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Ulrike Scheibler 18. Februar 2025

Die Geschichte der ENIAC-Frauen

"Look like a girl, act like a lady, think like a man, work like a dog!"

Frauen und Programmierung? Frauen und Computer? Natürlich! Aber bitte schön im Hintergrund der Entwickler und Erfinder – diesen Eindruck hatte ich schon öfter bei der Beschäftigung mit der Reihe "Persönlichkeiten der Informatik" und denke dabei beispielsweise an Ada Lovelace. Und so ist der Ausspruch in der Überschrift nicht von ungefähr gewählt. Geäußert hat diese Worte die älteste  der ENIAC-Frauen – Francis Betty Snyder Holberton. Ihre Worte wurden zum Credo der ENIAC-"Girls", wie diese überaus kompetenten Mathematikerinnen auch geringschätzig genannt wurden. Lange Zeit blieben die Namen dieser Frauen im Zusammenhang mit ENIAC ungenannt und als Programmiererinnen wurde ihnen erst sehr spät die gebührende Anerkennung zuteil. Zwei von ihnen – Ruth Lichterman Teitelbaum und Betty Jean Jennings Bartik – hätten im letzten Jahr ihren 100. Geburtstag gefeiert und nicht nur das ist ein Grund, einen Blick zurückzuwerfen…

Krieg, Computer, ENIAC

Mit dem offiziellen Eintritt der USA in den II. Weltkrieg im Jahre 1941 stieg der Bedarf an Mathematikern, die die Berechnung von Flugbahnen der Bomben, Granaten und Raketen übernehmen konnten. Männer standen sowohl als Rechner als auch für Leitungsfunktionen logischerweise nur sehr begrenzt zur Verfügung, also warb das Ballistic Research Laboratory der US-Army in der Nähe von Aberdeen/ Maryland Frauen mit College-Abschlüssen für Rechenarbeiten an. Und so waren im Sommer 1945 bei der Army 80 Frauen angestellt und wurden schlicht und einfach alle "Computer" genannt – nach ihrer Tätigkeit – Rechner heißt auf englisch Computer. Auch ihre Vorgesetzten waren größtenteils Frauen. Heute unglaublich – aber die ballistischen Berechnungen erfolgten mit Papier und Bleistift unter Zuhilfenahme spezieller mechanischer Rechenmaschinen.

In Philadelphia lief zeitgleich ein geheimes Projekt, finanziert durch die Army, die sich dadurch schnellere und exaktere ballistische Berechnungen für den Kriegseinsatz erhoffte. ENIAC hieß das Großrechnerprojekt, war im November 1945 einsatzbereit, doch zu spät, um noch im II. Weltkrieg genutzt zu werden – Deutschland und Japan hatten bereits kapituliert.

Dem eben beendeten "heißen" Krieg folgte jedoch der "Kalte Krieg" und der Electronic/ Electrical Numerical Integrator And Computer (ENIAC) (Das E wurde unterschiedlich übersetzt) wurde bis 1955, dem Jahr der Abschaltung, u. a. für den virtuellen Test der Zerstörungskraft der ersten Wasserstoffbombe genutzt.

Die "ENIAC-Girls" nehmen die Programmierung des ersten elektronischen Universalrechners in die Hand

Die Namen der Entwickler des ENIAC wurden schnell publik – John Presper Eckert und John William Mauchly arbeiteten ab 1942 an dem geheimen Großprojekt, welches 1946 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Vorbereitet wurde die Präsentation allerdings durch die ENIAC-Frauen, deren Aufgabe es war, den Computer so zu "stöpseln", dass dieser die Flugbahn einer Granate schneller berechnet, als das Geschoss unterwegs ist. Das bedeutete für die Programmiererinnen, zwei Wochen rund um die Uhr zu arbeiten. 

Die Präsentation des ENIAC sorgte für große Begeisterung und die Entwickler wurden natürlich gebührend  gefeiert – mit einem Presse-Dinner sowie Beiträgen in Wochenschauen und zahlreichen Fotos in Zeitungen. Nur die Programmiererinnen hatte man "vergessen" zu erwähnen und einzuladen.

