbstverständliches Thema, dennoch haben unsere Projekterfahrungen gezeigt, dass es noch nicht immer reibungslos mit der technischen Infrastruktur läuft. Eine stabile und performante Infrastruktur ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche digitale Zusammenarbeit beim Requirements Engineering. Ein wichtiger Aspekt diesbezüglich ist eine leistungsstarke Internetverbindung beim Upload und Download von Dateien, bei der gemeinsamen Zusammenarbeit über einen geteilten Bildschirm oder bei der Videokonferenz mit einer größeren Teilnehmerzahl. Oft ermöglicht erst eine leistungsstarke Internetverbindung ein effizientes und vor allem unkompliziertes gemeinsames Arbeiten. Wenn die Internetverbindung gerne "mal wieder schwächelt", ist dies oft frustrierend und der zeitliche Mehraufwand steigt signifikant. Ein weiterer grundlegender Aspekt, der oft vergessen wird, ist das mobile Internet oder die entsprechende Verbindung im Homeoffice. Nur wenn dieses, neben dem Unternehmensinternet, auch leistungsstark ist, können die Stakeholder mit mobilen Endgeräten an verschiedenen Standorten oder im Homeoffice arbeiten oder an Infoveranstaltungen (wie z. B. den Reviews) teilnehmen. So sind alle Beteiligten an jedem Standort in vollem Umfang arbeitsfähig und können flexibel agieren. Insbesondere in der Anfangszeit der rein digitalen Kommunikation war es etwas holprig, da nicht jede Heim-Internetverbindung für Homeoffice gedacht war.

Praxistipp 7: Eine leistungsstarke Internetverbindung ist essentiell für eine unkomplizierte und erfolgreiche Zusammenarbeit insbesondere bei verteilten Teams.

Neben der anfänglichen Problematik des Heim-Internets der Stakeholder, gab es noch Herausforderungen bei der persönlichen digitalen Kommunikation, also per Telefon- oder Videokonferenz. Hierzu ist entsprechende Hardware wie Mikrofon, Lautsprecher und Kamera notwendig gewesen. In vielen mobilen Endgeräten sind diese Hardwarekomponenten bereits fest eingebaut und können für eine erste Nutzung verwendet werden. Dies ist zwar unkompliziert und kostengünstig, aber bei intensiver Nutzung können unerwünschte Herausforderungen aufkommen. So erzeugt ein schlechtes Mikrofon ein möglicherweise als störend empfundenes Stimmbild, festinstallierte Lautsprecher eine auf Dauer zu Unkonzentriertheit führende Tonqualität und eine günstige integrierte Kamera oft ein unscharfes Bild. Als Einzelperson, als Team oder gar als Unternehmen sollte intensiv darüber nachgedacht werden, mit welcher Kommunikationshardware gearbeitet werden soll. Auch wenn externe Hardware in der Regel von höherer Qualität ist, muss diese finanziert werden, verfügbar sein und darüber hinaus installiert und konfiguriert werden. Das Ziel war es ganz klar, dass alle beteiligten Personen die digitale Kommunikation nicht als unzugänglich oder als Hindernis ansehen.

Praxistipp 8: Eine professionelle Ausrüstung zur digitalen Kommunikation erhöht den Grad der effektiven Produktentwicklung. In jedem Fall sollte die Kommunikationshardware vor einem Termin ausreichend getestet werden.

Dokumentieren

Die Ergebnisse des "Ermittelns" der Anforderungen sollten geeignet und nachhaltig dokumentiert werden. Das Dokumentieren der erkannten Anforderungen ist ein zentraler Baustein eines erfolgreichen Projekts. Hier entstehen Verträge mit Lieferanten, Lasten- und Pflichtenheft und Product Backlogs. Bei agilen Projekten werden die Anforderungen mittels Epics und User Stories prägnant beschrieben und anschließend gemeinsam mit den Stakeholdern intensiv diskutiert sowie iterativ vervollständigt. Bei Projekten nach klassischen Vorgehensmodellen ist – v. a. für die Projektlaufzeit und das Budget – die Eindeutigkeit ausschlaggebend.

