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Fabian Schiller 26. April 2022

Teams effektiv führen mit dem Team Development Radar

Für effektive Teamentwicklung gibt es kein Schema F. Es ist aber auch kein Ding der Unmöglichkeit, einem Team dabei zu helfen, sein individuelles Potential bestmöglich zu heben. Ein sehr nützliches Modell hierfür ist das Team Development Radar. Im vorliegenden Artikel erfahren Sie, welche Faktoren wichtig sind für ein erfolgreiches Team und wie Sie herausfinden, woran Sie mit dem Team als nächstes arbeiten können.

Das Problem mit den Team-Workshops

Vor einigen Jahren habe ich mit einem Team gearbeitet, das aus verschiedenen Bereichen zusammengewürfelt worden war. Im Laufe der Zeit tasteten sich die Kollegen immer näher aneinander heran. Allerdings machten viele die Beobachtung, dass das gegenseitige Vertrauen im Team nicht so wuchs, wie viele von uns das aus vorigen, erfolgreichen Teams kannten. Es war klar: Ein Team-Offsite musste her. Wir sperrten uns also für zwei Tage in einem hübschen Hotel draußen auf dem Land ein und arbeiteten mit Hilfe eines Team-Coaches an der Offenheit und dem Vertrauen im Team. Dies gelang dem Coach in den zwei Tagen auch sehr gut. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir am Ende des zweiten Tages Gespräche hatten, in denen Themen angesprochen wurden, die schon seit gefühlten Ewigkeiten im Raum standen, die aber niemand anzusprechen wagte. So weit, so gut.

Nach den zwei Tagen ging es zurück ins Büro und es war eine merklich andere Stimmung im Team zu spüren. Die Zusammenarbeit war tatsächlich von größerer Offenheit geprägt und es flutschte so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Zumindest für einige Wochen. Denn schon nach kurzer Zeit schlichen sich alte Verhaltensweisen wieder ein und die Offenheit schwand langsam wieder. Ein halbes Jahr nach dem Workshop war von dem großartigen Effekt des Workshops kaum noch etwas zu spüren. Doch woran lag das?

Inzwischen habe ich eine starke Hypothese dazu entwickelt. Wir hatten damals im Workshop zwar viel über unsere Werte und Haltungen gesprochen und dementsprechend auch unser Verhalten im Team geändert. Allerdings hatten wir nicht überlegt, welche Rahmenbedingungen dazu geführt hatten, dass das Vertrauen im Team nicht so wuchs, wie wir uns das alle wünschten. Demzufolge passten wir an den Rahmenbedingungen unter denen wir arbeiteten auch nichts an. Unser Verhalten hatte sich zwar im Workshop geändert und war auch einige Zeit anders geblieben. Der unveränderte Rahmen allerdings zog das Verhalten nach und nach wieder in die alten Bahnen zurück.

Seitdem habe ich für mich persönlich einen sehr bekannten Spruch erweitert: "Culture eats strategy for breakfast – and structure eats culture for lunch."

Worauf kommt es eigentlich an?

Solche und ähnliche Erlebnisse sind mir seither immer wieder passiert. Und natürlich frage ich mich: Warum? Eine mögliche Antwort habe ich gefunden, als mir klar wurde, dass wir mit den Team-Workshops genau am richtigen Thema arbeiten und hier in einem Workshop mit Gesprächen und Austausch auch gute Erfolge zu erzielen: Dem Thema Beziehung. Das Gefühl, in einem guten Team zu arbeiten haben wir ja nicht, weil wir besonders gute Leute haben oder besonders gute Dinge tun, sondern in erster Linie, weil wir sehr gute Beziehungen zu den Teamkollegen aufbauen konnten. Praktisch jede außergewöhnlich gute Teamerfahrung ist gespickt mit Erzählungen von Abenden im Biergarten, gemeinsamen Abenteuern (beruflich, sowie in der Freizeit) und zwischenmenschlichen Anekdoten.

Gleichzeitig ist es so, dass natürlich die Aufgabe, die wir als Team haben und der Kontext, in dem wir als Team unsere Aufgabe angehen, eine Wirkung auf das Formen der Beziehungen hat. Das bedeutet, dass wir zwar um ein gutes Team zu formen, an den Beziehungen arbeiten, aber keinesfalls vergessen dürfen, auch die Aufgabe und die Strukturen so anzupassen, dass diese Beziehungen auch erhalten bleiben.

