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Ulrike Scheibler 01. Oktober 2024

Joseph Weizenbaum – Der "Dissident der Informatik"

2023 wäre er hundert Jahre alt geworden und hätte sich sicher auch heute noch mit seinen kritischen Äußerungen zur Nutzung von Computern und des Internets – welches er selbst mit entwickelte – nicht zurückgehalten [2]. Zeit seines Lebens war es ihm wichtig, an den Verstand der Menschen zu appellieren und Erfindungen – speziell das Internet – nicht einfach nur als Fortschritt zu feiern.

Vom "wertlosen Trottel" zum Professor am MIT

Er wurde in eine jüdische Familie in Berlin hineingeboren und damit in eine sehr unruhige Zeit. Nur zehn Jahre später spürte er die Folgen seiner Herkunft – als er unter dem Naziregime vom Gymnasium an eine jüdische Knabenschule verwiesen wurde. Seine Familie verließ Deutschland 1936 und emigrierte in die USA. Entgegen der Meinung seines Vaters, er sei "ein wertloser Trottel", schloss er sein Mathematikstudium mit dem Master ab und war schon in den 1960ern als Systemingenieur damit beschäftigt, ein Computerbanksystem zu entwickeln, welches die codierte Scheckverarbeitung und -freigabe ermöglichte. Seine Tätigkeit als Professor für Computer Science am Massachusetts Institute of Technology (MIT), einer weltweiten Spitzenuniversität, wurde u. a. Grundlage für die Erstellung des Arpanets, dem ursprünglich für das Militär entwickelten Vorläufer unseres Internets.

Eliza – eine Psychotherapeutin?

Weizenbaum wurde vor allem durch Eliza berühmt: Er selbst hatte 1966 eigentlich nichts anderes im Sinn, als eine Maschine vorzustellen, die (von ihm mit einem Sprachanalyseprogramm ausgestattet) ein einfaches Gespräch führen konnte. Dabei wurde eine psychotherapeutische Sitzung simuliert. Er wollte mit der Präsentation nur darstellen, wie begrenzt der Sprachschatz und die Reaktionsfähigkeit dieses Computers war. Die Reaktion auf seine Erfindung machte ihn sprachlos – viele glaubten, eine reale Psychotherapeutin spräche zu ihnen und schütteten Eliza gegenüber ihr Herz aus.

Eliza gilt als frühe Vorläuferin der heutigen Chatbots und wurde damals als großer Schritt in der KI-Entwicklung gesehen. Und Weizenbaum selbst? Er konnte es nicht fassen, wie leichtgläubig Menschen diese Erfindung als Fortschritt annahmen, ohne darüber nachzudenken. Ja, es gab daraus folgend auch Überlegungen, ob solch ein Programm das direkte therapeutische Gespräch zwischen Patient:in und Psychotherapeut:in ersetzen könne. Auch dazu zeigte Weizenbaum eine sehr kritische Haltung: "Es gibt menschliche Funktionen, die nicht durch Computer ersetzt werden sollten."[3]

Das Internet als "großer Misthaufen"

Weizenbaum war stets ein Kritiker seiner Zunft. Er hielt es für unabdingbar, Erfindungen nicht unvoreingenommen, sondern mit gesundem Menschenverstand zu nutzen. Als Wissenschaftler war es für ihn eine Pflicht, Verantwortung für den Einsatz neuer Techniken und deren gesellschaftlicher Konsequenzen zu übernehmen. Während seiner Tätigkeit am MIT lehnte er es beispielsweise ab, an der Waffenentwicklung für den Krieg in Vietnam mitzuwirken und in den 1980er Jahren wurde er Mitbegründer des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. Während eines Vortrags 2001 in Hamburg fand Weizenbaum sehr drastische Worte für eine der wichtigsten Erfindungen unserer Zeit, welche aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken ist: "Das Internet ist ein großer Misthaufen, in dem man allerdings auch kleine Schätze und Perlen finden kann." [4]

Betrachtet man die eigenen Beobachtungen und Erfahrungen im Umgang mit dem Internet, wird schnell klar – so unrecht hatte der Gesellschaftskritiker nicht. Wikipedia wird besonders bei Schülern als allwissender "Ansprechpartner" für die Erstellung von Referaten gesehen, wie oft wird medizinisches Halbwissen aus dem Internet gezogen, Falschmeldungen geglaubt und die Manipulation durch Werbebotschaften verfolgt uns stetig. Und so verwundert es auch nicht, dass sich Weizenbaum auch über die Nutzung von Computern an Schulen geäußert hat. Als eine Bremer Schulsenatorin die Initiative "Schulen ans Netz" hoch lobte, weil das ihres Erachtens beispielsweise die Exkursion der Kinder ins Wattenmeer überflüssig mache – stehe ja auch alles auf dem Tablet – stand Weizenbaum dieser Einstellung sehr skeptisch gegenüber. Es fehle das eigene Erleben und dieses würde immer häufiger ersetzt durch eine künstliche Welt.

Joseph Weizenbaums kritische Haltung gegenüber der Nutzung von Computern und des Internets verband er stets mit der Forderung zum verantwortungsvollen Umgang mit diesen Errungenschaften. Er war ein Mann der Praxis und hatte am MIT selbst erlebt, wie durch die Zusammenarbeit mit dem Pentagon IT-Entwicklungen der militärischen Nutzung dienten. Seine kompromisslose Wertung hinsichtlich des Gebrauchs von Computern und des Internets hat ihn zu einem Außenseiter unter IT-Zeitgenossen gemacht, trotzdem blieb er beharrlich bei seiner Haltung.

Die Auflistung seiner publizierten Werke ist lang. Der Titel seines 1976 erschienenen Hauptwerkes "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" scheint mir ein passender Abschluss zur Vorstellung der umstrittenen Persönlichkeit Joseph Weizenbaums und Mahnung zugleich.

Autorin
Ulrike Scheibler

Ulrike Scheibler

Ulrike Scheibler hat an der Hochschule in Dresden Pädagogik studiert und war von 1989 bis 2021 Lehrerin für Deutsch und Geschichte und Klassenleiterin in Brandenburg und Sachsen.
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