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Anna Kranzusch & Jesko Schneider 17. November 2022

Innovativ trotz Projektalltag

Wie Sie sinnvoll Kundenfokus in Ihre Produktentwicklung integrieren

Die digitale Transformation sorgt für einen Schub an neuen Themen, mit denen sich Unternehmen beschäftigen müssen – und das in immer kürzeren Zyklen. Anforderungslage aber auch Lösungsraum und Technologien sind nicht mehr klar vorgegeben. So ist es nicht verwunderlich, dass Vorhaben mit langen Phasen der Planung und Umsetzung durch iterative Vorgehen ersetzt werden, bei denen Produktideen immer wieder auf's Neue evaluiert werden.

Diese Herangehensweise, sich Schritt für Schritt an die optimale Umsetzung der Anforderungen heranzutasten, setzt allerdings eine ergebnisoffene Haltung voraus. Das heißt, man muss akzeptieren, dass die Details der Lösung am Anfang noch nicht bekannt sind. Vor allem Beteiligten, die aus der traditionellen Projektentwicklung kommen, fällt dies oft schwer, obwohl sie rein formal nach agilen Methoden vorgehen.

Dabei ist ein Vorgehen hilfreich, bei dem grobe Anforderungen und frühe Konzepte (ggf. in Form von Prototypen) gemeinsam mit dem Kunden erarbeitet werden. Durch den Einsatz der richtigen Analyse- & Design-Methoden auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen kann so ein Bewusstsein für die kontinuierliche Ausrichtung auf den Markt und die Bedarfe der Kunden geschaffen werden.

Wir müssen bei der Produktentwicklung verstehen, dass das starre Anwenden agiler Frameworks nicht ausreichend ist, um optimale Ergebnisse zu erreichen und, dass wir uns immer stärker mit dem Thema Innovationsmanagement befassen müssen. Unsere Haltung muss sich dahingehend verändern, dass wir Agilität auch unabhängig von Frameworks verstehen sowie Analyse- und Design-Methoden miteinander verschmelzen, um sinnvoll kundenorientiert zu handeln.

Auswirkungen der Digitalen Transformation

Die technologische Entwicklung schreitet nicht nur stetig voran, sie liefert uns sogar in immer kürzeren Zyklen neue Möglichkeiten. Während wir uns in der Vergangenheit durch klare technologische Rahmenbedingung leicht für eine Umsetzung entscheiden konnten, müssen wir uns heute mit einer durchaus größeren Komplexität befassen.

Das ist nicht nur gesellschaftlich eine große Herausforderung (Beispiel Autonomes Fahren), sondern fordert insbesondere auch die Unternehmen. Etablierte Prozesse und Vorgehen, die in der Vergangenheit für erfolgreiche Produkte verantwortlich waren, greifen nicht mehr, um mit dieser Komplexität umzugehen. Dies bedeutet, dass eine Umgestaltung der gesamten Art der Zusammenarbeit bei der Produktentwicklung zum erfolgsentscheidenden Faktor wird.

Wie schaffen wir es, da mitzuhalten?

Wir sind, wie niemals zuvor, im Zeitalter der Wissensarbeit, der Kreativität und der Kollaboration angekommen. Mit einer großen Bandbreite an Kompetenzen können Mitarbeiter:innen heute unterschiedlichste Rollen ausführen. Je nach Aufgabenstellung und benötigter Kompetenzen finden sich Teams zusammen und erarbeiten gemeinsam Lösungsstrategien.

Denn je unklarer die Anforderungen sowie die Technologien und Methoden, die für die Realisierung der Lösung notwendig sind, desto mehr entfernen wir uns von einfachen oder komplizierten hin zu komplexen oder sogar chaotischen Systemen.

Im Unterschied zur einfachen oder auch komplizierten Welt, in der es häufig die eine Entscheidung für eine richtige Lösung gibt, die zudem von Einzelnen getroffen werden kann, verhält es sich in der komplexen und chaotischen Welt deutlich schwieriger. Im komplexen Bereich hingegen ist dazu die Menge der Abhängigkeiten und unbekannten Faktoren, die sich auch noch gegenseitig beeinflussen und damit auch wieder verändern können, so groß, dass es nicht mehr die eine vorhersehbare richtige Lösung gibt.

Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre Arbeitsweise den veränderten Rahmenbedingungen, die sich aus technologischer oder gesellschaftlicher Entwicklung ergeben, anzupassen. Und wann immer die Anforderungen oder die Technologien für die Umsetzung uneindeutig sind, bietet es sich an, explorativ und in kleinen Schritten einen Lösungsweg zu gestalten.

Wichtig bei dieser Vorgehensweise ist es, viele "relevante" Perspektiven zu berücksichtigen und offen dafür zu sein, die (Teil-)Ergebnisse zu analysieren, um dadurch zu lernen und weitere Schritte daraus ableiten zu können.

Was haben wir bisher erreicht?

Unter anderem greifen immer mehr Unternehmen aus der zuvor beschrieben Motivation heraus zu agilen Ansätzen. Praktiken und agile Frameworks wie SCRUM, KANBAN, SAFe und Co. werden eingeführt und die Zusammenarbeit dahingehend transformiert.

Die Problematik entsteht bei der oberflächlichen Umsetzung dieser Blaupausen, ohne die Innovationskraft zu erkennen und zu fördern. So kann es passieren, dass trotz agiler Vorgehen "umsetzungsorientiert" gearbeitet wird. Das heißt, es werden von Beginn an konkrete Lösungen vorgegeben und für die Umsetzung detailliert "gemanagt". Eine Innovationskraft in den Teams ist somit nur schwer möglich und Feedback-Schleifen zu Lösungsalternativen existieren oft nicht.