Die Anatomie der Beziehung

Worauf müssen wir nun achten, wenn wir möchten, dass im Team gesunde Beziehungen entstehen können? Schauen wir uns zunächst einmal an, was eine gelingende Beziehung ausmacht. Nach Joachim Bauer, gibt es sechs wichtige Faktoren, die gegeben sein sollten [1]:

  1. Sehen und gesehen werden: Das bezeichnet das gegenseitige Wahrnehmen als Mensch. Ich gebe den Kollegen im Team das Gefühl, dass ich sie wahrnehme und möchte von diesen auch wahrgenommen werden. Jeder hat hier seinen Wert und wird dafür geschätzt.
  2. Gemeinsame Aufmerksamkeit gegenüber etwas Drittem: Beziehungen entstehen vor allem auch an gemeinsamen Aufgaben. In der Beziehung sind das vielleicht Kinder oder der Hausbau. Im Team ist das die gemeinsame Aufgabe als Team.
  3. Emotionale Resonanz: Die Menschen im Team müssen in der Lage sein, sich aufeinander einzuschwingen, d. h. ein Gefühl dafür zu entwickeln, was die anderen im Raum gerade brauchen oder zumindest, zu verstehen, was in der aktuellen Situation völlig unangebracht wäre.
  4. Gemeinsames Handeln: Es ist nicht nur wichtig, ein gemeinsames Ziel zu haben, sondern auch konkret Dinge gemeinsam zu tun. Im praktischen Handeln wird eine Beziehung mit Leben gefüllt.
  5. Grundsätzliche Kooperationsbereitschaft: Im Team muss eine grundsätzliche Offenheit für Zusammenarbeit vorhanden sein. Wenn wir fünf Köche in ein Team packen, die eigentlich alle alleine ihr eigenes Süppchen kochen wollen, dann wird das kaum ein Festmahl.
  6. Das Verstehen von Motiven und Absichten: Laut Bauer ist dies die "Königsdisziplin". Auf Basis der oben genannten fünf Punkte können Beziehungen wirklich gut werden, wenn wir verstehen, warum andere unter Umständen anders handeln als wir. Wir interessieren uns für die Motive und Absichten der Kollegen und können dann auch deren Handlungen besser einordnen.

Grundsätzlich möchten wir in Teams an genau diesen Faktoren arbeiten. Hierfür bieten sich Teamworkshops auch tatsächlich an. Allerdings ist es wichtig, gleichzeitig zu beachten, wie die Aufgabe (Gemeinsame Aufmerksamkeit gegenüber etwas Drittem) und der Kontext des Teams aussehen, damit positive Veränderungen auch nachhaltig bleiben. Um zu sehen, woran wir arbeiten müssen, ist das Team Development Radar [2] ein hilfreiches Tool.

Das Team Development Radar

Ein Grundgedanke des Team Development Radars ist, dass wir – wenn wir mit Teams arbeiten – schwierig einem linearen Prozess folgen können. Meist ist die Dynamik in Teams so hoch, dass eine Beobachtung, die ich gestern gemacht habe, heute schon wieder obsolet ist oder hinter anderen Beobachtungen zurückfällt. Daher gilt es in der Arbeit mit Teams kontinuierlich bestimmte Faktoren "abzuscannen" und zu beobachten, ob diese Faktoren im Team aktuell passen. Wie ein Radar eben.

Dabei achten wir – wie oben schon beschrieben – zuerst auf die Ebene der Beziehungen im Team. Ist Offenheit und Vertrauen im Team wahrnehmbar? Können sich die Kollegen auf gegenseitige Zusagen verlassen? Findet gemeinsames Lernen statt? Können Konflikte, die in einem Team auftreten müssen, konstruktiv gelöst werden, ohne zu eskalieren? Ist eine Wertschätzung der Kollegen füreinander spürbar?

Wenn wir ein Gefühl dafür haben, wo es auf der Beziehungsebene Herausforderungen für das Team gibt, dann schauen wir auf die Aufgabenebene und überlegen, ob die Struktur der Aufgabe möglicherweise ein Auslöser für diese Herausforderung sein kann, bzw. ob diese bestimmte nicht hilfreiche Beziehungsmuster unterstützt. Im zweiten Schritt legen wir unser Augenmerk auf den Kontext und überlegen, welche der Faktoren dort einen ungewünschten Einfluss auf die Beziehungsmuster im Team haben. Nun können wir auf allen Ebenen ansetzen. Beispielsweise arbeiten wir in einem Teamworkshop konkret am Thema "Konstruktiver Konflikt", identifizieren dort aber – mithilfe des Modells – auch Faktoren an der gemeinsamen Aufgabe und im Kontext, die wir anpassen müssen, damit die Veränderungen, die wir im Teamworkshop erreicht haben, auch nachhaltig sein können. Nach dem Teamworkshop gehen wir dann die entsprechenden Maßnahmen bezüglich der Struktur der Aufgabe und des Kontextes auch an.

Ein Beispiel

Um das Ganze etwas greifbarer zu machen, beschreibe ich im Folgenden ein Beispiel aus meinem Alltag. Ich habe vor einiger Zeit mit einem Team gearbeitet, in dem ich das Gefühl hatte, dass das gegenseitige Vertrauen nicht vorhanden war. Da ich mich nur sehr ungern auf meine persönliche "Diagnose" verlasse, habe ich also eine Retrospektive mit dem Team gemacht, in dem wir die Faktoren auf der Beziehungsebene aus dem Teamradar einmal aus dem Team heraus bewertet haben. Wir arbeiteten hier mit Skalenfragen und visualisierten das Ergebnis in einem Spiderchart. Es stellte sich tatsächlich heraus, dass das Team gerne an dem Thema "Vertrauen und Offenheit" arbeiten wollte.