Haupttätigkeiten beim Dokumentieren:

  • Qualitätskriterien prüfen und Richtlinien festlegen,
  • Anforderungen spezifizieren und modellieren,
  • Anforderungen konsolidieren und
  • Anforderungen prüfen.

Insbesondere bei verteilten Teams ist es wichtig, Klarheit über den Stand der Informationen und der Dokumentationslage zu haben. Lokal gespeicherte Texte oder virtuelle Whiteboards können natürlich im ersten Schritt genutzt werden. Für die langlebige Dokumentation muss allerdings ein klarer Speicherort/Datenpool definiert sein und von allen gleichermaßen genutzt werden.

Steuern

Nicht nur über Entwicklungsphasen hinweg, sondern auch in einzelnen Phasen ist das Steuern von Aktivitäten wichtig. Der Requirements Engineer ist dabei der zentrale Ansprechpartner.

Haupttätigkeiten beim Steuern:

  • Kommunikation fördern,
  • Änderungen managen,
  • Vorgehen sicherstellen,
  • Aktivitäten planen und
  • Motivation schaffen.

Ein Aspekt der Zusammenarbeit, den wir hervorheben möchten, ist das soziale Teamgefühl. Als wir vor Ort waren, gingen wir häufig mit den Stakeholdern mittags zusammen essen, man unterhielt sich in der Kaffeeküche oder traf sich vielleicht auch nach der Arbeitszeit zu einer gemeinsamen Aktivität. Bei der digitalen Zusammenarbeit über verschiedene Standorte/Homeoffice ging genau diese soziale Komponente schnell verloren und war schlussendlich gar nicht mehr vorhanden. Nach einiger Zeit haben wir lockere Events initiiert, um den "inoffizielleren" Austausch wieder zu etablieren.

Praxistipp 9: Auch in der digitalen Welt kann ein inoffizielles Gespräch während oder außerhalb der Arbeitszeiten die Zusammenarbeit mit Stakeholdern verbessern.

Beim Requirements Engineering mit verteilten Stakeholdern bestehen besondere Herausforderungen in Bezug auf die Planung der Anforderungsanalyse. Bei stark verteilten, unter Umständen internationalen Stakeholdergruppen, aber auch schon bei Stakeholdern, die national an verschiedenen Standorten oder im Homeoffice arbeiten, ist eine Zusammenarbeit nur digital wirklich effizient und effektiv – so lautet zumindest die Erkenntnis von Microsoft zu der Arbeitsweise verschiedener Unternehmen [2]. Hierbei besteht jedoch die Gefahr, dass sich Kommunikationssilos bilden. Dies bedeutet, dass sich der Austausch zwischen Stakeholdergruppen an unterschiedlichen Standorten verringert. Um dem entgegenzuwirken haben wir einen monatlichen und in bestimmten Bereichen sogar einen wöchentlichen Regeltermin eingeführt, damit eine feste Möglichkeit zum Austausch geboten wird. Wichtig ist das besonders für Stakeholder mit einem großen Interesse und Einfluss an dem Produkt gewesen. Hierbei ist darauf zu achten, dass diese Regeltermine eine klare Struktur vorweisen und ein klar definiertes Ziel verfolgen. Smalltalk ist zwar hilfreich, um einen Termin zu eröffnen und die Teilnehmer abzuholen, dennoch muss letztendlich ein Mehrwert generiert werden. Wir möchten dabei herausstellen, dass der zeitliche Rahmen dieser Termine klar sein muss und von möglichst allen relevanten Stakeholdern zum Austausch genutzt werden sollte.

Praxistipp 10: Eine verbindliche Absprache von Regelterminen zum Austausch mit klarer Agenda und Zielstellung ist essentiell bei der Planung einer Kommunikation über unterschiedliche Standorte hinweg.