Das führt dazu, dass Kundenfokus und Marktorientierung nur Schlagworte bleiben. Problemstellungen und Lösungsalternativen können (oder dürfen) nicht mehr hinterfragt werden. Als Folge dessen sind u. a. "Usability"- und "User Experience"-Kompetenzen falsch positioniert, indem sie (in vielen Fällen genauso wie der Kunde) zu spät involviert oder sogar als zusätzlicher Ballast gesehen werden.

Agile Frameworks reichen allein nicht aus

Agile Methoden befassen sich mit dem "WIE" und der richtigen Umsetzung des Produkts, damit möglichst schnell Wert erzeugt werden kann. Darum müssen wir agile Frameworks als Werkzeug für die Umsetzung verstehen.

Die Arbeit an einem klaren Fokus und der richtigen Ausrichtung ist jedoch entscheidend für die Umsetzung. Angelehnt an das "Design Squiggle" von Damien Newman können wir uns an drei Phasen orientieren [1].

Diese drei Phasen können wir in der agilen Skalierung auf drei Abstraktionsebenen auflösen:

  • User Stories steuern z. B. in SCRUM die operative Umsetzung (Gestaltung / Umsetzung).
  • Features helfen dabei, auf koordinativer Ebene die richtige Umsetzungsalternative zu wählen und zu priorisieren (Konzeption/ Prototyping).
  • Epics dienen dazu, auf langfristiger Strategie-Ebene das Problem angemessen zu erkunden (Auftragsklärung/ Scoping).

Dafür ist es essenziell, Methoden aus dem Design in das Anforderungsmanagement zu übernehmen, feste Rollendefinitionen aufzubrechen und entsprechende Kompetenzen unternehmensweit aufzubauen.

Die folgende Tabelle zeigt beispielhaft auf, welche Design-Methoden und damit verbundene Kompetenzen in das Anforderungsmanagement integriert werden müssen.

Ebene Ziel/ Squiggle-PhaseArbeitsprodukte aus dem AnforderungsmanagementDesign-Methoden
Strategische EbeneDas Problem erkunden: Kontinuierliche Ausrichtung auf den Markt und die Bedarfe der Kunden (initiale Problem und möglichen Lösungsraum erkunden).

- Vision
- Epic
- Stakeholderliste
- Design Brief/ Ideenbewertung

- Design Thinking (Problem & Lösung)
- Feldbeobachtungen & Interviews
- Persona Canvas
- Business Model Canvas
- Value Proposition Canvas
- Cover Story Canvas
Koordination-EbeneDas richtige Produkt bauen: Durch "Inspect & Adapt" aus Prototypen und Produkt-Inkrementen lernen, die richtigen Produktideen zur Lösung des Problems und Wertmaximierung zu identifizieren (Lean-Ansatz).- Use-Case-Diagramm
- Use-Case-Spezifikation
- Grafische Modelle
- Feature
- Styleguide
- Prototype (Paper/ Wireframe/ Klick-Dummie)
- Risiko-Bewertung
- Beschreibung externer Schnittstellen
- System-, Geschäfts-, Stakeholder- oder Benutzeranforderungen
- Story Mapping
- Customer Journey
- Service Blueprint
- Interaktionskonzept
- Prototype (Paper/ Wireframe/ Klick-Dummie)
- UX- & Usability-Tests
- SWOT-Analyse
Operative UmsetzungDas Produkt richtig bauen: Inkrementelle Umsetzung der Ergebnisse.- Individuelle Anforderung
- User Story
- Product- & Sprint-Backlog
 - Visuals/ GUI-/ NUI- Design
- UsabilityTest

Fazit

In Zeiten von VUCA (Volatility/ Volatilität, Uncertainty/ Unsicherheit, Complexity/ Komplexität und Ambiguity/ Ambiguität) sind Anforderungslage aber auch Lösungsraum und Technologien nicht mehr klar vorgegeben. Etablierte Prozesse und Vorgehen, die in der Vergangenheit für erfolgreiche Produkte verantwortlich waren, greifen nicht mehr, um mit dieser Komplexität umzugehen.

Eine oberflächliche Umsetzung agiler Frameworks als Blaupause, ohne die Optimierung der Innovationskraft im Blick zu halten, bringt oft nicht den erhofften Mehrwert. Wir müssen ein Umdenken vom umsetzungsorientierten zum konzeptorientierten Vorgehen schaffen, in denen die frühe Ideen- und Produktevaluation bereits auf oberster Abstraktionsebene akzeptiert, durchgeführt und fest implementiert ist. Dazu gehört insbesondere, disziplin-übergreifende Kompetenz auf allen Ebenen aufzubauen und Methoden aus dem Design in das Anforderungsmanagement zu integrieren.

Quellen
  1. Damien Newman: The Design Squiggle

Autor:innen

Anna Kranzusch

Anna Kranzusch ist Beraterin mit dem Schwerpunkt auf Usability Engineering / User Experience, User Interface Design (UE / UX / UI), dem Produktdesign und der benutzerzentrierten Anforderungsvermittlun
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Jesko Schneider

Jesko Schneider ist Gründer und Geschäftsführer der Anforderungsfabrik GmbH & Co. KG. Er ist als Berater, Trainer und Coach in unterschiedlichen Branchen und Unternehmen aktiv.
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