Francis Betty Snyder Holberton, Kathleen McNulty Mauchly Antonelli, Marlyn Wescoff Meltzer, Ruth Lichterman Teitelbaum, Betty Jean Jennings Bartik und Frances Bilas Spence waren in einem streng geheimen Auswahlverfahren als Programmiererinnen für den ENIAC bestimmt worden. Sie stammten alle aus Aberdeen, verfügten über Erfahrungen mit verschiedenen Rechenmaschinen und waren bereits in Leitungsfunktionen tätig gewesen. Die Frauen erhielten einen sechswöchigen Einführungskurs in den Aufbau und die Handhabung des ENIAC. Das Problem daran war jedoch, dass es keinerlei Handbücher zum Großrechner gab. Die Frauen bekamen lediglich die Schaltpläne für alle Panels und sollten nun herausfinden, wie der ENIAC funktioniert und programmiert wird. Das Einlesen in die Schaltpläne war das eine, die Arbeit am Großrechner bedeutete jedoch sowohl höchste Konzentration und lange Arbeitszeiten als auch körperliche Anstrengung.

Körperlich schwere Arbeit und Programmieren? Ja, das hat durchaus seine Berechtigung – wenn wir uns den ENIAC und die Arbeit der Frauen näher anschauen. Der Rechner nahm einen Raum von 167 Quadratmetern ein, war tonnenschwer und verbrauchte wahnsinnig viel Energie. Verglichen mit Konrad Zuses Z3 von 1941 konnte der ENIAC mit einer höheren Leistung und größerer Arbeitsgeschwindigkeit punkten, das bedeutete für die damalige Zeit erstaunliche 5000 Rechenoperationen pro Sekunde.

Heute lächelt man darüber, denn ein aktuelles Smartphone ist nicht nur wesentlich handlicher als der ENIAC, sondern bietet eine weitaus höhere Leistung – über 30 Milliarden Instruktionen pro Sekunde kann das Hosentaschenformat abarbeiten. Daten für den ENIAC wurden per Lochkarten ein- und ausgelesen und Rechenfunktionen mussten per Kabelverbindungen gesteckt werden.

Kam es zu Ausfällen, dann krochen die Frauen in der Maschine herum, um die fehlerhafte Röhre zu finden.

Gerechnet wurde auf Basis von über 17.000 Elektronenröhren, wenn nur eine davon ausfiel, kam es zu Fehlern – und dies passierte sehr oft. Und dann wurde es tatsächlich eine körperliche Herausforderung für die ENIAC-Frauen. Kam es zu Ausfällen, dann krochen die Frauen in der Maschine herum, um die fehlerhafte Röhre zu finden.

Wenn sie programmierten, hieß das nicht etwa, Anweisungen in die Tastatur zu tippen, sondern unzählige Schalter zu betätigen und Kabel zu stecken, so wie wir es vielleicht aus Filmen kennen, in denen Damen vom Fernmeldeamt die Verbindung herstellen. Die Einrichtung des ENIAC für die Ausführung eines Programms dauerte im Schnitt zwei Tage. Neue Aufgaben hieß, neu "verstöpseln" – der ENIAC verfügte über keine Speichermöglichkeit. In diesem Kabelsalat den Durchblick behalten, richtige Entscheidungen treffen, dem Computer Aufgaben einschreiben und dies alles in möglichst kurzer Zeit – die Frauen haben Unglaubliches geleistet.

Adele Goldstines Name darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Denn die Mathematikerin erarbeitete die in zwei Bänden im Juni 1946 erschienene "Technische Beschreibung des ENIAC" und sorgte dadurch endlich für ein Handbuch des komplexen Computers.

