Die Umfeldbedingungen des Skalierens

Man weiß, dass sie kommen wird, aber nicht, wann genau und in welcher Form. Werden die entwickelten Lösungen die richtigen sein? In diesem Spiel kann nur mitmischen, wer seine Methoden den Umständen anpasst. Traditionelles Projektmanagement muss zwangsläufig scheitern, denn dessen Spielwiese wurde für einen anderen Kontext und andere Zeithorizonte entwickelt. Es leistete gute Dienste, viele Unternehmen haben gute Erfahrungen damit gemacht. Aber immer wieder ist zu beobachten, dass extrem kritische Projekte außerhalb der traditionellen Unternehmensstrukturen durchgeführt werden. Die Labs und Taskforces sind anderen Bedingungen unterworfen: Dort dürfen die Kollegen alles anders machen und werden nur daran gemessen, ob sie eine Lösung finden. Klassische Unternehmensprozesse werden ignoriert oder so geschickt ausgenutzt, dass sonst Undenkbares plötzlich möglich wird.
Die Softwareentwicklung war der erste Bereich, in dem in den 1990er-Jahren sichtbar wurde: Der traditionelle Weg der Projektdurchführung funktioniert nicht mehr. Also machten sich einige Manager auf den Weg, suchten eine Lösung für die beschriebenen Probleme und fanden die agile Softwareentwicklung. Von den unterschiedlichen Modellen setzte sich weltweit eine Vorgehensweise durch: Scrum. Dieses Managementframework wurde entwickelt, um in einem komplexen Umfeld möglichst schnell etwas liefern zu können, von dem man oft nicht weiß, wie es aussehen soll und erreicht werden kann. Zunächst ging man davon aus, dass man gut ausgebildete Softwarespezialisten zusammenbringen müsse, um aus ihnen ein Team mit einer klar definierten Aufgabe zu formen. Das funktionierte sehr gut. Heute arbeiten viele Unternehmen in ihren IT-Abteilungen erfolgreich mit diesen kleinen, sich selbst organisierenden Teams. Scrum-Projekte wurden bald so erfolgreich, dass immer mehr Hardwareentwicklungsteams auf diese Arbeitsweise aufmerksam wurden. Die Softwareentwickler lieferten ihre Produkte immer schneller ab, nutzten andere Formen des Reportings und wirkten alles in allem zufriedener mit ihrer Arbeit. So hielt Scrum auch Einzug in das traditionelle Projektmanagement für Hardwareprodukte. Und die Verbreitung von Scrum ist noch nicht abgeschlossen: Inzwischen gibt es selbst verwaltungsnahe agile Teams, zum Beispiel in der Rechtsabteilung der Holtzbrinck Publishing Group [2].
Geht das auch groß?
Manche Menschen "verstehen" sich aufgrund ihrer Ausbildung nicht.Mir wurde erst klar, dass ich mich mit dem Thema noch einmal ganz anders auseinandersetzen musste, als die Anfragen zu Scrum in der Hardwareentwicklung immer häufiger wurden. Plötzlich waren völlig andere Probleme zu lösen: In diesem Bereich arbeiten nicht zwangsläufig Menschen zusammen, die ähnlich denken. Manche "verstehen" sich aufgrund ihrer Ausbildung überhaupt nicht. Chemiker denken anders als Biologen, die wiederum ganz anders an Probleme herangehen als Elektroingenieure, die natürlich alles ganz anders machen als die Maschinenbauer. Dazu kommt, dass diese unterschiedlichen Disziplinen oft gar nicht an einem Standort angesiedelt sind. Die wunderbare Idee, alle Kollegen in einem Raum zu versammeln, ist oft gar nicht umsetzbar, denn die Spezialisten sind in der ganzen Welt verteilt und mitunter gehören sie nicht einmal zum eigenen Unternehmen. Aber das Internet lässt die Welt auch in diesem Punkt schrumpfen: Die besten Köpfe lassen sich leichter finden als je zuvor und sind oft kurzfristig buchbar. Ein befreundetes kleines Zwei-Mann-Unternehmen mit einem stark eingegrenzten Spezialgebiet arbeitet für einen kalifornischen Giganten. Die zwei nehmen Aufträge an, liefern die Ergebnisse ab und es scheint hervorragend zu funktionieren. Längst haben "New Brokers of Work" daraus ein Geschäft gemacht: Sie vermitteln Aufgaben an Spezialisten, finden diese in weltweiten Netzwerken oder bauen selbst diese Netzwerke auf. Das ist auch Teil des sich abzeichnenden Trends zur Hyperspezialisierung: Arbeiten in Projekten werden kleinteilig auf diejenigen verteilt, die sich am besten für die Aufgabe eignen [3]. Wer genau hinsieht, macht eine erstaunliche Beobachtung: Wieder ist es die Softwareentwicklung, in der dieser Trend seinen Ausgang nimmt. Weltweit verteilte Softwareentwickler arbeiten gemeinsam an Projekten, obwohl sie sich oft noch nie persönlich gesehen haben und manchmal nicht einmal die Namen der anderen kennen. Unternehmen wie Automattic (Wordpress) oder 37signals (Basecamp) wurden bewusst so konzipiert. Sie wollen mit Menschen auf der ganzen Welt zusammenarbeiten, die das benötigte Wissen haben. Microsoft baut viele seiner neuen Produkte konsequent in die Cloud, damit Menschen in jedem Winkel der Erde daran arbeiten können, auch Adobe setzt auf das gleiche Prinzip.