Wir beschlossen also noch in der Retrospektive, dass ich (damals in der Rolle Scrum Master), das Team mit Übungen und Workshops dabei unterstützen sollte, dieses Vertrauen zu entwickeln. Hier fokussierte ich in den kommenden Wochen stark auf das gegenseitige Verständnis von Motiven und Absichten, indem wir mit Hilfe des Wertequadrats über individuelle Werte der Kollegen und damit auch über unterschiedliche Perspektiven und Absichten sprachen [3].

Gleichzeitig identifizierten wir mit Hilfe des Team Development Radars auch Baustellen auf den Ebenen "Aufgabe" und "Kontext". Auf der Aufgabenebene stellten wir beispielsweise fest, dass die Struktur der Arbeitspakete so war, dass jeder zu Beginn des Sprints sein Arbeitspaket nehmen und mehr oder weniger alleine abarbeiten konnte. Dies lag an einem sehr technischen Schnitt der Aufgaben. Wir beschlossen also, die Aufgaben künftig mit Hilfe von User Stories fachlich zu schneiden, was automatisch dazu führte, dass im Sprint mehrere Personen zusammenarbeiten mussten, um eine Aufgabe zu erledigen. Dies führte natürlich zu deutlich erhöhter Kommunikation und vielen Gelegenheiten, das Vertrauen ineinander zu entwickeln und immer wieder zu bestätigen.

Auf der Kontext-Ebene stellten wir fest, dass für zwei Kollegen im Team nicht so ganz klar war, ob sie tatsächlich nur unserem Team zugeordnet waren. Diese Kollegen waren nebenher noch für andere Projekte unterstützend tätig und daher nicht Vollzeit bei uns. Auch hier schafften wir Klarheit. Für einen der Kollegen bedeutete dies, dass er seine Aufgaben aus den Projekten mit ins Team nahm, dadurch 100 Prozent seiner Zeit im Team arbeitete und auch bei allen Team-Meetings dabei war. Bei dem zweiten Kollegen war dies nicht ganz so leicht. Hier konnten wir wenigstens Transparenz darüber herstellen, wann sich das Team auf seine Zuarbeit verlassen und wann er für das Team nicht greifbar sein würde. Beide Änderungen sorgten dafür, dass die Erwartungen an die Kollegen transparenter wurden und somit für diese auch leichter zu erfüllen waren. Auch das zahlte deutlich auf das Vertrauen im Team ein. So gelang es uns, über den Zeitraum von mehreren Monaten hinweg, durch das kontinuierliche Arbeiten an der Beziehungsebene in Retrospektiven und das flankierende Arbeiten an Arbeitsstruktur und den Strukturen des Kontexts, die Beziehungen im Team zu stärken und ein gutes Grundvertrauen aufzubauen.

Arbeiten mit dem Team Development Radar

Am vorigen Beispiel können wir gut erkennen, wie wir mit dem Teamradar arbeiten können. Hier nochmal eine kompakte Zusammenfassung:

  1. Wir prüfen (für uns oder mit dem gesamten Team), wo auf der Beziehungsebene aktuell Herausforderungen liegen.
  2. Wir überlegen, wie wir an dieser Herausforderung direkt mit Maßnahmen (Workshops, Trainings, etc.) arbeiten können.
  3. Wir identifizieren Einflussfaktoren der Teamaufgabe und der Strukturen im Kontext auf die Herausforderung auf der Beziehungsebene und überlegen, wie wir diese unterstützend angehen können.

Schritt 1 führen wir kontinuierlich durch und handeln, wenn wir das Gefühl haben, dass die Situation einen bewussten Eingriff erfordert. Natürlich umfasst das Team Development Radar nicht alle Faktoren im Kontext, die Einfluss auf die Teamdynamik haben können. Die ausgewählten Faktoren leiten sich aus bekannten Modellen für Teamentwicklung ab [4,5,6]. Es bietet sich allerdings an, auch offen zu fragen: "Welche Strukturen und Prozesse unterstützen die ungewünschte Haltung bzw. das ungewünschte Verhalten im Team?"

Selbstverständlich gibt es keine Garantie für erfolgreiche Teamentwicklung. Das liegt vor allem auch daran, dass einige der Faktoren, die für gute Teams fundamental sind, nicht leicht von außen zu beeinflussen sind. Das können bestimmte Prozesse oder Regulatorik in großen Unternehmen sein. Es können aber auch Einstellungen von Menschen sein, die sich nur schwierig von außen ändern lassen. Nichtsdestotrotz ist das Team Development Radar ein hilfreiches Tool, um relativ schnell die wichtigen Punkte für eine positive Teamentwicklung zu erkennen und erste Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Es hilft uns dabei, eine Herausforderung nicht zu engstirnig, sondern ganzheitlicher anzugehen und somit mit höherer Wahrscheinlichkeit am Ende erfolgreich zu sein.

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