Wird mit der national- und organisationskulturellen Vielfalt nicht behutsam umgegangen, kann dies das Ausrichten auf das Vorhaben gefährden. Als Konsequenz mussten wir eine hohe kulturelle Sensibilität und interkulturelle Kommunikation (z. B. unterschiedliche Kommunikationsstile) fördern, um das Vorhaben erfolgreich umsetzen zu können. Diese notwendige Methodenkompetenz ist bei vielen Unternehmen nicht im Bewusstsein und viele Requirements Engineers stoßen somit auf Hindernisse, die sie bei sprachlich und kulturell einheitlichen Vorhaben so niemals erleben würden.

Obwohl Organisationen grundsätzlich zugeben, dass eine gemeinsame Kultur ein Schlüsselfaktor für ihre Wettbewerbsfähigkeit ist, ergreifen sie nicht genügend Maßnahmen, um die Risiken eines unangemessenen Umgangs zu mindern. Der finanzielle Verlust durch unzureichende kulturspezifische Kommunikation und Zusammenarbeit lässt sich beziffern. Eine Studie von The Economist Intelligence Unit, die weltweit durchgeführt wurde, ergab, dass Kultur nicht angemessen bewertet wird und ein Bedarf besteht, die interkulturellen, sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten der Mitarbeiter zu verbessern [3].

Praxistipp 11: Unternehmen sollten in der heutigen Zeit eine kulturspezifische Strategie fördern und verfolgen. Besonders sollten Requirements Engineers in internationalen und interdisziplinären Teams zu diesem Thema geschult werden.

Fazit

Insbesondere im Zeitalter des digitalen Wandels ist ein strukturiertes Vorgehen der Erfolgsfaktor des Requirements Engineering. Wir können von den Herangehensweisen einer verteilten Zusammenarbeit lernen, wenn diese korrekt und angemessen angewendet werden. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass – auch wenn viele der oben angesprochenen Themen eigentlich jedem klar sein sollten – diese dennoch oft nicht so gelebt werden. Daher sollte eine Struktur eingehalten und passende Methoden verwendet werden. Insbesondere bei der Realisierung von komplexen Produktvorhaben im agilen oder klassischen Setting kann so direkt und zielgerichtet zusammengearbeitet werden. Somit können auch die negativen Auswirkungen der oben genannten Herausforderungen vermieden werden.

Die "neuartige" digitale Kommunikation wird aus unserer Sicht nicht wieder komplett verschwinden. Sie wird sich auch langfristig etablieren. Die Frage die sich natürlich stellt: in welchem Verhältnis wird Homeoffice weiter bestehen? Die Herausforderungen, die dann bei einem hybriden Ansatz (Stakeholder im Homeoffice und Stakeholder vor Ort) entstehen, werden auch noch interessant. Bei einem hybriden Ansatz wird es z. B. spannend, wenn Meetings halb vom Homeoffice aus und halb im Büro stattfinden. So müsste über ausgeklügeltere Maßnahmen nachgedacht werden, damit alle Stakeholder effektiv teilnehmen können.

Quellen
  1. Wirtschaftswoche: Homeoffice: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?
  2. Microsoft: Drei Jahre Microsoft Teams: So erfolgreich arbeiten deutsche Unternehmen virtuell zusammen
  3. D. Bolchover (2012): Competing across borders: How cultural and communication barriers affect business. In: Economist Intelligence Unit - The Economist), 2012.

Autoren

Michael Jantsch

Michael Jantsch ist Consultant mit den Schwerpunkten Anforderungsmanagement und Business- / Systemanalyse. Seine besondere Stärke liegt auf der Unterstützung der Fachbereiche bei der Analyse des fachlichen Bedarfs.
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Dr. Michael Prinz

Dr. Michael Prinz ist Senior Consultant mit den Schwerpunkten Anforderungsmanagement und Business- / Systemanalyse.
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