Schwieriger Wandel im Projektmanagement
- Projekte werden aus der Taufe gehoben und erst dann wird überlegt, wer die Aufgaben am besten erledigen kann.
- Man stellt Ressourcenmanager ein, die Projektmanager immer mit den richtigen Ressourcen versorgen sollen.
- Es werden zu viele Projekte zur selben Zeit durchgeführt und
- die Key Player im Unternehmen sind entscheidende Wissensträger. Bei ihnen, vielmehr "in" ihnen, konzentriert sich das Wissen und daher werden sie in mehr als einem Projekt gebraucht.
Ein erster Überblick
- Wissensmanagement. Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi sowie Peter Drucker haben für das Verständnis der Wissensarbeit Großartiges geleistet. Ihre Forschung und ihre Überlegungen machten deutlich, warum gerade die Softwareentwicklung neue Impulse setzen konnte und musste.
- Softwarearchitektur. Ausgehend vom Silicon Valley verbreitet sich das Denken in Netzwerken und kleinen Einheiten, und das begründet wiederum ein neues Verständnis für die Zusammenarbeit von Menschen.
- Lean Management, Lean Production und Second Generation Lean Product Development. Wer große Projekte agil umsetzen will, kommt nicht umhin, sich ausführlich mit dem Toyota Production System, der Theory of Constraints und den Arbeiten von Don Reinertsen zu beschäftigen. Auf Grundlage dieser Ideen wird deutlich, warum der Wertstrom und nicht der Plan die relevante Kenngröße für das Steuern eines Projekts ist.
- Design Thinking. Die Revolution der Produktentwicklung hat in den 1980er-Jahren in Kalifornien begonnen. Die Designagentur IDEO entwickelte damals ein Vorgehensmodell, das tatsächlich die Anwender (User) in den Mittelpunkt aller Überlegungen stellt. IDEO verabschiedete sich von dem Konzept, dass eine Person die Produktidee haben muss und die Umsetzung daher vorgibt. Design beschreibt in diesem Sinne nicht das Erscheinungsbild eines Produkts, sondern das Verständnis, wie ein Anwender ein Produkt in seinem Lebenskontext nutzt.
- Führung. In großen Projekten sind die beteiligten Menschen oft überall auf der Erde verstreut und man bekommt sie so gut wie nie zu Gesicht. Die Frage, wie man Menschen führen soll, bekommt hier eine völlig neue Dimension. Klare Kommunikation und ausschließlich intrinsische Faktoren geben den Ausschlag.
- Organisation. Wie verändert sich die Organisation rund um ein großes agiles Projekt? Natürlich kann nicht gleich ein ganzes Unternehmen plötzlich agil werden und trotzdem greifen solche Projekte die Abteilungssilos an.
Fazit
Mit agilem Projektmanagement für das große Projekt kann man sich nur befassen, wenn man die folgenden sechs Bausteine anders als bisher versteht:- Produktarchitektur
- Infrastruktur
- Professionalität
- Produktentwicklungsprozesse
- Managementprozesse
- Den Begriff des Projekts
Dieser Artikel ist ein Auszug aus Boris Gloger's Buch "Scrum Think big: Scrum für wirklich große Projekte, viele Teams und viele Kulturen".
- Hastie, S.; Wojewoda, S.: Standish Group 2015 Chaos Report – Q&A with Jennifer Lynch.
- Gloger, B.: Die agilen Anwälte. Case Study 2015.
- Malone, T. W.; Laubacher, R.; Johns, T.: The Big Idea. The Age of Hyperspecialisation. In: Harvard Business Review, 89 (2011) 7/8, S. 56 – 65.
- Gloger, B.; Margetich, J.: Das Scrum-Prinzip. Agile Organisationen aufbauen und gestalten. Schäffer-Poeschel 2014
Publikationen
- Selbstorganisation braucht Führung
- Scrum Think big: Scrum für wirklich große Projekte, viele Teams und viele Kulturen
- Der agile Festpreis: Leitfaden für wirklich erfolgreiche IT-Projekt-Verträge
- Das Scrum-Prinzip: Agile Organisationen aufbauen und gestalten
- Scrum: Produkte zuverlässig und schnell entwickeln
- Wie schätzt man in agilen Projekten: - oder wieso Scrum-Projekte erfolgreicher sind