Einstufung "angelernt" für großartige Leistungen

Während ihrer Tätigkeit als "Computer" und als ENIAC-Programmiererinnen waren alle Frauen (ob mit Hochschulabschluss oder sogar mit Promotion) als "angelernt" eingestuft und entsprechend niedrig entlohnt worden. Die Beschäftigung farbiger Frauen war nicht vorgesehen. Erst als das ENIAC-Projekt 1947 nach Aberdeen übersiedelte, wurden Frauen mit akademischem Abschluss besser bezahlt. Doch zu diesem Zeitpunkt waren die meisten der sechs ENIAC-Frauen bereits aus dem Projekt ausgeschieden. Den Computern blieben jedoch fast alle noch verbunden, trotz Heirat und Kindererziehung, denn die berufliche Fortentwicklung sahen sie auch als eine Form ihrer persönlichen Freiheit. Waren doch die 1950er und 1960er Jahre nicht nur in den USA vom Klischee geprägt, als Frau nach der Hochzeit den Beruf aufzugeben – "zugunsten" der Rollen Hausfrau und Mutter. Francis Betty Snyder Holberton und Betty Jean Jennings Bartik wurden in der neu gegründeten Firma Eckert Mauchly Computer Corporation als Software-Entwicklerinnen tätig, Kathleen McNulty Mauchly Antonelli verließ das Projekt 1948, um sich gemeinsam mit ihrem Mann John William Mauchly nun der Weiterentwicklung der Computertechnik zu widmen. Frances Bilas heiratete Homer Spence, der ebenfalls im ENIAC-Projekt involviert war, wurde dann Hausfrau und Mutter, Ruth Lichterman Teitelbaum entschied sich ebenso für diesen Weg.

Ruhm und Ehre waren für sie, die außergewöhnlich anstrengende Arbeit, hochkonzentriert und mit enormem Fachwissen leisteten, damals nicht vorgesehen. Ihre Namen gerieten vorerst in Vergessenheit, so wie die zahlreicher anderer Informatikerinnen. Und das spiegeln auch Fotos aus der Zeit wider – oft ohne Bildunterschrift oder allgemein gehalten, tauchen die Namen der abgebildeten Frauen meist nicht auf.

In diesem Zusammenhang las ich von einer interessanten Begebenheit: Eine Informatikstudentin aus Harvard stieß vierzig Jahre nach der offiziellen Präsentation des ENIAC auf Fotos der ENIAC-Girls bei ihrer damaligen Arbeit. Sie wunderte sich, dass die abgebildeten Frauen nicht namentlich genannt wurden und auf Nachfrage bei einem Mitarbeiter des Computer History Museums erklärte dieser, dass es sich bei den dargestellten Frauen um Models handle, die vor dem ENIAC nur posieren, damit der Computer schöner aussähe. Als ich das las, war ich sprachlos – die Studentin Kathy Kleiman wollte dies ebenso nicht glauben. Durch aufwändige Recherchen fand sie die Adressen der Frauen heraus, nahm mit ihnen Kontakt auf und interviewte sie. 2013 veröffentlichte Kleiman "The Computers", eine Kurzdokumentation über die Programmiererinnen.

Späte Würdigung und Erinnerungskultur heute

Nicht nur dadurch wurden die Leistungen der ENIAC-Frauen endlich in das Bewusstsein der Gesellschaft gerückt – auch wenn es seit der Präsentation des Elektronischen Großrechners über 50 Jahre dauerte, bis die sechs ENIAC-Programmiererinnen 1997 bei einem Festakt in Silicon Valley ausgezeichnet wurden. Und jedes Jahr am zweiten Dienstag im Oktober wird der Ada Lovelace Day gefeiert. Es ist seit 2009 eine Hommage an die wohl erste Programmiererin der Welt (s. auch Ada Lovelace) und an alle Frauen und deren Errungenschaften in Wissenschaft, Technik, Mathematik und Informatik.

Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, dass Mädchen und Frauen durchaus sehr erfolgreich in der IT-Branche unterwegs sind. Aber es braucht wohl doch noch einige Zeit, bis Klischees hinsichtlich der "Rollenverteilung" überwunden werden. Die in dieser Reihe bereits porträtierten Frauen zeigen, wie schwer dies oft ist, sie sind jedoch auch tolle Vorbilder und machen Mut.

Francis Betty Snyder Holberton war übrigens 1997 die einzige der ENIAC-Frauen, die den Augusta Ada Lovelace Award erhielt – ihre Kolleginnen hätten ihn sicher auch verdient!

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